SG Nordhausen, Beschluss vom 27.06.2016 - S 13 SF 2009/14 E
Fundstelle
openJur 2021, 10945
  • Rkr:

Die Dokumentenpauschale Nr 7000 VV-RVG entsteht nicht beim bloßen Einscannen sowie der Speicherung von Dokumenten in elektronischer Form.

Tenor

Die Erinnerung vom 26. August 2014 gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 11. Juli 2014 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren und Auslagen für das Klageverfahren S 13 AS 5530/11 streitig, in dem der Erinnerungsführer die seinerzeitigen Kläger vertrat. Hierbei ist allein die Dokumentenpauschale (Nr. 7000 S. 1 Nr. 1 Buchst. a VV-RVG) streitig.

Streitgegenstand des Hauptsacheverfahrens waren die Akteneinsicht des Prozessbevollmächtigten in die Leistungsakte d. Beklagten, die Höhe der Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 01. April 2011 bis 31. August 2011 sowie die Kostenentscheidung betreffend das Vorverfahren.

In der Klageschrift stellte der Rechtsanwalt sodann knapp den zugrunde liegenden Sachverhalt dar, namentlich den zeitlichen Ablauf der im Verwaltungsverfahren gestellten Anträge und die ergangenen Entscheidungen. Im Übrigen enthielt sie allgemein gehaltene rechtliche Ausführungen. Er verwendete hierbei vorgefertigte Formulierungen, die von ihm gerichtsbekannt in einer Vielzahl von Verfahren verwendet wurden, namentlich zur Akteneinsicht die Leistungsakte des Beklagten, zu den Kosten der Unterkunft sowie zur Erforderlichkeit seiner Hinzuziehung im Vorverfahren. Ferner machte der Rechtsanwalt Ausführungen zur Einkommensanrechnung.

Zudem vertiefte er seine Ausführungen mittels 7 weiteren Schriftsätzen. Er nahm im Laufe des Klageverfahrens Akteneinsicht in die Leistungsakte und übersendete mehrfach weitere Unterlagen betreffend die Einkommensanrechnung.

Am 27. März 2012 fand ein Erörterungstermin statt. Dieser hatte eine Dauer von insgesamt 55 Minuten. Am 08. April 2014 fand ein weiterer Erörterungstermin statt. Dieser hatte eine Dauer von insgesamt 52 Minuten.

Nach Erörterung der Sach- und Rechtslage sowie rechtlichen Hinweisen d. Vorsitzenden schlossen die Beteiligten einen Vergleich. Mit diesem verpflichtete sich d. Beklagte, zur Neuberechnung des Leistungsanspruchs für den Zeitraum April 2011 bis August 2011 unter Bescheidung der Kläger.

Sodann beantragte der Rechtsanwalt die Festsetzung folgender aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren und Auslagen:

Verfahrensgebühr (Nr. 3103 VV-RVG)

170,00 EUR

Gebührenerhöhung (Nr. 1008 VV-RVG)

153,00 EUR

Terminsgebühr (Nr. 3106 VV-RVG)

300,00 EUR

Einigungs- bzw. Erledigungsgebühr (Nr. 1006 VV-RVG)

190,00 EUR

Dokumentenpauschale (Nr. 7000 VV-RVG)

75,70 EUR

Post-/Telekommunikationspauschale (Nr. 7002 VV-RVG)

20,00 EUR

Fahrtkosten, Tage-/Abwesenheitsgeld (Nr. 7003, 7005 VV-RVG)

16,22 EUR

Zwischensumme

924,92 EUR

Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV-RVG)

175,73 EUR

Gesamtbetrag

1.100,65 EUR

Mit Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 11. Juli 2014 setzte d. Urkundsbeamt. der Geschäftsstelle (UdG) folgende aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren und Auslagen fest:

Verfahrensgebühr (Nr. 3103 VV-RVG)

170,00 EUR

Gebührenerhöhung (Nr. 1008 VV-RVG)

153,00 EUR

Terminsgebühr (Nr. 3106 VV-RVG)

300,00 EUR

Einigungs- bzw. Erledigungsgebühr (Nr. 1006 VV-RVG)

190,00 EUR

Post-/Telekommunikationspauschale (Nr. 7002 VV-RVG)

20,00 EUR

Fahrtkosten, Tage-/Abwesenheitsgeld (Nr. 7003, 7005 VV-RVG)

16,22 EUR

Zwischensumme

849,22 EUR

Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV-RVG)

161,35 EUR

Gesamtbetrag

1.010,57 EUR

Zur Begründung der Festsetzung wurde im Wesentlichen ausgeführt: die beantragte Dokumentenpauschale sei nicht festzusetzen. Der Rechtsanwalt habe nicht schlüssig dargelegt, welche Kopien für eine sachgemäße Prozessführung erforderlich gewesen seien, sondern deren Bestimmung vollständig dem Gericht überlassen. Dies sei jedoch nicht zulässig.

