AG St. Ingbert, Urteil vom 16.06.2020 - 23 OWi 63 Js 2716/19 (65/20)
Fundstelle
openJur 2021, 8350
  • Rkr:

Es begegnet keinen nennenswerten datenschutzrechtlichen Bedenken, wenn Polizei- oder Verwaltungsbehörden ausschließlich zum Zweck der Identitätsfeststellung und damit der Fahrermittlung betreffend eine Verkehrsordnungswidrigkeit Passbildkopien betreffend Halter/Halterin eines Kfz und unter Umständen von dessen/deren Umfeldpersonen (Familienmitglieder, Firmenmitarbeiter) über die zuständige Behörde beiziehen, ohne diese Personen vorher deswegen angehört zu haben, wenn der/die Halter/Halterin im Rahmen der Anhörung bzw. Zeugenbefragung schweigt, vom Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht oder nach mehrfachen polizeilichen Ermittlungsversuchen am Wohn- bzw. Firmensitz nicht angetroffen wurde und es keine sonstigen Anhaltspunkte für den/die Fahrzeugführer/in gibt (kein Beweiserhebungsverbot, entgegen AG Landstuhl, Bes. v. 26. Oktober 2015 - 2 OWi 7129/15).

Tenor

Gegen die Betroffene wird wegen fahrlässiger Verletzung der Pflicht, auf einer Autobahn eine Rettungsgasse zur Durchfahrt von Polizeifahrzeugen zu bilden trotz stockenden Verkehrs - mit Behinderung - eine Geldbuße von 240,-€ festgesetzt.

Es wird ein Fahrverbot von 1 Monat angeordnet.

Das Fahrverbot wird wirksam, wenn der Führerschein nach Rechtskraft der Bußgeldentscheidung in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von 4 Monaten seit Eintritt der Rechtskraft.

Die Betroffene trägt die Kosten des Verfahrens.

Angewendete Vorschriften: §§ 1 Abs. 2, 11 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 1, 11 StVO, §§ 24, 25 StVG

Gründe

In der Hauptverhandlung wurden folgende Feststellungen getroffen:

Die Betroffene befuhr in der Mittagszeit des 2.7.2019 mit dem Pkw (amtliches Kennzeichen: ...) die BAB 620 in Fahrtrichtung Saarbrücken. Kurz vor der Ausfahrt Wadgassen hatte sich ein schwerer Verkehrsunfall ereignet, wodurch sich ein Rückstau auf der Autobahn bildete. Ein 1. polizeiliches Einsatzfahrzeug konnte durch die bestehende Rettungsgasse ungehindert zur Unfallstelle kommen. Kurze Zeit danach befand sich der Zeuge POK ... zusammen mit seiner Kollegin Polizeikommissarin ... als Fahrerin mit einem weiteren Einsatzfahrzeug auf dem Weg zur Unfallstelle. Mittlerweile hatte die Betroffene mit ihrem Fahrzeug die rechte Spur der Autobahn verlassen und wollte auf die linke Spur wechseln, auf welcher der Verkehr etwas vorankam, wenn auch nur stockend und zähflüssig. Die Betroffene stand quer zur Fahrbahn, versperrte somit die Rettungsgasse, sodass der Zeuge mit dem Einsatzfahrzeug am Weiterfahren durch die Rettungsgasse zur Unfallstelle gehindert war. Der Zeuge konnte die Betroffene in ihrem Fahrzeug eindeutig erkennen, verzichtete jedoch in dieser Situation wegen des dringenden Einsatzes an der Unfallstelle auf Feststellung der Personalien der Betroffenen sowie deren Anhörung.

