VG Meiningen, Urteil vom 06.03.2019 - 1 K 297/16
Fundstelle
openJur 2021, 12485
  • Rkr:

1. Wird nach (teilweiser) Ablehnung der Erstattung von Kosten eines Widerspruchs Klage erhoben, ist richtige Klageart die Verpflichtungsklage.

2. Eines Vorverfahrens bedarf es nicht, wenn der Beklagte erklärt, einen Widerspruchsbescheid für unnötig zu halten und sich rügelos auf die Klage einlässt.

3. Hat ein Anwalt bei der Festsetzung einer Rahmengebühr einmal sein Gestaltungsrecht ausgeübt, ist er hieran grundsätzlich gebunden.

4. Die Anrechnungsregelung aus der Vorbemerkung 3 Absatz 4 Satz 1 zum Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG erlaubt nur eine Geschäftsgebühr auf eine Verfahrensgebühr anzurechnen.

5. Eine Verfahrensgebühr, die in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes angefallen ist, kann nicht auf eine Geschäftsgebühr angerechnet werden.

Tenor

I. Der Beklagte wird verpflichtet, die Rechtsanwaltskosten des Klägers für sein Widerspruchsverfahren gegen den Entlassungsbescheid des Bildungszentrums der Thüringer Polizei vom 31.07.2013 auf 1.100,51 EUR festzusetzen und ihm abzüglich der geleisteten Zahlung von 562,16 EUR weitere 538,35 EUR zu erstatten. Der Beklagte wird weiter verpflichtet, die Rechtsanwaltskosten des Klägers für sein Widerspruchsverfahren gegen den Entlassungsbescheid des Bildungszentrums der Thüringer Polizei vom 13.12.2013 auf 1.514,63 EUR festzusetzen und ihm abzüglich der entsprechend seiner Kostenquote von ½ geleisteten Zahlung von 281,08 EUR weitere 476,24 EUR zu erstatten. Die Bescheide des Bildungszentrums der Thüringer Polizei vom 14.01.2016 und 14.06.2016 werden aufgehoben, soweit sie dem entgegenstehen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Der Kläger hat 30 %, der Beklagte 70 % der Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung gegen Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des aus dem Urteil jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht zuvor der jeweilige Kostengläubiger Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

I.

Der Kläger war mit Bescheid des Leiters des Bildungszentrums der Thüringer Polizei vom 31.07.2013 mit sofortiger Wirkung und unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe entlassen worden. Hiergegen ließ der Kläger Widerspruch einlegen und beim Verwaltungsgericht Meiningen um vorläufigen Rechtsschutz nachsuchen. Die Kammer ordnete durch Beschluss vom 17.12.2013 (Az.: 1 E 455/13 Me) die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs an. Das Thüringer Oberverwaltungsgericht änderte durch Beschluss vom 17.02.2015 (Az.: 2 EO 22/14) diesen Beschluss ab und lehnte den Eilantrag ab. Mit Bescheid vom 17.06.2015 hob der Leiter des Bildungszentrums seinen Entlassungsbescheid vom 31.07.2013 auf und bestimmte, dass der Beklagte die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu tragen hat und die Hinzuziehung des Rechtsbeistandes für notwendig erachtet werde.

Bereits mit weiterem Bescheid vom 13.12.2013 hatte der Leiter des Bildungszentrums den Kläger - wiederum unter Anordnung der sofortigen Vollziehung - (hilfsweise) mit Ablauf des 31.03.2014 aus dem Beamtenverhältnis auf Probe entlassen. Auch hiergegen ließ der Kläger Widerspruch einlegen und um vorläufigen Rechtsschutz nachsuchen. Das Thüringer Oberverwaltungsgericht ordnete mit Beschluss vom 14.04.2015 (Az.: 2 EO 217/14) die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs an, nachdem das Verwaltungsgericht Meiningen zuvor den Aussetzungsantrag mit Beschluss vom 11.03.2014 abgelehnt hatte (Az.: 1 E 19/14 Me). Der Leiter des Bildungszentrums gab mit Widerspruchsbescheid vom 30.07.2015 den Widerspruch teilweise statt und änderte den Bescheid vom 13.12.2013 dahingehend ab, dass die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe mit Ablauf des 30.09.2015 festgelegt wurde. Unter Nr. 3 des bestandskräftigen Widerspruchsbescheides ist bestimmt, dass die Kosten des Widerspruchsverfahrens der Kläger und der Beklagte je zur Hälfte zu tragen haben und dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig erklärt wird.

Mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 09.07.2015 ließ der Kläger beim Beklagten die Erstattung seiner außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 1.358,86 EUR für das Widerspruchsverfahren gegen den Entlassungsbescheid vom 31.07.2013 beantragen. Hierbei ging die Bevollmächtigte zunächst von einem Streitwert von 29.218,93 EUR sowie von einem Satz von 1,3 für die Geschäftsgebühr aus. Auf Hinweis des Beklagten, dass der Streitwert zu hoch angenommen sei, beantragte die Bevollmächtigte mit Schreiben vom 31.08.2015 die Kostenerstattung von 1.514,63 EUR. Hierbei ging sie von einem Streitwert von 18.965,46 EUR aus. Bei der Geschäftsgebühr setzte sie jedoch nunmehr einen Satz von 1,8 an.

Mit Bescheid vom 14.01.2016 setzte das Bildungszentrum den zu erstattenden Betrag auf 562,16 EUR fest. Hierbei ging es von dem von der Bevollmächtigten des Klägers angenommenen Streitwert aus. Bei der Geschäftsgebühr könne jedoch nur der im 1. Antrag angenommene Satz von 1,3 akzeptiert werden. Auch im gerichtlichen Verfahren sei nur dieser Satz gewährt worden. Zudem müssten die Anrechnungsregeln des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes beachtet werden. Für das gerichtliche Verfahren sei bereits eine Verfahrensgebühr angefallen, die zur Hälfte anzurechnen sei.

Bereits mit Schreiben vom 11.11.2015 hatte die Bevollmächtigte des Klägers den Beklagten aufgefordert, die hälftigen Kosten für das Widerspruchsverfahren gegen den Entlassungsbescheid vom 13.12.2013 zu erstatten. Hierbei ging sie wiederum ausgehend von einem Streitwert von 18.965,46 EUR und einer Geschäftsgebühr von 1,8 von Anwaltskosten in Höhe von 1.514,63 EUR aus.

Mit Bescheid vom 14.06.2016 setzte das Bildungszentrum den zu erstattenden Betrag für dieses Widerspruchsverfahren auf 281,08 EUR fest, wobei wiederum eine Geschäftsgebühr von 1,3 als angemessen betrachtet und hierauf die Verfahrensgebühr für das gerichtliche Eilverfahren zur Hälfte angerechnet wurde. Von den danach angefallenen Anwaltskosten von 562,16 EUR habe der Beklagte entsprechend der Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid vom 30.07.2015 die Hälfte zu erstatten.

Bereits mit Schreiben an den Beklagten vom 08.02.2016 hatte die Bevollmächtigte des Klägers erneut einen vollständigen Ausgleich der Kostenerstattungsanträge vom 31.08. und 11.11.2015 gefordert. Eine Anrechnung der Geschäftsgebühr aus den Widerspruchsverfahren auf die Verfahrensgebühr aus den gerichtlichen Verfahren komme nicht in Betracht. Diese ergebe sich bereits aus der in § 17 Nr. 4 b RVG vorgenommenen Abgrenzung, wonach es sich bei Hauptsache- und Eilverfahren jeweils um verschiedene Angelegenheiten handele. Die Geschäftsgebühr aus dem Widerspruchsverfahren und die Verfahrensgebühr aus dem einstweiligen Rechtsschutzverfahren bezögen sich nicht auf denselben Gegenstand im Sinne der Anrechnungsregelung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes. Dies werde auch aus den unterschiedlichen Streitgegenständen deutlich. Der Widerspruch habe sich gegen die Entlassungsverfügung gerichtet, mit dem Eilverfahren sei eine einstweilige Regelung begehrt worden. Eine 1,8 Geschäftsgebühr sei hier angemessen und erforderlich gewesen. Es habe sich bei dem beamtenrechtlichen Streitverfahren um ein Spezialgebiet des Verwaltungsrechts gehandelt. Von einer erhöhten Schwierigkeit sei in allen Rechtsgebieten auszugehen, für die der Gesetz- bzw. Satzungsgeber - wie hier - Fachanwaltschaften eingerichtet habe, die eine Erhöhung der Mittelgebühr rechtfertige. Bei dem vorliegenden Fall seien Fragen des Beamtenrechts mit straf- und disziplinarrechtlichen Bezügen sowie Spezialfragen des Personalvertretungsrechts zu bearbeiten gewesen, die eine nochmalige Erhöhung der Geschäftsgebühr begründen würden. Die Angelegenheit habe für seinen Mandanten erhebliche berufliche Konsequenzen und sei deshalb für ihn weit überdurchschnittlich bedeutsam gewesen. Im Übrigen trage der Beklagte die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die 1,8 Geschäftsgebühr unbillig sei.

