LG Bielefeld, Urteil vom 03.03.2020 - 2 KLs 1/20
Fundstelle
openJur 2021, 7284
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • nachfolgend: Az. 4 SGR 31/20
Tenor

Es wird die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.

Der Beschuldigte hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Nebenklägerin zu tragen.

Angewandte Vorschrift: § 63 StGB.

Gründe

I.

Der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 56 Jahre alte Beschuldigte wurde in D. geboren, wo er auch zusammen mit einer älteren Schwester im elterlichen Haushalt aufwuchs. Sein Vater arbeitete als Bundesbahnsekretär, seine Mutter zunächst als Näherin und später als kaufmännische Angestellte. Als der Beschuldigte zwei Jahre alt war, starb sein Vater. Mit der Mutter verband ihn bis zu deren Tod im Jahr 2011 stets ein enges und gutes Verhältnis.

Der Beschuldigte ist ledig. Aus einer früheren Beziehung hat er einen im Jahr 19xx geborenen Sohn, zu dem allerdings kein Kontakt mehr besteht.

Nach vorherigem Kindergartenbesuch wurde der Beschuldigte im Jahr 1970 eingeschult. Von der Grundschule wechselte er auf die Gesamtschule I. , die er 1980 nach einer insgesamt unauffällig verlaufenen Schulzeit mit dem Realschulabschluss verließ. Im Anschluss absolvierte er erfolgreich eine Lehre als Maschinenschlosser. Während seines Zivildienstes, den der Beschuldigte im Jahr 19xx begann, entwickelte sich bei ihm eine - möglicherweise durch Drogenkonsum ausgelöste - paranoide Schizophrenie mit einer chronischen Verlaufsform, deren Vollbild sich erstmals im Jahr 19xx zeigte. Zur Aufnahme einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt kam es im weiteren Verlauf krankheitsbedingt nicht. Der Beschuldigte lebte seitdem und lebt von staatlichen Leistungen. Damit das ihm monatlich zur Verfügung stehende Geld nicht immer sofort von ihm ausgegeben wird, erhält er von dem Zeugen J. , seinem Betreuer - für den Beschuldigten besteht seit dem 01.01.19xx eine rechtliche Betreuung -, wöchentlich ein kleines Taschengeld ausgezahlt.

Aufgrund der Erkrankung befand sich der Beschuldigte seit deren Ausbruch immer wieder in (stationärer) psychiatrischer Behandlung, was jedenfalls teilweise auf betreuungsrechtlicher Grundlage bzw. auf Grundlage des PsychKG erfolgte. Dabei stellten die behandelnden Ärzte neben der psychiatrischen Grunderkrankung bei dem Beschuldigten wiederholt einen schädlichen Gebrauch von Cannabinoiden sowie einen Alkoholmissbrauch fest. Einzelheiten zu Art, Umfang und Häufigkeit des Suchtmittelkonsums konnte die Kammer nicht feststellen. Zu einer suchttherapeutischen Bearbeitung kam es nicht.

In der Zeit der Erkrankung gab es sowohl Phasen relativer Stabilität und Alltagstauglichkeit, in denen der Beschuldigte medikamentös gut eingestellt war und die Medikamente auch nahm, als auch solche, in denen er ohne Krankheits- und Behandlungseinsicht war und sich weigerte, Medikamente zu nehmen und zum Teil obdachlos war. Nach einer langen Zeit, in der er in einer Wohnung in der K. in D. gelebt hatte, musste er diese nach Streitigkeiten mit Nachbarn, die sich durch den Beschuldigten und dessen Verhalten gestört gefühlt hatten, im Jahr 20xx verlassen. Im Folgenden bewohnte er ein Zimmer in der L. in D. , einer Einrichtung, die bedarfsgerechten Wohnraum für psychisch kranke Menschen vorhält. Später bezog er eine eigene Wohnung, die an die L. angeschlossen war. Auch diese musste er wieder verlassen, nachdem es zu (vom Beschuldigten ausgehenden) Auseinandersetzungen bis hin zu körperlichen Übergriffen auf Mitbewohner gekommen war. Ausführungen zu den folgenden Wohnverhältnissen finden sich unter II.

Der Beschuldigte ist nicht vorbestraft.

II.

