LG Saarbrücken, Urteil vom 26.11.2020 - 10 S 39/20
Fundstelle
openJur 2021, 12661
  • Rkr:

Anwendung landesrechtlicher Schlichtungsvorschriften; Entbehrlichkeit eines Schlichtungsversuchs nach Klageerweiterung und vorangegangenem gerichtlichen Teilvergleich.

Tenor

1. Das Urteil des Amtsgerichts Sankt Wendel vom 06.03.2020, Az.: 2 C 88/16 (68), wird aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Sankt Wendel zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die Kosten der Berufung vorbehalten bleibt.

2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien sind Grundstücksnachbarn. Mit ihrer Klage begehrten die Kläger zunächst von der Beklagtenseite die Entfernung von vier an der Grundstücksgrenze aufgestellten Regentonnen und die Unterlassung, diese künftig dort wieder aufzustellen, sowie die Entfernung eines Wellblechs.

Mit Schriftsatz vom 30.5.2018 haben die Kläger die Klage um einen weiteren Antrag erweitert.

In der mündlichen Verhandlung vom 14.2.2020 haben sich die Parteien hinsichtlich der ursprünglichen Klageanträge - nicht jedoch über die Anträge aus der Klageerweiterung - vergleichsweise geeinigt.

Die Kläger haben die Auffassung vertreten, ihnen stehe ein Anspruch dahingehend zu, dass die Beklagte es gewährleistet, dass von ihrem Grundstück kein Oberflächenwasser auf das Grundstück der Kläger läuft, da die gepflasterte Gehwegfläche auf dem Grundstück der Beklagten nicht mit der erforderlichen abflusswirksamen Neigung hergestellt worden sei, sodass es im Ergebnis zu Feuchtigkeitsschäden in der angrenzenden Garage der Kläger komme.

Die Kläger haben zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, geeignete Maßnahmen vorzunehmen, die gewährleisten, dass von dem Grundstück der Beklagten in der ... in ..., Flur ..., Flurstück ..., kein Oberflächenwasser auf das Grundstück der Kläger im ... in ..., Flur ..., Flurstück ..., läuft.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, die Klageerweiterung sei, wie im Übrigen auch die ursprüngliche Klage, unzulässig, da das zwingend erforderliche Schlichtungsverfahren nicht durchgeführt worden sei. Im Übrigen hat die Beklagte Ansprüche der Kläger bestritten.

Das Amtsgericht hat die verbliebene Klage in Form der Klageerweiterung als unzulässig abgewiesen, da das gemäß § 15 a Abs. 1 Nr. 2 EGZPO in Verbindung mit dem saarländischen Landesrecht obligatorische Schlichtungsverfahren, welches auch für Ansprüche nach § 1004 Abs. 1 BGB gelte, nicht durchgeführt worden sei.

Hiergegen richten sich die Kläger mit ihrer Berufung, mit der sie ihre Ansprüche in Form der Klageerweiterung weiterverfolgen. Sie sind der Auffassung, vorliegend sei das saarländische Schlichtungsgesetz bereits nicht anwendbar, da nicht alle Parteien im Saarland wohnten. So lebe zumindest der Kläger zu 3) in ..., sodass ein Schlichtungsverfahren nicht erforderlich sei. Darüber hinaus vertreten sie die Auffassung, dass aufgrund des vom Amtsgericht eingeholten Gutachtens des Sachverständigen ... vom 30.5.2017 feststehe, dass der von den Beklagten angelegte Weg mit einem Gefälle von 1,7 - 4,0 % in Richtung der Garage der Kläger verlaufe, sodass feststehe, dass seitens der Beklagten Niederschlagswasser nicht sachgerecht entwässert werde. Vielmehr werde zum Grundstück der Kläger hin entwässert, wodurch es zu Beeinträchtigungen der angrenzenden Hochbauten komme.

Die Kläger beantragen,

unter Abänderung des am 6.3.2020 verkündeten Urteils des Amtsgerichts Sankt Wendel, Aktenzeichen 2 C 88/16 (68), die Beklagte zu verurteilen, geeignete Maßnahmen vorzunehmen, die gewährleisten, dass vom Grundstück der Beklagten in der ... in ..., Flur ..., Flurstück ..., kein Oberflächenwasser auf das Grundstück der Kläger im ... in ..., Flur ..., Flurstück ..., läuft und auf dieses Grundstück abgeleitet wird.

