AG Erfurt, Urteil vom 04.05.2015 - 830 Js 34947/14 - 51 Cs
Fundstelle
openJur 2021, 11434
  • Rkr:
Tenor

Der Angeklagte wird wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 20,00 Euro verurteilt.

Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

I.

Der 25-jährige ledige Angeklagte befindet sich in Ausbildung zum Rettungssanitäter; als Ausbildungsentgelt erhält er 614,- Euro monatlich. Unterhaltsverpflichtungen bestehen nicht. Strafrechtlich ist er bislang nicht in Erscheinung getreten.

II.

Bei Gelegenheit einer Gegendemonstration gegen den Landtagswahlkampf der NPD am 12. September 2014, gegen 14.00 Uhr, in Erfurt in der Trommsdorfstraße trug der Angeklagte einen rosafarbenen, ca. 40 x 40 cm großen, Stoffbeutel über der Schulter. Der Stoffbeutel war im oberen Bereich mit dem Aufdruck "A.C.A.B." versehen. Sodann war im mittleren Bereich das Abbild einer Katze respektive eines kleinen Kätzchens abgebildet. Im unteren Bereich war "All CATS are BEAUTIFUL" aufgedruckt. Die im oberen Bereich eingedruckte Schrift "A.C.A.B." und der Aufdruck "All CATS are BEAUTIFUL" im unteren Bereich sind weitgehend in gleicher Schriftgröße ausgeführt. Das Katzensignet ist demgegenüber deutlich größer ausgeführt. Schrift und Bilddarstellung sind einfarbig schwarz ausgeführt.

Der Angeklagte, der in der Gruppe der Gegendemonstranten zunächst in den hinteren Reihen stand, wurde von den vor Ort eingesetzten Polizeibeamten ob dieses herausstechenden Beutels wahrgenommen. Sodann wurde der Angeklagte vom Einsatzleiter der Polizei angesprochen und aufgefordert, diesen Beutel nicht weiter offen zu tragen. Dieser Aufforderung verschloss sich der Angeklagte indessen und trug den Beutel --nunmehr ostentativ-- vor den die Demonstration abschirmenden Polizeibeamten.

Der vor Ort eingesetzte Polizeibeamte Polizeimeister hat unter dem 2. Oktober 2014 form- und fristgerecht Strafantrag gestellt.

III.

Der Angeklagte hat sich nicht zur Sache eingelassen. Die Feststellungen zum Tatgeschehen ergeben sich aus den Bekundungen der Polizeibeamten. Übereinstimmend, widerspruchsfrei und nachvollziehbar haben die Zeugen das Geschehen bekundet. Sie haben hierbei dargelegt, dass der Beutel --zunächst seiner Farbe, aber auch ob des Aufdrucks "A.C.A.B." nach-- die Aufmerksamkeit auf sich zog und der Angeklagte vom Einsatzgruppenleiter aufgefordert wurde, den Beutel fürderhin nicht offen zu tragen. Weil der Angeklagte dieser Aufforderung nicht entsprach, wurden die Personalien des Angeklagten, der den Polizeibeamten bereits wegen eines vergleichbaren Vorgangs in Gotha von Person bekannt war, in den Polizeiakten niedergelegt.

IV.

Durch das Tragen des streitgegenständlichen rosafarbenen Stoffbeutels mit dem Aufdruck "A.C.A.B." hat sich der Angeklagte der Beleidigung nach § 185 StGB strafbar gemacht, weil diesem Aufdruck nach seinem objektiven Sinngehalt und der konkreten Art der Verwendung vorliegend allein der Sinngehalt "all cops are bastards" beigemessen werden kann. Um diesen Sinngehalt wusste der Angeklagte und bekundete hierdurch vorsätzlich seine Missachtung gegenüber den am 12. September 2014, gegen 14.00 Uhr, in Erfurt in der Trommsdorfstraße eingesetzten Polizeieinsatzkräften.

Im Einzelnen hierzu wie folgt:

Im Lichte der gefestigten verfassungsrechtlichen Rechtsprechung (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 10. Oktober 1995, Az. 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92, BVerfGE 93, 266 und vom 26. Februar 2015, Az. 1 BvR 1036/14, https:  //www.Bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2015/02/rk20150226_1bvr103614.html) verkennt das Gericht auf dem Weg zur Entscheidungsfindung nicht, dass die wertsetzende Bedeutung der Grundrechte eine im Rahmen der Tatbestandsmerkmale der betreffenden Gesetze vorzunehmende Abwägung zwischen der Bedeutung der Meinungsfreiheit einerseits und des Rechtsguts, in dessen Interesse sie eingeschränkt worden ist andererseits, erfordert.