II.

Am 05.07.2016 hat der Kläger Klage erheben und sinngemäß beantragen lassen,

den Beklagten zu verpflichten, seine Rechtsanwaltskosten in den beiden Vorverfahren auf 1.514,63 EUR sowie 757,32 EUR festzusetzen und ihm abzüglich der geleisteten Zahlungen weitere Beträge in Höhe von 952,47 EUR und 476,24 EUR zu erstatten und die Bescheide des Bildungszentrums vom 14.01.2016 und 14.06.2016 aufzuheben, soweit sie dem entgegenstehen.

Zur Begründung wiederholte er seine Ausführungen aus dem Verwaltungsverfahren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Bei einer nach Umfang und Schwierigkeit durchschnittlichen anwaltlichen Tätigkeit dürfe nur die sogenannte Regelgebühr von 1,3 in Ansatz gebracht werden. Ein Ermessensspielraum des Anwalts für eine höhere Gebühr bestehe erst und nur, wenn besondere Umstände eine Erhöhung über den Mittelwert hinaus rechtfertige. Dies sei hier nicht der Fall. Die Vertretung in den Entlassungsverfahren sei hinsichtlich des insoweit erkennbaren Aufwandes weder besonders umfangreich noch schwierig, zumal die Verfahrensbevollmächtigten des Klägers in einer Vielzahl von beamtenrechtlichen Verfahren tätig seien. Die Angelegenheit sei für den Kläger auch nicht von herausgehobener Bedeutung.

Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 03.01.2019 sowie 17.01.2019 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Mit Beschluss vom 22.01.2019 hat die Kammer den Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten auf den Einzelrichter übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie den Verwaltungsvorgang des Beklagten (1 Heftung). Die Akten waren Gegenstand der Entscheidung.

Gründe

Das Gericht konnte aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Zunächst ist klarzustellen, dass der Kläger Kostenerstattungsansprüche aus zwei selbständigen Widerspruchsverfahren geltend macht, einmal aus dem Verfahren gegen den fristlosen Entlassungsbescheid vom 31.07.2013, zum anderen aus dem Widerspruchsverfahren gegen den Entlassungsbescheid vom 13.12.2013. Die so zu verstehende Klage ist als Verpflichtungsklage auszulegen und als solche zulässig. Die vom Kläger begehrten Kostenerstattungen können nach § 80 Abs. 3 ThürVwVfG nur im Wege der Kostenfestsetzung und damit in Form eines Verwaltungsaktes erfolgen (BVerwG, U. v. 20.05.1987 - 7 C 83/84 -, juris, Rdnr. 7; Kopp/Ramsauer, Kommentar zum VwVfG, 19. Aufl. 2018, § 80 Rdnrn. 8, 47 und 64). Das bedeutet, dass gegen die vollständige oder - wie hier - teilweise Ablehnung einer Kostenerstattung nach § 80 Abs. 3 ThürVwVfG vor Klageerhebung gemäß § 54 Abs. 2 BeamtStG grundsätzlich ein (erneutes) Widerspruchsverfahren durchzuführen gewesen wäre. Gegen den Kostenfestsetzungsbescheid vom 14.01.2016 ist die Klage danach als Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO zulässig. Das Schreiben der Bevollmächtigten des Klägers vom 08.02.2016 ist als Widerspruch gegen diesen Bescheid zu werten. Die Bevollmächtigte begründet ausführlich ihre Kostenrechnung und fordert das Bildungszentrum auf, nunmehr entsprechende Kostenfestsetzungen vorzunehmen. Über diesen Widerspruch hat der Beklagte in angemessener Frist nicht entschieden, sondern im Gegenteil im gerichtlichen Verfahren ausdrücklich erklärt, einen Widerspruchsbescheid nicht erlassen zu wollen, da er an seiner Auffassung festhalte und der Widerspruch zurückgewiesen werden müsste. Hinsichtlich des zweiten Kostenfestsetzungsbescheides vom 14.06.2016 hat der Kläger zwar keinen Widerspruch mehr einlegen lassen, sondern unmittelbar Klage erhoben. Diese ist jedoch zulässig, weil der Beklagte sich auf das Verfahren rügelos eingelassen hat und nicht zu erwarten ist, dass er seine zuvor vertretene Ansicht ändert. Aus Gründen der Prozessökonomie ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Einklang mit dem Regelungszweck des § 68 VwGO über die dort geregelten Ausnahmefälle hinaus ein Vorverfahren regelmäßig entbehrlich, wenn sich der Beklagte auf die Klage sachlich eingelassen und deren Abweisung beantragt hat. Entscheidend ist dabei, ob dem Zweck des Vorverfahrens, die Selbstkontrolle der Verwaltung, bereits Rechnung getragen ist, oder sich sein Zweck ohnehin nicht mehr erreichen lässt (BVerwG, U. v. 20.04.1994 - 11 C 2/93 -, juris, Rdnr. 18 m. w. N.). Diese Voraussetzungen liegen hier vor, da der Beklagte sich zur Klage in der Sache eingelassen und Klageabweisung beantragt sowie ausdrücklich erklärt hat, den Erlass eines Widerspruchsbescheides für entbehrlich zu halten.