Die Fahrerermittlung durch den Zeugen ist aus Sicht des Gerichts datenschutzrechtlich nicht zu beanstanden, sodass insoweit auch kein Verwertungsverbot der Zeugenaussage betreffend Identifizierung der Betroffenen anzunehmen war. Der Zeuge konnte die Betroffene beim Passieren der Örtlichkeit in ihrem Fahrzeug deutlich sehen, war jedoch wegen der erforderlichen Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen daran gehindert, zeitnah hier weiter zu ermitteln, insbesondere die Personalien der Betroffenen aufzunehmen. Um entsprechende Ermittlung kümmerte er sich jedoch wenige Tage danach, indem er zunächst die Halterin des Fahrzeugs feststellte und in der Folgezeit die Halteranschrift mehrfach an verschiedenen Werktagen aufsuchte, ohne jeweils die Betroffene anzutreffen; auch telefonisch war die Halterin nicht erreichbar. Nach diesen erfolglosen Versuchen ersuchte der Zeuge am 05.09.2019, also über 2 Monate nach der Tat, die Gemeinde ... um Übermittlung eines Fotos von der Halterin bzw. deren Inhaberin in Anbetracht drohenden Verjährungseintritts. An Hand dieses Fotos konnte der Zeuge Identität zwischen der Fahrerin und Inhaberin der Halterin feststellen. Diese wurde dann durch Anhörungsschreiben vom 13.09.2019 als Betroffene seitens der Verwaltungsbehörde angehört.

Dieses Vorgehen des Zeugen zur Ermittlung der Fahrerin und damit Betroffenen begegnet keinen Bedenken. Zum Zweck der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten sind Bußgeld- und Ermittlungsbehörden nach §§ 46 Abs. 1, 161 Abs. 1 StPO berechtigt, von allen Behörden Auskunft zu verlangen. Dieses Auskunftsrecht umfasst auch die Herausgabe eines bei der Meldebehörde hinterlegten Lichtbilds (OLG Rostock, 29.11.2004, 2 Ss OWi 302/04 I 178/04; OLG Bamberg, 02.08.2005, 2 Ss OWi 147/2005) und basiert auf den §§ 22 Abs. 2 Passgesetz sowie 2 Abs. 2, 24 Abs. 2, 25 Abs. 2 Personalausweisgesetz, wobei in § 22a Passgesetz und § 25 Personalausweisgesetz differenziert wird nach personenbezogenen Daten - Abs. 1 - und dem abrufbaren Lichtbild- Abs. 2. Diese Differenzierung erhellt unterschiedliche Schutzzwecke: sensible personenbezogene Daten sind nach dem Gesetz mehr geschützt vor Zugriffen, um Missbrauch zu verhindern, als lediglich das Lichtbild. Letzteres soll nicht grundlos im automatisierten Verfahren abgerufen werden können, ist aber ansonsten von der Pass- bzw. Personalausweisbehörde auf berechtigte Anforderung hin zu übermitteln.

Es ist auch entgegen Auffassung des Verteidigers nicht ersichtlich, welche Rechte von Fahrzeugführern, die sich im öffentlichen Raum motorisiert bewegen und gegen Verkehrsregeln, die dem Schutz der Allgemeinheit dienen, verstoßen, signifikant tangiert sein könnten, wenn hinterlegte Lichtbilder zur Identitätsfeststellung - und zu keiner weiteren Datenverwertung - herangezogen werden.

Dies muss zwangsläufig auch gelten im Rahmen der Ermittlung des Fahrzeugführers, wenn dieser als solcher also noch nicht feststeht bzw. bekannt ist und es letztlich kaum andere Mittel gibt, einen Fahrzeugführer innerhalb der kurzen Verjährungsfrist von 3 Monaten mit verhältnismäßigem Aufwand zu ermitteln. Anknüpfungspunkt für eine solche Ermittlung ist zunächst der Halter. Wenn dieser auf Anhörung hin schweigt, sich auf ein Zeugnisverweigerungsrecht beruft oder aus diversen Gründen nicht erreichbar ist, bleibt keine andere Wahl, als zunächst ein Foto des Halters beizuziehen und, wenn dieser als Fahrer nicht in Betracht kommt, im - familiären oder gewerblichen - Umfeld des Halters nachzuforschen und entsprechend Fotos von in Betracht kommenden Personen beizuziehen. Dies erst für zulässig zu halten, wenn Fahrer/Betroffener feststehen und angehört sind, ist ein Zirkelschluss. Denn wenn die Behörde nur Informationen hat über den Halter, der auf Zeugenanhörung hin schweigt oder nicht erreichbar ist, aber keine Anhaltspunkte für den Fahrzeugführer, müsste die Behörde sozusagen ins Blaue hinein ohne hinreichende Anhaltspunkte den Halter und eventuell Personen aus seinem Umfeld als Fahrer verdächtigen und als Betroffene/n anhören. Dies ist sinnwidrig.