Hiergegen hat der Erinnerungsführer am 26. August 2014 Erinnerung eingelegt. Die Akteneinsicht sei im Hauptsacheverfahren beantragt worden, um eine sachgerechte Bearbeitung des konkreten Falles zu gewährleisten. Das Sozialgericht habe ihm sodann die Leistungsakte für eine Woche zur Einsicht übersendet. Sie habe einen Umfang von insgesamt 388 Seiten gehabt. In der Kürze der Zeit sei es nicht möglich gewesen, die gesamte Akte vollständig durchzuschauen (und lediglich von einzelnen fallrelevanten Seiten Kopien anzufertigen. Es sei daher die gesamte Akte eingescannt worden. Eine Kopie der vollständigen Akte sei schon deshalb erforderlich, da sich oftmals erst im Klageverfahren herausstelle, dass weitere in der Leistungsakte befindliche Unterlagen für die Bearbeitung des Rechtsstreits relevant seien.

Der Erinnerungsführer beantragt,

den Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 11. Juli 2014 abzuändern und weitere aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren und Auslagen betreffend das Verfahren S 13 AS 5530/11 in Höhe von 90,08 EUR festzusetzen.

Der Erinnerungsgegner beantragt,

die Erinnerung zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht er sich im Wesentlichen auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Beklagtenakten des Verfahrens S 13 AS 5530/11 Bezug genommen.

II.

Anzuwenden ist das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) in der Fassung bis zum 31. Juli 2013 (a.F.), denn der Auftrag zur Erledigung war vor diesem Zeitpunkt erteilt worden. Nach § 60 Abs. 1 S. 1 RVG ist die Vergütung nach bisherigem Recht zu berechnen, wenn der unbedingte Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit im Sinne des § 15 RVG vor dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung erteilt oder der Rechtsanwalt vor diesem Zeitpunkt bestellt oder beigeordnet worden ist.

Die gemäß § 56 Abs. 1 S. 1 RVG statthafte Erinnerung ist zulässig aber unbegründet. Der Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 11. Juli 2014 betreffend die dem Rechtsanwalt aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren und Auslagen des Verfahrens S 13 AS 5530/11 war nicht abzuändern.

Nach § 55 Abs. 1 S. 1 RVG setzt der Urkundsbeamte auf Antrag des Rechtsanwalts den Betrag der zu erstattenden Kosten fest.

Nach § 3 Abs. 1 S. 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren, die dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt aus der Landeskasse zu erstatten sind (§ 45 Abs. 1 RVG). Den Klägern wurde Prozesskostenhilfe gewährt; sie waren auch kostenprivilegiert i. S. d. § 183 S. 1 SGG. Damit scheidet die Anwendung des GKG aus (§ 197a Abs. 1 S. 1 SGG).

Bei Rahmengebühren, wie sie in der vorliegenden sozialrechtlichen Streitigkeit entstanden sind, bestimmt der Rechtsanwalt nach § 14 Abs. 1 S. 1 RVG die Gebühren im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit für die Auftraggeber sowie ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse nach billigem Ermessen. Bei Verfahren, bei denen Betragsrahmengebühren anfallen, ist daneben ein besonderes Haftungsrisiko zu berücksichtigen. Die Aufzählung der Bemessungskriterien ist nicht abschließend; die genannten Kriterien stehen gleichwertig und selbstständig nebeneinander.

Die Höhe der Gebühr errechnet sich nach dem Vergütungsverzeichnis VV der Anlage 1 zum RVG.

Die Festsetzung der jeweiligen Mittelgebühr kommt grundsätzlich dann in Betracht, wenn im Ergebnis der Feststellungen zu den Kriterien des § 14 RVG davon auszugehen ist, dass es sich um einen Durchschnittsfall handelt. Zunächst wird insoweit auf die Grundsatzentscheidung des BSG v. 01.07.2009 - B 4 AS 21/09 R - betreffend die einzelnen Kriterien des § 14 RVG hingewiesen und auf diese Bezug genommen.

Die Staatskasse ist kein Dritter im Sinne des § 14 Abs. 1 S. 4 RVG. Die Billigkeit der geltend gemachten Vergütung war daher von Amts wegen zu prüfen (vgl. Thür. LSG v. 07.02.2013 - L 6 SF 1883/12 B; Thür. LSG v. 21.01.2013 - L 6 SF 1578/12 B). Diese Prüfung hat deshalb auch im Erinnerungsverfahren vollumfänglich zu erfolgen und ist nicht auf die vorgetragene Beschwer beschränkt (Thür. LSG v. 15.04.2015 - L 6 SF 331/15 B, Thür. LSG v. 09.12.2015 - L 6 SF 1286/15 B sowie Thür. LSG v. 30.12.2015 - L6 SF 1283/15 E; a.A. Bay. LSG v. 08.01.2013 - L 15 SF 232/12 B E). Es ist nur konsequent, wenn der Gegenstand des Erinnerungsverfahrens die gesamte Kostenfestsetzung ist, nicht nur die einzelne Gebühr, gegen deren Versagung sich die Erinnerung richtet (vgl. Ahlmann in Riedel/Sußbauer, RVG, 10. Auflage 2015, § 56 Rdnr. 7; Hartmann in Kostengesetze, 43. Auflage 2013, § 56 RVG Rdnr. 9).