Nachdem er die an die L. angeschlossene Wohnung verlassen musste, befand sich der Beschuldigte ab Ende August 20xx aufgrund eines auf die Dauer von zwei Jahren angelegten betreuungsrechtlichen Unterbringungsbeschlusses im M.-Haus in D.-N. Dabei handelt es sich um eine Integrationseinrichtung der von O. , in der vorrangig, aber nicht nur, suchtmittelkranke Menschen wohnen. Die Unterbringung erfolgte zunächst geschlossen, nach kurzer Zeit aber teilgeschlossen mit der Möglichkeit täglicher Ausgänge. In deren Rahmen kam es immer wieder dazu, dass der Beschuldigte nicht feststellbare Mengen Alkohol, gelegentlich auch Marihuana, konsumierte. Eine Einnahme der erforderlichen neuroleptischen Medikation verweigerte er durchgängig, weshalb er sich oftmals in einem psychotischen Zustand befand, in dem er vor sich hin sprach, in seinen Gedanken zerfahren und sprunghaft, im Kontakt nicht erreichbar, stark unruhig, angespannt und aggressiv war. Seine Aggressionen richteten sich gegen Mitbewohner und das Personal, in einem Fall auch gegen einen wegen eines von ihm ausgelösten Vorfalls gerufenen Polizeibeamten, und äußerten sich in Beschimpfungen und Bedrohungen sowie körperlichen Übergriffen in Form von Treten, Schlagen und Würgen. Insgesamt zwölf Mal kam es nach derartigen Vorfällen in der Zeit von August 20xx bis September 20xx zu Einweisungen nach dem PsychKG. Die Kammer hat folgende Fälle festgestellt:

1. Fall 1

Am xx.11.20xx kam der Beschuldigte gegen 01:45 Uhr aus seinem Zimmer und traf dort auf die stark alkoholisierte Mitbewohnerin P. , die zu diesem Zeitpunkt von einem Ausgang zurück in die Einrichtung gekehrt war und über den Flur zu ihrem Zimmer lief. Bereits in der Vergangenheit hatte es Auseinandersetzungen zwischen dem Beschuldigten und der als schwierig bekannten Frau P. gegeben. Der Beschuldigte schlug ihr nun unvermittelt mindestens einmal mit der Faust gegen den Oberkörper, wobei es Frau P. noch gelang, sich wegzudrehen. Im Anschluss trat ihr der Beschuldigte, der zu dem Zeitpunkt Turnschuhe trug, kräftig gegen den Oberkörper, wodurch sie nach hinten und zu Boden fiel. Eine Verletzung erlitt sie hierdurch nicht. Die Geschädigte stand dann wieder auf und entfernte sich in ihr Zimmer. Auch der Beschuldigte begab sich zurück in sein Zimmer.

2. Fall 2

Am xx.xx.20xx begab sich der Beschuldigte gegen 19:00 Uhr in die Gemeinschaftsküche seiner Wohneinrichtung, wo sich auch der Zeuge Q. befand, der seit etwa drei Wochen gleichfalls im M. -Haus wohnte. Einen persönlichen Kontakt gab es bis zu dem Zeitpunkt zwischen den beiden nicht. Der Zeuge Q. , der sich sein Abendbrot zubereiten wollte, stand mit dem Gesicht zum Kühlschrank und dem Rücken zu dem Beschuldigten. Dieser nahm ein auf einem dort befindlichen Tisch stehendes Marmeladenglas ohne Deckel, das dem Q. nicht gehörte, in die Hand, und sagte zu ihm, dass auf das Glas ein Deckel gehöre. Als sich der Angesprochene umdrehte, schlug ihm der Beschuldigte mit dem Glas gegen die linke Gesichtsseite. Dem Zeugen Q. brach dadurch ein oberer Schneidezahn ab und er erlitt Schmerzen, die etwa eine Woche andauerten. Zudem bluteten der Mund und die Nase. Einen Arzt suchte der Geschädigte gleichwohl nicht auf. Im Anschluss an den Vorfall verließ der Zeuge Q. die Küche. Im weiteren Verlauf ging er dem Beschuldigten aus Angst vor weiteren nicht vorhersehbaren Angriffen aus dem Weg.

