LG Köln, Urteil vom 09.10.2020 - 33 O 147/15
Fundstelle
openJur 2021, 12765
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin, die B GmbH & Co. KG, wendet sich im Rahmen einer Follow-On Klage gemäß § 33 Absatz 3 GWB gegen die Beteiligten des Zuckerkartells. Sie begehrt Schadensersatz aus eigenem sowie aus abgetretenem Recht. Insoweit macht sie Schäden geltend, die der L GmbH & Co. KG, der X GmbH & Co. KG, der X1 GmbH und der I GmbH (nachfolgend: Zedentinnen) entstanden sein sollen.

Die Klägerin zählt zu den drei größten deutschen Gebäckherstellern. Sie ist nach eigenen Angaben Weltmarktführer für Herbst-/Weihnachtsgebäck. Die Klägerin tritt u.a. mit den Marken M , L1 mit I1 , X und X1 im Markt auf. Für die Produktion ihrer Süßwaren bezogen die Klägerin und die Zedentinnen in den Jahren 1999 bis 2010 von allen drei Beklagten Weiß- und Puderzucker sowie - nur von der Beklagten zu 1. - Kandiszucker.

Zucker kann entweder aus Stärke, aus Zuckerrohr oder aus Zuckerrüben hergestellt werden. Die Herstellung aus Zuckerrohr ist billiger und die größten Mengen des auf dem Weltmarkt gehandelten Zuckers stammen aus Zuckerrohr. Aus klimatischen Gründen ist ein Anbau von Zuckerrohr in Europa wirtschaftlich jedoch nicht möglich, so dass die europäische Zuckerproduktion nahezu ausschließlich auf Zuckerrüben als Grundstoff basiert.

Der Zuckermarkt war im streitgegenständlichen Zeitraum durch die Regelungen der Zuckermarktordnung (im Folgenden auch: ZMO) geprägt. Aus der Motivation heraus, die eigene Produktion von Zuckerrüben und Zucker zu schützen, sind die europäischen Märkte für Zucker für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union bzw. vormals der Europäischen Gemeinschaften seit Inkrafttreten der ZMO im Jahre 1968 reguliert. Die marktregulierenden Mechanismen betreffen die Preise, die produzierte Menge sowie Exporte aus der und Importe in die EU.

Zentrales Element der ZMO in ihrer bis Mitte 2006 geltenden Form war der sogenannte Quoten- und Interventionsmechanismus. Jedem Mitgliedstaat wurde eine maximale Zuckerproduktionsmenge (sog. Quote) zugeteilt, die den in seinem Staat tätigen Zuckerproduzenten insgesamt zur Verfügung stand. Diese Quote wurde seitens der Regierungen der Mitgliedstaaten, in Deutschland durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMELV), wiederum auf die unterschiedlichen Zuckerhersteller aufgeteilt. Es gab eine A- und eine B-Quote, wobei die B-Quote vor allem als Reservekontingent für den Fall von Engpässen genutzt wurde. Zusammen bildeten A- und B-Quote die Gesamt-, bzw. Höchstquote. Die Gesamtquote überstieg den durchschnittlichen Zuckerverbrauch in Deutschland.

In den Mitgliedstaaten wurden Interventionsstellen eingerichtet, die verpflichtet waren, den ihnen angebotenen Quotenzucker der Zuckerproduzenten zu einem von der EU-Kommission festgelegten Interventionspreis aufzukaufen. Die Interventionsstellen durften Zucker nur zu einem höheren Preis als dem Interventionspreis wieder in den Markt geben. Bis zum 30. September 2006 betrug der Interventionspreis für Werkzucker ab Werk 631,90 €/t. Daneben setzte die Zuckermarktordnung für Zuckerhersteller Anreize, überschüssigen Zucker mit Hilfe der dafür gewährten Subventionen in den Weltmarkt zu exportieren. Die EU erstattete den jeweiligen Zuckerherstellern die Differenz zwischen Weltmarkt- und Interventionspreis und gewährte eine Pauschale für die für den Export entstehenden Kosten. Aus Sicht der Zuckerhersteller war der subventionierte Export von Zucker in der Regel der Intervention vorzuziehen, da dadurch die Überschussmengen endgültig aus dem europäischen Markt geschafft wurden und nicht mehr über Interventionsstellen in den Markt gelangen konnten. Bis zur Reform der Zuckermarktordnung 2006 nutzten die Zuckerhersteller fast ausschließlich den subventionierten Exportmechanismus und nur im Ausnahmefall den Verkauf an die Interventionsstelle.

Über die Quote hinausgehend produzierter Zucker (sog. C-Zucker) konnte im Binnenmarkt der EU nicht abgesetzt werden. Auch Exporte von C-Zucker auf den Weltmarkt wurden nicht subventioniert. Zudem wurden Zuckerimporten in die EU hohe Zölle auferlegt. Durch dieses System war der europäische Zuckermarkt vom Weltmarkt weitestgehend abgekoppelt. Der Zuckerpreis in der EU überstieg den Welthandelspreis regelmäßig um das Dreifache.

Am 15.10.2004 stellte ein Panel der World Trade Organization (WTO) in einem Schiedsverfahren fest, dass die EU eine deutlich größere Menge von Zucker-Exporten subventionierte, als dies nach den Vereinbarungen der Uruguay-Runde zulässig gewesen wäre. Nach Einspruch der EU gegen diesen Panelbericht erging schließlich am 28.10.2005 der endgültige Schiedsspruch der WTO, der die Panel-Entscheidung im Wesentlichen bestätigte und entschied, dass die Europäische Zuckermarktordnung nicht mit internationalen Handelsregeln konform sei.

Die aus diesem Grund reformierte Zuckermarktordnung trat zum 01.07.2006 in Kraft. Ein Hauptmerkmal der Reform bestand in der Beibehaltung des EU-weiten Quotensystems bei Absenkung der Gesamtquote um 6 Mio. Tonnen (etwa 30% der gesamten Quotenerzeugung in der Europäischen Union), mit dem Ziel einer Verringerung der Selbstversorgungsquote der EU auf insgesamt rund 85%.

Daneben erfolgten schrittweise Preissenkungen je Tonne Weißzucker vom Interventionspreis vor dem Zuckerwirtschaftsjahr 2006/2007 auf einen Referenzpreis von 404,40 € ab dem Wirtschaftsjahr 2009/2010. Der neue Referenzpreis diente dazu, die Schwelle einer Marktstörung zu definieren, unterhalb derer die EU-Kommission verschiedene Preisstützungsmaßnahmen ergreifen konnte. Die Interventionsstellen konnten Quotenzucker zum Preis von 80% des Referenzpreises des Folgejahres aufkaufen.

Auch der Mindestpreis, der den Zuckerrübenbauern je Tonne Quotenzuckerrüben zu zahlen war, wurde schrittweise abgesenkt.

Der Mechanismus der Ausfuhrerstattungen für die Exporte von Quotenzucker wurde nicht abgeschafft; es war aber vorgesehen, dass er ab dem Zuckerwirtschaftsjahr 2007/2008 nicht mehr zur Anwendung kommen sollte. Wegen des in diesem Wirtschaftsjahr herrschenden Marktungleichgewichts stimmte die Kommission aber zu, die Ausfuhren noch einmal im Zuckerwirtschaftsjahr 2007/08 zu subventionieren. Es wurde beschlossen, die Ausfuhrerstattungen für Zucker erst ab dem 26.09.2008 einzustellen.

Zudem wurden die Mengen, die aus den Afrikanischen, Karibischen und Pazifischen Staaten (AKP-Staaten) auf den europäischen Zuckermarkt exportiert werden konnten, weiter schrittweise erhöht. Ab dem 01.10.2009 wurde diesen Staaten uneingeschränkter Zugang zu dem Zuckermarkt der Europäischen Union gewährt.

Die regulatorisch gewollte Reduktion der Zuckerproduktionsmenge sollte durch eine Konzentration des europäischen Zuckerrübenanbaus auf Regionen erfolgen, in denen der Zuckerrübenanbau wirtschaftlich am effizientesten ist. Es wurde daher eine über Ländergrenzen hinweg ungleichmäßige Quotenreduzierung angestrebt. Diese erzwungene Strukturreform führte dazu, dass in einzelnen EU-Ländern die Zuckerproduktion vollständig eingestellt wurde (z.B. in Irland, Portugal oder Bulgarien) oder sich um (deutlich) mehr als 50% verringerte (z.B. in Italien, Griechenland oder Spanien). Der Zuckerbedarf in diesen Mitgliedstaaten wird seitdem im Wesentlichen durch Lieferungen aus EU-Ländern mit Überschüssen und durch Importe aus dem Weltmarkt gedeckt.

Zur Durchsetzung der Quotenreduktion etablierte die Kommission ein zunächst auf Anreizen basierendes System, das über einen Anpassungszeitraum von mehreren Jahren zur freiwilligen Rückgabe zugeteilter Quoten führen sollte. Nachdem diese in den ersten Jahren nicht in dem gewünschten Umfang erfolgt war, drohte die EU-Kommission an, dass sie im Falle einer unzureichenden freiwilligen Quotenrückführung bis zum Ende des Zuckerwirtschaftsjahrs 2009/2010 eine entschädigungslose Quotenkürzung vornehmen werde, den sog. "Final Cut". Hierdurch gelang es, die Zuckerhersteller in der EU zur Rückgabe von insgesamt 5.773.367 t Quotenmengen zu bewegen. Das ursprüngliche Ziel von 6 Mio. t wurde demnach zwar verfehlt, die EU-Kommission verzichtete jedoch auf einen Final Cut.

Im Zuge des Quotenreduzierungsprozesses gaben die deutschen Zuckerhersteller 2008/09 und 2009/10 insgesamt 757.200 t Zuckerquote (ca. 21 % der auf Deutschland entfallenden Quote) zurück. Es wurden vier Zuckerfabriken geschlossen. Abgesehen von der von der EU-Kommission erzwungenen Reduzierung der Produktionsquoten blieb das Quotensystem als solches im Kern wie vor der Reform erhalten.

Die Zuckermarktordnung lief mit Ablauf des Zuckerwirtschaftsjahres 2017/2018 aus.

Die Beklagten sind die drei größten deutschen Zuckerhersteller. Zusammengefasst decken sie den Großteil des deutschen Zuckermarktes ab, wobei T und O jeweils nochmals deutlich größer sind als Q .

Im Jahr 1996 waren auf dem deutschen Markt insgesamt sechs Zuckerhersteller aktiv, die über eigene Zuckerwerke im Bundesgebiet verfügten. Dabei vereinigten T , O und Q insgesamt über 80 % der deutschen Zuckerquote auf sich. Die Quote der drei weiteren Hersteller V AG (V ), Zuckerfabrik K und B1 betrug jeweils unter 5 %. Zudem übernahmen im Jahr 2001 die O AG die V und im Jahr 2006 die Q GmbH & Co KG die Zuckerfabrik K und die zugehörigen Quoten.

Das Bundeskartellamt leitete im Januar 2009 Kartellbußgeldverfahren gegen die Beklagten ein und durchsuchte am 29.03.2009 die Geschäftsräume von T und Q . Das Verfahren wurde am 18. Februar 2014 mit Bußgeldbescheiden gegen O , T und Q sowie insgesamt sieben Vorstandsmitglieder bzw. Geschäftsführer sowie Vertriebsverantwortliche beendet. Die Bußgeldbescheide wurden bestandskräftig.

In den Bußgeldbescheiden wird den Betroffenen vorgeworfen, im Zeitraum von April 1996, bzw. - soweit es T betrifft - von spätestens Ende 2001, bis zum 26.03.2009 vorsätzlich dem Verbot von Vereinbarungen zwischen miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen zuwidergehandelt zu haben, welche den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken.

Die Beklagten hätten bis zur Durchsuchung durch das Bundeskartellamt seit Jahren Absprachen, sowohl für Verarbeitungszucker als auch für Haushaltszucker praktiziert, die jeweiligen Kernabsatzgebiete der Wettbewerber zu respektieren (Heimatmarktprinzip). Zuckermengen, die über die Nachfrage der Kunden im eigenen Kernabsatzgebiet produziert wurden, sollten in andere Länder exportiert, nicht aber an Kunden im Gebiet der Wettbewerber abgesetzt werden.

Die Wahrung des Heimatmarktprinzips sei durch ein Gentlemen's Agreement abgesichert worden, das lange zurückreiche und zwischen O und Q spätestens 1996 und zwischen O und T spätestens 2001 erneuert worden sei. Dabei seien über das grundsätzliche Verständnis hinaus nur wenige Kontakte zur Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens der Unternehmen erforderlich gewesen, unter operativem Blickwinkel bei Verstößen gegen die Absprache sowie bei den sehr wenigen gemeinsam belieferten Kunden, aus strategischer Sicht in Situationen, wenn das Grundverständnis über die Respektierung der Kernabsatzgebiete aufgrund exogener Ereignisse in Gefahr gewesen sei oder habe angepasst werden müssen. Dabei seien alle Einzelkontakte - strategischer wie operativer Art - von einer übergreifenden Logik im Sinne einer Wahrung des Heimatmarktprinzips miteinander verbunden gewesen.

In den O und Q betreffenden Bescheiden wird ausgeführt, dass auf Initiative des Vorstandsvorsitzenden von O , F (damals noch Vorstandsvorsitzender von deren Vorgängergesellschaft, der O1 AG), dieser und Dr. H , persönlich haftender Gesellschafter von Q , sich in zwei Gesprächen am 01.03.1996 und am 04.04.1996, verständigt hätten, am seit vielen Jahren bewährten Prinzip festzuhalten, die jeweiligen Kernabsatzgebiete der Wettbewerber zu respektieren und sich gegenseitig nicht aktiv Kunden abzuwerben. Überschüssige Zuckermengen sollten exportiert werden. Dabei habe Herr Dr. H den Vorschlägen von Herrn F über die Wahrung des Heimatmarktprinzips und der Preispolitik bei Zucker nicht explizit zugestimmt, sich aber in einer Weise verhalten, die von Herrn F als konkludente Zustimmung verstanden worden sei und auch habe verstanden werden können.

In dem Q betreffenden Bescheid ist ausgeführt, dass Q sich im Wesentlichen entsprechend der Gebiets- und Kundenabsprache verhalten habe. Dabei habe sich Q durchaus die Freiheit genommen, einzelne Kunden der Wettbewerber zu akquirieren, wo dies im Unternehmensinteresse geboten erschien. Q sei aber nicht tatsächlich und systematisch aus der Kartelldisziplin ausgeschert. Insgesamt habe Q in dem Kartell eine eher passive Rolle eingenommen, dem Kartell eher distanziert gegenübergestanden und weit überwiegend nicht die Initiative für Kartellabsprachen ergriffen. Dies gelte insbesondere für Dr. H .

In den O und T betreffenden Bescheiden ist ausgeführt, dass sich Herr F spätestens im Jahr 2001 auch mit Dr. T1 , dem damaligen Sprecher des Vorstands von T , darüber abgesprochen habe, die bewährte Praxis fortzusetzen, die jeweiligen Kernabsatzgebiete der Wettbewerber zu respektieren, sich gegenseitig nicht aktiv Kunden abzuwerben und überschüssige Zuckermengen zu exportieren.

In allen drei Bescheiden ist ausgeführt, dass es in der Zeit nach den Gesprächen zwischen den Geschäftsleitungen von O , Q und T für mehrere Jahre keine exogenen Ereignisse gegeben habe, die Anlass zu weiteren Abstimmungen gegeben hätten. Alle drei Unternehmen hätten nennenswerte Wettbewerbsvorstöße unterlassen und die Kunden der anderen Kartellbeteiligten respektiert.

Ab dem Jahr 2004 sei - maßgeblich durch äußere Ereignisse beeinflusst - etwas Bewegung in das Wettbewerbsgeschehen gekommen. In Folge der EU-Osterweiterung am 01.05.2004 seien zusätzliche Zuckermengen in die "alten" EU-Mitgliedsstaaten gekommen, so dass sich hier die Wettbewerbssituation verschärft habe und das von den betroffenen Unternehmen praktizierte Kunden- und Mengenmanagement in Gefahr geraten sei. Zudem sei die EU aufgrund der WTO-Entscheidung gezwungen gewesen, ihre Exportpraxis anzupassen und die Exporte zu verringern. Im Zusammenspiel dieser beiden exogenen Faktoren, durch die eine sehr große Zuckermenge betroffen gewesen sei, sei erhebliche Unruhe in den bis dato weitgehend statischen Zuckermarkt gekommen.

In den Q und O betreffenden Bescheiden wird ausgeführt, dass Q als Folge des zunehmenden Wettbewerbsdrucks einzelne Akquisemaßnahmen vorgenommen habe, um Überschüsse im eigenen Absatzgebiet abzubauen. Ebenso habe O in dieser Phase begonnen, einzelne Kunden von Q zu beliefern, was zu Spannungen zwischen den beiden Unternehmen geführt habe. Weitere signifikante Mengen- und Kundenverschiebungen zwischen den Unternehmen hätten jedoch nicht stattgefunden.

In den O und T betreffenden Bescheiden ist ausgeführt, dass angesichts der geänderten Rahmenbedingungen von 2004 bis zum Jahr 2007 regelmäßige Treffen zwischen dem Vertriebsleiter von O , T2 , und seinem Pendant, dem Vertriebsleiter von T , C , stattgefunden hätten. Diese Gespräche hätten zum Ziel gehabt, die Reaktion der beiden Unternehmen auf die wettbewerblichen Vorstöße des französischen Zuckerherstellers U sowie die Importmengen aus Polen zu koordinieren. Über konkrete Preise sei auf dieser Ebene zwar nur in Ausnahmefällen gesprochen worden. Allerdings sei ein ausdrückliches Einverständnis hergestellt worden, die bisherige Respektierung der jeweiligen Kernabsatzgebiete fortzusetzen und Überschussmengen, wenn möglich, nicht im deutschen Markt unterzubringen. Vielmehr sollten im Inland nicht absetzbare Mengen weiterhin exportiert werden, selbst wenn dies nicht mehr lukrativ sein sollte und die Unternehmen dabei in Preiswettbewerb in den Zielregionen geraten könnten. Diese Maßnahmen hätten dazu gedient, den befürchteten Preisrutsch zu verhindern und das Preisniveau im Heimatmarkt nicht noch weiter zu beschädigen.

In allen drei Bescheiden ist ausgeführt, dass die Gebiets- und Kundenaufteilung aus der Grundabsprache im Wesentlichen gut funktioniert und die Verhaltensspielräume der Zuckerhersteller erweitert habe. Aufgrund der Art der Absprachen seien dazu nur wenige Kontakte zwischen den Unternehmen erforderlich gewesen, die zu einem Teil der operativen Umsetzung und zu einem anderen Teil der strategischen Steuerung des Kartells gedient hätten.

Zur operativen Umsetzung hätten im Bereich Verarbeitungszucker einzelne bilaterale Gespräche stattgefunden, um Konfliktfälle bei einer Nichtbeachtung der Gebietsgrenzen zwischen zwei der drei betroffenen Unternehmen zu bewältigen. Zudem sei es zu einzelnen Preisabsprachen gekommen. Diese hätten dazu gedient, die Wirksamkeit der Gebiets- und Kundenschutzabsprache bei gemeinsam belieferten Kunden abzusichern. Dabei habe es sich um wenige, besonders bedeutsame Kunden gehandelt. Im Bereich Verarbeitungszucker habe es aufgrund der räumlichen Verteilung der Produktionsanlagen lediglich einzelner bilateraler Gespräche bedurft. Im Bereich Haushaltszucker hätten wegen des bundesweiten Filialnetzes der Handelsunternehmen deutlich mehr Abstimmungen in Einzelfällen stattgefunden.

