Thüringer LAG, Urteil vom 06.06.2019 - 2 Sa 7/18
Fundstelle
openJur 2021, 11579
  • Rkr:
Tenor

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Suhl vom 19.05.2016 - 5 Ca 2023/15 - abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Berufung der Klägerin wird unter Abweisung der Klageerweiterungen zurückgewiesen.

3. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtstreits zu tragen.

4. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Anwendung des Tarifvertrages für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Bundesagentur für Arbeit (TV-BA) und insbesondere darüber, ob die Klägerin nach dem TV-BA zu vergüten ist.

Die Klägerin, die keiner Gewerkschaft angehört, stand seit dem 01. September 2001 in einem Arbeitsverhältnis zur Bundesagentur für Arbeit (BA). Kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung vom 12. Juni 2006 (Bl. 13 d. A.) bestimmte sich dieses Arbeitsverhältnis nach dem TV-BA und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der jeweils geltenden Fassung. Die Klägerin war in Tätigkeitsebene V eingruppiert. Mit Wirkung zum 01. Juli 2008 wurde ihr mit Schreiben vom 26.06.2018 (Bl. 14 d. A.) die Tätigkeit "Sachbearbeiterin Leistungsgewährung im Bereich SGB II in der Agentur für Arbeit .... (in der Geschäftsstelle ..... SGB II)" übertragen. Ab dem 01. Januar 2012 übernahm der Beklagte die Aufgaben der BA als Träger der Grundsicherung im Landkreis ..... Die Klägerin wurde zu diesem Zeitpunkt von der BA gem. § 20 TV-BA nach Tätigkeitsebene IV Entwicklungsstufe 3 mit einer Funktionsstufe 1 vergütet. Die BA teilte der Klägerin mit Schreiben vom 06. Dezember 2011 (Bl. 16 d. A.) mit, ihr Arbeitsverhältnis sei aufgrund des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitssuchende vom 03. August 2010 auf den Beklagten übergegangen. Die Klägerin ist seit 01. Januar 2012 beim Beklagten beschäftigt mit einer Vergütung nach Entgeltgruppe 8 Stufe 3 TVöD nebst einer Ausgleichszulage in Höhe der Differenz zu der im Zeitpunkt des Übertritts bei der Bundesagentur für Arbeit erhaltenen Vergütung nach dem TV-BA. Sie nahm das vom Beklagten unterbreitete Vertragsangebot zum Abschluss eines schriftlichen Arbeitsvertrages nicht an.

Die Klägerin hat mit ihrer am 14. Dezember 2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage die Anwendung des TV-BA ab dem 01. Januar 2012, eine Eingruppierung nach Tätigkeitsebene IV Entwicklungsstufe 3 und ab 01. Juli 2013 Entwicklungsstufe 4 nebst einer Funktionsstufe 1 gem. § 20 TV-BA sowie die Zahlung der Vergütungsdifferenz i.H.v. 7.796,67 EUR brutto für den Zeitraum von Januar 2012 bis August 2014 geltend gemacht und die Klage mit dem am 30. Dezember 2015 eingegangenen Schriftsatz um einen Hilfsantrag auf Schadensersatz, höchst hilfsweise auf Eingruppierung nach Entgeltgruppe E 10 Stufe 3, hilfsweise E 9 Stufe 3 TVÜ-VKA erweitert.

Wegen des erstinstanzlichen Vortrags der Parteien und der gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat festgestellt, auf das Arbeitsverhältnis der Parteien sei ab dem 01. Januar 2012 der TV-BA anzuwenden und die Klägerin habe Anspruch auf Vergütung nach Tätigkeitsebene IV und ab dem 01. Juli 2013 nach Entwicklungsstufe 4 mit einer Funktionsstufe 1 gem. § 20 TV-BA. Dem Zahlungsantrag hat es i.H.v. 3.980,01 EUR brutto und damit teilweise stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 148 ff. d. A.) verwiesen.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 25.05.2016 zugestellte Urteil am 17.06.2016 Berufung eingelegt und die Berufung am 25.08.2016 begründet, nachdem die Berufungsbegründungsfrist auf den am 17.06.2016 eingegangenen Antrag bis zum 25.08.2016 verlängert worden war. Der Beklagte hat gegen das ihm am 26.05.2016 zugestellte Urteil am 21.06.2016 Berufung eingelegt und die Berufung am 10.08.2016 begründet nach dem die Berufungsbegründungsfrist auf den am 21.07.2016 eingegangenen Antrag bis zum 25.08.2016 verlängert worden war.

Die Klägerin verfolgt ihren ursprünglichen Zahlungsantrag weiter. Sie wendet sich insbesondere gegen den vom Arbeitsgericht angenommenen Verfall der Vergütungsansprüche für den Zeitraum vor Dezember 2013.

Die Klägerin macht darüber hinaus im Wege der Klageerweiterung mit Schriftsatz vom 27.12.2016 die Feststellung der Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung von Überstundenvergütung vom 01.12.2012 bis 31.12.2013 und mit Schriftsatz vom 29.12.2017 Differenzvergütung geltend.