3. Fall 3

Am Morgen des xx.03.20xx begab sich der Beschuldigte gegen 06:40 Uhr zum Pflegedienstzimmer des M. -Hauses. Dort trat er gegen dessen Tür. Als der Zeuge R. , der als Krankenpfleger in der Einrichtung arbeitet, die Tür öffnete, sagte er diesem, dass er das Haus für einen Ausgang verlassen wolle und deshalb die Ausgangstür geöffnet werden solle. Der Zeuge R. teilt ihm mit, dass dies aus organisatorischen Gründen erst später möglich sei. Daraufhin trat der Beschuldigte, der Turnschuhe trug, dem Zeugen R. kräftig in den Genitalbereich. Der Zeuge R. sackte etwas in sich zusammen. Trotz der Schmerzen, die er hatte, gelang es ihm aber, sich in das Dienstzimmer zurückzuziehen und die Tür zu schließen. Der Beschuldigte verblieb auf dem Flur und schimpfte laut vor sich hin. Sodann warf er sich auf den Boden, rief "ich will nicht geschlagen werden" und schmiss sich auf den Rücken. Später am Tag wurde der Beschuldigte aufgrund dieses Vorfalls nach dem PsychKG in der psychiatrischen Klinik des Evangelischen Krankenhauses D. untergebracht. Der Geschädigte beendete aufgrund des Vorfalls seinen Dienst und hatte etwa einen halben Tag lang Schmerzen.

Nachdem der Beschuldigte im Oktober 20xx in seinem Zimmer Papier entzündet hatte, wurde er ein weiteres Mal gemäß dem PsychKG untergebracht. Im Anschluss lehnte das M. -Haus eine erneute Aufnahme des Beschuldigten ab. Dieser erhielt dann einen Notschlafplatz in einer städtischen Wohnungslosenunterkunft in der S. in D. , wo er auch in den Folgemonaten blieb. Am xx.02.20xx beleidigte und bedrohte er dort jedoch alkoholisiert einen Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes ("Scheißtürke! Ich bringe dich um!"), weswegen er ein dreimonatiges Hausverbot erhielt.

4. Fall 4

Daher bekam der Beschuldigte nun am Abend des xx.02.20xx ein Zimmer in einer anderen städtischen Obdachlosenunterkunft in der T. -Straße xx in D. zugewiesen. Gegen 21:00 Uhr führte ihn die Zeugin U. , die dort als Sicherheitsmitarbeiterin tätig ist, gemeinsam mit einem Kollegen zu seinem Zimmer, das sie ihm aufschlossen. Sodann erklärten sie ihm die Hausregeln und übergaben ihm Kissen und Bettzeug. Nun kehrte die Zeugin U. dem Beschuldigten den Rücken zu und begab sich in Richtung des wenige Meter entfernten Zimmerausgangs. Als sie im Begriff war, den Raum zu verlassen, machte sie noch das Licht an und wollte die Tür hinter sich schließen, als ihr der Beschuldigte, der vorher auf der anderen Zimmerseite am Bett gestanden und einen unauffälligen Eindruck hinterlassen hatte, nachlief und die Zimmertür zudrückte, um sie damit zu treffen. Tatsächlich klemmte er ihr so den rechten Arm zwischen dem Türblatt und dem Türrahmen ein. Erst als die Geschädigte schimpfte und schrie, ließ der Beschuldigte, der bis dahin weiter zudrückte, die Tür los und wich zurück. Die Zeugin U. erlitt durch die Tat neben Schmerzen, die etwa drei Tage anhielten, eine leichte Prellung und eine Schwellung des Ellenbogens. Die Verletzungen heilten folgenlos ab.

Der Beschuldigte, der auch in der Zeit nach dem M. keine Medikamente mehr genommen hatte, lebte bis zuletzt in der Obdachlosenunterkunft T. -Straße. Allerdings erhielt er während der laufenden Hauptverhandlung - am xx.02.20xx - dort Hausverbot, nachdem er zuvor einen Kollegen der Zeugin U. körperlich attackiert hatte, der ihn an dem Morgen des Tages geweckt hatte, da er wie üblich - entsprechend den Vorgaben der Einrichtung, die lediglich einen nächtlichen Schlafplatz bietet, aber den Aufenthalt am Tag nicht vorsieht - die Unterkunft um 09:00 Uhr verlassen musste.

Bei Begehung der Taten war die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Beschuldigten jedenfalls erheblich vermindert, nicht ausschließbar auch vollständig aufgehoben. Die chronifizierte paranoide Schizophrenie, unter der er leidet, ist als krankhafte seelische Störung im Sinne des § 20 StGB einzuordnen. Infolge der Erkrankung, die zu einer Störung der Impulskontrolle führt, war die Steuerungsfähigkeit zu den Tatzeiten zumindest erheblich vermindert, nicht ausschließbar eben auch vollständig aufgehoben.