Jedenfalls seit dem Jahr 2000 bis zum Jahr 2006 hätten sich zudem Vertriebsmitarbeiter von O , T und Q über die Preise von Verarbeitungszucker für große Industriekunden abgesprochen. T3 (O ) und Dr. M1 (T ) hätten sich in diesem Zeitraum über die Preise für das Unternehmen Stute ausgetauscht. O und Q hätten die Preise für die Unternehmen I2 , A , H1 sowie D Berlin abgestimmt. Nach 2006 hätten nach der Beweiswürdigung der Beschlussabteilung des Bundeskartellamtes keine weiteren Gespräche mit wettbewerbsrelevantem Inhalt unter Beteiligung des Unternehmens Q mehr stattgefunden.

Daneben werden in den Bußgeldbescheiden Sachverhalte dargestellt, die das Bundeskartellamt unter dem Oberbegriff "Einzelabsprachen zur Stabilisierung der Grundabsprache" zusammengefasst hat. Diese betreffen Gespräche im Zusammenhang mit der Absicht von Q , Rohrohrzucker im Werk M2 zu raffinieren aus dem Jahr 2007 sowie mit dem Bieterwettstreit um die Zuckerfabrik K aus dem Jahr 2005, mit der Privatisierung der polnischen Zuckerindustrie aus den Jahren 1998 und 1999, mit Überlegungen bei T und Q , wie die Produktionsmengen in Ostdeutschland und im Raum Westfalen/Nordhessen besser aufgeteilt werden können, und mit der Quotenrückgabe infolge der Reform der ZMO aus dem Jahre 2007 und 2008. Bezüglich der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Bußgeldbescheide Bezug genommen.

Die Klägerin behauptet, dass sie und die Zedentinnen während des Kartellzeitraums und in dem ersten Jahr nach Aufdeckung des Kartells durch das Bundeskartellamt, kartellbedingt überhöhte Preise für Zucker gezahlt haben. Dies gelte sowohl für den Zucker, den sie bei den Beklagten bezogen hätten, als auch für den Bezug von Kartellaußenseitern. Zudem macht sie Schäden geltend, die ihr aufgrund des Bezugs anderer süßender Stoffe, wie Isoglukose und Glukose MNF, bei Nichtkartellanten entstanden seien. Hierzu behauptet sie, dass aufgrund der Substituierbarkeit die kartellbedingten Preiserhöhungen für Verarbeitungszucker unmittelbare Auswirkungen auf die Preise für andere süßende Stoffe gehabt hätten.

Ohne kartellrechtswidrige Absprachen hätte der Zuckerpreis in der Zeit vor der Reform der Zuckermarktordnung zum 30.06.2006 (im Folgenden auch: "Kartellphase I") dem bis dahin geltenden Interventionspreis in Höhe von 631,90 €/t zuzüglich etwaiger Transportkostenvorteile entsprochen.

Hinsichtlich der Zeit nach Inkrafttreten der Reform der ZMO am 01.07.2006 ("Kartellphase II") berechnet die Klägerin einen kontrafaktischen Marktpreis zwischen durchschnittlich 390,42 €/t für das Jahr 2009 und 511,65 €/t für das Jahr 2007 zuzüglich transportkostenbedingter Preissetzungsspielräume.

Die Klägerin macht zudem Schadensersatzansprüche für das Jahr 2010 geltend und

beruft sich insoweit auf einen Kartellnachlaufeffekt. Ferner macht sie die Kosten für die von ihnen beauftragten Gutachter geltend.

Die Klägerin beantragt,

1.1 die Beklagten zu verurteilen, an sie als Gesamtschuldner EUR 14.315.747,00 zzgl. Zinsen in Höhe von 4 Prozent bis zum 30.06.2005 und in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2005

- aus EUR 521.548,00 seit dem 01.01.2004,

- aus weiteren EUR 1.226.722,00 seit dem 01.01.2005,

- aus weiteren EUR 1.543.476,00 seit dem 01.01.2006,

- aus weiteren EUR 1.957.306,00 seit dem 01.01.2007,

- aus weiteren EUR 2.846.641,00 seit dem 01.01.2008,

- aus weiteren EUR 3.163.827,00 seit dem 01.01.2009,

- aus weiteren EUR 2.246.209,00 seit dem 01.01.2010 und

- aus weiteren EUR 810.019,00 seit dem 01.01.2011

zu zahlen;

1.2 festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin als Gesamtschuldner einen über den in Klageantrag zu 1.1 gegebenenfalls hinausgehenden Schaden aus oder im Zusammenhang mit den wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweisen der Beklagten zu 1 bis 3 wegen des sog. Zuckerkartells (vgl. Kartellordnungswidrigkeitenverfahren Bundeskartellamt Az. B2 36/09) zu ersetzen;

2. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an sie EUR 255.170,49 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus

- EUR 4.648,00 seit dem 26.06.2014,

- aus weiteren EUR 3.350,00 seit dem 11.11.2014,

- aus weiteren EUR 7.937,50 seit dem 10.12.2014,

- aus weiteren EUR 6.898,00 seit dem 22.12.2014

- aus weiteren EUR 4.875,00 seit dem 31.12.2014,

- aus weiteren EUR 8.912,50 seit dem 11.12.2015

- aus weiteren EUR 24.825,00 seit dem 11.05.2015,

- aus weiteren EUR 3.400,00 seit dem 13.05.2015,

- aus weiteren EUR 2.550,00 seit dem 13.07.2015,

- aus weiteren EUR 7.358,75 seit dem 09.12.2015,

- aus weiteren EUR 4.491,25 seit dem 31.12.2015,

- aus weiteren EUR 7.666,25 seit dem 16.02.2016,

- aus weiteren EUR 10.793,75 seit dem 22.03.2016,

- aus weiteren EUR 29.975,00 seit dem 18.04.2016,

- aus weiteren EUR 20.197,50 seit dem 09.03.2016,

- aus weiteren EUR 21.625,88 seit dem 31.12.2016,

- aus weiteren EUR 10.500,00 seit dem 13.02.2017,

- aus weiteren EUR 11.950,00 seit dem 15.03.2017,

- aus weiteren EUR 47.060,62 seit dem 03.04.2017,

- aus weiteren EUR 6.157,19 seit dem 11.12.2017,

- aus weiteren EUR 2.000,94 seit dem 31.12.2017 und

- aus weiteren EUR 7.997,36 seit dem 09.07.2018

zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Sie sind der Auffassung, für die seitens der Klägerin geltend gemachten Ansprüche bis 2005 bestünde bereits keine Anspruchsgrundlage. Daneben erheben die Beklagten Einwände gegen die Aktivlegitimation der Klägerin soweit diese aus abgetretenem Recht vorgeht.

Sie behaupten zudem, dass es trotz der vom Bundeskartellamt festgestellten kartellrechtswidrigen Verhaltensweisen in dem streitgegenständlichen Zeitraum zu keinen kartellbedingten Preisaufschlägen gekommen sei. Erst recht habe es keine Nachwirkungen bis in das Jahr 2010 gegeben.

Die Beklagten berufen sich insoweit in erster Linie auf räumlichzeitliche Vergleichsmarktmethoden. Die von der Gutachterfirma O2 beratene Q GmbH & Co KG beruft sich ebenso wie die von der Gutachterfirma F1 beratene T AG auf einen Vergleich der deutschen Zuckerpreise mit denjenigen aus Frankreich während und nach dem Kartellzeitraum. T führt zudem einen Vergleich mit den Zuckerpreisen aus den Benelux-Ländern an. Die mittels der Differenzder-Differenzen-Methode durchgeführten Analysen bestätigten, dass sich die bebußten Verhaltensweisen auf die Zuckerpreise in Deutschland nicht ausgewirkt hätten. Die Preisdifferenz zwischen den verglichenen Märkten habe sich über die Zeit während und nach dem Kartellzeitraum nicht verändert.

Die von der Gutachterfirma S beratene O AG stellt auf einen Vergleich mit dem EU-weiten Durchschnittspreis für Zucker ab. Dieser habe sowohl vor als auch nach der ZMO-Reform deutlich oberhalb des Grenzkostenpreises gelegen. Zudem zeige eine Differenzder -Differenzen-Analyse, dass die von der Klägerin in der Kartellperiode gezahlten Preise in Relation zu dem EU-Durchschnittspreis nicht höher gelegen hätten, als im Nachkartellzeitraum. Dies deute darauf hin, dass die Preise in der Kartellperiode nicht überhöht gewesen seien und der Klägerin kein Schaden entstanden sei.

Zudem machen die Beklagten geltend, dass die Klägerin einen solchen etwaigen Preisaufschlag auf die nächste Marktstufe abgewälzt hätte (Passingon-Einwand).

Daneben erheben die Beklagten Einwände gegen die aus ihrer Sicht nicht hinreichende Substantiierung der Kartellbetroffenheit und Anspruchsberechtigung der Klägerin und gegen die Kartellbefangenheit von Puder- und Kandiszucker. Ferner sei ein Verschulden der Beklagten nicht hinreichend dargetan. Zudem seien die Ansprüche der Klägerin teilweise verjährt. Daneben wenden die Beklagten sich gegen die von der Klägerin geltend gemachten Zinsen und Rechtsverfolgungskosten.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, erstattet von Prof. Dr. I3 aus Düsseldorf. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsprotokolle vom 07.02.2020, Bl. 4094 - 4118 d.A., und vom 11.03.2020, Bl. 4662 - 4675 d.A., Bezug genommen.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Protokolle zur mündlichen Verhandlung vom 11.07.2019, 07.02.2020 und 11.03.2020, auf die zwischen den Parteien ausgetauschten Schriftsätze nebst deren Anlagen, sowie auf den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.

Gründe

I. Zulässigkeit

Die Klage ist zulässig. Das Oberlandesgericht Köln hat das Landgericht Köln mit Beschluss vom 20.06.2016, (Bl. 642 d.A.) zum zuständigen Gericht bestimmt.

II. Begründetheit

Die Klage ist jedoch unbegründet. Die geltend gemachten Ansprüche bestehen bereits nicht. Die Frage nach der wirksamen Abtretung der Ansprüche der Zedentinnen kann daher offenbleiben.

Für den kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch ist das im Belieferungszeitraum jeweils geltende Recht maßgeblich. Für Beschaffungsvorgänge aus der Zeit vor dem Inkrafttreten der 5. GWB-Novelle am 01.01.1999 beurteilt sich deren Bestehen nach § 35 GWB a.F. i.V.m. Art. 85 EG-Vertrag, für die Zeit bis zum Inkrafttreten der 7. GWB-Novelle am 01.07.2005 können Ansprüche daneben auf § 33 GWB in der nach dem 01.01.1999 geltenden Fassung gestützt werden. Für die Zeit danach greift § 33 Abs. 3 GWB in der bis zum 09.06.2017 geltenden Fassung. Diese Anspruchsgrundlagen setzen jeweils voraus, dass dem Anspruchsteller durch einen Verstoß des Anspruchsgegners gegen das Verbot wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen ein Schaden entstanden ist.

1.

Dass die Beklagten gegen das in § 1 GWB und Art. 102 AEUV (= Art. 81 bzw. 85 EG-Vertrag) normierte Kartellverbot verstoßen haben, folgt bereits aus den Bußgeldbescheiden, die mit Bindungswirkung gem. § 33 Abs. 4 GWB a.F. feststellen, dass die drei großen deutschen Zuckerhersteller kartellrechtswidrige Absprachen getroffen haben.

2.

Demgegenüber richtet sich die Ermittlung des Schadens nach den allgemeinen Vorschriften. Die Bindungswirkung gem. § 33 Abs. 4. GWB a.F. erstreckt sich nicht auf die Frage, ob und in welcher Höhe den Abnehmern des kartellierten Produkts durch den Kartellverstoß ein kausaler Schaden entstanden ist (vgl. BT-Drucks. 15/3640, S. 54).

a)

Für die Frage, ob und in welcher Höhe durch einen Kartellrechtsverstoß ein Schaden entstanden ist, gilt das Beweismaß des § 287 Abs. 1 ZPO. Das Bestehen eines Schadens muss demnach nicht zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Erforderlich ist jedoch eine deutlich überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit (BGH, Urteil vom 12. Juli 2016 - KZR 25/14, BGHZ 211, 146, Rn. 41, "Lottoblock II"; BGH, Urteil vom 28. Januar 2020 - KZR 24/17 -, Rn. 35, "Schienenkartell II"). Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass bereits eine gewisse, in die entgegengesetzte Richtung deutende Wahrscheinlichkeit das Bestehen des Anspruchs ausschließt. Jedenfalls kommt eine Inanspruchnahme der Kartellanten dann nicht in Betracht, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass das Kartell keinen Effekt auf die Marktpreise hatte.

b)

Auch im Rahmen des § 287 ZPO ist es zudem Sache der Klägerpartei, die Tatsachen vorzutragen und unter Beweis zu stellen, die für eine Beurteilung ausreichend greifbare Anhaltspunkte bieten (BeckOK/Bacher ZPO, 36. Ed., 1.3.2020, § 287 Rn. 14). Die danach erforderlichen Feststellungen hat der Tatrichter unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung zu treffen (BGH, "Schienenkartell II", Rn. 34). Die Feststellung, dass der Preis, den ein an einer Kartellabsprache beteiligtes Unternehmen mit einem Abnehmer vereinbart hat, mit deutlich überwiegender Wahrscheinlichkeit höher war, als er ohne die Kartellabsprache gewesen wäre, oder allgemein das Preisniveau, welches sich auf einem von einer Kartellabsprache betroffenen Markt eingestellt hat, über demjenigen Preisniveau lag, das sich ohne die Absprache eingestellt hätte, kann regelmäßig nur aufgrund von Indizien getroffen werden. Nur die tatsächlich vereinbarten Preise und das tatsächliche Preisniveau auf dem betroffenen Markt sind beobachtbar und damit unmittelbar feststellbar, Preise und Preisniveau unter nicht manipulierten Marktbedingungen sind hingegen notwendigerweise hypothetisch (BGH, "Schienenkartell II", a.a.O.).

c)

Im Rahmen der Gesamtwürdigung ist indes zu beachten, dass zugunsten des Abnehmers eines an einer Kartellabsprache beteiligten Unternehmens eine auf der hohen Wahrscheinlichkeit eines solchen Geschehens beruhende tatsächliche Vermutung - im Sinne eines Erfahrungssatzes - dafür streitet, dass die im Rahmen des Kartells erzielten Preise im Schnitt über denjenigen liegen, die sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Absprache gebildet hätten (BGH, a.a.O., Rn. 40). Diese Vermutung gewinnt an Gewicht, je länger und nachhaltiger ein Kartell praktiziert wurde. Anders als bei Geltung eines Anscheinsbeweises kommt dem Erfahrungssatz jedoch kein abstrakt quantifizierbarer Einfluss auf das Ergebnis der Würdigung aller Umstände des Einzelfalles zu. Das Gewicht des Erfahrungssatzes hängt vielmehr entscheidend von der konkreten Gestaltung des Kartells und seiner Praxis sowie davon ab, welche weiteren Umstände feststellbar sind, die für oder gegen einen Preiseffekt der Kartellabsprache sprechen (a.a.O.).

d)

Dies zugrunde gelegt, kann unter Berücksichtigung der von der Klägerin vorgetragenen und unter Beweis gestellten Tatsachen nicht mit der erforderlichen, deutlich überwiegenden Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass ihr bzw. ihren Zedentinnen durch die auf Verarbeitungszucker bezogenen kartellrechtswidrigen Absprachen der Zuckerhersteller ein Schaden entstanden ist. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des zu ihren Gunsten streitenden Erfahrungssatzes. Vielmehr besteht unter Berücksichtigung der auf dem Zuckermarkt aufgrund der Zuckermarktordnung geltenden besonderen Bedingungen und der konkreten Gestaltung des Kartells keine deutlich überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Annahme, dass sich die bebußten Absprachen preiserhöhend ausgewirkt haben.

3.

Ob und inwieweit ein Kartell einen Schaden verursacht hat, ist durch einen Vergleich des kontrafaktischen Szenarios, das ohne die Zuwiderhandlung vermutlich vorgelegen hätte, mit der tatsächlichen Situation im Kartellzeitraum zu ermitteln.

Zur Bildung des kontrafaktischen Szenarios kommen eine Reihe von Vergleichsmarktmethoden in Betracht (vgl. Rn. 26 ff des Praktischen Leitfadens der Europäischen Kommission zur Ermittlung des Schadensumfangs bei Schadensersatzklagen im Zusammenhang mit Zuwiderhandlungen gegen Art. 101 oder 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, im Folgenden: EU-Leitfaden). Es kann beispielsweise ein anderer zeitlicher, räumlicher und/oder sachlicher Markt als Referenzgröße herangezogen werden. Daneben kann über eine Simulation ein artifizieller Vergleichsmarkt konstruiert werden (vgl. EU-Leitfaden, Rn. 96 ff.). Im Rahmen einer solchen Simulation werden unter Heranziehung ökonomischer Modelle die Preise und Mengen ermittelt, die bei wirksamem Wettbewerb vermutlich geherrscht hätten. Dabei kann indes nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass ohne Kartell vollständiger Wettbewerb geherrscht hätte. Der artifizielle Vergleichsmarkt ist vielmehr mittels eines industrieökonomischen Modells zu konstruieren, das den tatsächlichen Markt möglichst präzise abbildet (Inderst/Schwalbe, WuW 2012, 122 (124)). Im Rahmen dieser Prüfung ist auch zu untersuchen, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein implizit abgestimmtes Verhalten der Marktteilnehmer zu erwarten gewesen wäre (Inderst/Schwalbe, WuW 2012, 122 (125)).

Die dem Simulationsansatz grundsätzlich überlegene Schätzungsmethode besteht nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in räumlichzeitlichen Modellen, bei denen Preisunterschiede zwischen dem kartellfreien Vergleichsmarkt und dem kartellierten Markt innerhalb und außerhalb des Kartellzeitraums im Rahmen einer Differenzder-Differenzen-Methode miteinander vergleichen werden (BGH, Beschluss vom 19. Juni 2007 - KRB 12/07, BGHSt 52, 1-11, Rn. 19). Simulationsmodelle bieten sich hiernach insbesondere in solchen Situationen an, in denen kein geeigneter realer Vergleichsmarkt identifiziert werden kann (Inderst/Schwalbe, WuW 2012, 122 (124)).

Die Klägerin ist der Auffassung, dass keine realen Märkte existieren, die sich zu einem räumlichzeitlichen Vergleich mit dem Geschehen auf dem deutschen Zuckermarkt während der Kartellperiode eignen. Sie arbeitet daher mit Simulationsmodellen. Die von ihr für die Kartellphase I angewandte Schätzmethode basiert auf einem Simulationsmodells unter Heranziehung des artifiziell konstruierten Marktgeschehens, wie es sich nach ihrem Dafürhalten in Deutschland unter Berücksichtigung ökonomischer Grundsätze ohne das Kartell entwickelt hätte.

Für die Kartellphase II stützt sich die Klägerin auf ein kosten- und finanzgestütztes Simulationsmodell (vgl. hierzu EU-Leitfaden, Rn. 106 ff.), unter Berücksichtigung der Herstellungskosten von Zucker zuzüglich einer Gewinnmarge. Diese Gewinnmarge leitet die Klägerin wiederum aus den für die Kartellphase I gefundenen Ergebnissen ab.

4.

Der Ansatz der Klägerin überzeugt indes unter Berücksichtigung des Ergebnisses der von der Kammer durchgeführten Beweisaufnahme nicht. Bereits unter Heranziehung eines mit Simulationsmethoden gebildeten, artifiziellen Vergleichsmarktes besteht keine deutlich überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Annahme, dass die Zuckerpreise kartellbedingt überhöht waren. Dies gilt sowohl für Kartellphase I als auch für Kartellphase II. Da die Klägerin darlegungs- und beweisbelastet ist, kann offenbleiben, ob die von den Beklagten präferierten Differenzder-Differenzen-Methoden (ebenfalls) zu der Annahme eines Nullschadens führen.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass ohne Kartell vollständiger Wettbewerb geherrscht hätte, so dass der Zuckerpreis auf den Grenzkostenpreis abgesunken wäre. Dieser habe in der Kartellphase I dem Interventionspreis zuzüglich etwaiger Transportkostenvorteile entsprochen. In der Kartellphase II sei er deutlich niedriger gewesen. Diese Auffassung stützt die Klägerin in erster Linie darauf, dass es sich bei Zucker um ein homogenes Gut handele und die Nachfrage das Angebot überstiegen habe. Wenn ein Überangebot vorliege, sei auf einem Markt mit homogenen Gütern wie Zucker zu erwarten, dass die Preise im Wettbewerbsgleichgewicht den Grenzkosten entsprechen. Es sei davon auszugehen, dass die deutschen Zuckerhersteller in ihrem Preissetzungsverhalten in einem klassischen Gefangenendilemma steckten.

Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Zwar ist zutreffend, dass es sich bei Zucker um ein homogenes Gut handelt und dass auf Rohstoffmärkten Grenzkostenwettbewerb herrschen kann, weil aus Sicht des Abnehmers der Preis der einzig relevante Faktor für die Frage ist, bei welchem Anbieter er das Produkt bezieht. Selbst wenn die Zuckerhersteller im kontrafaktischen Szenario in Wettbewerb zueinander getreten wären, wären jedoch schon aufgrund der Quotenregelung der Zuckermarktordnung und der Möglichkeit überschüssigen Zucker zum Grenzkostenpreis zu exportieren bzw. an die Interventionsstelle zu verkaufen, durchschnittliche Marktpreise zu erwarten gewesen, die deutlich über den Grenzkosten gelegen hätten (a.). Es kommt hinzu, dass auch im kontrafaktischen Szenario auf dem Markt für Verarbeitungszucker mit jedenfalls überwiegender Wahrscheinlichkeit eine stillschweigende Koordinierung zwischen den Zuckerherstellern zu erwarten gewesen wäre. Ihre Situation entsprach nicht dem von der Klägerin skizzierten Gefangenendilemma (b.). Unter Zugrundelegung der allgemein anerkannten Kriterien, die eine implizite Kollusion zwischen Oligopolisten begünstigen (c.), bestanden für die deutschen Zuckerhersteller vielmehr - wie bereits in mehreren zum deutschen Zuckermarkt ergangenen Entscheidungen festgestellt (d.) - aufgrund der Transparenz und Stabilität des Marktes für Verarbeitungszucker sowie des Bestehens glaubwürdiger Sanktionsmechanismen im Kartellzeitraum erhebliche Anreize und ausgeprägte Möglichkeiten für ein - kartellrechtlich unbedenkliches - implizit abgestimmtes kollusives Verhalten (e.). Soweit in den Überlappungsgebieten an der Grenze des Heimatmarktes von Q Schwierigkeiten bestanden hätten, implizit ein stabiles Gleichgewicht zu erreichen und - insbesondere nach Reform der Zuckermarktordnung - aufrecht zu erhalten, ist nicht erkennbar, inwieweit die festgestellten kartellrechtswidrigen Absprachen der Zuckerhersteller in der Lage gewesen sein sollen, die diesbezüglichen Schwierigkeiten zu überwinden (f.).

a) Quotenregelung - Residualmonopol

Der Argumentationsansatz der Klägerin bietet schon deshalb keine für eine Beurteilung ausreichend greifbare Grundlage, weil aufgrund der Besonderheiten des Zuckermarktes selbst dann zu erwarten gewesen wäre, dass der durchschnittliche Zuckerpreis deutlich oberhalb der Grenzkosten gelegen hätte, wenn die Annahme der Klägerinnen zuträfe, dass ohne Kartell zwischen den Zuckerherstellern Wettbewerb geherrscht hätte.

Die Gesamtmenge des in der europäischen Union produzierten Quotenzuckers überstieg vor der Zuckermarktreform 2006 die Binnennachfrage. Eine erhebliche Überproduktion erfolgte jedoch - auch in Deutschland - nicht. Die Angaben der Parteien zu dem Verhältnis zwischen Gesamtquotenzucker und Gesamtnachfrage in Deutschland in den Jahren 1996 bis 2005 differieren leicht. Nach der Berechnung der Gutachter der Klägerin lag die Auslastung der nationalen Quote mit eigener Nachfrage in diesem Zeitraum zwischen 77 % und 91 % (S. 44 des Lademanngutachtens). Im Schnitt errechnet sich aus den mitgeteilten Zahlen eine Auslastung von 84,6 %. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass die Gesamtmenge produzierten Quotenzuckers ca. 118 % der Nachfrage betrug. Demgegenüber errechnet sich aus den Angaben der Gutachter von Q (S. 5 des O2 -Gutachtens) eine durchschnittliche Überproduktion von etwa 116 % und aus den Angaben der Gutachter von O (für den Zeitraum 1998 bis 2005) eine solche von etwa 113 %. Geht man zugunsten der Klägerin von den Zahlen ihrer Gutachter aus, stand in dem betreffenden Zeitraum einer Nachfrage von durchschnittlich etwa 3,0 Mio. Tonnen eine Produktionsmenge von durchschnittlich etwa 3,5 Mio. Tonnen gegenüber.

Im Zusammenhang mit dem Umstand, dass überschüssiger Zucker zum Interventionspreis exportiert werden konnte, steht bereits dies der der Schadensschätzung der Klägerin zugrunde liegenden Annahme entgegen, dass ohne Kartell in Deutschland flächendeckend Zucker zum Grenzkostenpreis hätte erworben werden können.

Da es den Zuckerproduzenten nicht möglich war, im EU-Binnenmarkt Zuckermengen oberhalb ihrer Quote abzusetzen, konnten sich die drei großen Hersteller sicher sein, dass sie die gesamte von ihnen produzierte Zuckermenge abzüglich von durchschnittlich 500.000 Tonnen (Differenz zwischen 3,5 und 3,0 Mio. Tonnen) Zucker auf dem Markt platzieren können. Von diesen 1,5 Mio. Tonnen (500.000 Tonnen pro Hersteller) wären zudem 500.000 Tonnen zum Grenzkostenpreis exportiert worden. Das bedeutet zugleich, dass Wettbewerb zwischen den Kartellteilnehmern allenfalls hinsichtlich einer Residualmenge von 1 Mio. Tonnen zu erwarten gewesen wäre, so dass schon im Ansatz nicht ersichtlich ist, was die Hersteller dazu hätte veranlassen sollen, hinsichtlich der restlichen knapp 2 Mio. Tonnen Grenzkostenpreise zu setzen. Vielmehr wären insoweit deutlich höhere Preise, bis hin zu Monopolpreisen zu erwarten gewesen. Schon dies zeigt, dass der Durchschnittspreis für Zucker im vorgenannten Zeitraum auch ohne explizite oder implizite Abstimmung unter den Kartellteilnehmern deutlich oberhalb des von der Klägerin angenommenen Grenzkostenpreises gelegen hätte.

Entgegen dem Vortrag der Klägerin und ihrer Parteigutachter (Lademann, S. 42 ff) kann dieser Überlegung nicht entgegengehalten werden, dass Überproduktionskapazitäten aus dem benachbarten Ausland deutsche Hersteller davon abgehalten hätten, Monopolpreise zu setzen. Wenn der Wettbewerbsdruck aus dem Ausland in der Lage gewesen wäre, preisregulierende Wirkung auf den deutschen Markt zu entfalten, wäre dies im Kartellszenario erst recht möglich gewesen. Eine Differenz zwischen dem Preis im Kartellszenario und demjenigen im kontrafaktischen Szenario lässt sich mit potentiellem Außenwettbewerb daher nicht begründen.

Die vorstehenden Überlegungen gelten auch für die Zeit nach der Reform der Zuckermarktordnung im Jahre 2006. Die Mengen hinsichtlich derer Wettbewerb zu erwarten gewesen wäre, haben sich durch die Reform nicht erhöht. Die Europäische Union und schließlich auch Deutschland haben sich vielmehr nach der Reform von einem Überschuss- zu einem Defizitgebiet entwickelt. Bereits im Zuckerwirtschaftsjahr 2006/2007 überstieg die europäische Nachfrage die Gesamtquote. In Deutschland wurde die Quote zum Zuckerwirtschaftsjahr 2008/2009 auf etwa 92 % der Nachfrage abgesenkt. Auch die Einfuhrbeschränkungen für Weltmarktzucker bestanden nach der Reform der Zuckermarktordnung weiterhin. Zucker aus den AKP-Staaten erhielt erst zum Zuckerwirtschaftsjahr 2009/2010 schrankenlosen Zugang zum europäischen Zuckermarkt.

b) Kein klassisches Gefangenendilemma

Es kommt hinzu, dass aufgrund einer Vielzahl von weiteren Umständen nicht angenommen werden kann, dass in Abwesenheit der bebußten Absprachen zwischen den Zuckerherstellern vollständiger Wettbewerb geherrscht hätte. Es ist vielmehr mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Zuckerhersteller auch ohne Kartell auf vorstoßenden Wettbewerb verzichtet hätten.

Entgegen der Annahme der Klägerin befanden sich die Zuckerhersteller bei Setzung ihrer Preise nicht in einem klassischen Gefangenendilemma, das sie dazu gezwungen hätte, stets den niedrigsten Preis zu wählen. Aufgrund der Marktstrukturen auf dem Zuckermarkt bestanden vielmehr erhebliche Anreize, ein implizit abgestimmtes Vorgehen zu erreichen, das (ebenfalls) zu hohen Marktpreisen geführt hätte.

aa)

Das Gefangenendilemma ist ein mathematisches Modell aus der Spieltheorie. Es modelliert die Situation zweier Gefangener, die beschuldigt werden, gemeinsam ein Verbrechen begangen zu haben. Die beiden Gefangenen werden einzeln verhört und können nicht miteinander kommunizieren. Leugnen beide das Verbrechen, erhalten beide eine niedrige Strafe, da ihnen nur eine weniger streng bestrafte Tat nachgewiesen werden kann. Gestehen beide, erhalten beide dafür eine hohe Strafe, wegen ihres Geständnisses aber nicht die Höchststrafe. Gesteht jedoch nur einer der beiden Gefangenen, geht dieser als Kronzeuge straffrei aus, während der andere als überführter, aber nicht geständiger Täter die Höchststrafe bekommt. Das Dilemma besteht nun darin, dass sich jeder Gefangene entscheiden muss, entweder zu leugnen (also mit dem anderen Gefangenen zu kooperieren) oder zu gestehen (also den anderen zu verraten), ohne die Entscheidung des anderen Gefangenen zu kennen. Das letztlich verhängte Strafmaß richtet sich allerdings danach, wie die beiden Gefangenen zusammengenommen ausgesagt haben und hängt damit nicht nur von der eigenen Entscheidung, sondern auch von der Entscheidung des anderen Gefangenen ab.

Es ist anerkannt, dass das Gefangenendilemma in abstrakter Form die grundlegende strategische Herausforderung von Anbietern in einem oligopolistischen Markt beschreibt (Wiedemann, Kartellrecht, § 7 Rn. 42 m.w.N.). Treffen beide Anbieter nur einmal aufeinander, besteht ein Anreiz, den Preis möglichst niedrig zu setzen, da jeder Anbieter damit rechnen muss, dass der andere Anbieter die gesamte Nachfrage auf sich zieht, indem er ihn unterbietet. Dies gilt jedenfalls dann, wenn mit homogenen Produkten gehandelt wird, bei denen sich die Kaufentscheidung des Kunden allein nach dem Produktpreis richtet. Da sich beide Wettbewerber dieses Anreizes des jeweils anderen bewusst sind, ist in diesem Szenario davon auszugehen, dass der von den Anbietern gesetzte Marktpreis den Grenzkosten entspricht.

bb)

Dass die Situation der Zuckerhersteller im Kartellszenario nicht derjenigen des klassischen Gefangenendilemmas entspricht, ergibt sich indes bereits aus dem Umstand, dass aufgrund der Quotenregelung kein Zuckerhersteller die Möglichkeit hatte, die gesamte Nachfrage auf sich zu ziehen. Wie dargestellt, überstieg die Gesamtnachfrage auf dem Zuckermarkt deutlich die jeweiligen Quotenmengen der einzelnen Zuckerhersteller. Es kommt hinzu, dass die Zuckerhersteller - anders als das Gefangenendilemma voraussetzt - nicht bloß einmal "aufeinandergetroffen" sind, sondern ihren Zucker jedes Jahr erneut verkauft haben. Bei wiederholter Interaktion kommen neue strategische Aspekte bei der wettbewerblichen Interaktion ins Spiel. Insbesondere muss sich ein Wettbewerber überlegen, ob eine Preisreduktion heute, die ihn die gesamte Marktnachfrage abschöpfen lässt, nicht möglicherweise zu einem Preiskampf morgen führt, der mit entsprechenden Gewinneinbußen in der Zukunft einhergeht.

Wiederholte Interaktion kann daher dazu führen, dass sich die Oligopolisten - auch ohne kartellrechtswidrige Absprachen - kooperativ im Sinne einer impliziten Kollusion verhalten. Ob insoweit zu erwarten ist, dass die Wettbewerber ein stabiles - über dem Grenzkostenpreis liegendes - Gleichgewicht erreichen, hängt von den konkreten Begebenheiten auf dem betroffenen Markt ab. In der Rechtsprechung, der juristischen Literatur und der Wettbewerbsökonomie ist anerkannt, dass die Frage, ob eine stabile implizite Kollusion zu erwarten ist, durch Gesamtbetrachtung verschiedener Kriterien zu ermitteln ist. Diese gehen maßgeblich auf die "Airtours"-Entscheidung des Europäischen Gerichts (EuG, Urt. v. 6.6.2002 - T-342/99, Slg. 2002, II-2585 Tz. 61 f. = WuW/E EU-R 559 - Airtours/First Choice) zurück und kommen in erster Linie im Rahmen von kartellrechtlichen Fusionskontrollentscheidungen zum Tragen. Die Möglichkeit einer impliziten Kollusion ist indes auch bei der Bemessung des durch ein Kartell verursachten Schaden zu beachten, wenn dieser - wie hier - anhand eines artifiziellen Vergleichsmarkts durch Simulierung des kontrafaktischen Szenarios ermittelt werden soll (vgl. Inderst/Schwalbe WuW 2012, 122 (125)).

c) Kriterien für implizite Kollusion

Die Bedingungen, die ein implizit abgestimmtes Verhalten zwischen Oligopolisten begünstigen, sind allgemein anerkannt. Sie werden im Leitfaden des Bundeskartellamts zur Marktbeherrschung in der Fusionskontrolle vom 29.03.2012 (im Folgenden: Leitfaden) zusammengefasst (Rn. 91, 113).

Eine stabile Koordinierung im Innenverhältnis der Oligopolisten ist hiernach insbesondere dann wahrscheinlich, wenn eine Verhaltenskoordinierung stillschweigend hinreichend leicht erzielt werden kann (Koordinationserzielung), ein Abweichen eines Oligopolisten von der Verhaltenskoordinierung ohne zu großen Aufwand durch die anderen Oligopolmitglieder entdeckt werden kann (Markttransparenz), glaubhafte Sanktionsmittel verfügbar sind, um ein Abweichen von der Verhaltenskoordinierung zu sanktionieren (Sanktionsmechanismus) und außenstehende Wettbewerber keinen hinreichenden Wettbewerbsdruck auf die Oligopolmitglieder ausüben können (Außenwettbewerb). Maßgeblich ist, ob ein ausreichender Anreiz für die beteiligten Unternehmen besteht, auf wettbewerbliche Vorstöße zu verzichten. Dies lässt sich nur im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles feststellen (Rn. 92 des Leitfadens).

Diese Grundsätze hat die Kammer ihrer Prüfung, mit welcher Wahrscheinlichkeit im kontrafaktischen Szenario eine implizite Kollusion unter den Zuckerherstellern zu erwarten gewesen wäre, zugrunde gelegt. Der Sachverständige Prof. Dr. I3 hat bestätigt, dass sie dem wissenschaftlichen Stand der Wettbewerbsökonomie entsprechen. Auch in der Rechtsprechung und Literatur sind sie anerkannt. So hat der Bundesgerichtshof (Beschluss vom 11. November 2008 - KVR 60/07, juris Rn. 39, m.w.N.) ausgeführt, dass aufgrund der Marktstruktur mit einem dauerhaft einheitlichen Verhalten der Mitglieder des möglichen Oligopols zu rechnen sei, wenn zwischen den beteiligten Unternehmen eine enge Reaktionsverbundenheit bestehe. Entscheidende Indizien dafür seien die Markttransparenz sowie die Abschreckungs- und Sanktionsmittel bei abweichendem Marktverhalten. Es müsse ein Anreiz bestehen, nicht von dem gemeinsamen Vorgehen abzuweichen. Davon sei auszugehen, wenn jedes beteiligte Unternehmen wisse, dass eine auf Vergrößerung seines Marktanteils gerichtete, wettbewerbsorientierte Maßnahme die gleiche Maßnahme seitens der anderen Unternehmen auslösen würde, so dass es keinerlei Vorteil aus seiner Initiative ziehen könnte. So bestehe kein Anreiz für einen Preiswettbewerb, wenn eine Preissenkung durch ein Unternehmen von den anderen Unternehmen des Oligopols sofort erkannt und mit einer ebensolchen Preissenkung beantwortet werden kann, ohne dass sich dadurch die Marktanteile aller beteiligten Unternehmen verändern. In diesem Zusammenhang seien die Symmetrie der beteiligten Unternehmen hinsichtlich der Produktpalette, der verwendeten Technologie und der Kostenstruktur, etwaige Marktzutrittsschranken, die Nachfragemacht der Marktgegenseite und die Preiselastizität der Nachfrage zu berücksichtigen. Von Bedeutung könne auch sein, ob aufgrund der Homogenität des vertriebenen Produkts ein Produkt- und Qualitätswettbewerb nur eingeschränkt oder gar nicht in Betracht komme und ob die Mitglieder des möglichen Oligopols gesellschaftsrechtlich miteinander verflochten sind. Inhaltlich weitestgehend übereinstimmende Formulierungen finden sich in der bereits zitierten Airtours-Entscheidung des EuG (EuG, Urt. v. 6.6.2002 - T-342/99, Slg. 2002, II-2585 Tz. 61 f. = WuW/E EU-R 559 - Airtours/First Choice), in Entscheidungen der Instanzgerichte (OLG Düsseldorf, Urteil vom 26. Juni 2009 - VI-2a Kart 2 - 6/08 OWi, juris Rn.426f) und in der Literatur (Immenga/Mestmäcker/Thomas, GWB 6. Aufl. 2020, § 36 Rn. 295 ff.).

d) Entscheidungen zum Zuckermarkt

Gerichtliche und behördliche Entscheidungen, die sich in der Vergangenheit mit den Verhältnissen auf dem Zuckermarkt unter Geltung der Zuckermarktordnung beschäftigt haben, sind überwiegend zu dem Ergebnis gekommen, dass auf diesem allenfalls stark eingeschränkter Wettbewerb zu erwarten gewesen sei.

aa)

Das Bundeskartellamt legt in der Entscheidung zu der Fusion zwischen O und dem skandinavischen Zuckerhersteller B1 vom 17.02.2009 (im Folgenden: O /B1-Entscheidung) dar, dass die Strukturbedingungen, die ein Parallelverhalten nahelegen und begünstigten, sich sämtlich auf dem deutschen Markt für Verarbeitungszucker hätten nachweisen lassen. Die identifizierten Strukturbedingungen würden weitgehend mit den in den Leitlinien der Kommission definierten Kriterien übereinstimmen und teilweise sogar darüber hinausgehen. Die weitgehende Anpassung der Anbieter an diese Wettbewerbsbedingungen begünstige ein oligopolistisches Parallelverhalten, das schon vor Vollzug des Zusammenschlussvorhabens für ein marktbeherrschendes Oligopol zwischen O und T spreche. Ob Q ebenfalls Teil dieses Oligopols ist, hat das Bundeskartellamt mit der Begründung offengelassen, dass dies für die Beurteilung des Zusammenschlusses von O und B1 ohne Relevanz sei (Rn. 229). Die Monopolkommission hat in ihrem 2010 veröffentlichten 18. Hauptgutachten die detaillierten Ausführungen des Bundeskartellamtes zu kollektiver Marktbeherrschung in der O /B1-Entscheidung als beispielhaft bezeichnet und ihnen zugestimmt (BT-Drucks. 17/2600, S. 259, Rn. 610).