Die Klägerin beantragt,

- das Urteil des Arbeitsgerichts Suhl vom 19.05.2016 abzuändern, soweit lediglich ein Betrag i.H.v. 3.980,21 EUR brutto nebst Zinsen zugesprochen wurde und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin weitere 3.816,46 EUR brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

- hilfsweise für den Fall, dass das Gericht durch den Feststellungsantrag zu 1. aus der Klageschrift vom 14.12.2015 die Verjährung diesbezüglich nicht gehemmt erachtet, wird festgestellt, dass die beklagte Partei verpflichtet ist, der Klägerin, beginnend ab 01.12.2012 bis 31.12.2013, die Überstundenvergütung zu zahlen, die aufgrund der für die Klägerin gem. § 6 Abs. 1 S. 1 TV-BA geltenden regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden mit Hinblick auf die bei der beklagten Partei zu erbringende regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden angefallen ist;

- es wird festgestellt, dass die beklagte Partei verpflichtet ist, der Klägerin die Differenzvergütung wegen der Anwendbarkeit des TV-BA auf das Arbeitsverhältnis der Parteien hinsichtlich

a) des nach der von der Klägerin geltend gemachten Eingruppierung (ggf. einschließlich Funktionsstufen) resultierenden höheren Tabellenentgelts und der höheren Ansprüche auf Jahressonderzahlung und leistungsabhängige Vergütung sowie

b) der geleisteten Mehrarbeit aufgrund der mit 39 Stunden geringeren regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit gegenüber 40 Stunden nach dem von der Beklagten angewendeten TVöD-VKA zu zahlen, die beginnend ab Januar 2014 fällig geworden ist, sofern diese Ansprüche noch nicht beziffert geltend gemacht wurden.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Suhl zurückzuweisen und die Klageerweiterungen abzuweisen;

das Urteil des Arbeitsgerichts Suhl vom 19.05.2016 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hält an seiner bereits im ersten Rechtszug vorgetragenen Rechtsauffassung, auf das Arbeitsverhältnis sei ab 01.01.2012 der TVöD anzuwenden, fest und führt ergänzend aus, die schuldrechtliche Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag der Klägerin mit der BA werde durch § 6 c Abs. 3 S. 3 SGB II verdrängt, insbesondere sei diese Regelung verfassungsgemäß.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Auch sie bleibt bei ihrer Rechtsauffassung und verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Sie ist der Auffassung, das Arbeitsgericht habe § 6 c Abs. 3 SGB II zutreffend verfassungskonform dahin ausgelegt, dass er einer Weitergeltung der arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Tarifverträge der BA dem Arbeitsverhältnis der Parteien nicht entgegenstehe. Sie stützt sich ergänzend insbesondere darauf, Schwerpunkt des Eingriffs der gesetzlichen Regelung sei die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Vertragsfreiheit.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der im Berufungsrechtszug zur Akte gereichten Schriftsätze Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung des Beklagten ist zulässig und begründet. Das Urteil des Arbeitsgerichts Suhl ist daher abzuändern und die Klage abzuweisen. Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet und daher bei gleichzeitiger Abweisung der Klageerweiterungsanträge zurückzuweisen.

I. Die Klage ist unbegründet. Der TV-BA findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien keine Anwendung. Der TV-BA ist weder allgemein verbindlich, noch besteht eine beiderseitige Tarifbindung. Die Anwendung des TV-BA käme daher nur kraft einzelvertraglicher Inbezugnahme in Betracht. Dem steht § 6 c Abs. 3 S. 3 SGB II entgegen.

1. Ab dem 01. Januar 2012 sind die beim Beklagten geltenden Tarifverträge für den öffentlichen Dienst (TVöD) anzuwenden. Das folgt aus § 6 c Abs. 3 S. 3 SGB II.

Nach § 6 c Abs. 3 S. 3 SGB II sind vom Zeitpunkt des Übertritts an die für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des neuen Trägers jeweils geltenden Tarifverträge ausschließlich anzuwenden. Der Wortlaut des § 6 c Abs. 3 S. 3 SGB II ist insoweit eindeutig. Die Regelung unterscheidet nicht zwischen gewerkschaftsangehörigen und nichtgewerkschaftsangehörigen Arbeitnehmern und gilt insofern für alle vom Übergang ihres Arbeitsverhältnisses Betroffenen. Diese Auslegung entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers. In der Gesetzesbegründung zu § 6 c Abs. 3 SGB II heißt es: "Rechtsfolge des Übertritts der Arbeitnehmer zu dem anderen Träger ist die Fortsetzung des bisherigen Arbeitsverhältnisses mit dem neuen Träger als Arbeitgeber. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die bei dem neuen Träger geltenden tariflichen Regelungen für alle übergehenden Arbeitsverhältnisse Anwendung finden" (BT-Drucksache 17/1555 S. 20). Ein Normverständnis dahingehend, § 6 c Abs. 3 S. 3 SGB II stehe einer Weitergeltung der arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Tarifverträge der Bundesagentur im Arbeitsverhältnis der Parteien nicht entgegen, steht in Widerspruch zu dem eindeutigen Wortlaut und dem gesetzgeberischen Willen und kann deshalb nicht im Wege verfassungskonformer Auslegung begründet werden (vgl. BVerfG 14. April 2010 - 1 BVL 8/08 - BVerfGE 126,29; 25. Januar 2011 - 1 BVR 1741/09 - BVerfGE 128,157).