Da das Gefährdungspotential des Beschuldigten - wie auch die vorliegenden Taten, die sich als Symptomtaten erweisen, zeigen - erheblich ist und dieses auf die unverändert fortbestehende krankhafte seelische Störung zurückgeht, besteht eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür, dass es auch in Zukunft zu Gewalt- und Aggressionsdelikten kommt, wenn er sich nicht einer kontinuierlichen psychiatrischen und psychopharmakologischen Behandlung unterzieht, wozu er indes nicht bereit ist. Unbehandelt hätte die Erkrankung zur Folge, dass der Beschuldigte krankheitsbedingt weiterhin eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit darstellte.

III.

Die Feststellungen zum Lebenslauf beruhen auf der Einlassung des Beschuldigten, den Ausführungen des Sachverständigen V. im Rahmen seiner Gutachtenerstattung und den Angaben des Zeugen J. .

Die Feststellungen zur Sache fußen nur insoweit auf der Einlassung des Beschuldigten, als dieser gefolgt werden konnte, und im Übrigen auf dem weiteren Ergebnis der Beweisaufnahme, deren Inhalt und Umfang sich aus dem Hauptverhandlungsprotokoll ergeben.

Die Einlassung des Beschuldigten war durchsetzt von weitschweifigen, neben der Sache liegenden Äußerungen. Soweit nachvollziehbar, hat sich der Beschuldigte hinsichtlich der Taten im Rahmen der Hauptverhandlung im Wesentlichen wie folgt geäußert:

Frau P. habe er wirklich angegriffen, das sei aber Selbstschutz gewesen. Sie sei ihm "auf den Keks" gegangen, habe "Tanz machen" wollen, "W. und so".

An die Sache mit dem Marmeladenglas könne er sich nicht erinnern.

Herr R. habe, nachdem er - der Beschuldigte - zuvor an der Tür geklopft habe, um rausgelassen zu werden, ihn getreten, nicht umgekehrt. Auch habe Herr R. ihn mit einem Stellwagen angegriffen. Bereits früher habe ihm Herr R. seine Pfeife und 5,00 € geklaut. Insgesamt sei N. ein Umverteilungslager für X. . Bei Frau U. habe er keinen Tabak gehabt.

Diese Einlassung des Beschuldigten ist - soweit sie den getroffenen Feststellungen widerspricht - durch die Beweisaufnahme widerlegt.

Die Feststellungen zu den Taten und deren Folgen beruhen auf den glaubhaften Angaben des Zeugen Y. , der als Pflegehelfer bei dem Vorfall mit Frau P. Nachtdienst und die Tat auf dem Flur stehend beobachtet hatte, sowie der Geschädigten R. , Q. und U. , die das jeweilige, sie betreffende Geschehen plausibel und ohne überschießende Belastungstendenz berichteten, und zwar so, wie von der Kammer festgestellt. Insbesondere die Zeugin U. und der Zeuge R. machten deutlich, dass sie am Folgetag ohne weitere Probleme wieder arbeiten konnten und spielten den Vorfall eher herunter. Die von den Zeugen geschilderten Handlungen des Beschuldigten passen zueinander und sind auch mit der bei diesem infolge seiner Erkrankung vorhandenen Aggressivität und Impulskontrollstörung sowie mit seinem sonstigen von den Zeugen J. , AA. und BB. , die ihn über einen längeren Zeitraum als gesetzlicher Betreuer (der Zeuge J. ) bzw. als Bezugsbetreuer (der Zeuge AA. ) und Psychiater (der Zeuge BB. ) des M. -Hauses begleitet haben, berichteten Verhalten in Einklang zu bringen. Umgekehrt ist ein Grund, warum der Zeuge R. den Beschuldigten unvermittelt angegriffen haben sollte, nicht ersichtlich. Ferner hat der Zeuge AA. , der sich zusammen mit dem Zeugen R. und weiteren Kollegen zum Übergabegespräch im Dienstzimmer befunden hatte, bestätigt, dass der Angriff von dem Beschuldigten ausging und nicht umgekehrt.