Auch andere gerichtliche und behördliche Entscheidungen, die sich in der Vergangenheit mit den Verhältnissen auf dem Zuckermarkt unter Geltung der Zuckermarktordnung beschäftigt haben, sind zu dem Ergebnis gekommen, dass auf diesem allenfalls stark eingeschränkter Wettbewerb zu erwarten gewesen sei.

bb)

Der Europäische Gerichtshof hat - bezogen auf den gesamten europäischen Markt - bereits in einer Entscheidung aus dem Jahre 1975 (vgl. Urteil vom 16. Dezember 1975, Suiker Unie u.a. ./. Kommission, Slg. 1975, 1636 ff, NJW 1976, 470 ff.) ausgeführt, dass die Regelungen der Zuckermarktordnung geeignet waren, einer Belebung des Wettbewerbs hinderlich im Wege zu stehen. Zwar sei den Herstellern ein gewisser Spielraum für die Bestimmung des Preises geblieben, zu dem sie ihre Erzeugnisse absetzten (Rn. 19/23). Die Tatsache, dass zum einen der in der Gemeinschaft erzeugte Zucker nur bis zu einer festgesetzten Höchstmenge auf dem Binnenmarkt habe abgesetzt werden können und dass zum anderen den bedeutendsten Herstellern die Mengen auf dem Markt bekannt gewesen seien, auf welche die Produktion eines jeden ihrer Wettbewerber beschränkt war, habe dem Zuckermarkt jedoch eine anormale Transparenz und Stabilität verliehen. Bei dieser Sachlage habe jeder Hersteller fast zwangsläufig seinen Vorteil nicht in der Vergrößerung seiner Produktion und damit seines Marktanteils suchen müssen, sondern im Absatz einer Produktion zu den höchstmöglichen Preisen. Die Hersteller hätten daher ein Interesse daran gehabt, an dem in den einzelnen Mitgliedstaaten jeweils bestehenden Preisniveau nicht zu rühren. Auch hätten sie sich darüber im Klaren sein müssen, dass jegliches Eindringen in die traditionellen Märkte ihrer Wettbewerber die Gefahr in sich barg, die Preise auf diesen Märkten zu drücken und damit den Erlös bei dem Absatz der eigenen Produktion zu schmälern (Rn. 614, 618). Die Zuckermarktordnung habe dem Wettbewerb daher nur einen schmalen Bereich eröffnet und somit dazu beigetragen, dass die Zuckerhersteller in wettbewerbsfernen Verhaltensweisen verharrten (Rn. 619).

cc)

Vergleichbar sieht die EU-Kommission in ihrer Entscheidung vom 20.12.2001 (Fusionskotrolle T /T4 ), dass vor dem Hintergrund der de facto bestehenden Aufteilung des deutschen Zuckermarktes in regionale Wirkungsbereiche für den jeweils gebietsansässigen Zuckerhersteller kaum Anreize bestanden, in das Hauptabsatzgebiet des jeweils anderen vorzudringen. Angesichts der anfallenden zusätzlichen Transportkosten und der bestehenden mittel- bis langfristigen Kundenbeziehungen, die in einer Vielzahl von Antworten auf die Marktuntersuchung der Kommission angeführt wurden, erscheine es für die Produzenten lohnender, ihre Position in ihren jeweils eigenen Hauptabsatzgebieten zu festigen und die ihnen zugeteilte Produktionsquote primär zur Befriedigung der eigenen Kunden einzusetzen. Dies gelte umso mehr, als sich ein Zuckerproduzent im Falle seines Vordringens in das Hauptabsatzgebiet eines Konkurrenten unmittelbar der Gefahr von Vergeltungsmaßnahmen ausgesetzt sähe. Solche Vergeltungsmaßnahmen seien in der Zuckerindustrie besonders leicht möglich, weil es sich bei Zucker um ein homogenes Massenprodukt handele und die Märkte angesichts der bestehenden Produktionsquoten und Interventionspreise transparent seien (Rn. 67).

dd)

In seinem Beschluss zum Fusionskontrollverfahren O /V vom 24.06.2002 hat das Bundeskartellamt hiermit inhaltlich übereinstimmend ausgeführt, dass aufgrund der festgelegten Höchstquote die Zuckerhersteller ihre Produktion für den Zuckerabsatz innerhalb des Binnenmarktes nicht ausweiten konnten. Wettbewerb unter den Zuckerherstellern sei lediglich in der Form möglich, bisher subventionsgestützte AB-Zucker-Exporte stattdessen im Binnenmarkt zu platzieren. Selbst diese begrenzte Mengenverlagerung könne jedoch nur über Preissenkungen gelingen, die beim homogenen Massengut Zucker und der durch die Zuckermarktordnung bedingten großen Markttransparenz wiederum Vergeltungsmaßnahmen und einen allgemeinen Preiskampf nach sich ziehen würden. Da sich angesichts des Preisstützungssystems in Form des Interventionspreises, durch den die anderen Hersteller geschützt werden, von einem Preiskampf kein Zuckerhersteller einen dauerhaften Vorteil erhoffen könne, seien Preissenkungen von vornherein nicht zu erwarten (S. 18).

ee)

Einzig in der Fusionskontrollentscheidung Q /Zuckerfabrik K vom 03.08.2006 ist das Bundeskartellamt davon ausgegangen, dass die Marktbedingungen - in Westdeutschland - gegen eine oligopolistische Marktbeherrschung sprechen und wesentlichen Binnenwettbewerb zuließen (Rn. 106 ff.).

ff)

Im hiesigen Verfahren hat sich indes die Einschätzung bestätigt, dass auch ohne Kartell auf dem (gesamten) deutschen Zuckermarkt mit jedenfalls überwiegender Wahrscheinlichkeit ein implizit abgestimmtes Verhalten der drei großen deutschen Zuckerhersteller zu erwarten gewesen wäre. Insoweit war insbesondere bei der Interpretation der von dem Bundeskartellamt in der O /B1 -Entscheidung dargelegten Ergebnisse zu berücksichtigen, dass diese auf der Beobachtung eines Marktgeschehens fußten, dem kartellrechtswidrige Absprachen zugrunde lagen. Die von der Kammer durchgeführte Beweisaufnahme hat jedoch gezeigt, dass die bei einer möglichen impliziten Kollusion in die Gesamtabwägung einzustellenden Kriterien auf dem deutschen Zuckermarkt auch im kontrafaktischen Szenario größtenteils erfüllt und teilweise sogar deutlich "übererfüllt" gewesen wären.

e) Starke Reaktionsverbundenheit auf deutschem Zuckermarkt

Die Einschätzung der Kammer, dass eine Verhaltenskoordinierung unter den Zuckerherstellern stillschweigend hinreichend leicht erzielt werden konnte (a.), ein Abweichen eines Oligopolisten von der Verhaltenskoordinierung ohne zu großen Aufwand durch die anderen Oligopolmitglieder hätte entdeckt werden können (b.), glaubhafte Sanktionsmittel verfügbar waren, um ein Abweichen von der Verhaltenskoordinierung zu sanktionieren (c.) und außenstehende Wettbewerber keinen hinreichenden Wettbewerbsdruck auf die Oligopolmitglieder ausüben können (d.), beruht im Wesentlichen auf folgenden Erwägungen:

aa) Koordinationserzielung

Das Erreichen einer stillschweigenden Koordination zwischen Oligopolmitgliedern wird durch eine geringe Anzahl von Wettbewerbern (1), ein homogenes Produkt (2), eine weitgehende Symmetrie der Oligopolmitglieder (3), Verflechtungen zwischen den Oligopolmitgliedern (4) und durch stabile Marktbedingungen (5) begünstigt (Leitfaden, Rn. 93 ff).

(1) Geringe Anzahl von Wettbewerbern

Ausweislich der Bußgeldbescheide fanden die ersten durch das Bundeskartellamt bebußten Absprachen zwischen Q und O im Jahr 1996 statt. Schon zu diesem Zeitpunkt war der deutsche Zuckermarkt davon geprägt, dass sehr wenige Anbieter einen sehr großen Anteil des Marktes abdeckten. Gemessen an der ihnen zugeteilten Quote kamen die drei Kartellteilnehmer in Deutschland 1996 auf einen Gesamtmarktanteil in Höhe von jedenfalls über 80 %.

Nach § 18 Abs. 6 Nr. 1 i.V.m. Abs. 5 GWB wird vermutet, dass zwischen drei Unternehmen bereits dann kein wesentlicher Wettbewerb - mithin implizit abgestimmtes Verhalten (vgl. Immenga/Mestmäcker/Thomas, GWB, 5. Aufl. 2014, § 36 Rn. 318) - zu erwarten ist, wenn sie zusammen einen Marktanteil von 50 Prozent erreichen. Dieser gesetzliche Schwellenwert wurde zu Beginn und während der Kartellphase schon durch Addition der Marktanteile von O- und T überschritten (vgl. O /B1 -Entscheidung, Rn. 231). Gemeinsam mit Q verfügten sie über (deutlich) mehr als zwei Drittel Marktanteil. In einem solchen Fall vermutet das Gesetz selbst dann das Entstehen einer impliziten Kollusion, wenn das Oligopol nicht nur - wie hier - aus drei, sondern aus fünf Unternehmen besteht (§ 18 Abs. 6 Nr. 2 GWB). Trotz des Umstandes, dass § 18 Abs. 6 GWB auf Missbrauchs- und auf Fusionskontrollverfahren ausgerichtet ist und auch in diesen nach wohl herrschender Meinung aus dieser gesetzlichen Vermutung das Bestehen eines wettbewerbslosen Oligopols nicht ohne Weiteres abgeleitet werden kann (vgl. Leitfaden, Rn. 89), misst die Kammer der deutlichen Überschreitung der gesetzlichen Schwellenwerte erhebliche Bedeutung zu. Es ist allgemein anerkannt, dass die Gefahr fehlenden Binnenwettbewerbs umso größer ist, je höher der Gesamtmarktanteil der Gruppe und je geringer die Anzahl der Oligopolmitglieder ist (vgl. Immenga/Mestmäcker/Thomas, GWB, 6. Aufl. 2020, § 36 Rn. 292; ähnlich: Leitfaden, Rn. 93). Im Fusionskontrollverfahren bewirkt die Regelung eine echte Umkehr der Beweislast, so dass es den Oligopolmitgliedern obliegt, das vermutete Bestehen einer kollektiven marktbeherrschenden Stellung zu widerlegen. Dies zugrunde gelegt, muss sich auch in der vorliegenden Konstellation aus der deutlichen Überschreitung der Grenzwerte zumindest eine erhebliche Indizwirkung zugunsten einer impliziten Kollusion im kontrafaktischen Szenario ergeben.

(2) Homogenes Produkt

Bereits eine "gewisse" Homogenität der Produkte wirkt sich förderlich auf das Erreichen einer impliziten Kollusion aus (Rn. 90 des Leitfadens). Bei vollständig homogenen Produkten ist diese umso wahrscheinlicher.

Die Kammer geht mit dem Vortrag der Klägerin davon aus, dass es sich bei dem Rohstoff Zucker um ein vollständig homogenes Massengut handelt. Auch der Sachverständige Prof. Dr. I3 hat dies bestätigt und ausgeführt, dass es hinsichtlich der Produkthomogenität im Rahmen der Prüfung einer möglichen impliziten Kollusion in erster Linie darauf ankomme, ob die Nachfrager das Produkt für substituierbar halten. Aus Sicht der Nachfrager habe kein Unterschied zwischen den von O , T und Q angebotenen Produkten bestanden.

Dies korrespondiert mit den Feststellungen des Bundeskartellamtes in der O /B1 -Entscheidung. Die Befragung der Abnehmer habe ergeben, dass die großen deutschen Hersteller im Wesentlichen das gleiche Produktportfolio aufweisen und sich in den Punkten Qualität und Umfang des Sortiments nicht wesentlich unterscheiden. Die wichtigsten Zuckerarten würden von allen Herstellern angeboten, wobei nicht ausgeschlossen sei, dass im Einzelfall Weiterentwicklungen durch einzelne Hersteller erfolgen. Damit gehe jedoch kein nennenswerter Wettbewerbsvorsprung einher, da jede Neuentwicklung mit Marktchancen unmittelbar durch die anderen Hersteller kopiert werden könne (a.a.O., Rn. 282).

(3) Symmetrie der Oligopolmitglieder

Zwischen den drei Kartellteilnehmern bestand in der Kartellphase eine für implizit abgestimmtes Verhalten hinreichende Symmetrie.

Zwar bestehen - worauf auch der Sachverständige Prof. Dr. I3 im Rahmen der Befragung vom 07.02.2020 hingewiesen hat - recht deutliche Unterschiede zwischen den Marktanteilen von T und O einerseits sowie von Q andererseits. Dies ist für die Frage, ob implizites Verhalten zu erwarten ist, jedoch von allenfalls untergeordneter Bedeutung. Aus den Marktanteilen als solchen, ergibt sich nichts dafür, ob die für die Annahme eines Oligopols erforderliche Reaktionsverbundenheit zwischen Unternehmen besteht. Erheblich ist nicht die Symmetrie der Marktanteile, sondern die Symmetrie der Unternehmen hinsichtlich der Produktpalette, der verwendeten Technologie und der Kostenstruktur. Dies sind Strukturmerkmale, die es grundsätzlich ermöglichen, auf Wettbewerbsvorstöße entsprechend zu reagieren (BGH, Beschl. v. 20.04.2010, KVR 7/09, Rn. 65).

Auch der Sachverständige Prof. Dr. I3 hat dies in der Sitzung vom 11.03.2020 bestätigt. Die Wettbewerbsökonomie verlange keine identischen Zwillinge oder Drillinge. Entscheidend sei, ob sich aus Unterschieden in den vorgenannten Punkten ein Interesse an fundamental unterschiedlichen Strategien ergebe. Dies sei vorliegend jedoch nicht der Fall. Er gehe davon aus, dass die Kartellteilnehmer im Wesentlichen dieselben Produkte hätten anbieten können. Insoweit sei es nicht entscheidend, ob sie dies tatsächlich getan haben, es komme vielmehr vorrangig darauf an, dass sie dies hätten tuen können. Zudem sei zumindest bis 2006 von einer weitgehenden Symmetrie der Kosten auszugehen. Etwaige unterschiedliche Produktionskosten hätten in diesem Zeitraum keine Rolle gespielt, weil insoweit die Opportunitätskosten maßgeblich seien, die sich bis 2006 am Interventionspreis orientiert hätten. Auch etwaige Unterschiede in der verwendeten Technologie seien von untergeordneter Bedeutung. Auch diese schlage sich regelmäßig in unterschiedlichen Kosten nieder, was hier - wegen dem Export- und Interventionsmechanismus - keine Rolle gespielt habe. Gewisse Einschränkungen ergäben sich unter der Annahme schwankender Exporterlöse.

Der Sachverständige Prof. Dr. I3 hat ferner ausgeführt, dass er auch für die Zeit nach 2006 erwarten würde, dass die Inputkosten der jeweiligen Zuckerhersteller ähnlich waren.

Die Kammer folgert hieraus eine hinreichende Symmetrie zwischen allen drei Kartellteilnehmer, die in der Kartellphase jeweils durchgehend in der Lage waren, die von ihren Konkurrenten angebotenen Produkte ebenfalls anzubieten. Dass nach 2006 unterschiedliche Produktionskosten oder unterschiedliche Technologien der Zuckerhersteller dazu geführt hätten, dass diese im kartellfreien Markt fundamental unterschiedliche Interessen verfolgt hätten, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Alle drei Zuckerhersteller hatten durchgehend das gleichlautende Interesse, ihren Zucker zu möglichst hohen Preisen abzusetzen.

(4) Verflechtungen zwischen den Oligopolmitgliedern

Demgegenüber konnte die Kammer nicht feststellen, dass im kontrafaktischen Szenario besonders starke Verflechtungen zwischen den Zuckerherstellern zu erwarten gewesen wären, die eine implizite Kollusion in erheblichem Maße begünstigt hätten. Der Sachverständige Prof. Dr. I3 hat hierzu dargelegt, dass insoweit einerseits kapitalseitige Verflechtungen bedeutsam seien, weil sich aus diesen auf ähnlich gelagerte Interessen schließen ließe und anderseits persönliche Verflechtungen, weil hierdurch Informationsaustausch ermöglicht werde. Kapitalseitige und/oder persönliche Verflechtungen werden weder von den Beklagten behauptet noch in der O /B1 -Entscheidung (vgl. Rn. 296f) dargestellt.

Soweit in der O /B1 -Entscheidung Verflechtungen in Bezug auf Rübentauschverträge (a.a.O., Rn. 292), Lieferungen zur Deckung von Engpässen (Rn. 293) und der Wartung der Zuckerfabriken (Rn. 294) festgestellt sind, lässt die Kammer diese Umstände außer Betracht, da - trotz des Umstandes, dass diese Kontakte seitens des Bundeskartellamtes in den Bußgeldbescheiden nicht beanstandet wurden - nicht hinreichend gesichert erscheint, dass diese im kontrafaktischen Szenario in vergleichbarem Umfang stattgefunden hätten. Der Sachverständige Prof. Dr. I3 hat betont, dass der Umstand, dass das Bundeskartellamt in der O /B1 -Entscheidung einen Markt beobachtet hat, auf dem Kartellabsprachen bestanden, insbesondere im Hinblick auf die Verflechtungen relevant sei.

(5) Stabile Marktbedingungen

Stabile Marktbedingungen machen Märkte anfälliger für ein Parallelverhalten. Ausschlaggebend hierfür ist, dass die Marktteilnehmer die Marktentwicklungen besser vorhersehen und zudem mögliche Abweichungsversuche leichter als solche identifizieren und ahnden können. Der Zuckermarkt war in der Kartellphase durch ausgeprägte Stabilität gekennzeichnet. Unter Berücksichtigung der Marktphase (aa.), der Stabilität der Angebotsbedingungen (bb.) und der Nachfrage (cc.), der fehlenden Preiselastizität (dd.) sowie der jedenfalls nicht besonders ausgeprägten Nachfragemacht (ee.) ist davon auszugehen, dass im kontrafaktischen Szenario hinreichend stabile Marktbedingungen für eine implizite Kollusion vorgelegen hätten.

(a) Marktphase

In frühen Marktphasen ist eine Verhaltenskoordinierung wenig wahrscheinlich, da das Marktvolumen dynamisch wächst und die Chance, durch wettbewerbliche Vorstöße dauerhaft hohe Gewinne zu erzielen, größer ist. Daneben können Produkt- und Prozessinnovationen dem Innovator einen individuellen Vorteil verschaffen und gleichzeitig eine Gegenreaktion der Konkurrenten erschweren. Diesen wettbewerblichen Vorteil würde ein innovatives Unternehmen bei einer Verhaltenskoordinierung aufgeben. Zudem beruht die Bedeutung der Marktphase darauf, dass eine Verhaltenskoordinierung nicht nur die gegenwärtigen Marktverhältnisse, sondern auch die zukünftige Marktentwicklung berücksichtigen muss. Diese ist in der Experimentier- und Expansionsphase schwieriger einzuschätzen als in der Ausreifungs-, Stagnations- oder Rückbildungsphase eines Marktes. Märkte mit ausgereiften Produkten, in denen nachhaltige Produkt- oder Prozessinnovationen nicht (mehr) stattfinden, sind aus dem gleichen Grund grundsätzlich anfälliger für Koordinierungen als dynamische, innovationsgetriebene Märkte (Leitfaden, Rn. 98f).