Die Klage ist überwiegend begründet.

Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch darauf, dass die Geschäftsgebühr für das Widerspruchsverfahren gegen den ersten Entlassungsbescheid vom 31.07.2013 mit dem Faktor 1,8 angesetzt wird (1.), hingegen hat er einen Anspruch auf eine Geschäftsgebühr mit dem Gebührensatz von 1,8 für das zweite Widerspruchsverfahren (2.) Zudem hat der Beklagte rechtswidrig die in den beiden gerichtlichen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes angefallenen Verfahrensgebühren zur Hälfte auf die Geschäftsgebühren aus den Widerspruchsverfahren angerechnet. Diese sind voll zu erstatten (3.).

Anspruchsgrundlage für die geltend gemachten, die (isolierten) Widerspruchsverfahren betreffenden Kostenerstattungsansprüche ist § 80 ThürVwVfG. Danach sind drei Voraussetzungen notwendig: 1. eine Kostenentscheidung im Widerspruchsverfahrens zugunsten des Widerspruchführers, 2. ein in dieser Kostenentscheidung enthaltener Ausspruch, dass die Hinzuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig war und 3. die Festsetzung der zu erstattenden Aufwendungen gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 ThürVwVfG. In beiden Widerspruchsverfahren wurde eine Kostenentscheidung zugunsten des Klägers getroffen, im zweiten jedoch nur für die Hälfte der Kosten des Widerspruchsverfahrens. In beiden Verfahren wurde die Hinzuziehung des Bevollmächtigten für notwendig erklärt.

