LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 13.06.2019 - L 4 R 21/17
Fundstelle
openJur 2021, 7264
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist die Höhe der der Klägerin zu zahlenden Hinterbliebenenrente.

Auf Antrag der Klägerin bewilligte die Beklagte ihr mit Bescheid vom 18. Dezember 2014 ab dem 4. November 2014 eine große Witwenrente aus der Versicherung des am 4. November 2014 verstorbenen Ehemanns R. A. in Höhe eines monatlichen Zahlbetrages von 584,27 €, nach Ablauf des Sterbevierteljahres; die Berechnung erfolgte unter Berücksichtigung eines um 0,084 geminderten Zugangsfaktors sowie der Anrechnung in Höhe von 73,77 € aus Erwerbsersatzeinkommen der Klägerin in Form einer Versichertenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung.

Die Klägerin bezieht aus ihrer eigenen Versicherung eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, die für die Zeit ab 1. November 2014 1.012,79 € (monatlicher Zahlbetrag 908,99 € nach Einbehalt des Beitragsanteils zur Kranken- und Pflegeversicherung) betragen hat.

Mit Widerspruch vom 18. Januar 2015 machte die Klägerin unter anderem geltend, sie widerspreche der zweifachen Kürzung ihrer Witwenrente. Ihr Mann sei am 4. November 2004 im Alter von 60 Jahren und 8 Monaten aus dem aktiven Arbeitsleben heraus verstorben. Er sei zu 50 % schwerbehindert, aber nie arbeitslos gewesen. Bei der Berechnung der Witwenrente seien für die Zeit vom 1. Dezember 2014 bis 31. März 2017 28 Monate abgezogen worden. Diese Abschläge, die für den vorgezogenen Rentenbeginn erhoben würden, seien bei Einbeziehung in die Berechnung der Witwenrente nicht nachvollziehbar, nicht richtig. Die zweite Kürzung erfolge mit der Anrechnung ihres Einkommens, einer Erwerbsminderungsrente. Auch sie sei zu 50 % schwerbehindert, Merkzeichen G. Von der zuerst gekürzten Witwenrente (minus 28 Monate) sei eine nochmalige Kürzung um anzurechnendes Einkommen erfolgt. Auch seien bei der Berechnung der zu berücksichtigenden Rente nur 13 % pauschal abgezogen worden. Die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung fordere "Einkommens- und Vermögensgrenzen für Menschen mit Behinderung abschaffen". Einige Petitionen an den Deutschen Bundestag beinhalteten ebenfalls die Abschaffung der Rentenkürzungen durch Anrechnung und Abschläge. Die doppelte Kürzung ihrer Witwenrente stelle eine besondere Härte dar und es liege im Ermessen der Deutschen Rentenversicherung, diese Abzüge nicht bzw. geringer vorzunehmen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12. März 2015 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück und erläuterte hierin ausführlich die Berechnung des Zugangsfaktors und die Einkommensanrechnung. Die Kürzung des Zugangsfaktors und die durchgeführte Einkommensanrechnung seien entsprechend der gesetzlichen Vorschriften erfolgt. Die Beklagte könne aufgrund der eindeutigen gesetzlichen Regelungen kein Ermessen ausüben, weil es seitens des Gesetzgebers keinen Ermessensspielraum gebe.