Der Zuckermarkt befand sich im Zeitpunkt des durch das Bundeskartellamt festgestellten Beginns der Zuwiderhandlungen nicht in einer frühen Marktphase, in der dynamisches Wachstum stattgefunden hätte. Er war bereits zu diesem Zeitpunkt durch das Quotenregime und den Interventions- und Exportmechanismus geprägt. Diese gingen wiederum auf die bereits im Jahre 1968 eingeführte Zuckermarktordnung zurück. Innovation, durch die sich ein Hersteller einen bedeutenden Vorsprung vor den anderen hätte erarbeiten können, fand ebenfalls nicht statt. Auch das Bundeskartellamt spricht von einem ausgereiften Markt (Rn. 36 der O /B1 -Entscheidung).

(b) Angebotsbedingungen

Daneben ist die Stabilität der Angebotsbedingungen von Bedeutung. Ist der Markt durch erhebliche Angebotsschwankungen gekennzeichnet, beeinträchtigt dies die Möglichkeit der Anbieter, Verhaltensänderungen anderer Anbieter zu erkennen, bzw. richtig einzuordnen (Leitfaden, Rn. 103).

Bereits die Klägerin geht davon aus, dass auf dem Zuckermarkt stabile Angebotsbedingungen herrschten. Diese Einschätzung hat sich im Rahmen der Beweisaufnahme bestätigt.

Erhebliche Angebotsschwankungen haben in der Kartellphase nicht stattgefunden und wären auch im kontrafaktischen Szenario nicht zu erwarten gewesen. Die drei Kartellteilnehmer waren bereits im Jahre 1996 auf dem Zuckermarkt sehr stark etabliert. Das Quotenregime der Zuckermarktordnung hätte diese Position während der Kartellphase auch im kontrafaktischen Szenario abgesichert.

Zudem waren jedenfalls bis zur Reform der Zuckermarktordnung die Opportunitätskosten der jeweiligen Zuckerhersteller aufgrund des Interventions- und Exportmechanismus weitestgehend identisch. Auch dies stützt die Stabilität der Angebotsbedingungen. Der Sachverständige Prof. Dr. I3 hat insoweit klargestellt, dass die Angebotsbedingungen auch unter Berücksichtigung der Umstrukturierungen und Fusionierungen bei O in den Jahren 1997 und 2001 stabil waren, weil die relevanten Opportunitätskosten über diesen Zeitraum hinweg unverändert geblieben sind.

Es kommt hinzu, dass selbst im Kartellszenario so gut wie keine Marktzutritte anderer Anbieter stattgefunden haben (vgl. Rn. 258 der O /B1 -Entscheidung). Diesem Punkt misst die Kammer bedeutendes Gewicht zu, da der Sachverständige Prof. Dr. I3 bestätigt hat, dass grundsätzlich gerade ein Markt mit künstlich überhöhten Preisen - wie die Klägerin es für den deutschen Markt im Kartellzeitraum annehmen - Kartellaußenseitern Möglichkeiten bietet, durch Unterbietung der Kartellpreise auf dem Markt Fuß zu fassen. Wenn dies bereits während des Kartells nicht geschehen ist, wäre dies in einem kontrafaktischen Szenario, in dem der Zucker aufgrund impliziter Kollusion zu vergleichbaren Preisen verkauft worden wäre, ebenfalls nicht zu erwarten gewesen. Auf die - ebenfalls auf die Zuckermarktordnung zurückgehenden - Marktzutrittsschranken wird zudem weiter unten nochmals gesondert einzugehen sein.

Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass im kontrafaktischen Szenario eine anderweitige Ausrichtung der Standorte durch die Zuckerhersteller zu einer Veränderung der Angebotsbedingungen geführt hätte. Der Sachverständige Prof. Dr. I3 hat hierzu ausgeführt, dass es auch retrospektiv unmöglich sei zu prognostizieren, wie sich die Standortverteilung ohne kartellrechtswidrige Absprachen entwickelt hätte.

In der Kartellphase I wären die Angebotsbedingungen daher (auch) im kontrafaktischen Szenario außerordentlich stabil gewesen. Die Bußgeldbescheide sprechen davon, dass der Zuckermarkt "weitgehend statisch" gewesen sei (Rn. 8 des T betreffenden Bescheids).

Auswirkungen auf die Angebotsbedingungen hatten allerdings sowohl die zum 01.05.2004 in Kraft getretene Osterweiterung der Europäischen Union als auch die Reform der Zuckermarktordnung, die sich jedenfalls seit der Entscheidung des Panel der World Trade Organization (WTO) vom 15.10.2004 angekündigt hatten, in der festgestellt wurde, dass die EU eine deutlich größere Menge von Zuckerexporten subventionierte, als dies nach den Vereinbarungen der Uruguay-Runde zulässig gewesen wäre.

Die Osterweiterung der Europäischen Union ermöglichte, dass Zuckerhersteller aus östlichen Nachbarländern ihren Zucker nach Deutschland importierten. Durch die Reform der Zuckermarktordnung wurden die Zuckerquoten und die Exportmöglichkeiten reduziert sowie der Interventionsmechanismus umgestaltet, so dass sich die Opportunitätskosten nicht mehr aus dem Interventionspreis ergaben.

Der Sachverständige Prof. Dr. I3 hat die aus diesen beiden Ereignissen folgende Änderung der Angebotsbedingungen als relevant eingeschätzt. Solcherlei Ereignisse würden das Aufrechterhalten einer impliziten Kollusion prinzipiell erschweren. Auch Dr. M1 , der in der Kartellphase als Prokurist für den Absatz von Verarbeitungszucker bei T zuständig war, hat in seiner Befragung durch das Bundeskartellamt vom 02.07.2013 ausgesagt, dass die osteuropäischen Zuckermengen einen Einfluss auf die Preise in Deutschland gehabt hätten, wenn auch - jedenfalls in Bezug auf T - nicht in großem Umfang (S. 44 f. des Vernehmungsprotokolls). In den Bußgeldbescheiden wird der Einfluss der vorgenannten Ereignisse zunächst dahingehend dargestellt, dass dadurch "etwas Bewegung" in das Wettbewerbsgeschehen gekommen sei (Rn. 6 des T -Bescheids). An späterer Stelle (Rn. 8) wird davon gesprochen, dass hierdurch "erhebliche Unruhe" in den Zuckermarkt gekommen sei. Demgegenüber wird in der Anfang 2009 ergangenen O /B1 -Entscheidung ausgeführt, dass Einfuhren aus Staaten wie Polen schon in der Vergangenheit nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben und sich hieraus auch in Zukunft keine wesentlichen Wettbewerbsimpulse auf den deutschen Markt ergeben werden (Rn. 261). Auswirkungen der Reform der Zuckermarktordnung werden in der O /B1 -Entscheidung ebenfalls nicht festgestellt. Es wird vielmehr von stabilen Angebotsbedingungen sowohl in dem - in der Kartellphase II liegenden - Zeitpunkt der Beurteilung als auch für einen Prognosezeitraum von fünf Jahren ausgegangen.

(c) Stabilität der Nachfrage

Die Nachfrage nach Verarbeitungszucker war über die gesamte Kartellphase stabil. Auch durch die Reform der Zuckermarktordnung blieb die Binnennachfrage unverändert. Das Bundeskartellamt stellt in der O /B1 -Entscheidung fest, dass der Pro-Kopf-Verbrauch von Zucker in Deutschland im Wesentlichen konstant mit leicht rückläufiger Tendenz gewesen sei (Rn. 265). Der Sachverständige Prof. Dr. I3 hat hierzu ausgeführt, dass er auch dann von einer hinreichend stabilen Nachfrage ausgehe, wenn er zugrunde lege, dass die Nachfrage während der gesamten Kartellphase um 2 % pro Jahr gestiegen sei. Dies würde ein überschaubares Wachstum bedeuten.

(d) Fehlende Preiselastizität der Nachfrage

Daneben wird implizit abgestimmtes Verhalten durch eine geringe Preiselastizität der Nachfrage begünstigt.

Die Preiselastizität ist bei Verarbeitungszucker gering. In der O /B1 -Entscheidung ist hierzu beschrieben, dass die Nachfrage nach Verarbeitungszucker weder bei steigenden Preisen zurückgehe, noch durch Preissenkungen nennenswert ausgeweitet werden könne. Verarbeitungszucker sei für die Abnehmer nur in geringem Umfang durch andere Produkte, wie zum Beispiel auf Stärke basierenden Zuckerprodukten, zu ersetzen. Für viele Nachfrager von Verarbeitungszucker sei der Zucker einer der wesentlichen Inhaltsstoffe der von ihnen hergestellten Produkte.

Diese Einschätzung hat der Sachverständige Prof. Dr. I3 bestätigt und betont, dass dies insbesondere für die Frage der Attraktivität kollusiven Verhaltens von Bedeutung sei. Diese sei bei geringer Preiselastizität erhöht, weil dadurch deutliche zusätzliche Gewinne erzielt werden könnten.

(e) Nachfragemacht

Das Auftreten von Nachfragemacht, bedingt durch wenige große Nachfrager oder ein Bündeln der Nachfrage mehrerer kleiner Kunden, kann die Möglichkeit eines stillschweigenden Parallelverhaltens erschweren. Die Anbieter haben einen geringeren Preissetzungsspielraum, wenn die Nachfrager ihre Verhandlungsmacht ausspielen können, um die für sie vorteilhaftesten Konditionen zu erlangen. Marktstarken Nachfragern kann es aufgrund ihrer Bedeutung als Abnehmer auch gelingen, einzelne Oligopolteilnehmer zu abweichendem Verhalten zu bewegen. Darüber hinaus können marktmächtige Nachfrager damit drohen, sich selbst vertikal zu integrieren oder einen anderen Anbieter als Konkurrenten aufzubauen. Eine zersplitterte Nachfrageseite und ein geringes Interesse an einer wettbewerblichen Auftragsvergabe können eine Koordinierung dagegen begünstigen (Leitfaden Rn. 100).

Auf dem hier bedeutsamen Markt für Verarbeitungszucker war die Nachfragemacht der zuckerverarbeitenden Industrie in der Kartellphase jedenfalls nicht besonders ausgeprägt und wäre auch im kontrafaktischen Szenario nicht besonders ausgeprägt gewesen.

In der Fusionskontrollentscheidung Q /Zuckerfabrik K vom 03.08.2006 war das Bundeskartellamt noch davon ausgegangen, dass die zuckerverarbeitende Industrie in dem Heimatmarktgebiet von Q über eine nicht unerhebliche Nachfragemacht verfüge (Rn. 119). In der O /B1 -Entscheidung hat das Bundeskartellamt demgegenüber keine gegengewichtige Nachfragemacht feststellen können, durch die die Verhaltensspielräume des Oligopols wirkungsvoll hätten begrenzt werden können (a.a.O., Rn. 324). Voraussetzung für gegengewichtige Marktmacht sei zum einen die Existenz marktstarker Nachfrager und zum anderen, dass diese ihre Aufträge nach marktstrategischen Überlegungen gegebenenfalls gezielt auf Wettbewerber verteilen, um nicht von einem oder mehreren (beherrschenden) Anbietern abhängig zu werden. Diese strukturellen Voraussetzungen lägen im Markt für die Herstellung und den Vertrieb von Verarbeitungszucker nicht vor. Der Konzentrationsgrad auf der Angebotsseite übersteige bei Weitem den auf der Nachfrageseite. Zudem sei die Kundenstruktur im Bereich des Verarbeitungszuckers sehr heterogen. Neben einigen größeren Nachfragern (O3 , P , I2 , D , G ) gebe es eine Vielzahl kleiner Abnehmer. Die Beschlussabteilung habe im Rahmen der Ermittlung der Marktverhältnisse knapp 100 Abnehmer befragt, die zusammen mindestens 75 % des Nachfragevolumens von O , T , Q und B1 Sugar im nord- und mitteldeutschen Raum repräsentierten. Die Vielzahl der Nachfrager habe den Oligopolisten keine Nachfragemacht entgegenzusetzen (a.a.O., Rn. 326f).

Der Sachverständige Prof. Dr. I3 hat die Einschätzung aus der O /B1 -Entscheidung dahingehend bestätigt, dass Nachfragemacht typischerweise von größeren Nachfragern ausgehe, insbesondere, wenn sich diese nicht im Hinterland eines der Anbieter befinden und Wechseloptionen hätten. Diese Abnehmer hätten durchaus eine gewisse Nachfragemacht, wenn sie glaubwürdig mit Verlagerung der Nachfrage drohen können. Er würde auch nicht sagen, dass kleinere Unternehmen keinerlei Nachfragemacht hätten. Für solche Unternehmen sei es teilweise einfacher zu wechseln, da die Nachfrage leichter zu erfüllen sei, als bei sehr großen Nachfragern. In einem Markt ohne Kartell hätte es daher möglicherweise in dem Ausmaß eine gewisse Nachfragemacht gegeben, in dem bei den Anbietern eine freie Quote vorhanden war. Allerdings gebe es in der empirischen Literatur nur wenig Befunde dazu, inwiefern Nachfragemacht geeignet sei, eine bestehende implizite Kollusion aufzulösen.

(f) Zwischenergebnis zur Stabilität der Marktbedingungen

Zusammengefasst ist die auf dem deutschen Zuckermarkt in der Kartellphase I herrschende Stabilität demnach unter Berücksichtigung der späten Marktphase, der hohen Stabilität der Angebotsbedingungen und der Nachfrage, der fehlenden Preiselastizität sowie der jedenfalls nicht besonders ausgeprägten Nachfragemacht als im Vergleich zu anderen Märkten außerordentlich hoch zu bezeichnen. Die mit der EU-Osterweiterung einerseits und der Zuckermarktreform anderseits einhergehenden Auswirkungen fallen nicht in einem Maße ins Gewicht, dass aufgrund dieser für die Kartellphase II eine tiefgreifende Destabilisierung der Marktbedingungen insgesamt angenommen werden könnte. Sie betreffen jeweils nur die Angebotsbedingungen. Die Marktphase, die Stabilität der Nachfrage, die fehlende Preiselastizität und die Nachfragemacht änderten sich durch diese Ereignisse nicht. Hierzu fügen sich die Ausführungen in der O /B1 -Entscheidung, wonach die Reform der Zuckermarktordnung bereits nicht zu einer Instabilität der Angebotsbedingungen geführt und insbesondere nicht bewirkt habe, dass das Angebot in einem Ausmaß zurückgegangen sei, das eine Unterversorgung des deutschen Marktes zu befürchten gewesen wäre (vgl. Rn. 259 der O /B1 -Entscheidung).

Die Kammer geht daher von hinreichend stabilen Marktbedingungen während beider Kartellphasen aus.

bb) Markttransparenz

Eine weitere Voraussetzung für eine stabile Verhaltenskoordinierung ist, dass ein Abweichen von der Koordinierung durch ein Oligopolmitglied von den anderen ohne größeren Aufwand entdeckt werden kann. Dazu ist eine ausreichende Markttransparenz erforderlich. Diese ist bereits dann gegeben, wenn ein ernsthaftes Risiko besteht, dass abweichendes Verhalten aufgedeckt wird. Eine vollständige Transparenz der koordinierten Wettbewerbsparameter ist nicht erforderlich (Leitfaden, Rn. 101; ebenso: O /B1 -Entscheidung, Rn. 272; Monopolkommission, BT-Drucks. 17/2600, S. 259).

Das Bundeskartellamt ist sowohl in der O /B1 -Entscheidung, als auch in dem Bußgeldverfahren, das dem vorliegenden Verfahren vorausgegangenen ist, davon ausgegangen, dass aus dem Quotenregime und der Mindestpreisregulierung eine hohe Markttransparenz auf dem Zuckermarkt resultiert habe (Pressemittelung vom 18.02.2014, "Bundeskartellamt verhängt Bußgelder gegen Zuckerhersteller"). Dies entspricht den bereits zitierten Einschätzungen des EuGH und der Europäischen Kommission. Der EuGH spricht insoweit sogar von einer "anormalen" Transparenz.

Auch die Klägerin geht von einer hohen Transparenz auf dem Zuckermarkt im Kartellzeitraum aus. Ihre Privatgutachter kommen zu dem Schluss, dass eine solche "unzweifelhaft" bestanden habe.

Diese Einschätzung hat sich im Rahmen der von der Kammer durchgeführten Beweisaufnahme bestätigt, allerdings mit gewissen Einschränkungen in Bezug auf das Heimatmarktgebiet von Q .

Zur Beurteilung der Markttransparenz ist die Anzahl der Wettbewerber, die Homogenität der Produkte, die Stabilität der Marktbedingungen, die Art der Transaktionsabwicklung sowie das Bestehen von strukturellen Verbindungen und Preismeldestellen o.ä. relevant (Leitfaden, Rn. 102 ff.). Eine geringe Anzahl von Wettbewerbern geht mit einer höheren Markttransparenz einher, da der Aufwand sinkt, das Verhalten der anderen Oligopolmitglieder zu kontrollieren. Auf Märkten mit homogenen Produkten ist die Markttransparenz regelmäßig größer, da es umso einfacher ist, ein Abweichen von dem koordinierten Verhalten zu entdecken, je weniger Wettbewerbsparameter beobachtet werden müssen. Auch eine hohe Stabilität der Marktbedingungen erhöht die Markttransparenz, da Veränderungen schneller erkannt und besser interpretiert werden können. Diese Voraussetzungen waren auf dem Zuckermarkt während der Kartellphase sämtlich erfüllt und wären auch im kontrafaktischen Szenario erfüllt gewesen. Insoweit kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden.

Allerdings kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Transparenz durch die Art der Transaktionsabwicklung weiter erhöht wurde. Die Verträge wurden bilateral zwischen den Herstellern und ihren Kunden ausgehandelt. Der Sachverständige Prof. Dr. I3 hat hierzu ausgeführt, dass keine "natürliche Bedingung" dafür bestanden habe, dass die genaue Höhe des Konkurrenzangebots, das den Zuschlag erhalten hat, den anderen Herstellern bekannt geworden wäre. Dementsprechend habe jedenfalls keine vollständige Preistransparenz geherrscht.

Der Sachverständige Prof. Dr. I3 hat allerdings ebenfalls bestätigt, dass es nicht auf vollständige Transparenz ankomme. Trotz des Umstands, dass es ohne Kartellabsprachen auf dem Zuckermarkt keine vollständige Transparenz über alle Parameter gegeben hätte, gehe er davon aus, dass grundsätzlich eine hohe Transparenz bezüglich der Frage vorgelegen habe, welcher Zuckerhersteller welchen Kunden beliefert. Hätte einer der drei Zuckerhersteller nach Abgabe eines Angebots nicht den Zuschlag erhalten, hätte er vermuten können, dass jemand anderes ein günstigeres Angebot abgegeben hat und dass dies mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit einer der beiden anderen Anbieter gewesen ist. In Überlappungsgebieten, in denen sich die Einzugsgebiete von nur zwei der drei Hersteller überschnitten, hätte der unterlegene Anbieter zwar nicht mit 100%-iger Sicherheit sagen können, dass es der jeweils andere gewesen ist, der ihn unterboten hat, aber die Unternehmen hätten hiervon mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit ausgehen können. Ganz naiv hätten die Anbieter auch einfach überprüfen können, wessen LKWs auf den Hof des Kunden fahren, der das Angebot abgelehnt hat.

Einschränkungen ergeben sich - jedenfalls unter Zugrundelegung geringer Transportkosten - in Bezug auf den Heimatmarkt von Q . Der Sachverständige Prof. Dr. I3 hat anschaulich dargelegt, dass die Transparenz mit der Größe der Überlappungsgebiete zusammenhänge. Deren Größe hänge wiederum entscheidend von der Höhe der Transportkosten ab. Die von dem Privatgutachter von Q ermittelten Transportkosten bezeichnete er im Verhältnis zum Produktpreis als gering.

