LG Berlin, Urteil vom 06.10.2020 - 15 O 586/19
Fundstelle
openJur 2021, 13182
  • Rkr:
Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monate zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr für die Vorbestellung von rezeptpflichtigen, preisgebundenen Arzneimitteln und/oder deren Abholung innerhalb von 24 Stunden die Abgabe eines 1-Euro-Gutscheins anzukündigen und/oder entsprechend der Ankündigung zu verfahren, wenn die Ankündigung erfolgt, wie nachstehend wiedergeben:

2. Der Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger 387,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 8. Januar 2020 zu zahlen.

3. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Das Urteil ist hinsichtlich des Ausspruchs zu 1. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 30.000,00 €, im Übrigen in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages zzgl. 10 % hiervon vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger ist ein gerichtsbekannter Verband zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs.

Der Beklagte betreibt die "Xxxx Apotheke" in Berlin und die Internetseite "www.shop.xxxxapotheke.de".

Bei dem vorliegenden Rechtsstreit handelt es sich um die Hauptsache zum einstweiligen Verfügungsverfahren - 15 O 431/19 -. Die dortige einstweilige Verfügung vom 11. Oktober 2019 ist seit dem 4. August 2020 bestandskräftig.

Der Beklagte warb für seinen Online-Service in der im Tenor wiedergegeben Art und Weise.

Der Kläger hält das vom Beklagten praktizierte Verfahren der Rezepteinlösungen für wettbewerbswidrig. Der Kunde, der ein rezeptpflichtiges Arzneimittel vorbestelle, erhalte eine Zuwendung in Form eines Gutscheins. Dies verstoße gegen einschlägige Bestimmungen des HWG und AMG, wonach die Gewährung von Werbegaben entgegen den Preisvorschriften des AMG unzulässig sei. Diese seien Marktverhaltensregelungen im Sinne des § 3 a UWG.

Als Nebenforderung würde eine Kostenpauschale in Höhe von 299,60 € brutto (= 280,00 € netto) für die Abmahnung verlangt werden. Dies entspreche einem angemessenen Anteil der erforderlichen Aufwendungen des Klägers. Für das Abschlussschreiben im einstweiligen Verfügungsverfahren sei ein anwaltliches Honorar von 82,24 € netto angefallen.

Der Kläger beantragt,

wie erkannt.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält das von ihm gewählte Prozedere der Kundenbindung für wettbewerbsrechtlich zulässig. Die Entscheidung des BGH vom 6. Juni 2019 sei nicht einschlägig. Denn der Verbraucher erhalte die Vergünstigung nicht für die Einlösung einer Verschreibung, sondern allein und ausschließlich dafür, dass er die Bestellung vorab an die Apotheke übermittle. Dies verstoße nicht gegen die einschlägigen Vorschriften des HWG und AMG. Das HWG sei nicht anwendbar, weil es an einer produktbezogenen Werbung fehle.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen ihren Prozessbevollmächtigten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Flyer stellt eine unzulässige Werbemaßnahme im Sinne der §§ 3, 3 a UWG i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG, § 78 Abs. 2 Satz 2 und 3 Abs. 3 Satz 3 AMG da. Mit der In-Aussicht-Stellung eines 1-Euro-Gutscheins ab einer Rezeptvorbestellung von 25,00 € für rezeptpflichtige, preisgebundene Arzneimittel und deren Abholung innerhalb von 24 Stunden verstößt der Beklagte gegen die arzneimittelrechtliche Preisbindung. Diese Bestimmungen sind auch dann verletzt, wenn für das preisgebundene Arzneimittel zwar der vorgeschriebene Preis angesetzt, dem Kunden aber gekoppelt mit dem Erwerb des Arzneimittels Vorteile gewährt werden, die den Erwerb für ihn wirtschaftlich günstiger erscheinen lassen. Eine andere Würdigung würde dem Gesetzeszweck des § 78 Abs. 2 Satz 2 AMG i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 1 HWG nicht gerecht werden, der eine sachlich nicht gerechtfertigte Unterscheidung zwischen Bewertung von Barrabatten und zu einem späteren Zeitpunkt einlösbaren Geldwertevorteilen verhindern will. Die Regelung des § 7 Abs. 1 HWG soll durch eine weitgehende Eindämmung der Wertreklame im Bereich der Heilmittel der abstrakten Gefahr begegnen, dass Verbraucher bei der Entscheidung, ob und welche Heilmittel sie in Anspruch nehmen, durch die Aussicht von Werbegaben unsachlich beeinflusst werden.

Die Werbung ist auch produktbezogen. Es handelt sich bei dem Flyer entgegen der Darstellung des Beklagten gerade nicht um Firmen- und Imagewerbung, die ohne Bezugnahme auf bestimmte Produkte für das Ansehen und die Tätigkeit eines Unternehmens im Allgemeinen wirbt. Hier wird der Kunde nicht für seinen Bestellvorgang über das Internet "entschädigt". Es wird auch nicht Werbung für ein neuartiges Geschäftsmodell des Internetshops gemacht. Der Beklagte stellt einen Geldwertvorteil für das Vorbestellen von Medikamenten und deren Abholung in Aussicht, was allein dem Ziel dient, sich als günstigere Alternative gegenüber anderen Apotheken beim Kauf von Medikamenten darzustellen. Es geht um Werbung zur größeren Kundenakquise mit dem Ziel, einen höheren wirtschaftlichen Gewinn zu erreichen. Insoweit ist es unerheblich, dass die Werbung sich nicht auf ein einzelnes Medikament bezieht. Produktbezogen kann nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch Werbung für das gesamte Warensortiment sein (BGH Grohe 2017, 635, Rdnr. 30, diktiert nach juris). Die Darstellung des Beklagten, er handele, um eine besonders effiziente und lückenlose Versorgung der Kunden zu gewährleisten, kann einen Verstoß gegen das HWG nicht rechtfertigen. Insofern ist der vorliegende Sachverhalt mit demjenigen vergleichbar, in dem ein Apotheker, unabhängig von weiteren Bedingungen, preisgebundene Arzneimittel pauschal um einen Euro günstiger anbieten würde. In diesem Fall wäre der Gesetzesverstoß jedoch evident.

Die beanstandete Geschäftspraxis des Beklagten ist auch geeignet, die Interessen von Verbrauchern und Mitbewerbern spürbar im Sinne von § 3 a UWG zu beeinträchtigen. Insofern ist der vorliegende Sachverhalt mit demjenigen vergleichbar, der dem Urteil des BGH vom 6. Juni 2019 - I ZR 60/18 - zugrunde lag.

Auch die Nebenforderungen sind gerechtfertigt. Der Kläger hat die Höhe der Aufwandsentschädigung für die Abmahnung substantiiert in der Klage dargelegt. Durchgreifende Gegenargumente hiergegen liefert der Beklagte in seiner Erwiderung nicht.

Ferner sind die Kosten des Abschlussschreibens betreffend das einstweilige Verfügungsverfahren zu ersetzen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91; 709 ZPO.

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