Begrenzt wird die Überprüfung allerdings ggf. durch den Antrag des Rechtsanwalts (vgl. Thür. LSG v. 07.04.2015 - L 6 SF 145/15 B) und das Verbot der "reformatio in peius" (Ahlmann in Riedel/Sußbauer, RVG, 10. Auflage 2015, § 56 Rn. 7). Dies wiederum gilt jedoch nicht, wenn neben dem Rechtsanwalt auch die Landeskasse Erinnerung eingelegt hat. Die von Amts wegen vorzunehmende Vergütungsfestsetzung ist dann "in beide Richtungen" offen. Es handelt sich bei der Festsetzung der aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren und Auslagen gerade nicht um ein Fall des § 197 Abs. 2 SGG, bei welchem nach § 14 Abs. 1 S. 4 RVG Gebühren durch die Gegenseite "zugestanden" werden können.

1.

Der im Erinnerungsverfahren gestellte Antrag beschränkt die Erinnerung gegenständlich auf die Dokumentenpauschale (Nr. 7000 VV-RVG). Er begrenzt die Reichweite der Überprüfung im Erinnerungsverfahren (vgl. Thür. LSG v. 07.04.2015 - L 6 SF 145/15 B, juris, Rn. 18). Die übrige Festsetzung d. UdG steht hingegen nicht zur Überprüfung.

2.

Die Voraussetzungen für die Erstattung der beantragten Dokumentenpauschale Nr. 7000 Abs. 1, Buchst. a VV RVG liegen nicht vor.

Die Pauschale nach Nr. 7000 VV RVG wird gewährt für Ablichtungen und Ausdrucke aus Behörden- und Gerichtsakten, soweit deren Herstellung zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten war.

Es ist gerichtsbekannt, dass der Rechtsanwalt im Rahmen der Akteneinsicht die Behördenakten einscannt und in elektronischer Form speichert. Bei der Wahrnehmung von Erörterungsterminen und mündlichen Verhandlungen nutzen die Bediensteten des Rechtsanwalts ausschließlich Notebooks, um Einsicht in die Unterlagen zu nehmen.

Die Frage, ob das Einscannen von Aktenbestandteilen den Begriff der Ablichtung im Sinne Nr. 7000 VV RVG erfüllt, wird unterschiedlich beantwortet. So haben beispielsweise das Bayerische Landessozialgericht (Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 13. Dezember 2012 - L 15 SF 325/11 B E -, juris) und das Oberlandesgericht Bamberg (OLG Bamberg, Beschluss vom 26. Juni 2006 - 1 Ws 261/06 -) die Auffassung vertreten, der Dokumentenscan sei der körperlichen Herstellung des Dokumentes gleichzustellen.

Hiergegen spricht jedoch die inzwischen erfolgte gesetzgeberische Klarstellung zum zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetz. In der Gesetzesbegründung war klargestellt, dass als Kopie im Sinne des Kostenrechts nur die Reproduktion einer Vorlage auf einen körperlichen Gegenstand, beispielsweise auf Papier, Karton oder Folie anzusehen ist (Bundestag-Drucksache 517/12 zu Nr. 7000 VV RVG, Seite 444 unter Bezugnahme auf § 11 GNotKG, Seite 222). Der Begriff der Ablichtung bzw. Kopie im Sinne des Kostenrechts ist im Lichte dieser ausdrücklich als Klarstellung bezeichneten Gesetzesbegründung zu sehen. Eine Berücksichtigung von bloßen Scans scheidet insoweit aus (vgl. AG Hannover, Beschluss vom 31. Januar 2014 - 218 Ls 3161 Js 31640/12 (598/12), 218 Ls 598/12 - juris, Rn. 7; im Ergebnis ebenso: SG Dortmund, Beschluss vom 10. Juni 2009 - S 26 R 245/06 -, juris).

Ferner fallen bei dem bloßen Einscannen von Dokumenten - anders als bei deren körperlicher Reproduktion - gerade keine Kosten durch den Ausdruck (Papier, Toner, usw.) an. D.h., bei dem reinen Einscannen einer Akte spielt die Anzahl der Seiten im Hinblick auf Reproduktionskosten grundsätzlich keine Rolle. Der Gebührentatbestand der Nr. 7000 VV RVG knüpft jedoch an der Seitenzahl und den daraus resultierenden Kosten an.

Die Erinnerung war daher zurückzuweisen.

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