Dies zugrunde gelegt, ist von größeren Überlappungsgebieten und damit auch von mehr Standorten der zuckerverarbeitenden Industrie im Heimatmarktgebiet von Q auszugehen, die potentiell von allen drei kartellbeteiligten Herstellern hätten beliefert werden können. Zudem war Q bis zur Übernahme im Jahr 2006 Konkurrenz aus der Zuckerfabrik K und aufgrund der grenznahen Lage in Westdeutschland jedenfalls potentiellem Wettbewerb aus Frankreich und den Benelux-Ländern ausgesetzt. Dementsprechend geht die Kammer davon aus, dass die Transparenz in der Region des Heimatmarktes von Q nicht gleichermaßen ausgeprägt war, wie im Hinterland von O - und von T und in Überlappungsgebieten in denen sich nur zwei Hersteller potentiell begegneten. In der Kontrollentscheidung zur Fusion zwischen Q und der Zuckerfabrik K vom 03.08.2006 hat das Bundeskartellamt ausgeführt, dass der Zuckermarkt in der Region des Heimatmarktes von Q "weniger transparent ist, als man es bei einem regulierten Markt erwarten würde" (Rn. 121).

cc) Glaubhafter Sanktionsmechanismus

Damit eine Verhaltenskoordinierung stabil ist, muss ein Abweichen eines Oligopolmitglieds von dem koordinierten Verhalten nicht nur entdeckt, sondern zusätzlich auch sanktioniert werden können. Als Sanktionierung ist dabei bereits zu verstehen, dass sich die anderen Oligopolisten nicht mehr an die Koordinierung halten und (zumindest zeitweise) zu einem "normalen" Wettbewerbsverhalten zurückkehren. Je schneller und gezielter diese Reaktion möglich ist, umso geringer ist der Vorteil bzw. Gewinn, den das abweichende Unternehmen aus seinem Vorstoß erzielt. Wird dies von den Oligopolisten vorhergesehen, besteht kein Anreiz, einen solchen Vorstoß zu unternehmen. Um eine abschreckende Wirkung zu entfalten, muss die Sanktionierung glaubhaft sein und hinreichend zeitnah zum Abweichen von dem koordinierten Verhalten erfolgen können (Leitfaden, Rn. 106f).

Ob Sanktionsmöglichkeiten bestehen, hängt zunächst von der Homogenität der Produkte, der Stabilität der Marktbedingungen sowie der Symmetrie und der Verflechtungen der Unternehmen ab. Insoweit kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden. Daneben wird das mit Sanktionierungsmöglichkeiten verbundene Drohpotential insbesondere von der Häufigkeit, in der die beteiligten Unternehmen aufeinandertreffen, den zeitlichen Abständen, in denen dies geschieht, sowie von etwaigen "multimarket contacts" und der Kapazitätsauslastung der Oligopolmitglieder beeinflusst.

(1)

Das Bundeskartellamt ist in der O /B1 -Entscheidung zu dem Ergebnis gelangt, dass die Strukturmerkmale auf dem deutschen Zuckermarkt aufgrund der induzierten leichten Identifizierbarkeit wettbewerblicher Vorstöße und effektiver Sanktions- und Abschreckungsmechanismen einen starken Anreiz für die beteiligten Unternehmen begründeten, auf wettbewerbliche Vorstöße zu verzichten. Der EuGH (vgl. Urteil vom 16.12.1975, a.a.O, Rn. 614) und die Europäische Kommission (Fusionskotrollentscheidung T /T4 vom 20.12.2001, Rn. 67) sind ebenfalls zu der Einschätzung gelangt, dass auf dem Zuckermarkt aufgrund der Zuckermarktordnung die Möglichkeiten abweichendes Verhalten zu sanktionieren, stark ausgeprägt gewesen seien.

(2)

Diese Einschätzungen entsprechen weitestgehend dem Ergebnis der von der Kammer durchgeführten Beweisaufnahme. Der Sachverständige Prof. Dr. I3 hat bestätigt, dass "im Großen und Ganzen" Sanktionsmechanismen vorhanden waren, um ein Ausscheren aus dem Kartell bzw. aus kollusivem Verhalten zu sanktionieren. Wenn eigene Kunden aus einem Marktgebiet von anderen Herstellern abgeworben würden, liege eine mögliche Sanktion darin, dass man selbst in das Kerngebiet desjenigen eindringe und dort versuche, Kunden abzuwerben. Daneben seien grundsätzlich auch Sanktionen über die Rübenaustausch- und die Wartungsverträge möglich, dem sei jedoch keine übergroße Bedeutung beizumessen.

(3)

Den Umstand, dass die Zuckerlieferverträge auf dem Markt in der Regel jährlich nach Ende der Zuckerkampagne im Januar/Februar ausgehandelt werden, hat das Bundeskartellamt in der O /B1 -Entscheidung zur Untermauerung seiner Schlussfolgerung herangezogen, dass ein hohes Maß an Interaktion stattgefunden habe (Rn. 255). Der Sachverständige Prof. Dr. I3 ist demgegenüber davon ausgegangen, dass Sanktionsmöglichkeiten eher erschwert würden, wenn eine Sanktion erst im nächsten Jahr möglich gewesen wäre. Insoweit ist indes zu beachten, dass jedenfalls zu Beginn einer Zuckerkampagne bekannt gewordene Kundenverluste auch zeitlich unmittelbar sanktioniert werden konnten. In den betreffenden Bußgeldbescheiden ist ein entsprechendes "Hin und Her" zwischen O und Q beschrieben, das sich nicht über mehrere Jahre hingezogen hat (Rn. 11).

Auch im kontrafaktischen Szenario wären Sanktionen zudem nicht ausschließlich auf dem Markt für Verarbeitungszucker möglich gewesen. Alle drei Kartellteilnehmer begegneten sich daneben regelmäßig auf dem Markt für Haushaltszucker. Zudem trafen O - und T auf verschiedenen ausländischen Märkten aufeinander. Hierdurch war das Vergeltungspotential für ein etwaiges Ausscheren aus kollusivem Verhalten erhöht.

Auch für die Zeit nach der Reform der Zuckermarktordnung geht die Kammer von hinreichenden Sanktionsmöglichkeiten aus. Zwar haben sich durch die Reduzierung der Quoten die freien Kapazitäten reduziert, die zur Sanktionierung abweichenden Verhaltens hätten genutzt werden können. Insofern hat der Sachverständige Prof. Dr. I3 jedoch darauf verwiesen, dass in gleichem Ausmaß weniger Mengen für vorstoßenden Wettbewerb bestanden. Beides habe sich in gewisser Weise gegenseitig aufgehoben.

dd) Kein hinreichender Außenwettbewerb

Für die Stabilität einer impliziten Kollusion ist daneben von Bedeutung, ob Außenseiter dem Oligopol hinreichenden Wettbewerbsdruck entgegensetzen können. Insoweit sind insbesondere die Marktanteile der Nichtmitglieder des Oligopols und die Marktzutrittsschranken für potentielle Wettbewerber in den Blick zu nehmen (vgl. Rn. 113 ff. des Leitfadens).

Dies zugrunde gelegt, hätte (auch) im kontrafaktischen Szenario nur sehr geringer Außenwettbewerb geherrscht. Das gilt sowohl für die ausländischen als auch für die inländischen Konkurrenten der Kartellanten. Neben diesen verfügte nach der Übernahme von V durch O im Jahre 2002 lediglich die Zuckerfabrik B1 im äußersten Nordosten der Republik und - bis zu ihrer Übernahme durch Q im Jahre 2006 - die Zuckerfabrik K im Heimatgebiet von Q über eigene Zuckerwerke im Bundesgebiet. Die übrigen Wettbewerber verfügten als Händler über keine eigenen Produktionsstätten und über keine Zuckerquote. Damit waren sie nicht in der Lage, den Oligopolisten ein gleichwertiges Wettbewerbs- und Vergeltungspotential entgegenzusetzen (vgl. Rn. 316 der O /B1 -Entscheidung).

Auch ausländische Wettbewerber hätten keine Möglichkeit gehabt, implizit kollusives Verhalten wirksam zu verhindern. Dies zeigt sich schon daran, dass es der Konkurrenz aus dem europäischen Ausland nicht gelungen ist, während der Kartellphase bedeutenden Wettbewerbsdruck auszuüben, obwohl dies - wie bereits ausgeführt - gerade bei kartellbedingt überhöhten Preisen zu erwarten gewesen wäre. Das Bundeskartellamt geht - übereinstimmend mit den Erwägungen des EuGH und der Europäischen Kommission - davon aus, dass ausländische Wettbewerber damit hätten rechnen müssen, dass es dann auf ihren jeweiligen Heimatmärkten zu Sanktionsmaßnahmen der deutschen Hersteller gekommen wäre und deshalb auf vorstoßenden Wettbewerb verzichtet hätten (vgl. Rn. 320 der O /B1 -Entscheidung). Diese Möglichkeit hätte auch im kontrafaktischen Szenario bestanden.

Es kann daher nicht angenommen werden, dass (potentieller) Außenwettbewerb in der Lage gewesen wäre, Entstehung und Aufrechterhalten einer impliziten Kollusion hinreichend zu erschweren. Der Sachverständige Prof. Dr. I3 hat insoweit bestätigt, dass für die Frage, ob Importdruck Auswirkungen auf die Preise hat, kein Unterschied zwischen Kartell und implizit kollusivem Verhalten bestehe. Zudem werden weder in den Bußgeldbescheiden noch in den erwähnten Fusionskontrollentscheidungen konkrete Absprachen zu koordinierten Abwehrreaktionen der deutschen Zuckerhersteller auf Wettbewerbsvorstöße ausländischer Konkurrenten beschrieben. Zwar sind in den Bußgeldbescheiden Treffen zwischen den Vertriebsleitern von O und T beschrieben, die zum Ziel hatten, die Reaktion der beiden Unternehmen auf die wettbewerblichen Vorstöße des französischen Zuckerhersteller U sowie die Importmengen aus Polen zu koordinieren (Rn. 9 des T betreffenden Bescheids). Eine Einigung auf gezielte Abwehrmaßen - beispielsweise in Form von sanktionierenden Vorstößen auf den französischen Markt - wird jedoch nicht beschrieben. Es sei lediglich ein ausdrückliches Einverständnis hergestellt worden, die bisherige Respektierung der jeweiligen Kernabsatzgebiete fortzusetzen und Überschussmengen wenn möglich nicht im deutschen Markt unterzubringen (a.a.O.).

Daneben bestanden auch für potentielle Wettbewerber ganz erhebliche Marktzutrittsschranken. Zwar waren - worauf auch der Sachverständige Prof. Dr. I3 hingewiesen hat - die Marktzutrittsschranken nach der Reform der Zuckermarktordnung nicht mehr ganz so hoch wie zuvor, da die Überkapazitäten der einzelnen Hersteller reduziert worden waren. Dennoch war auch nach der Reform ein Marktzutritt als Zuckerproduzent - nur diese wären in der Lage gewesen, den Oligopolisten Wettbewerbs- und Vergeltungspotential entgegenzusetzen - mit sehr hohen Marktzutrittsschranken verbunden. Zunächst hätte der Zutritt den Aufbau einer Zuckerfabrik erfordert. Anschließend hätte diese Zuckerfabrik, sofern sie Zucker aus Zuckerrüben gewonnen hätte, Lieferrechte von umliegenden Zuckerrübenanbauern erwerben müssen. In größerem Umfang wäre dies jedoch nicht möglich gewesen, da die Rübenanbauer durch langfristige Lieferverträge an die bestehenden Zuckerfabriken gebunden waren. Rechtlich war eine Zulassung als Zuckerhersteller und die Erteilung einer Zuckerproduktionsquote durch das zuständige BMELV erforderlich. Die Quote war jedoch je Mitgliedsland der EU begrenzt und bereits vollständig verteilt. Letztlich wäre der Marktzutritt damit allenfalls durch die Übernahme eines bestehenden Produktionsstandortes in Deutschland möglich gewesen (vgl. Rn. 253 der O /B1 -Entscheidung). Vor diesem Hintergrund erscheint die in der Kontrollentscheidung zur Fusion zwischen Q und der Zuckerfabrik K geäußerte Einschätzung unzutreffend, wonach der Außenwettbewerb aus potenten Wettbewerbern bestanden habe und keine wesentlichen Marktzutrittsschranken vorhanden gewesen seien (Rn. 121, 72), wobei ohnehin zu berücksichtigen ist, dass sich diese Entscheidung nur zu den Verhältnissen in der Heimatregion von Q verhält und potentieller Wettbewerb durch O - und T in die Betrachtung mit einbezogen wurde. Unter der Annahme einer das gesamte Bundesgebiet betreffenden impliziten Kollusion von Q , T und O folgt die Kammer der von dem Bundeskartellamt in der O /B1 -Entscheidung geäußerten Einschätzung, wonach der deutsche Markt für Verarbeitungszucker faktische Marktzutrittsschranken aufgewiesen habe, die zu einer Abschottung des Marktes geführt haben (Rn. 251). Hierzu fügt sich, dass auch nach der vorzitierten Entscheidung des EuGH die Zuckermarktordnung darauf angelegt war, die "Abkapselung der nationalen Märkte" aufrechtzuerhalten (a.a.O., Rn. 613).

ee) Zusammenfassende Bewertung zu möglicher impliziter Kollusion

Aus der zusammenfassenden Würdigung der im Rahmen der Beweisaufnahme gefundenen Ergebnisse zieht die Kammer den Schluss, dass es im kontrafaktischen Szenario mit jedenfalls überwiegender Wahrscheinlichkeit zu einem implizit abgestimmtem Verhalten zwischen den drei an dem Kartell beteiligten Zuckerherstellern gekommen wäre.

T , O und Q haben schon im Zeitpunkt des Beginns der Zuwiderhandlungen gemeinsam über 80 % des deutschen Zuckermarktes abgedeckt. Wie ausgeführt, sind damit die Voraussetzungen des Vermutungstatbestandes § 18 Abs. 6 GWB deutlich übererfüllt. Zudem handelt es sich bei Zucker um ein vollständig homogenes Massenprodukt. Hinzu kommt, dass die Oligopolmitglieder eine hinreichende Symmetrie aufwiesen, dass der Zuckermarkt im betreffenden Zeitraum insbesondere vor, aber auch nach der Reform der Zuckermarktordnung durch ein hohes Maß an Stabilität, einschließlich einer stabilen Nachfrage geprägt war und dass die Nachfrager den Oligopolisten zu keinem Zeitpunkt bedeutende Nachfragemacht entgegenzusetzen hatten. Ferner bestanden eine jedenfalls ausreichende Markttransparenz und hinreichend effektive Sanktionsmöglichkeiten. Die im Rahmen der Prüfung einer zu erwartenden impliziten Kollusion zu berücksichtigenden Voraussetzungen sind daher fast sämtlich erfüllt. Lediglich kapitalseitige und personelle Verflechtungen bestanden nicht. Dies wird indes dadurch überkompensiert, dass die Begebenheiten auf dem deutschen Zuckermarkt hinsichtlich der Anzahl der Wettbewerber, der Homogenität der Produkte und dem fehlenden Außenwettbewerb deutlich über die insoweit zu verlangenden Anforderungen hinausgingen. Insgesamt ist demnach davon auszugehen, dass für die Wettbewerber erhebliche Anreize bestanden, auf vorstoßenden Wettbewerb zu verzichten, da ein Ausbrechen aus dem koordinierten Verhalten hätte leicht erkannt und effektiv sanktioniert werden können.

Dies gilt auch in Bezug auf Q . Trotz der sich aus den vorstehenden Ausführungen insoweit ergebenden Einschränkungen, geht die Kammer in Anbetracht der Vielzahl und des Gewichts der für eine implizite Kollusion sprechenden Faktoren davon aus, dass die erheblichen Gewinnaussichten mit jedenfalls überwiegender Wahrscheinlichkeit dazu geführt hätten, dass Q im kontrafaktischen Szenario ein Parallelverhalten mit O und T angestrebt hätte.

Dem steht letztlich nicht mit entscheidendem Gewicht entgegen, dass die Markttransparenz in den Überlappungsgebieten an den Grenzen der Heimatmarktregion von Q - insbesondere unter der Annahme geringer Transportkosten, s.o. - nicht gleichermaßen ausgeprägt war, wie im übrigen Bundesgebiet. Die Zahl der (potentiellen) Wettbewerber wäre auch unter Berücksichtigung der im Grenzgebiet tätigen ausländischen Hersteller - Cosun, CSM und U - weiterhin überschaubar gewesen. Selbst wenn sich der für Q relevante räumliche Markt - wie vom Bundeskartellamt in der Kontrollentscheidung zur Fusion zwischen Q und der Zuckerfabrik K angenommen - lediglich in einem Radius von 220 km um die Zuckerfabriken befunden und nicht - wie in der O /B1 -Entscheidung jedenfalls für T und O angenommen - auf das gesamte Bundesgebiet erstreckt haben sollte, spricht gegen die Annahme, dass durch die Anzahl der (potentiellen) Konkurrenten Parallelverhalten verhindert worden wäre, abermals die gesetzliche Vermutung aus § 18 Abs. 6 Nr. 2 GWB. Danach wird bereits dann vermutet, dass kein wesentlicher Wettbewerb zwischen fünf Unternehmen besteht, wenn diese nur zwei Drittel des Marktes abdecken. Hier hätten die in Rede stehenden sieben Konkurrenten jedoch den gesamten Markt abgedeckt.

f) Einschränkungen bzgl. der Beteiligung von Q werden durch Kartellabsprachen nicht überwunden

Es kommt überdies hinzu, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass durch die Kartellabsprachen diejenigen Einschränkungen überwunden worden wären, die nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme der Kammer jedenfalls im Ausgangspunkt geeignet sind, eine Beteiligung von Q an einer impliziten Kollusion in Frage zu stellen.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass ohne explizite Absprachen in Überlappungsgebieten für die Zuckerhersteller nicht ersichtlich gewesen wäre, welcher Kunde noch in seinen Heimatmarkt fällt, so dass eine implizite Zuteilung der Kunden in diesen Gebieten ausgeschlossen gewesen sei (S. 4 der von den Privatgutachtern der Klägerin verfassten Stellungnahme zur Beweisaufnahme vom 11.03.2020).

Griffen diese Bedenken durch, würden sie aber gleichermaßen einen Effekt der hier in Rede stehenden inkriminierten Kartellabsprachen infrage stellen. Es ist nicht erkennbar, inwieweit die festgestellten kartellrechtswidrigen Absprachen der Zuckerhersteller in der Lage gewesen sein sollen, die insoweit bestehenden Schwierigkeiten zu überwinden. Für explizite Absprachen, welcher Kunde in den Überlappungsgebieten von welchem Zuckerhersteller beliefert werden soll, bestehen keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte. Bei Auswertung der Bußgeldbescheide und der anderweitigen Quellen, die seitens der Parteien zum Gegenstand des Rechtsstreits gemacht wurden, erscheint vielmehr ausgeschlossen, dass in der Kartellphase komplexe oder regelmäßige Absprachen über Kunden- oder Gebietsaufteilungen in den an den Heimatmarkt von Q angrenzenden Überlappungsgebieten getroffen wurden.

Entsprechendes gilt für die Frage, ob sich Q in der Zeit nach der Reform der Zuckermarktordnung (weiterhin) an einer impliziten Kollusion beteiligt hätte. Fraglich könnte dies unter Berücksichtigung der im Vergleich zu T und O deutlich geringeren Größe von Q insbesondere vor dem Hintergrund erscheinen, dass die Reform der Zuckermarktordnung zum Ziel hatte, die Zuckerproduktion auf die effektivsten Erzeuger zu konzentrieren. Dieser Anreiz, aus kollusivem Verhalten auszubrechen, hätte für Q im Kartellszenario jedoch gleichermaßen bestanden. Auch insoweit kann nicht davon ausgegangen werden, dass zwischen den Kartellteilnehmern Absprachen getroffen wurden, die diesbezüglich eine stabilisierende Wirkung hatten.

Entsprechende Absprachen lassen sich weder den Bußgeldbescheiden (a.) noch den anderen von der Klägerin in Bezug genommenen Quellen (bb.) entnehmen.

aa) Inhalt der Bußgeldbescheide

Ausweislich des betreffenden Bußgeldbescheides waren Vertreter von Q im gesamten Kartellzeitraum nur an zwei Gesprächen beteiligt, die das sogenannte "Heimatmarktprinzip" zum Gegenstand hatten. Diese Gespräche haben zwischen dem damaligen Vorstandsvorsitzenden von O , F , und dem damaligen persönlich haftenden Gesellschafter von Q , Dr. H , am 01.03.1996 und am 04.04.1996 stattgefunden. Die Initiative zu diesen Gesprächen ging jeweils von Herrn F aus (Rn. 4 des Q betreffenden Bußgeldbescheids).