Mit ihrer am 13. April 2015 beim Sozialgericht (SG) Schwerin erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt und zur Begründung unter anderem vorgebracht, die Klägerin rüge die aus ihrer Sicht "doppelte" Kürzung ihrer Witwenrente. Diese "doppelte" Kürzung empfinde sie als eine besondere Härte. Die Beklagte habe in ihrem Widerspruchsbescheid - zutreffend - dargelegt, dass die Anwendung der einfachgesetzlichen Normen für die jeweilige "Kürzung" nicht zu beanstanden sei. Sie übersehe indes die Kumulation der Rechtsfolgen, die sich aus der Anwendung der jeweiligen Normen ergäbe. Isoliert betrachtet dürften sowohl die Abschläge bei der Berechnung der Witwenrente als auch die vorgenommene Einkommensanrechnung unbedenklich sein. In ihrem Zusammenwirken führten sie indes zu einer massiven Kürzung der der Klägerin verbleibenden Witwenrente. Wegen der Auswirkungen der einfachgesetzlichen Vorschriften im Falle ihrer kumulativen Anwendung bestünden ernsthafte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der einfachgesetzlichen Normen. Zumindest müssten die angewendeten Normen verfassungs-, europa- und völkerrechtskonform ausgelegt werden, um eine vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte Härte zu vermeiden. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit der Einkommensanrechnung bei Witwenrenten sei durchaus bekannt. Allerdings sei zu beachten, dass diese Rechtsprechung aus den 80er Jahren stamme. Sie sei auch nicht ohne weiteres auf die vorliegende Fallkonstellation übertragbar. Ferner könne nicht ausgeschlossen werden, dass diese Verfassungsrechtsprechung im Hinblick auf die aktuell geltenden europa- und völkerrechtlichen Vorgaben vom Bundesverfassungsgericht revidiert werde. Schließlich erfordere der Umstand, dass die Klägerin dieses Verfahrens im Beitrittsgebiet gelebt habe und insofern keine Chance gehabt hätte, von der Übergangsregelung des § 314 SGB VI Gebrauch zu machen, eine erneute verfassungsrechtliche Bewertung unter dem Blickwinkel des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG. Zunächst sei hervorzuheben, dass das Bundessozialgericht bereits in seinem Urteil vom 29. Januar 2004 (BSGE 92,113) überraschend deutliche Kritik an der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung zur Witwenrente geäußert habe. Gegenstand der zitierten Entscheidung des BSG sei die Klage eines Versicherten gewesen, der vom beklagten Rentenversicherungsträger die Zusicherung erstrebt habe, im Falle seines Todes werde sein eingetragener Lebenspartner Leistungen der Hinterbliebenenversorgung erhalten. Im Ergebnis habe das BSG einen solchen Anspruch aus verschiedenen Gründen abgelehnt, jedoch die Gelegenheit genutzt, ausführlich zu den einfachgesetzlichen Regelungen des Rentenrechts und den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts Stellung zu nehmen. Die Ausführungen des BSG ließen sich wie folgt zusammenfassen:

Das Verhältnis eines versicherten Ehegatten zum Rentenversicherungsträger sei ähnlich wie bei einer gesetzlichen Eigenversicherung, die eine Anwartschaft für den Todesfall einräume. Die Anwartschaft erstarkte mit dem Eintritt des Versicherungsfalls zu einem Vollrecht des hinterbliebenen Ehegatten. Diese Anwartschaft stehe allerdings stets lediglich dem Versicherten zu, nicht dem potentiell Hinterbliebenen.

Dabei gehe das BSG nacheinander die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Kriterien zur Bestimmung des Eigentumsschutzes von subjektiv-öffentlichen Rechten durch und bejahe jeweils deren Vorliegen:

Die Privatnützigkeit der Anwartschaften werde aus der generellen Wertung des § 38 SGB I hergeleitet, "der bei gebundenen Leistungen" stets einen Rechtsanspruch vermittele. Materiell werde auf die Vorgabe des zwingend anzuwendenden § 1 Abs. 1 und des § 4 Abs. 2 SGB I verwiesen, aus denen sich der Auftrag ergebe, Familien zu schützen und zu fördern. Ohne das Hinterbliebenenrentenrecht sei der Versicherte durch die Notwendigkeit des Aufbaus einer eigenen Sicherung belastet.