Mit Blick auf das in Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) garantierte Grundrecht der Meinungsfreiheit ist zunächst festzuhalten, dass dieses Grundrecht nicht vorbehaltlos gewährleistet wird, sondern nach näherer Maßgabe des Art. 5 Abs. 2 GG den Schranken, die sich aus den allgemeinen Gesetzen sowie den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und aus dem Recht der persönlichen Ehre ergeben, unterliegt (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 10. Oktober 1995, Az. 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92).

§ 185 StGB ist als allgemeines Gesetz geeignet, der freien Meinungsäußerung Schranken zu setzen.

Gesetze, die in die Meinungsfreiheit eingreifen, müssen sodann aber derart interpretiert werden, dass der prinzipielle Gehalt dieses Rechts in jedem Fall gewahrt bleibt. Es findet eine Wechselwirkung in dem Sinne statt, dass die Schranken zwar dem Wortlaut nach dem Grundrecht Grenzen setzen, ihrerseits aber aus der Erkenntnis der grundlegenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlich demokratischen Staat ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden müssen (vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 15. Januar 1958, Az. 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198 ff. und Beschluss vom 4. November 2009, Az. 1 BvR 2150/08, BVerfGE 124, 300 ff.) Dem folgend wäre eine so weitreichende Interpretation von § 185 StGB, dass die Erfordernisse des Ehren- oder Institutionenschutzes überschritten sind, mit dem Grundgesetz unvereinbar. Zudem ist das Tatgericht gehalten, sich hinreichend zu vergewissern, dass die inkriminierten Äußerungen diesen Sinngehalt auch wirklich haben. Alternativen Deutungen ist nachzugehen, weil widrigenfalls die Gefahr besteht, dass der sich Äußernde für eine Äußerung bestraft wird, die die angenommene Kränkung nicht enthält. Diesem Zugang zu solchen Alternativen darf sich das Gericht nicht durch eine isolierte Betrachtung eines bloßen Teils der Äußerung verschließen. Vielmehr muss der Kontext, soweit er für die Adressaten der Äußerung wahrnehmbar war, berücksichtigt werden. Dabei sind neben dem Empfängerhorizont die Gesamtheit aller Umstände zu berücksichtigen, zu denen auch der Sprachgebrauch bestimmter Bevölkerungsgruppen gehört (Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 27. Aufl., § 185 Rn. 8). Zudem kann es erforderlich sein, auch außertextliche Umstände einzuschließen.

Wenn und soweit eine Mehrheit einzelner Personen unter einer Kollektivbezeichnung ("All cops") ohne individuelle Aufschlüsselung angesprochen wird, ist eine Beleidigung nur dann tatbestandlich, wenn die bezeichnete Personengruppe auf Grund bestimmter Merkmale so deutlich aus der Allgemeinheit heraustritt, dass der Kreis der Betroffenen klar abgegrenzt und deutlich überschaubar ist, weil sich sonst die Beleidigung gegen einen einzelnen aus einem großen Personenkreis in der Vielzahl derer, die ihm angehören, verliert (Landgericht Karlsruhe, Urteil vom 8. Dezember 2011, Az. 11 Ns 410 Js 5815/11). Dabei ist jedoch --wiederum als Ausdruck der eingangs dargelegten Wechselwirkungslehre-- eine auf Angehörige einer Gruppe im Allgemeinen bezogene Äußerung nicht allein deswegen als auf eine hinreichend überschaubare Personengruppe bezogen anzusprechen, weil eine solche Gruppe eine Teilgruppe des nach der allgemeineren Gattung bezeichneten Personenkreises bildet (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 10. Oktober 1995, Az. 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92, 1 BvR 221/92).