Dass in diesen Gesprächen eine klare Grenzziehung oder Aufteilung von Kunden erfolgte, kann nicht angenommen werden. Zwar ist der Wortlaut der Bescheide, soweit in diesen der Inhalt der Gespräche zitiert wird, indifferent. Zum einen wird ausgeführt, dass die Gespräche zum Gegenstand hatten, dass die jeweiligen Kernabsatzgebiete der Wettbewerber respektiert werden sollen (Rn. 1 und 4), was eher gegen Absprachen zu Überlappungsgebieten spricht. Andererseits wird in den Bescheiden auch von einer Gebiets- und Kundenabsprache gesprochen (Rn. 5), was für sich genommen die Interpretation zulässt, dass insoweit Absprachen über sämtliche Kunden und/oder Gebiete getroffen wurden. Gegen die Annahme, dass solche detaillierten Absprachen getroffen wurden, sprechen jedoch insbesondere die folgenden Umstände:

(1) Verhalten von Dr. H

In den Bußgeldbescheiden ist beschrieben, dass der Vertreter von Q , Dr. H , den Vorschlägen von Herrn F nicht ausdrücklich zugestimmt, sich aber in einer Weise verhalten habe, die von Herrn F als konkludente Zustimmung verstanden wurde und auch verstanden werden konnte.

Bereits dies zeigt, dass die Absprachen ausgesprochen rudimentärer Natur gewesen sein werden. Eine komplexe Aufteilung von Kunden oder Gebieten wird sich durch ein konkludentes Verhalten kaum je erreichen lassen.

(2) Erneuerung eines Gentlemen‘s Agreement

Laut den Bußgeldbescheiden ging es in den Gesprächen um die Erneuerung eines bereits zuvor bestehenden Gentleman´s Agreement zur Respektierung der Kernabsatzgebiete. Der Inhalt dieses Agreements wird nicht mitgeteilt. Es erscheint jedoch fernliegend, dass in einem Gentleman´s Agreement Überlappungsgebiete exakt aufgeteilt werden.

(3) Einstellung der Vertreter von Q zum Kartell

Daneben ist in den Bußgeldbescheiden ausgeführt, dass die persönlich haftenden Gesellschafter von Q dem Kartell eher distanziert gegenüberstanden und weit überwiegend nicht die Initiative für Kartellabsprachen ergriffen.

Auch dies spricht gegen die Annahme, dass in den vorgenannten- oder auch in weiteren, im Bescheid nicht erwähnten - Gesprächen detaillierte Kunden- oder Gebietsaufteilungen erfolgt sind.

(4) Keine Kontakte zu T

Zudem werden in den Bußgeldbescheiden keinerlei Verarbeitungszucker betreffende Absprachen zwischen T und Q festgestellt. Es ist auch nicht erkennbar, dass in den Kontakten zwischen Q und O Inhalte aus Absprachen von O mit T besprochen worden wären. Hiergegen spricht insbesondere, dass die Initiative zu den Gesprächen zwischen Q und O im Jahr 1996 von O ausging und die erste im Bußgeldbescheid dargestellte Absprache zum Heimatmarktprinzip zwischen O und T aus dem Jahr 2001 datiert. Zuvor habe auch insoweit nur ein Gentlemen´s Agreement bestanden.

Detaillierte Absprachen über die Verteilung von Kunden oder Gebieten in den T und Q betreffenden Überlappungsgebieten hätten jedoch eine Abstimmung zwischen diesen beiden Zuckerherstellern erfordert. Darüber hinaus wären in Gebieten, in denen potentielle Kunden aller drei Hersteller lagen, bilaterale Absprachen nicht ausreichend gewesen. Den Vertrieb von Verarbeitungszucker betreffende Absprachen zwischen allen drei Kartellteilnehmern werden in den Bescheiden jedoch erst recht nicht beschrieben.

(5) Keinerlei Absprachen über viele Jahre

Zwar ist in den Bußgeldbescheiden dargestellt, dass in Bezug auf einige wenige Kunden im Bereich Verarbeitungszucker in den Jahren 2000 bis 2006 zwischen Q und O Preise abgesprochen worden seien. Dass in diesen Gesprächen detaillierte Übereinkünfte zu Kunden in Überlappungsgebieten gefunden worden wären, lässt sich den Bescheiden jedoch nicht entnehmen. Der Sachverständige Prof. Dr. I3 hat zudem ausgeführt, dass die Absprache konkreter Preise für bestimmte Kunden kaum Rückschlüsse auf das sonstige Marktverhalten des betreffenden Wettbewerbers zuließe.

Der Beurteilung durch die Kammer ist daher die Annahme zugrunde zu legen, dass zwischen Q und O nur sehr wenige Gespräche stattgefunden haben, die das Heimatmarktprinzip im Bereich Verarbeitungszucker zum Gegenstand hatten. Die Bußgeldbescheide stellen insoweit fest, dass nach den Gesprächen im Jahre 1996 für mehrere Jahre "kein Anlass" zu weiteren Abstimmungen bestanden hätte (Rn. 5 des T betreffenden Bescheids). Wenn jedoch die nicht hinreichende Transparenz des Zuckermarktes im Gebiet von Q und/oder die sich verändernden Marktbedingungen - wie von der Klägerin insbesondere in Bezug auf die Nachfragemacht behauptet - regelmäßige Absprachen zum Erreichen und zur Aufrechterhaltung eines kollusiven Gleichgewichts erfordert hätten, ist nicht ersichtlich, inwieweit diese Stabilität durch die Kartellabsprachen hätte erreicht werden sollen.

(6) Keine Sanktionsmechanismen

Gegen die Annahme detaillierter Absprachen spricht zudem, dass in den Bußgeldbescheiden nicht beschrieben ist, dass die Zuckerhersteller sich über Sanktionsmechanismen für absprachewidriges Verhalten verständigt hätten, die über die Sanktionsmöglichkeiten hinausgehen, die der Markt ohnehin bot. Wenn komplexe Absprachen getroffen worden wären, deren Befolgung nicht über das allgemeine Marktgeschehen hätte beobachtet werden können, hätte sich jedoch aufgedrängt, zur Stabilisierung des Kartells zugleich ein Sanktionensystem zu vereinbaren. Dies ist jedoch offenbar nicht geschehen. Die Kartellteilnehmer sind daher wohl davon ausgegangen, abweichendes Verhalten - auch von Q - auch ohne ein solches System erkennen zu können.

(7) Bilaterale Absprachen in Konfliktfällen

In den Bußgeldbescheiden ist zudem ausgeführt, dass es in Konfliktfällen bei einer "Nichtbeachtung der Gebietsgrenzen" zu bilateralen Gesprächen gekommen sei, um diese Konflikte zu bewältigen. Auch hieraus lassen sich jedoch keine Rückschlüsse auf eine detaillierte Gebiets- oder Kundenaufteilung ziehen. Es ist bereits nicht näher dargelegt, wie solche Konflikte identifiziert werden konnten und welche konkreten Gespräche stattgefunden haben sollen. Der einzige insoweit beschriebene Fall bezieht sich auf den im Tatbestand beschriebenen Konflikt zwischen Q und O im Jahre 2006. Zu diesem Konflikt ist jedoch grade nicht festgestellt, dass er durch eine Absprache beigelegt wurde.

(8) Einzelabsprachen/Sonderereignisse

In den Bußgeldbescheiden sind neben den vorgenannten Absprachen weitere "Treffen zur Koordinierung wichtiger strategischer Einzelheiten" beschrieben. Diese belegen nach Auffassung des Bundeskartellamts "die Zielrichtung einer Absicherung des Heimatmarktprinzips auch bei exogenen Effekten, die in Richtung einer Destabilisierung der Grundabsprache wirkten" (Rn. 16).

Im Einzelnen werden Gespräche zu den Themengebieten

Raffination in Lage (Rn. 24 ff. d. Q betreffenden Bescheids, Rn. 29 ff. d. O -Bescheids; Rn. 26 ff d. T -Bescheids)

Strukturkonzept Mitteldeutschland (Rn. 29 ff. d. T -Bescheids)

Bieterwettstreit um die Zuckerfabrik K (Rn. 27 ff. Q -Bescheid; Rn. 32 ff. O -Bescheid)

Polen (Rn. 33 ff Q -Bescheid; Rn. 38 ff O -Bescheid) und

Quotenrückgabe nach ZMO-Reform (Rn. 36 ff Q -Bescheid; Rn. 41 ff O -Bescheid; Rn. 32 ff T -Bescheid)

beschrieben. Insoweit weisen die Beklagten zu Recht darauf hin, dass nach den Feststellungen in den Bußgeldbescheiden bei keinem dieser Gespräche eine Einigung zwischen den Zuckerherstellern erzielt wurde. Aus diesem Grund ist schon nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass diese Kontakte überhaupt Auswirkungen auf die Zuckerpreise hatten. Der Sachverständige Prof. Dr. I3 hat hierzu ausgeführt, dass die experimentelle wettbewerbsökonomische Literatur zwar zeige, dass sich auch Diskussionen kollusionsfördernd auswirken können, die zu keiner Einigung geführt haben. Dazu, ob dies auch bei den vorstehend zitierten Ereignissen der Fall gewesen sei, könne er jedoch keine Aussage treffen. Dies wäre "rein spekulativ". Es lasse sich auch nicht ausschließen, dass sich wiederholte Interaktion, die zu keinem Ergebnis führe, eher kollusionshemmend auswirke.

Erst recht kann nicht angenommen werden, dass diese Gespräche zu einem weitergehenden Verständnis zu der Verteilung des Absatzes in Überlappungsgebieten unter den Zuckerherstellern geführt hätten. Unter Berücksichtigung des Inhalts der Gespräche wäre dies ohnehin allenfalls in Bezug auf den Bieterwettstreit um die Zuckerfabrik K denkbar. Die Bußgeldbescheide treffen jedoch keine diesbezüglichen Feststellungen. Ebenso wenig lässt sich erkennen, inwieweit die vorstehenden Kontakte Q davon hätten abhalten sollen, aus Anlass der Reform der Zuckermarktordnung aus dem Kartell auszuscheren.

(9) Quotenausschöpfung durch Q

In den Bußgeldbescheiden wird zudem thematisiert, dass Q angegeben habe, dass ihnen stets gelungen sei, die ihnen zugeteilte Quote vollständig auf dem deutschen Markt zu platzieren und sich die überschießende Menge bei O besorgt zu haben (Rn. 5 des Q betreffenden Bescheids). In der O /B1 -Entscheidung wird als feststehende Tatsache beschrieben, dass Q im Inland mehr Zucker vertrieben habe, als es ihrer Quote entsprochen habe (Rn. 318). Ob diese - von der Klägerin bestrittenen - Umstände zutreffen, kann dahinstehen.

Ebenso kann offenbleiben, ob sich das Verständnis zwischen den Zuckerherstellern über die Vorgehensweise in Überlappungsgebieten durch eine auf die Ausschöpfung der Quote durch Q gerichtete kartellrechtswidrige Absprache erhöht hätte, da bereits nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass die - vermeintliche - Quotenausschöpfung Gegenstand einer Absprache war.

Zwar hat der Sachverständige Prof. Dr. I3 insoweit ausgeführt, dass sich eine etwaige Quotenausschöpfung, insbesondere in Verbindung mit den "Querlieferungen" von O , eher durch Kommunikation als durch implizite Kollusion eingestellt haben dürfte. Er könne jedoch nicht beantworten, ob vermutlich eine explizite Absprache anzunehmen sei. In diesem Zusammenhang hat der Sachverständige zudem betont, dass es auch in einem kontrafaktischen Szenario aus Sicht von O und T sinnvoll gewesen wäre, diesen Zustand zu erreichen. Allein die Beobachtung dieses Zustands lässt demnach keinen gesicherten Rückschluss auf eine zugrundeliegende kartellrechtswidrige Absprache zu.

Zudem sprechen die Ausführungen in den Bußgeldbescheiden gewichtig gegen das Bestehen einer solchen Absprache. Die Ausschöpfung der Quote durch Q wird dort kartellrechtlich nicht beanstandet, sondern vielmehr als mögliches Indiz gegen ein stabiles Kartell gewertet, wie sich daran zeigt, dass im unmittelbaren Anschluss an den vorstehenden Befund klargestellt wird, dass dennoch bei Q von hinreichender Kartelldisziplin auszugehen sei: "Diese (...) Mengenausweitungen waren aber nicht dergestalt, dass Q tatsächlich und systematisch aus der Kartelldisziplin ausgeschert wäre" (Rn. 5).

(10) Keine Absprachen unter Beteiligung von Q nach Reform der Zuckermarktordnung

Ebenso wenig kann davon ausgegangen werden, dass es zwischen den Kartellteilnehmern zu Absprachen gekommen ist, durch die die Reaktion von Q auf die EU-Osterweiterung und die Reform der Zuckermarktordnung koordiniert worden wäre. Entsprechendes findet sich in den Bußgeldbescheiden nicht, sie weisen vielmehr in die entgegengesetzte Richtung. In dem Q betreffenden Bescheid ist ausdrücklich festgehalten, dass es nach 2006 im Bereich Verarbeitungszucker zu keinen Gesprächen mit wettbewerbsrelevantem Inhalt unter Beteiligung des Unternehmens Q gekommen sei (Rn. 23).

Soweit anzunehmen wäre, dass Q im Rahmen einer impliziten Koordination in der Kartellphase II aus der Kollusion ausgebrochen wäre, ist daher nicht ersichtlich, aufgrund welcher Absprachen sie sich im Kartellszenario mit überwiegender Wahrscheinlichkeit hätten anders verhalten sollen.

bb) Anderweitige Quellen

Auch aus anderweitigen Quellen, die seitens der Parteien zum Gegenstand des Rechtsstreits gemacht wurden, ergeben sich keine Umstände, die hinreichend gesicherte Rückschlüsse auf Absprachen zuließen, die über das in den Bußgeldbescheiden Geschilderte hinausgehen.

(1) Pressemitteilung des Bundeskartellamtes

In der Pressemitteilung vom 18.02.2014 wird der Präsident des Bundeskartellamts mit den Worten zitiert, dass die Zuckerhersteller sich darüber abgesprochen hätten, sich "nicht in die Quere zu kommen". Diese Formulierung weicht von denjenigen in den Bußgeldbescheiden ab. Sie lässt jedoch keinen Rückschluss zu, dass sie auf weitergehenden Informationen fußt, als diejenigen, die den Bußgeldbescheiden zugrunde lagen. Dies erscheint zudem lebensfremd.

Soweit ausgeführt ist, dass die von den Zuckerherstellern abgesprochene Koordinierung nicht durch die Regulierung der europäischen Zuckermärkte vorgegeben gewesen sei und trotz des Quotenregimes sowie der Mindestpreisregelungen Wettbewerb um Absatzgebiete, Kunden und Kundenpreise im Zuckermarkt möglich und zum Schutz eines funktionsfähigen Restwettbewerbs auch erforderlich gewesen sei, um die Nachfrager vor einer noch stärkeren Verfälschung des Wettbewerbs zu schützen, lässt auch dies keinen Rückschluss auf durch das Kartell verursachte Schäden zu. Der Umstand, dass wettbewerbliches Verhalten möglich ist und - aus Abnehmersicht - erforderlich erscheint, besagt nicht, dass es zu erwarten ist.

(2) Aussagen Dr. M1 und Dr. L2

Das Bundeskartellamt hat in mehreren, inhaltlich gleich lautenden Akteneinsichtsbeschlüssen (vom 06.05.2015, vom 03.07.2015 und vom 20.04.2016) ausgeführt, dass die Protokolle der Anhörungen der Zeugen Dr. M1 und Dr. L2 Informationen über die Höhe des durch das Kartell verursachten Schadens enthielten. Sie enthielten einerseits Informationen zur Bedeutung der Mengensteuerung im Zusammenhang mit der Entwicklung der Wettbewerbssituation in den Jahren nach 2004 und andererseits eine Beschreibung der aus dem Überangebot an Zucker resultierenden Preisentwicklung.

Diese Einschätzung erschließt sich der Kammer aus den von dem Bundeskartellamt in Bezug genommenen Passagen jedoch nicht. Es erscheint evident, dass Dr. M1 , der in dem Kartellzeitraum als Prokurist für den Absatz von Verarbeitungszucker bei T zuständig war, in dem Teil dieser Anhörung, bezüglich dessen das Bundeskartellamt Einsicht in das Protokoll gewährt hat, eine Mengensteuerung beschrieben hat, die er - auch und gerade in einem wettbewerblichen Szenario - für wirtschaftlich vernünftig hielt. Auf die Frage, warum T Zucker eher nach Italien exportiert hat, anstatt diesen "irgendwo nach Norddeutschland oder ins Rheinland zu fahren" hat Dr. M1 mit der Gegenfrage geantwortet, was dann mit dem Zucker geschehe, der dort ersetzt werde. Der Wettbewerber "schmeißt Ihnen den Zucker zum kleinen Preis wieder in ihr eigenes Gebiet (...). Im gesättigten Markt können Sie doch nicht sagen, jetzt muss ich da noch mehr Zucker rein schmeißen. Das wäre nicht nur beim Zuckermarkt, das wäre in keinem Markt sinnvoll (...). In einem Markt, der gesättigt ist, können Sie nicht mehr Zucker verkaufen, ohne, wie nennt man es immer so schön, Retaliationen von den Anderen zu provozieren" (S. 49 des Vernehmungsprotokolls). Dr. M1 beschreibt demnach lediglich den - allgemein anerkannten und vorstehend ausführlich diskutierten - Umstand, dass eine auf Vergrößerung des Marktanteils gerichtete, wettbewerbsorientierte Maßnahme einem Unternehmen keinerlei Vorteil bringt, wenn sie die gleiche Maßnahme seitens der anderen Unternehmen auslösen würde. Hierzu fügt sich, dass der Gesprächspartner von Dr. M1 , Herr C1, dessen vorzitierte Gegenfrage mit den Worten "die Preise gehen dann natürlich in den Keller" beantwortet hat.

Soweit Dr. M1 sich in der Anhörung zu Preisentwicklungen geäußert hat, betraf dies ersichtlich das Marktgeschehen nach Ende des Zuckerkartells. Die Anhörung wurde am 02.07.2013 durchgeführt. Die zitierte Aussage lautet wie folgt: "Wir haben vor der jetzt gewaltigen Preiserhöhung - vor zwei Jahren ist das ja gewesen - hatten wir Preise, die bei 500 plus Fracht irgendwo lagen, teilweise auch darunter bei ganz großen Kunden" (S. 46 des Prot.). Dies entspricht in etwa dem durchschnittlichen Preisniveau in Deutschland in den Zuckerwirtschaftsjahren 2009/2010 und 2010/2011.

Der Zeuge Dr. L2 , der Mitglied im Vorstand von T war, schildert in seiner Anhörung vom 09.09.2013, wie sich Weltmarktereignisse ("Weltmarktpreise fast verdreifacht") im Zusammenhang mit Mengen- und Preissteuerung durch die Europäische Union ("Preissteuerung erfolgt ausschließlich über die EU-Kommission") auf die Zuckermarktpreise ausgewirkt haben. Auch diese Ausführungen beziehen sich indessen auf die Zeit nach Ende des Kartells, da der Zeuge L2 davon spricht, dass die Preise "um 250 € die Tonne abgesoffen" seien. Dies ist innerhalb der Kartellperiode nicht geschehen. Überdies lassen auch diese Ausführungen keine Rückschlüsse auf durch das Kartell im Kartellzeitraum verursachte Schäden zu. Soweit der Zeuge den Zuckermarkt als "Commodity-", also Rohstoffmarkt bezeichnet und insoweit von "härtestem Wettbewerb" spricht, ergibt sich aus dem Zusammenhang der Äußerungen, dass der Zeuge hiermit ausschließlich das Geschehen auf dem Weltmarkt, sowie dasjenige beschreibt, das auf dem europäischen und deutschen Zuckermarkt in Abwesenheit der Zuckermarktordnung und der hiermit einhergehenden Preissteuerung durch die Europäische Union zu erwarten gewesen wäre.