Das "Ehegatten-Erfordernis" des Bundesverfassungsgerichts umschreibe nach Auffassung des BSG schon nicht das versicherte Risiko. Dieses besteht darin, dass der Tod des Versicherten eintrete und infolgedessen kein Unterhalt mehr geleistet werden könne. Auch das Argument einer möglichen Scheidung sei verfehlt, denn es komme für den Vollrechtserwerb nur darauf an, dass der Versicherte im Zeitpunkt seines Todes Ehegatte sei, nicht aber darauf, ob er es früher einmal gewesen sei. Mit Ausnahme der Regelaltersrente sei es ferner bei allen Rechten auf Rente so, dass neben der erforderlichen Wartezeit und dem Eintritt des Versicherungsfalls weitere Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Rente erfüllt sein müssten. Das BSG bejahe auch für Witwenrenten das Vorliegen einer "eigenen Leistung". Ein hinreichender personaler Bezug zwischen Beitragsleistung und der an den Hinterbliebenen geleisteten Rente sei gegeben. Das Recht des Hinterbliebenen auf Rente hinge in seiner Entscheidung und seinem Wert ausschließlich von der gesetzmäßigen Vorleistung des versicherten Ehegatten ab. Entscheidend seien die Beitragszeiten und Arbeitsverdienste. Auch das Fehlen eigener Beitragszahlungen des Hinterbliebenen oder einer erhöhten Beitragszahlung des Versicherten stehe nicht entgegen. Denn Hinterbliebenenrenten würden wie alle Renten im Kernsystem der gesetzlichen Rentenversicherung aus den Beitragseinnahmen der Träger und nicht aus Steuermitteln finanziert. Damit sei die Versicherung des Ehegatten für den eigenen Todesfall keine Fürsorgeregelung des Staates, sondern "integraler Bestandteil des Versicherungspakets" (BSGE 92, 113, 129). Als Zwischenergebnis sei daher festzuhalten, dass das BSG materiell-rechtlich in fast allen Punkten den Begründungen des Bundesverfassungsgerichts zum (fehlenden) verfassungsrechtlichen Schutz der Witwenrente widerspräche.

Die Witwenrente der Klägerin sei vom Eigentumsschutz des Art. 14 Abs. 1 GG erfasst. Sowohl das BSG als auch die herrschende Meinung in der Literatur gingen davon aus, dass auf Grundlage der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung zur Eigentumsqualität subjektiv-öffentlicher Rechte durch Anwartschaften und Frauenrechte auch Witwenrenten in den Schutzbereich des Art. 14 GG einzubeziehen seien.

Auch die "Bedürftigkeitsprüfung" im Rahmen der Anrechnung eigenen Einkommens auf die Witwenrente führe nicht zu einem anderen Ergebnis. Es sei zu bedenken, dass gerade diese Anrechnungsregelungen Prüfungsgegenstand der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Witwenrenten gewesen seien. In der Entscheidung des Gerichts hätten sie daher nicht herangezogen werden können, um die Ablehnung der Eigentumsqualität der Hinterbliebenenrenten zu begründen.

Die Einordnung der Witwenrente der Klägerin als eigentumsrechtlich geschützte Position sei für die Einkommensanrechnung nach § 97 SGB VI von besonderer Relevanz:

Durch das HEZG sei die Einkommensanrechnung nach § 97 SGB VI in Verbindung mit § § 18-18e SGB IV zum 1. September 1986 eingeführt und mit Wirkung zum 1. Januar 2002 auf weitere Einkommensarten ausgedehnt worden. Von den zu berücksichtigenden Einkommen werde dasjenige Einkommen angerechnet, dass monatlich das 26,4 fache des aktuellen Rentenwertes übersteige. Somit bestehe ein dynamischer Freibetrag in der genannten Höhe, der in Westdeutschland aktuell 755,30 € und in Ostdeutschland 696,69 € monatlich betrage. Von den den monatlichen Freibetrag übersteigenden Einkommen würden 40 % auf die Witwenrenten angerechnet (§ 97 Abs. 2 SGB VI).

Da nach der (umstrittenen) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Enteignung vorliegend ausscheide, handele es sich bei § 97 SGB VI um eine Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Eine in eine Eigentumsposition eingreifende Inhalts- und Schrankenbestimmung müsse durch Gründe des öffentlichen Interesses legitimiert und verhältnismäßig sein.

Vorliegend sei die Verhältnismäßigkeit der Einkommensanrechnung zu verneinen:

Die Einführung der Einkommensanrechnung durch das HEZG habe dafür sorgen sollen, dass die Angleichung der Positionen von Witwern an die der Witwen kostenneutral bliebe. Die Regelung habe dem Erhalt der Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung und damit einem legitimen Zweck zur Beschränkung des Eigentums gedient. Da eine Maßnahme schon dann geeignet sei, wenn sie für die Zielerreichung, hier also für den Erhalt der Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung, mindestens förderlich sei, sei die Geeignetheit der Anrechnungsvorschriften zu bejahen.