Die Feststellungen zur Erkrankung des Angeklagten, dessen Schuldfähigkeit und zur Gefährlichkeitsprognose stützen sich auf das Gutachten des Sachverständigen V. , Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Dieser hat zusammengefasst Folgendes ausgeführt:

Der Beschuldigte leide an einer forensisch relevanten psychiatrischen Erkrankung, namentlich einer chronifizierten paranoiden Schizophrenie. Von dieser Diagnose sei unter Berücksichtigung der eigenen medizinischen Vorgutachten und der sonstigen medizinischen Behandlungsberichte sowie der erheblichen psychopathologischen Auffälligkeiten gesichert auszugehen. Die Krankheit zeige sich neben zwischenzeitlich auftretenden akuten psychotischen Zuständen in ausgeprägten, ständig vorhandenen psychotischen Symptomen. So bestehe bei dem Beschuldigten eine Störung des formalen Denkens in Form einer Denkzerfahrenheit. Auch sei das logischabstrakte Denkvermögen bei ihm deutlich eingeschränkt. Ferner liege eine deutliche psychosebedingte Impulskontrollstörung vor. Diese mache sich durch ein deutlich affektgestörtes, impulsives, gereiztes, situationsunangemessen aggressives Verhalten bemerkbar. Auch komme es aufgrund der Erkrankung zu Fehldeutungen von Situationen unter wahnhaftem Einfluss. Bei dem Beschuldigten bestünden weder eine Krankheits- noch eine Behandlungseinsicht. Die Erkrankung sei eine krankhafte seelische Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB. Sie bestehe seit mehr als 30 Jahren, weshalb sie im Hinblick auf die Länge des Krankheitsverlaufes mittlerweile als überdauernd und chronifiziert einzuschätzen sei.

Hinsichtlich des Suchtmittelkonsums des Beschuldigten sei bezüglich Alkohol und Cannabis von einem schädlichen Gebrauch auszugehen. Für eine entsprechende Abhängigkeitserkrankung gebe es keine ausreichenden Hinweise. Vielmehr spreche der Umstand, dass der Beschuldigte in der von der Kammer angeordneten Ungehorsamshaft im Rahmen dieser Hauptverhandlung keine Entzugssymptome gehabt habe, dagegen. Eine absolute Karenz wie jetzt über einen Zeitraum von zehn Tagen habe einen beruhigenden Effekt auf die Erkrankung, während ein Suchtmittelkonsum die Schizophrenie sehr negativ beeinflusse und binnen kurzer Zeit zu einer Zustandsverschlechterung führe, wie sich auch bei bzw. nach früheren Krankenhausaufenthalten des Beschuldigten gezeigt habe. Ein Substanzkonsum sei aber angesichts der Schwere der Erkrankung keine notwendige Bedingung für einen Impulsdurchbruch bei dem Beschuldigten. Ungeachtet dessen sei die krankhafte seelischgeistige Störung des Beschuldigten so beschaffen, dass bereits geringer Substanzkonsum eine akute erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auslösen könne. Das führende Störungsbild sei jedoch die paranoide Schizophrenie. Weitere schwere psychische Erkrankungen oder Störungen, die den Eingangsmerkmalen der §§ 20, 21 StGB entsprächen, fänden sich nicht.

Bezüglich sämtlicher vorgeworfenen Taten sei unter Berücksichtigung der chronifizierten Erkrankung und des situationsunangemessen aggressiven, impulsiven und affektgestörten Tatverhaltens mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit von einer psychosebedingten Impulskontrollstörung auszugehen, mit einer hieraus resultierenden erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB. Angesichts der Schwere der Erkrankung sei auch eine vollständig aufgehobene Steuerungsfähigkeit nicht ausgeschlossen.