Hilfsweise beantragen sie die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen die erstinstanzliche Entscheidung. Da unstreitig die Kläger zu 1) und 2) im Saarland ansässig seien und es im Rahmen der hier vorliegenden gesamthänderischen Haftung nur darauf ankomme, dass vor Anrufung der staatlichen Gerichte vor Ort zwischen den ortsansässigen Parteien Rechtsfrieden hergestellt werde, komme es auf die streitige Frage, ob der Kläger zu 3) tatsächlich in ... wohne, nicht an.

Bezüglich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird verwiesen auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift vom 05.11.2020.

II.

A.

Die statthaft, form- und fristgerecht gemäß §§ 511, 513, 514 Abs. 2, 517 ff. ZPO eingelegte, zulässige Berufung der Kläger führt gemäß dem hilfsweise gestellten Antrag der Berufungskläger gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 3 ZPO zur Aufhebung und Zurückverweisung an das erstinstanzliche Gericht. Denn das Amtsgericht hat vorliegend fehlerhaft nur über die Zulässigkeit der Klage entschieden.

1. So durfte die Klage vom Amtsgericht nicht als unzulässig abgewiesen werden, denn die Klageerweiterung während des erstinstanzlichen Verfahrens macht keinen Schlichtungsversuch erforderlich.

Zwar hätte vorliegend gemäß § 15 a Abs. 1 EGZPO auch hinsichtlich der auf § 1004 Abs. 1 BGB gestützten Beseitigungsansprüche grundsätzlich ein obligatorisches Schlichtungsverfahren durchgeführt werden müssen (Zöller/Heßler, ZPO, 32. Auflage, § 15 a EGZPO, Rn. 5 mwN.). Vorliegend hat das Amtsgericht jedoch bezüglich dieser mit Klage vom 7.3.2016 verfolgten Ansprüche mündlich verhandelt, eine Beweisaufnahme durchgeführt und sogar einen Vergleich geschlossen. Die Parteien sodann hinsichtlich der im Mai 2018 erfolgten Klageerweiterung auf das Schlichtungsverfahren zu verweisen, verfehlt den Zweck der §§ 15 a EGZPO, § 37 a AGJusG.

Ziel des dem Landesschlichtungsgesetz zugrundeliegenden Gesetzes zur Förderung der außergerichtlichen Streitschlichtung vom 15. Dezember 1999 (BGBl. I S. 2400) ist die Entlastung der Zivilgerichte (BT-Drucks. 14/980 S. 5). Zu diesem Zweck wurde es den Ländern durch die Öffnungsklausel des § 15a EGZPO ermöglicht, die Zulässigkeit einer zivilrechtlichen Klage in bestimmten Fällen von der vorherigen Durchführung eines außergerichtlichen Schlichtungsversuchs abhängig zu machen. Hierdurch sollen geeignete Streitigkeiten ohne Einschaltung der Gerichte beigelegt werden. Dieses Ziel lässt sich indessen nicht mehr erreichen, wenn die Schlichtung erfolglos geblieben und die Streitigkeit bei Gericht anhängig geworden ist. Das Gerichtsverfahren ist deshalb wie jedes andere Verfahren nach den allgemeinen Vorschriften durchzuführen. Insbesondere kann die klagende Partei die Klage erweitern (§ 264 Nr. 2 ZPO) oder nach Maßgabe von § 263 ZPO ändern, ohne dass hierdurch die Zulässigkeit der Klage nachträglich entfiele. Dies folgt im Übrigen auch daraus, dass § 15 a EGZPO die Länder in den in Abs. 1 Nr. 1 bis 3 genannten Fällen nur ermächtigt, die Klageerhebung, nicht aber auch eine Klageerweiterung oder -änderung von der vorherigen Durchführung eines Schlichtungsverfahrens abhängig zu machen (vgl. BGH, Urteil vom 22.10.2004 - V ZR 47/04, NJW-RR 2005, 501).