Ein gravierenderer Eingriff und wenig zielführend wäre es demgegenüber, zu verlangen, dass Polizeibeamte dem Halter an dessen Wohn- oder Firmenanschrift einen "Hausbesuch" abstatten, wobei das Einsatzfahrzeug vor dem Anwesen geparkt würde, und den Halter und eventuell weitere Hausbewohner sowie Nachbarn unter Vorlage des Messfotos zur Ermittlung des Fahrers und damit Delinquenten eines Verkehrsverstoßes befragen. Damit wären der Halter und unter Umständen andere Personen in seinem Umfeld als mögliche Täter einer Tat geoutet, die einen polizeilichen Einsatz erforderlich macht, unabhängig davon, dass solch polizeiliche Einsätze angesichts massenhaft vorkommender Verkehrsverstöße unverhältnismäßig sind und wesentliche sonstige Polizeiarbeit blockiert würde.

Angesichts dessen, dass ein "Eingriff in die Rechte" eines zu ermittelnden Fahrzeugführers durch Beiziehung eines Fotos ausschließlich zur Identitätsüberprüfung als allenfalls geringfügig anzusehen ist, erscheint ein solcher "Eingriff" zum Zweck des allgemeinen staatlichen Auftrags, nämlich weitestgehend Verkehrssicherheit zu gewährleisten und massenhaft vorkommende Verkehrsverstöße zu sanktionieren, uneingeschränkt gerechtfertigt.

Somit erfolgte die Ermittlung der Betroffenen vorliegend nicht unter Verstoß gegen ein Beweiserhebungsverbot. Selbst wenn man ein solches annähme, wovon das Gericht allerdings nicht ausgeht, wäre hieraus kein Beweisverwertungsverbot abzuleiten (OLG Rostock, OLG Bamberg, a.a.O.).

Nach dem festgestellten Sachverhalt hat die Betroffene in fahrlässiger Weise ihre Pflicht verletzt, bei stockenden Verkehr wegen eines Unfallereignisses eine Rettungsgasse zu bilden, §§ 1 Abs. 2,11 Abs. 2,49 Abs. 1 Nummer 2,11 StVO, 24 StVG, 19 OWiG. Auch wenn die Betroffene zuvor einer Rettungsgasse gebildet hatte, sodass das 1. Einsatzfahrzeug passieren konnte, so hat sie doch mit dem beabsichtigten und durchgeführten Spurwechsel - offenbar zum Zwecke schnelleren Fortkommens auf der linken Spur - die Rettungsgasse versperrt und das zügige Durchfahren des 2. Einsatzfahrzeug behindert; hierbei hätte sie auch vorhersehen können, dass nach dem ersten Einsatzfahrzeug weitere folgen würden. Nach Auffassung des Gerichts und entgegen der des Verteidigers lag somit ein Regelfall vor.

Der Verstoß war mit der Regel Geldbuße in Höhe von 240 € sowie einem Regelfahrverbot von einem Monat zu sanktionieren. Hiervon ab abzuweichen gab es keine Anhaltspunkte, wurden auch seitens der Betroffenen nicht vorgetragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 46 OWiG, 465 StPO.

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