Aus gutachterlicher Sicht lägen die Voraussetzungen einer Unterbringung nach § 63 StGB vor. Die Taten seien allesamt kausal auf eine psychosebedingte Impulskontrollstörung im Rahmen der paranoiden Schizophrenie zurückzuführen, also als Symptomtaten dieser schweren psychischen Erkrankung einzuschätzen. Dies lasse sich an dem situationsunangemessenen Verhalten des Beschuldigten, dessen Taten quasi aus dem Nichts geschahen, festmachen. Angesichts der Länge des bisherigen Krankheitsverlaufs sei von einer Chronifizierung auszugehen. Unverändert zeige der Beschuldigte deutliche Zeichen der schizophrenen Psychose. Da er weder krankheits- noch behandlungseinsichtig sei und entsprechend auch die erforderliche neuroleptische Behandlung nicht stattfinde, die zumindest zu einer gewissen Affektstabilisierung führen könne, sei von einer ungünstigen Behandlungsprognose und damit einem Überdauern der psychiatrischen Ausgangssituation auszugehen. So sei mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Beschuldigte - der bei den Anlasstaten eine deutliche Tendenz zu aggressivem Gewaltverhalten gezeigt habe - im Rahmen einer künftigen Reizsituation - die sich bei der zwangsläufig auftretenden Interaktion mit anderen Menschen niemals verhindern lasse - erneut aggressiv und gewalttätig reagiere, wobei dann vergleichbare Taten wie die Anlasstaten zu erwarten seien. Dabei sei die von dem Beschuldigten ausgehende Gefahr nicht durch eine weniger enge Betreuungssituation als im M. -Haus gebannt, wenngleich sein Erregungspegel angesichts seines ausgeprägten Freiheitsdrangs dann höher wäre. Letztlich sei zu erwarten, dass sein Aggressionslevel auch anderweitig, d.h. bei weniger enger Betreuungsituation, hoch sei. So sei es abhängig vom Zufall, auf welches Reizthema der Beschuldigte reagiere. Dies könnten auch Alltagssituationen sein, irgendwelche Wahrnehmungen, die bei ihm einen Impuls hervorriefen oder etwas, mit dem er sich wahnhaft beschäftige.

Die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Beschuldigten nach § 64 StGB lägen nicht vor. Eine Erfolgsaussicht für eine Behandlung sei angesichts seines psychotischen Zustands nicht gegeben.

Die Kammer ist dem Gutachten des Sachverständigen aus eigener Überzeugung gefolgt. Die Ausführungen waren unter Zugrundelegung zutreffender Tatsachen widerspruchsfrei und nachvollziehbar. Auch decken sie sich mit dem persönlichen Eindruck der Kammer, den sie von dem Beschuldigten im Verlauf der Hauptverhandlung gewonnen hat. Dieser hat sich auch hier als wahnhaft ("Halt den Mund, Stefanie von Monaco"; "Ich habe zwölf Affen und zwölf Löwen umgebracht.") und reizbar präsentiert (z.B. Dazwischenreden und Lautwerden bei Themen, die aus seiner Sicht unzutreffend abgehandelt wurden oder bei denen Fehlverhalten anderer Personen zu thematisieren sei).

IV.

Nach diesen Feststellungen ist gemäß 63 StGB die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus anzuordnen.

Er hat zum Nachteil des Krankenpflegers R. und der Mitpatientin P. tatbestandlich und rechtswidrig vorsätzliche Körperverletzungen im Sinne des § 223 Abs. 1 StGB und zum Nachteil des Zeugen Q. und der Zeugin U. tatbestandlich und rechtswidrig gefährliche Körperverletzungen gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB begangen, wobei er infolge einer krankhaften seelischen Störung - nämlich einer chronifizierten paranoiden Schizophrenie - jeweils jedenfalls im Zustand der verminderten Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB, nicht ausschließbar auch im Zustand einer vollständig aufgehobenen Schuldfähigkeit gemäß § 20 StGB gehandelt hat.

Jede der festgestellten Taten stand dabei in dem erforderlichen symptomatischen Zusammenhang mit der Erkrankung des Beschuldigten. Wie bereits ausgeführt führt die Psychose bei ihm neben Zuständen der Gereiztheit und Aggressivität zu nicht zu kontrollierenden Impulsdurchbrüchen. Dies war bei allen Taten der Fall, was sich daran zeigt, dass diese jeweils aus nichtigem oder ohne erkennbaren Anlass erfolgten, so dass andere Ursachen als die krankheitsbedingte Impulskontrollstörung auszuschließen sind.

Selbst wenn ein Substanzkonsum (Alkohol, Marihuana) zum Erreichen des Zustandes nach § 21 StGB beigetragen haben sollte, ist die Erkrankung des Beschuldigten so beschaffen, dass bereits geringer Substanzkonsum eine akute erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auslöst, so dass jedenfalls unter diesem Gesichtspunkt die Symptomatik zu bejahen ist.