Zwar bezieht sich die zitierte Entscheidung zunächst nur auf die Frage, ob hinsichtlich einer Klageerweiterung ein erneutes Schlichtungsverfahren durchzuführen ist, während es vorliegend grundsätzlich an der Durchführung des Schlichtungsverfahrens mangelt. Jedoch kann im vorliegenden Fall nichts Anderes gelten:

Denn das Ziel einer Streitbeilegung ohne Einschaltung der Gerichte lässt sich im vorliegenden Fall, in dem das Amtsgericht sich bereits über mehrere Jahre mit dem Streitstoff befasst und ihn teilweise sogar vergleichsweise erledigt hat, nicht mehr erreichen, so dass die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens hinsichtlich der im Laufe des Rechtsstreits erfolgten Klageerweiterung nur zu unnötigem Zeitverzug und Kosten führen würde.

Ob eine anderer Beurteilung dann zu erfolgen hat, wenn die Klageänderung oder -erweiterung rechtsmissbräuchlich erfolgt (vgl. LG Kassel, Urteil vom 18. April 2002 - 1 S 640/01, NJW 2002, 2256; LG München I, Urteil vom 09. Juli 2003 - 15 S 2004/03, MDR 2003, 1313), muss vorliegend mangels Anhaltspunkten für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen der Kläger nicht entschieden werden.

Schließlich kommt es mangels Notwendigkeit der Durchführung eines Schlichtungsverfahrens auch nicht mehr auf die zwischen den Parteien streitige Frage an, ob der Kläger zu 3) im Saarland wohnhaft ist, wodurch mangels Eröffnung des sachlichen Anwendungsbereichs gemäß § 15 a Abs. 2 S. 2 EGZPO die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens für alle Parteien ebenfalls entbehrlich wäre (MüKo/Gruber, ZPO, 5. Auflage, § 15 a EGZPO, Rn. 42 mwN.).

2. Die Sache ist unter Abwägung aller Umstände an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückzuverweisen. Die Entscheidung zwischen der Zurückverweisung nach § 538 Abs. 1 Nr. 3 ZPO und der eigenen Sachentscheidung des Berufungsgerichts § 538 Abs. 1 ZPO steht im pflichtgemäßen Ermessen des Berufungsgerichts. Da vorliegend im Rahmen der erstinstanzlichen Entscheidung jedoch die Beweisantritte der Klägerseite gemäß Schriftsatz vom 30.5.2018 in Form einer Ortsbesichtigung sowie der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens unberücksichtigt blieben, müsste eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme durchgeführt werden.

Zwar wird nicht verkannt, dass die Zurückverweisung zu einer Verzögerung des Rechtsstreits führen mag, jedoch ist sie vorliegend gleichwohl als sachdienlich anzusehen. So würde den Parteien für den Fall, dass das Berufungsgericht die notwendigen Beweise erhebt, eine Tatsacheninstanz verloren gehen. Dieser Umstand mag allein mit dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie nicht gerechtfertigt werden. Insoweit haben die Berufungskläger auch zumindest hilfsweise eine Zurückverweisung beantragt. Schließlich dient die Zurückverweisung auch dem Interesse der Parteien an der Einhaltung einer Überprüfungsmöglichkeit durch die Berufungsinstanz, da nach der Neufassung des § 513 ZPO keine umfassende zweite Tatsacheninstanz mehr öffnet ist, sondern in erster Linie eine Fehlerprüfung stattfindet (KG Berlin, Urteil vom 14.02.2011 - 12 U 67/10, VersR 2012, 774).

3. Das Amtsgericht wird vorliegend zu überprüfen haben, ob eine Beeinträchtigung des Grundstücks der Kläger durch fehlerhafte Ableitung von Niederschlagswasser durch den auf dem Grundstück der Beklagten befindlichen Gehweg ausgeht. Hierbei wird insbesondere abzugrenzen seien, ob die von den Klägern geltend gemachten Feuchtigkeitsschäden in der Garage tatsächlich kausal durch eine mangelhafte Entwässerung des Grundstücks der Beklagten entstanden sind oder bauseitig bedingt sind.

B.

Dem Amtsgericht ist die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens vorzubehalten. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 775 Nr. 1 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 ZPO).

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