1. Die Geschäftsgebühr ist entgegen der Ansicht des Klägers für das erste Widerspruchsverfahren nur mit 1,3 anzusetzen.

Dies folgt bereits daraus, dass seine Bevollmächtigte mit ihrem ersten Kostenfestsetzungsantrag vom 09.07.2015 (basierend auf einem fehlerhaft zu hohen Streitwert) unter Beifügung einer an den Kläger gerichteten Kostenrechnung die Geschäftsgebühr mit 1,3 angesetzt hat. An dieser Festsetzung sind die Bevollmächtigte und damit der Kläger gebunden. Das ergibt sich aus Folgendem: Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG bestimmt bei Rahmengebühren der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftragsgebers, nach billigem Ermessen. Die Ausübung des Ermessens ist Bestimmung der Leistung durch die Vertragspartei (Rechtsanwalt) und erfolgt gemäß § 315 Abs. 2 BGB durch Erklärung gegenüber dem Auftraggeber (Mandant und Kläger). Die Bestimmung des Gebührensatzes wirkt rechtsgestaltend, ihre Abgabe ist somit Ausübung des Gestaltungsrechts des Anwalts. Da dieses Gestaltungsrecht durch seine Ausübung verbraucht ist, kann die Bestimmung, sobald die Erklärung wirksam geworden ist, nicht mehr geändert oder widerrufen werden, es sei denn, der Anwalt hat sich die Erhöhung ausdrücklich vorbehalten, er ist über Bemessungsfaktoren getäuscht worden oder er hat einen gesetzlichen Gebührentatbestand übersehen (zum Vorstehenden: BGH, U. v. 04.12.1986 - III ZR 51/85 -, juris ; ThürLSG, B. v. 30.05.2013 - L 6 SF 293/13 B -, juris, Rdnr. 21; Mayer in Gerold/Schmidt, Kommentar zum RVG, 23. Aufl. 2017, Rdnr. 4 zu § 14; Pankatz in Riedel/Sußbauer, Kommentar zum RVG, 10. Aufl. 2014, Rdnr. 12 zu § 14). Ein Ausnahmefall, der die Bindungswirkung danach entfallen lassen könnte, liegt hier nicht vor. Er ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass die Bevollmächtigte bei dieser ersten Kostenrechnung einen zu hohen Streitwert zugrunde gelegt hat. Dieser Irrtum ist nicht gleichzusetzen mit dem Übersehen eines Gebührentatbestandes.

2. Die von der Bevollmächtigten des Klägers bestimmte Geschäftsgebühr von 1,8 für das zweite Widerspruchsverfahren ist hingegen vom Beklagten zu erstatten. Die Bestimmung des Gebührensatzes von 1,8 ist nicht unbillig im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG. Danach ist sie, wenn die nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG vom Rechtsanwalt nach billigem Ermessen zu bestimmende Rahmengebühr von einem Dritten - wie hier - zu ersetzen ist, nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Die hierdurch eröffnete gerichtliche Kontrolle erstreckt sich allerdings - in einem negativen Sinne - nur darauf, ob der Rechtsanwalt die Grenzen des billigen Ermessens bei der Bestimmung der Gebühr überschritten hat. Das Gericht ist nicht befugt, durch eine eigene positive Bestimmung der "billigen Gebühr" das dem Rechtsanwalt zustehende Ermessen an sich zu ziehen. Die Gebühr kann insbesondere nicht bereits dann als unbillig in diesem Sinne angesehen werden, wenn sie "gut bemessen" ist (BVerwG, B. v. 12.09.2018 - 1 WDS-KSt 1/18 -, juris, Rdnr. 10; Mayer, in: Gerold/Schmidt, a. a. O., Rdnr. 5 zu § 14). Davon ausgehend ist nicht zu beanstanden, dass die Bevollmächtigte des Klägers unter Hinweis auf die Schwierigkeit der Rechtsache, den Umfang ihrer anwaltlichen Tätigkeit sowie die Bedeutung der Angelegenheit bei der Bestimmung der Geschäftsgebühr über die Mittelgebühr hinausgegangen ist. Das Entlassungsverfahren auf Grundlage des § 23 Abs. 3 Nr. 2 BeamtStG war rechtlich überdurchschnittlich komplex. Dies folgt schon aus der Verknüpfung mit dem ersten (fristlosen) Entlassungsverfahren auf Grundlage des § 23 Abs. 3 Nr. 1 BeamtStG und der daraus resultierenden Fragen, etwa der nochmaligen Beteiligung des Personalrats. Das Entlassungsverfahren hatte zudem Bezüge zum Disziplinar- und Strafrecht. Nach dem unwidersprochenen Vortrag der Bevollmächtigten waren überdurchschnittlich viele Beratungen und Erläuterungen mit und gegenüber dem Kläger notwendig, so dass auch der Umfang des Widerspruchsverfahrens als überdurchschnittlich eingestuft werden kann. Entgegen der Auffassung des Beklagten war die Angelegenheit für den Kläger auch von hervorgehobener Bedeutung im Sinne des Ermessenskriteriums des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG. Der Kläger hatte seine Ausbildung zum gehobenen Polizeivollzugsdienst erfolgreich absolviert und wurde in der anschließenden Probezeit wegen mangelnder Bewährung aus dem Beamtenverhältnis entlassen. Damit wurde massiv in seine weitere Lebensplanung eingegriffen; den Nutzen seiner Ausbildungszeit hat er verloren, weil diese auf den Polizeivollzugsdienst ausgerichtet war. Unerheblich ist hier, dass er dies durch sein Verhalten selbst zu verantworten hatte (vgl. hierzu Beschluss der Kammer vom 11.03.2014 - 1 E 19/14 Me -).