2. Der in § 6 c Abs. 1 S. 1 SGB II gesetzlich angeordnete Wechsel des Arbeitgebers und der damit nach § 6 c Abs. 3 S. 1 SGB II verbundene Tarifwechsel sind verfassungsgemäß. Entgegen der Auffassung der Klägerin verstößt dies nicht gegen Art. 12 Abs. 1 oder gegen Art. 2 Abs. 1 GG.

a) Der durch § 6 c Abs. 1 S. 1 SGB II bewirkte Eingriff in die Freiheit der Arbeitsplatzwahl der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt. Er ist auch verhältnismäßig und zur Erreichung des Ziels, dem kommunalen Träger eine sachgerechte Erfüllung der Aufgabe der Grundsicherung für Arbeitsuchende unmittelbar nach seiner Zulassung zu ermöglichen, geeignet und hierfür auch erforderlich (vgl. ausführlich BAG 31. Januar 2019 - 8 AZR 410/13 - Rn. 78 ff.).

b) Die durch den Tarifwechsel für die betroffenen Arbeitnehmer entstehenden Nachteile ändern nichts an dieser verfassungsgemäßen Bewertung. Sie sind noch verhältnismäßig im engeren Sinne. Die Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der sie rechtfertigenden Gründe ergibt, dass die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt ist, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer demnach nicht übermäßig belastet werden.

c) Etwaige Einbußen im Entgelt, die sich infolge der Ablösung des bei der Bundesagentur bestehenden Entgeltsystems ergeben, werden durch die Ausgleichszulage und die entsprechende Behandlung bei der Stufenzuordnung hinreichend ausgeglichen. Soweit der für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des kommunalen Trägers geltende TVöD-V/VKA gegenüber dem TV-BA eine um eine Stunde höhere wöchentliche Arbeitszeit vorsieht, führt dies nur zu einer unwesentlichen Veränderung des Besitzstandes, die den übertretenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern unter Berücksichtigung der Bedeutung des mit § 6 c SGB II verfolgten Gemeinwohlziels zuzumuten ist. Im Übrigen wirkt sich aus, dass Art. 12 Abs. 1 GG schon keinen Vertrauensschutz in einen Fortbestand tariflicher Regelungen oder in eine bestimmte Tarifentwicklung beim bisherigen Arbeitgeber gewährt. Zudem lassen sich etwaige künftige Tarifänderungen beim kommunalen Träger und damit die Vor- und Nachteile des Tarifwechsels für die Zukunft ohnehin nicht beurteilen (vgl. ausführlich BAG 31. Januar 2019 - 8 AZR 410/13 - Rn. 98 ff.).

d) Die Klägerin beruft sich ohne Erfolg auf einem Verstoß gegen die in Art. 2 Abs. 1 GG verfassungsgemäß garantierte Vertragsfreiheit. Neben Art. 12 Abs. 1 GG scheidet Art. 2 Abs. 1 GG als Prüfungsmaßstab unter dem Gesichtspunkt der Vertragsfreiheit aus (BAG 31. Januar 2019 - 8 AZR 410/13 - Rn. 65; BVerfG 25. Januar 2011 - 1 BvR 1741/09 - Rn. 70, BVerfGE 128,157).

II. Die im Berufungsrechtszug erstmals gestellten Klageanträge sind abzuweisen.

1. Der Antrag aus dem Schriftsatz vom 27.12.2016 auf Feststellung der Zahlung von Überstundenvergütung ist unzulässig, denn er ist unter einer unzulässigen Bedingung, hier, unter der Bedingung, dass das Gericht eine Feststellung zu Verjährungsfragen hinsichtlich noch nicht rechtshängiger Ansprüche trifft, gestellt. Zudem fehlt es am erforderlichen Feststellungsinteresse. Es handelt sich um einen zurückliegenden, abgeschlossenen Zeitraum. Der Anspruch ist im Wege der Leistungsklage zu verfolgen.

Darüber hinaus erweist sich der Antrag auch als unbegründet, denn der TV-BA findet keine Anwendung.

2. Es kann dahinstehen ob die Anträge zu a) und b) aus dem Schriftsatz vom 29.12.2007 zulässig sind. Die Anträge sind jedenfalls mangels Geltung des TV-BA unbegründet.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 91 ZPO.

Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG.

gez. König                                   gez. Weber                                        gez. Schiecke