Nach Maßgabe dieser Grundsätze gilt im Streitfall Folgendes:

Gerichtsbekannt ist, dass die Abkürzung "A.C.A.B." gemeinhin für die englischsprachige Parole "all cops are bastards" verwendet wird. Der Begriff des "cop" ist eine gängige Bezeichnung für einen Polizeibeamten. Die Bezeichnung einer Person als "Bastard" ist sowohl in der englischen, als auch in der deutschen Sprache eindeutig ehrverletzend (vgl. Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 23. Juni 2008, Az. 1 Ss 329/08; ausführlich Zöller, ZJS 2013, 102). Bei der Abkürzung "A.C.A.B." handelt es sich daher um eine in die Form von Formalbeleidigungen gekleidete Schmähkritik (vgl. die Nachweise bei Fischer, Strafgesetzbuch, 61. Aufl., § 185 Rn. 9 und Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, § 185 Rn. 13).

Aus der Sicht eines unbefangenen verständigen Dritten, der mit den tatprägenden Umständen des Einzelfalles vertraut ist (vgl. Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 19. Juli 2012, Az. 1 (8) Ss 64/12, 1 (8) Ss 64/12 - AK 40/12, m.w.N.) kann vorliegend jede andere Deutung des Schriftzuges "A.C.A.B." ausgeschlossen werden. Es ist fernliegend, dass der Angeklagte in einer Gruppe von Gegendemonstranten gegen den NPD-Landtagswahlkampf durch das Tragen des Jutebeutels allein darlegen wollte, dass er "Katzen schön und süß" findet (vgl. www. http://rotehilfeerfurt.blogsport.de/2015/03/27/139/). Denn Farbwahl, Schriftgröße und die näheren Umstände des Tragens des Beutels sprechen dafür, dass der Angeklagte beabsichtigte, dass die Polizeibeamten auf ihn aufmerksam wurden. Unter dem Deckmantel einer (sinnfreien) Meinungsäußerung "Alle Katzen sind schön" kam es dem Angeklagten darauf an, sich gegenüber den Polizeibeamten der Abkürzung "A.C.A.B." zu entäußern und die Polizeibeamten durch diese Kundgabe seiner Missachtung zu beleidigen.

Der Streitfall gibt dem Gericht keine Veranlassung, weitergehenden Deutungsmöglichkeiten nachzugehen. - In der Literatur wird in Ansehung der länder- und kulturübergreifenden Verwendung der Buchstabenfolge "A.C.A.B." jede weitere theoretische Deutung als "Acht Cola acht Bier", "Alles Christen außer Berti", "all colours are beautiful", "Alice Cooper and band" regelmäßig als Schutzbehauptung angesprochen (vgl. Zöller, ZJS 2013, 102).

Diese beleidigende Äußerung hat der Angeklagte auch in Bezug auf eine überschaubare und abgegrenzte Personengruppe, hier allein bezüglich der am 12. September 2014, gegen 14.00 Uhr, in Erfurt in der Trommsdorfstraße eingesetzten Polizeieinsatzkräfte, kundgetan. In dieser Gruppe der Polizeieinsatzkräfte war --neben anderen-- auch der Polizeibeamte dienstlich tätig und vor Ort anwesend. Indem der Angeklagte, auch und gerade nachdem er vom Einsatzgruppenleiter aufgefordert wurde, den gegenständlichen Stoffbeutel mit dem Aufdruck "A.C.A.B." nicht weiter offen zur Schau zu tragen, sich nachgerade paradierend vor den Polizeieinsatzkräften positionierte, hat sich der Angeklagte vorsätzlich in eine visuelle Interaktion mit den Polizeieinsatzkräften vor Ort begeben. Er wusste und wollte hierdurch eine erkennbare Konkretisierung der Kollektivbeleidigung "all cops are bastards" bewirken.

V.

Bei der Strafzumessung ist das Gericht nach den Grundsätzen der §§ 46 ff. StGB von der Schuld des Angeklagten ausgegangen und hat die Wirkungen, die von der Strafe für sein zukünftiges Leben in der Gesellschaft zu erwarten sind, berücksichtigt. Im Einzelnen hat sich das Gericht von folgenden Erwägungen leiten lassen: § 185 bestimmt u.a., dass die Beleidigung mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft wird. Zugunsten des Angeklagten hat das Gericht berücksichtigt, dass er bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist.

Nach Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Strafzumessungserwägungen erschien für die Beleidigung eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen als tat- und schuldangemessen.

Die Höhe des Tagessatzes hat das Gericht, ausgehend vom Nettoeinkommen des Angeklagten in Höhe von ca. 600,- Euro pro Monat, mit 20,- Euro pro Tag veranschlagt, § 40 Abs. 2 StGB.

VI.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 465 Abs. 1 der Strafprozessordnung.

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