3. Zu Unrecht hat der Beklagte zudem die in den beiden gerichtlichen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes angefallene und jeweils erstattete Verfahrensgebühr zur Hälfte auf die Geschäftsgebühren angerechnet. Entgegen der Auffassung des Beklagten kann diese Anrechnung nicht auf die Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 zu dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG gestützt werden. Danach wird, soweit wegen desselben Gegenstands eine Geschäftsgebühr nach Teil 2 entsteht, diese Gebühr zur Hälfte, bei Wertgebühren jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet. Dabei scheidet diese Anrechnungsregelung entgegen der Auffassung des Klägers schon nicht deswegen aus, weil das Widerspruchsverfahren und das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht als einheitlicher Gegenstand im Sinne dieser Anrechnungsvorschrift anzusehen sind. Das Gericht neigt hier dazu, von einem einheitlichen Gegenstand auszugehen, da die Vorbemerkung 3 bewusst nicht von einem einheitlichen Streitgegenstand, sondern nur dem gleichen Gegenstand spricht (vgl. hierzu ausführlich HessVGH, B. v. 26.06.2018 - 2 E 1964/17 -, juris, Rdnrn. 3 ff.). Die Anwendung der Anrechnungsregelung scheitert vielmehr daran, dass diese es nach ihrem Wortlaut nur erlaubt, die Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr anzurechnen und nicht (auch) umgekehrt. Dies macht auch Sinn, weil im Allgemeinen das gerichtliche Verfahren auf das Widerspruchsverfahren folgt. Im Übrigen würde, wenn auch die Möglichkeit bestünde, die Verfahrensgebühr auf die Geschäftsgebühr anzurechnen, ein Bevollmächtigter für ein Widerspruchs- und ein anschließendes gerichtliches Verfahren zusammen nur eine Gebühr erhalten. Er würde also für das gerichtliche Verfahren keine zusätzlichen Gebühren erhalten. Vorliegend hätte also, sofern man der Auffassung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs folgt, nur in den Kostenfestsetzungen in den gerichtlichen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eine Anrechnung der Geschäftsgebühr erfolgen können.

Von dieser Rechtslage ausgehend hat der Beklagte seinen Kostenfestsetzungsbescheid vom 14.01.2016 dahingehend abzuändern, dass die Rechtsanwaltskosten des Klägers für das Widerspruchsverfahren gegen den Entlassungsbescheid des Bildungszentrums vom 31.07.2013 ohne die hälftige Anrechnung der Verfahrensgebühr auf 1.100,51 EUR festgesetzt wird und ihm abzüglich der geleisteten Zahlung von 562,16 EUR weitere 538,35 EUR zu erstatten sind. Der Kostenfestsetzungsbescheid vom 14.06.2016 ist dahingehend abzuändern, dass die Rechtsanwaltskosten des Klägers für das Widerspruchsverfahren gegen den Entlassungsbescheid des Bildungszentrums der Thüringer Polizei vom 13.12.2013 ohne die hälftige Anrechnung der Verfahrensgebühr und mit einem Gebührensatz von 1,8 auf 1.514,63 EUR festgesetzt wird und ihm abzüglich der geleisteten Zahlung von 281,08 EUR weitere 476,24 EUR zu erstatten sind. Hier war zu berücksichtigen, dass nach der Kostenentscheidung des Widerspruchsbescheids vom 30.07.2015 der Beklagte nur die Hälfte der Kosten des Verfahrens zu tragen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO abzuweisen.

Eine Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

Das Gericht hat von der Möglichkeit, die Berufung nach § 124a Abs. 1 VwGO zuzulassen, keinen Gebrauch gemacht, weil die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO nicht vorliegen.

Beschluss:Der Streitwert wird auf 1.428,71 EUR festgesetzt.

Gründe:Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 63 Abs. 2, § 52 Abs. 3 GKG.

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