(3) Hohe Wechselquoten in Überlappungsgebieten von Q

Gegen die Annahme, dass zwischen den Zuckerherstellern eine Verständigung über die Aufteilung von Kunden in Überlappungsgebieten erzielt wurde, spricht zudem, dass es in diesen Gebieten zwischen O und Q nach den Ausführungen des Bundeskartellamts in der O /B1 -Entscheidung während der Kartellphase zu einer Kundenwechselquote in Höhe von 5 % bis 15%, in der Spitze sogar deutlich über 15 % gekommen ist (Rn. 306 der Entscheidung). Diese Werte hat der Sachverständige Prof. Dr. I3 als hoch bezeichnet. Bei einer klaren Kunden- und/oder Gebietszuteilung wären demgegenüber keine oder nur wenige Wechsel zu erwarten gewesen.

g) Zwischenergebnis

Wie dargelegt, wäre es mit jedenfalls überwiegender Wahrscheinlichkeit auch ohne Kartellabsprachen zu einem implizit abgestimmten Verhalten zwischen T , O und Q gekommen. Dass die in Bezug auf das Erreichen und Aufrechterhalten einer impliziten Kollusion im Heimatmarktgebiet von Q bestehenden Probleme durch die Kartellabsprachen überwunden worden wären, kann zudem nicht angenommen werden.

5. Keine Anhaltspunkte für kontrafaktischen Preis unterhalb des Kartellniveaus

Dass die Marktpreise sich auf Höhe der Grenzkosten bewegt hätten, kann bereits für das hypothetische wettbewerbliche Szenario nicht angenommen werden (s. II..4.a.). Erst recht hätten die Preise bei impliziter Kollusion deutlich oberhalb der von den Klägerinnen angenommenen Grenzkosten gelegen. Da zudem bei Würdigung aller Umstände nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass die Kartellpreise jedenfalls höher waren, als die Preise, die im Rahmen einer impliziten Kollusion zu erwarten gewesen wären, ist die Klage vollumfänglich abzuweisen.

a)

Der Sachverständige Prof. Dr. I3 hat im Rahmen der Anhörung vom 07.02.2020 dargelegt, dass sich nicht sagen lasse, welcher Preis höher war bzw. höher gewesen wäre. Man könne nach den Marktergebnissen nicht differenzieren, ob diesen eine explizite oder implizite Kollusion zugrunde liege.

Im Termin vom 11.03.2020 hat der Sachverständige Prof. Dr. I3 seine Angaben dahingehend präzisiert, dass unter Berücksichtigung der experimentellen Literatur davon auszugehen sein dürfte, dass sich eine Kooperation in dem Sinne, was das Beste für alle Beteiligten gemeinsam ist, bei Kommunikation eher einstelle, als ohne. Auch wenn sich dies aus den bisher vorliegenden Experimenten, die jeweils eher einfach strukturiert gewesen seien, nicht schließen ließe, würde er vermuten, dass der perfekte Monopolpreis umso eher zu erreichen sei, je häufiger zwischen den Beteiligten kommuniziert werde und je komplexer die getroffenen Absprachen seien.

Wie gezeigt, muss jedoch davon ausgegangen werden, dass es in der Kartellphase im Bereich Verarbeitungszucker nur zu wenigen Kontakten und insbesondere zu keinen komplexen Absprachen zwischen den Kartellteilnehmern gekommen ist. Auch der Sachverständige Prof. Dr. I3 hat die im Bußgeldbescheid dargelegten Absprachen der Zuckerhersteller als nicht komplex bezeichnet. Dass sich aufgrund dieser Absprachen der Marktpreis in der Kartellphase dem perfekten Monopolpreis angenähert hat oder über denjenigen Preisen lag, die im Falle einer impliziten Kollusion zu erwarten gewesen wären, kann daher nicht mit deutlich überwiegender Wahrscheinlichkeit angenommen werden.

Der Sachverständige Prof. Dr. I3 hat hierzu ausgeführt, dass er unter der Annahme, dass es einerseits ohne Kartell zu einer impliziten Kollusion gekommen wäre und andererseits das Kartell keine genaue Aufteilung der Kunden in den Überlappungsgebieten festgelegt hat, nicht sagen könne, ob die Preise im Kartellszenario wahrscheinlich höher gewesen wären. Bei beiden Szenarien sei unsicher, welcher Kunde wirklich zu welchem Anbieter gehöre und welcher nicht. Er könne daher nicht prognostizieren, wie sich die Preise entwickelt hätten.

b)

Auch anderweitige Umstände, die mit deutlich überwiegender Wahrscheinlichkeit annehmen lassen, dass das Kartell in irgendeiner Höhe einen Schaden verursacht hat, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

aa)

Soweit nach den Bußgeldleitlinien des Bundeskartellamtes eine Kartellrendite von zumindest 10% zu vermuten ist und sich aus verschiedenen Studien eine durchschnittliche Kartellrendite in Höhe von etwa 20% errechnet, ist anerkannt, dass derartige pauschalierende Betrachtungsweisen, die erforderliche Gesamtbetrachtung der konkreten Umstände im Einzelfall nicht ersetzen können und kein Ersatz für die Ermittlung des spezifischen Schadens sind, den ein Kläger in einem bestimmten Fall erlitten hat (vgl. Rn. 145 des EU-Leitfadens).

bb)

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem mit der 9. GWB-Novelle in das Gesetz aufgenommenen § 33a Abs. 2 GWB. Hiernach besteht eine Vermutung, dass ein Kartell einen Schaden verursacht. Diese Vermutung kann nur dadurch widerlegt werden, dass der Kartellant den Vollbeweis erbringt, dass das Kartell nicht zu überhöhten Preisen geführt hat (vgl. Immenga/Mestmäcker/Franck, GWB, 6. Aufl. 2020, § 33a Rn. 92). Diese zum 09.06.2017 in Kraft getretene Norm ist jedoch auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar und ihre inhaltliche Ausgestaltung entspricht nicht der von der Kammer zugrunde gelegten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur früheren Rechtslage.

cc)

Die von der Klägerin wiederholt aufgeworfene Frage, warum es denn eines Kartells bedurfte, wenn auch ohne Kartell die gleichen Marktergebnisse erzielt worden wären, erschöpft sich in rechtlicher Hinsicht in der Feststellung, dass Kartelle in der Regel einen Schaden begründen. Dieser Erfahrungssatz begründet nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zwar eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen eines kartellbedingten Schadens, der vorliegend zudem dadurch Gewicht gewinnt, dass das Kartell nach den Feststellungen des Bundeskartellamtes lange praktiziert wurde. Ihm kommt jedoch kein abstrakt quantifizierbarer Einfluss auf das Ergebnis der Würdigung aller Umstände des Einzelfalles zu. Dieses Ergebnis hängt vielmehr entscheidend von der konkreten Gestaltung des Kartells und seiner Praxis sowie davon ab, welche weiteren Umstände feststellbar sind, die für oder gegen einen Preiseffekt der Kartellabsprache sprechen (vgl. BGH, Urteil vom 28. Januar 2020 - KZR 24/17, BGHZ 224, 281, Rn. 41, Schienenkartell II). Aufgrund der zu berücksichtigenden gewichtigen gegenläufigen Aspekte konnte die Kammer allein auf diesen Erfahrungssatz die Annahme nicht zu stützen, dass das Kartell mit deutlich überwiegender Wahrscheinlichkeit einen Schaden verursacht hat.

dd)

Die Kammer folgt auch nicht der Auffassung der Klägerin, dass der sich aus dem Vortrag von T ergebende Anstieg der durchschnittlichen Transportdistanzen ihrer Lieferungen nach Kartellende zeige, dass es zu kartellbedingten Preiserhöhungen gekommen sein müsse. Diese Umstände lassen sich bereits damit erklären, dass mit dem Ende der Nutzung der T -Werke in S1 und in H2 im September 2010 bzw. August 2019 vormals von diesen Werken belieferte Kunden nunmehr von weiter entfernt liegenden Werken beliefert werden mussten. Diesen Vortrag von T hat die Klägerin nicht in einer den Anforderungen des § 138 Abs. 3 ZPO genügenden Weise bestritten. Der Vortrag, dass mit Nichtwissen bestritten werde, dass der Anstieg des Lieferradius von T "auf kartellunabhängige Faktoren zurückzuführen" sei, reicht insoweit nicht aus.

ee)

Es kommt hinzu, dass die auch insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Klägerin keinen Weg aufgezeigt hat, wie eine etwaige Preisdifferenz zwischen impliziter Kollusion und Kartell ermittelt werden kann. Den Ausgangspunkt der Schadensberechnung durch die Klägerin bildet stets die Annahme, dass die Preise ohne Kartell auf Grenzkostenniveau gelegen hätten. Dies lässt sich jedoch bereits für das hypothetische wettbewerbliche Szenario ausschließen (s. II.4.a.) Erst recht scheidet dies für eine implizite Kollusion aus. Auch aus diesem Grunde ist der Kammer die Schätzung eines durch das Kartell verursachten Mindestschadens nicht möglich, da diese mangels jeglicher konkreten Anhaltspunkte völlig in der Luft hinge und daher willkürlich wäre.

6. Weitere geltend gemachte Ansprüche

Der von der Klägerin verfolgte Schadensersatzanspruch in Bezug auf andere süßende Stoffe scheitert an der fehlenden Feststellbarkeit eines durch das Kartell bedingten Preisaufschlags für Verarbeitungszucker. Auch die Feststellung eines über den bezifferten Schadensersatzanspruch hinausgehenden Schadens scheidet aus diesem Grunde aus.

III.

Die Zins- und Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.

Der Streitwert wird auf 17.434.066,90 EUR festgesetzt. Die Streitwertfestsetzung im Hinblick auf die Feststellungsanträge beruht auf § 3 ZPO und wird mit 20 % der bezifferten Schadensersatzanträge angenommen.

Am 20.12.2020 ist folgender Berichtigungsbeschluss ergangen:

1.

Gem. § 319 ZPO wird der Tatbestand des Urteils vom 09.10.2020 auf S. 12 6. Spiegelstrich dahingehend berichtigt, dass es statt

"11.12.2015" heißt

."11.02.2015" sowie,

dass es auf S. 13 4. Spiegelstrich statt

"09.03.2016" heißt

"09.05.2016".

2.

Gem. § 319 ZPO wird der Tatbestand des Urteils vom 09.10.2020 auf S. 4 2. Absatz 5. Zeile dahingehend berichtigt, dass es statt

"Werkzucker" heißt "Weißzucker".

3.

Gemäß § 319 ZPO wird das Rubrum des Urteils vom 09.10.2020 dahingehend berichtigt, dass statt der ehemaligen Vorstände der Beklagten zu 2. Dr. H3 und Dr. I3 der aktuelle Vorstand Dr. Q3 genannt wird.

II.

Im Übrigen wird der Antrag der Klägerin vom 27.10.2020 auf Berichtigung des

Tatbestandes zurückgewiesen.

III.

Im Übrigen wird der Antrag der Beklagten zu 2. .vom 30.10.2020 auf Berichtigung

des Tatbestandes zurückgewiesen.

IV.

Der Antrag der Beklagten zu 1. vom 02.11.2020 auf Berichtigung des Tatbestandes

wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

1. und 2.

Es handelt sich um drei offensichtliche Schreibfehler i.S.v. § 319 Abs. 1 ZPO. Die Daten des Zinsbeginns waren entsprechend zu berichtigen. Das Wort Werkzucker war in Weißzucker zu korrigieren.

3.

Die Änderungen im Vorstand der Beklagten zu 2. waren entsprechend zu berücksichtigen.

II.

Im Übrigen wird der Antrag der Klägerin vom 27.10.2020 auf Berichtigung des Tatbestandes zurückgewiesen, da eine Unrichtigkeit oder Ergänzungsbedürftigkeit des Tatbestandes nicht vorliegt.

Nach § 320 Abs. 1 ZPO kann eine Berichtigung des Tatbestandes beantragt werden, wenn der Tatbestand des Urteils Unrichtigkeiten, Auslassungen, Dunkelheiten oder Widersprüche enthält. Derartige Gründe liegen nach der Rechtsprechung nicht vor, wenn das Parteivorbringen sinngemäß zutreffend, wenn auch nicht wörtlich., wiedergegeben ist (Zöller, ZPO, 32. Aufl., § 320 Rn. 7). An einer Unvollständigkeit fehlt es, wenn das Vorbringen nicht in den ohnehin nur knappen Tatbestand (§ 313 Abs. 2 ZPO) aufzunehmen war und soweit sich der Tatbestand aus der Inbezugnahme auf vorbereitende Schriftsätze ergibt (Zöller, aa0).

Nach diesen Grundsätzen liegt vorliegend eine Unrichtigkeit oder Ergänzungsbedürftigkeit des Tatbestandes nicht vor.

1.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Ergänzung des Tatbestandes. Die Nichtaufnahme der von der Klägerin begehrten Darstellung ist durch die gemäß § 313 Abs. 2 S. 1 ZPO gebotene Kürze des Tatbestandes bedingt. Das nicht ausdrücklich wiedergegebene Vorbringen ist aber durch Verweisung auf die Schriftsätze der Parteien in den Tatbestand miteinbezogen worden (§ 313 Abs. 2 S. 2 ZPO).

2.

Eine Unrichtigkeit ist nicht darin zu erkennen, dass nicht unstreitig ist, dass die EU den jeweiligen Zuckerherstellern die Differenz zwischen Weltmarkt- und Interventionspreis erstattetet habe. Das Urteil bezieht sich ersichtlich auf die Regelungen der Zuckermarktordnung und nicht auf die tatsächlich erzielten Erlöse.

3.

Auf die Verwendung einer bestimmten Formulierung besteht kein Anspruch. Die wörtliche Wiedergabe des Inhalts von Rn. 3 der Bußgeldbescheide des Bundeskartellamts gegen die Beklagten einschließlich des von der Klägerin vermissten Absatzes des Bußgeldbescheides im Urteil ist nicht veranlasst. Die Nichtaufnahme der von der Klägerin begehrten Darstellung ist durch die gemäß § 313 Abs. 2 S. 1 ZPO gebotenen Kürze des Tatbestandes bedingt. Die Wiedergabe der von der Kammer für maßgeblich gehaltenen Passage wird durch die Verwendung der indirekten Rede kenntlich, gemacht und erhebt auch im Zusammenhang zu den übrigen Passagen nicht den Anspruch auf Vollständigkeit.

4.

Eine Unrichtigkeit ist nicht darin zu erkennen, dass die Formulierung "Interventionspreis in Höhe von 631,90 €/t zuzüglich etwaiger Transportkostenvorteile ..." verwendet wurde. Die in § 313 Abs. 2 ZPO geforderte Kürze des Tatbestandes gebietet es, den in den Schriftsätzen der Parteien dargestellten Sachverhalt zu verkürzen. Unter die von der Kammer gewählte Formulierung der "etwaiger Transportkostenvorteile" fallen alle Vorteile aus den Transportkosten, auch die von der Klägerin erwähnten Transportkosten des nächsten Lieferanten selbst.

5.

Eine Unrichtigkeit ist ebenfalls nicht darin zu erblicken, dass der streitige Vortrag der Klägerin mit der Formulierung "... zuzüglich transportbedingterPreissetzungsspielräume" 'zusammengefasst worden ist. Auch ist erkennbar, dass. sich die gewählte Wendung, auf alle Transportkostenvorteile bezieht. Insoweit wird auf 11.4. 'Bezug genommen.

6.

Insoweit berichtigt. Das Gericht geht davon aus, dass die Parteien zu den Schreibfehlern angehört worden sind. Die Beklagte zu 2. hat nicht ausdrücklich ein bestimmtes Datum gerügt. Das Datum in dem 9. Spiegelstrich dürfte allerdings korrekt wiedergegeben sein.

7.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Ergänzungen des Tatbestandes; insbesondere nicht um den Namen der Parteigutachter. Die Nichtaufnahme der von der Klägerin begehrten Darstellung ist durch die gemäß § 313 Abs. 2 S. 1 ZPO gebotenen Kürze des Tatbestandes bedingt. Das nicht ausdrücklich wiedergegebene Vorbringen ist aber durch Verweisung auf die Schriftsätze der Parteien in den Tatbestand miteinbezogen worden (§ 313 Abs. 2 S. 2 ZPO).

8.

Auf die Verwendung einer bestimmten Formulierung im Hinblick auf die Beweisaufnahme besteht kein Anspruch. Die gewählte Formulierung entspricht den Vorgaben des §§ 402, 395 ff., 313 ZPO (vgl. Seiler in Thomas/Putzo, ZPO, 41. Aufl. 2020, § 313 Rdn. 22).

III.

Jenseits der Rubrumsberichtigung und der Berichtigung unter 1. 2. *war der Antrag der Beklagten zu 2. vom 30.10.2020 auf Berichtigung des Tatbestandes zurückzuweisen.

1.

Die Angabe, dass Zucker u.a. aus Stärke hergestellt wird, ist nicht unrichtig. Die Beklagte zu 2. zeigt dies in ihrer Beschwerdebegründung auch nicht auf. Selbst nach den Begrifflichkeiten in den Bußgeldbescheiden besteht Stärke aus Glucose, das ein Zuckerderivat ist. Über die Zuordnung des Zuckers zu einem bestimmten Markt ist in dieser Hinsicht keine Aussage getroffen.

2.

Insoweit berichtigt.

3.

Die von der Beklagten begehrte Ergänzung auf S. 5 Abs. 4 S. 5 des Urteils "zuzüglich einer Handelsmarge" ist nicht veranlasst. Auf eine bestimmte Formulierung haben die Parteien keinen Anspruch. Eine Handelsmarge ist zudem in dem Begriff der Kosten enthalten.

4.

Eine Berichtigung des Tatbestandes um die von der Beklagten zu 2. begehrte Formulierung, dass der Zuckerpreis in der EU regelmäßig mindestens doppelt so hoch wie der Welthandelspreis sei, ist nicht. veranlasst. Durch die Wendung "regelmäßig" wird deutlich, dass die Kammer auch die Übersteigung des Weltmarktpreises mindestens um das Doppelte einschloss. Dass diese Formulierung darüber hinaus unrichtig sei, hat die Beklagte zu 2. nicht dargelegt.

5.

Die Formulierung in dem Urteil, dass die Zuckermarktordnung mit Ablauf des Zuckerwirtschaftsjahres 2017/2018 ausläuft, ist nicht unrichtig Die Zuckermarktordnung in der bis dahin gültigen Fassung lief zum 01.10.2017 aus.

6.

Die Aufnahme der Formulierung "oder Preisschirrneffekte für, behauptete Bezüge sonstiger süßender Stoffe für Dritte" ist nicht veranlasst, weil die vollständige Erfassung des Sachverhaltes nicht in der Intention des § 313,Abs. 2 S. 1 ZPO liegt.

IV. Der Antrag der Beklagten zu 1. vom 02.11.2020 auf Berichtigung des Tatbestandes war zurückzuweisen.

1.

Auf die Streidhung der Wendung: "aus Stärke" besteht kein Anspruch, da der Tatbestand insofern nicht unrichtig ist. Es wird insoweit auf III. 1. verwiesen.

Aus dem gleichen Grund besteht keine Veranlassung für die von der Beklagten zu 1 vorgeschlagene Ergänzung.

2.

Der Tatbestand ist nicht um die Formulierung: "... um Überschüsse im eigenen

Absatzgebiet abzubauen." zu kürzen.

Einerseits handelt es sich um eine sinngemäße Zusammenfassung der Bußgeldbescheide. Andererseits ist diese Wendung in dem Bußgeldbescheid gegen die Beklagte zu 3. enthalten (Bußgeldbescheid gegen die Beklagte zu 3., S. 7 Abs. 3).