Die Gesamtwürdigung des Beschuldigten und seiner Taten ergibt, dass infolge seiner unverändert bestehenden psychischen Erkrankung auch künftig erhebliche rechtswidrige Taten von ihm zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Die Persönlichkeit des Beschuldigten ist nach wie vor geprägt durch seine unvermindert fortbestehende Erkrankung, was auch an seinem Verhalten in der Hauptverhandlung deutlich erkennbar war. Nach der überzeugend begründeten Einschätzung des Sachverständigen V. , der sich die Kammer anschließt, sind von dem Beschuldigten auch künftig mit erhöhter Wahrscheinlichkeit - was die Kammer als Wahrscheinlichkeit höheren Grades wertet - Gewalt- und Aggressionsdelikte - insbesondere Körperverletzungsdelikte - zu erwarten. Dabei ist die von dem Beschuldigten ausgehende Gefahr umso größer, als er - auch insoweit folgt die Kammer dem Sachverständigen, der diesbezüglich von einem "zufälligen Verhalten" sprach - vollständig unberechenbar auf Reizsituationen reagiert bzw. Alltagssituationen wahnbedingt als solche wahrnimmt. Dies zeigen insbesondere die Taten zum Nachteil des Zeugen Q. und der Zeugin U. , in denen für einen Außenstehenden nicht wahrnehmbare Umstände abrupt zu einem Gewaltdurchbruch führten.

Die zu erwartenden Taten sind auch als erheblich anzusehen, da es sich um Gewalt- und Aggressionstaten handelt, die mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzurechnen sind. Dies zeigt sich bereits daran, dass der Beschuldigte z.B. im Fall 2 dem Geschädigten Q. mit einem gefährlichen Werkzeug ins Gesicht geschlagen hat, was erhebliche Verletzungen verursachen kann.

Im Hinblick auf die dem anhängigen Verfahren zugrunde liegenden Taten und die daraus abzuleitende Prognose bezüglich zukünftig zu erwartender Taten erscheint die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus auch nicht unverhältnismäßig (§ 62 StGB). Mildere Mittel kommen dagegen nicht in Betracht. Aufgrund der nicht vorhandenen Krankheits- und Behandlungseinsicht beim Beschuldigten ("Medikamente nehme ich grundsätzlich nicht.") ist die Möglichkeit einer ambulanten Behandlung derzeit nicht gegeben. Das gilt umso mehr, als es bislang selbst zahlreiche stationäre Krankenhausaufenthalte nicht vermochten, dauerhaft eine solche Einsicht zu wecken. Der Verhältnismäßigkeit steht auch nicht entgegen, dass der überwiegende Teil der Anlasstaten im Rahmen einer schon angeordneten (betreuungsrechtlichen) Unterbringung gegenüber Mitpatienten und einem Angehörigen des Pflegepersonals begangen wurde. Denn jedenfalls bei den Taten zum Nachteil der Mitpatienten hat es sich nicht um Tatanlässe gehandelt, die der speziellen Situation der Unterbringung geschuldet waren, sondern vielmehr um Delikte, die aus einer Alltagskonstellation resultierten. So war Auslöser der Taten jeweils der Ärger über das Verhalten von Mitmenschen, ohne dass allerdings eine akute spürbare Beeinträchtigung der eigenen Belange erkennbar gewesen wäre. Derlei Situationen sind auch künftig - ebenso wie sonstige Frustrationserlebnisse - mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sowohl in einer Unterbringung als auch in einem Leben in Freiheit zu erwarten. Zudem zeigt die Tat zum Nachteil der Zeugin U. (ebenso wie das von ihr geschilderte Verhalten gegenüber einem ihrer Kollegen), dass der Beschuldigte aggressive und gewalttätige bzw. gewaltorientierte Handlungen in Situationen, die anders laufen als von ihm gewünscht, auch außerhalb einer Einrichtung mit eng korsettierenden Rahmenbedingungen begeht.

Die Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 67b StGB zur Bewährung auszusetzen, kam nicht in Betracht, da der Zweck der Maßregel (Sicherung der Allgemeinheit und Heilung des Beschuldigten) angesichts der nicht unerheblichen von ihm ausgehenden Gefahr sowie der fehlenden Krankheits- und Behandlungseinsicht bei fortdauernder Erkrankung nur durch die Vollstreckung der Unterbringungsanordnung erreicht werden kann.

V.

Eine Unterbringung nach § 64 StGB kam angesichts seiner Grunderkrankung der paranoiden Schizophrenie mangels Erfolgsaussichten nicht in Betracht.

VI.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 465 Abs. 1, 472 Abs. 1 S. 1 StPO.

Eine Verständigung im Sinne des § 257c StPO hat nicht stattgefunden.

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