Es stelle sich aber die Frage, ob die Einkommensanrechnung auch erforderlich gewesen sei, ob es also kein milderes Mittel gegeben hätte, um das Ziel zu erreichen. Um die Erforderlichkeit der Regelung zu bewerten, müssten verschiedene Reformalternativen aus der damaligen Zeit dargestellt und diskutiert werden. Eine solche Diskussion könne im Rahmen dieser Klage aus nachvollziehbaren Gründen nicht geleistet werden. Die Frage nach der Erforderlichkeit bedürfe indes keiner abschließenden Beantwortung. Denn es mangele jedenfalls an der Angemessenheit.

Die hohe Eingriffsintensität, die vorliegend von der Einkommensanrechnung ausgehe, begründe die Unangemessenheit der einfachgesetzlichen Normen bzw. der Anwendung der einfachgesetzlichen Normen. Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des HEZG nur knapp festgestellt, der betroffene Personenkreis sei nicht übermäßig belastet, denn erwerbstätige Partner seien schon zu Lebzeiten des Versicherten von dessen Unterhaltsleistungen weitgehend unabhängig (BVerfG 97, 271, 288). Zur Rechtfertigung faktischer Kürzungen werde vom Gesetzgeber sowie von einigen Autoren auch die Unterhaltsersatzfunktion der Witwenrente angeführt. Zum einen werde in Ansatz gebracht, dass es eines Ersatzes für den Unterhalt durch den Verstorbenen jedenfalls dann nicht bedürfe, wenn der Hinterbliebene anderweitig abgesichert sei. Zum anderen werde argumentiert, dass im Falle einer Unterhaltspflicht des Hinterbliebenen durch das Versterben des Partners eine Entlastung eintrete, die durch die Einkommensanrechnung in Ansatz gebracht werde. Sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch die Vertreter der zuletzt genannten Auffassung würden verkennen, dass eine Bewertung der Anrechnung in diesen Fällen die Kenntnis der ehelichen Unterhaltsbehältnisse voraussetze, auf die das Gesetz allerdings nicht rekurriere. Bei der Regelung des Zugewinn- und Versorgungsausgleichs habe der Gesetzgeber die Unterhaltsbeiträge der Ehegatten als gleichwertig eingestuft und damit der Haushaltsführung das gleiche Gewicht beigemessen wie der Erwerbstätigkeit. So könne die Unterhaltsverpflichtung des Versicherten zu Lebzeiten deutlich höher sein als seine Rentenansprüche vermuten ließen, da für Erstere nicht nur Einkommen aus versicherungspflichtiger Tätigkeit berücksichtigt werden müsse. Er könne seiner Unterhaltspflicht aber auch zum Teil durch das Führen des Haushalts nachgekommen sein, was ebenfalls in den Anrechnungsregelungen nicht berücksichtigt werde. Aber nicht nur auf seiner Seite blieben die tatsächlichen Unterhaltszahlungen außer Betracht; auf Seiten des Hinterbliebenen komme es allein auf dasjenige Einkommen an, das nach dem Eintritt des Versicherungsfalls bezogen werde. Hingegen sei es unerheblich, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe eigenes Einkommen bereits während einer bestehenden Ehe bezogen worden sei. Mit den gleichen Argumenten könne nicht auf die Entlastung des unterhaltspflichtigen Hinterbliebenen abgestellt werden. Denn sofern er seiner Unterhaltspflicht zum Teil oder gänzlich durch Haushaltsführung nachgekommen sei, reduzierten sich zwar bestimmte Belastungen durch den Tod des Ehegatten. Allerdings lasse sich der Wegfall dieser Belastungen meist nicht in Geld beziffern, habe also keine Auswirkungen auf die tatsächliche Einkommenssituation. Weil es keine finanzielle Entlastung gebe, könne sie auch nicht gegen die finanzielle Belastung aufgerechnet werden. Gleiches sei der Fall, wenn der Hinterbliebene nach Versterben des Ehegatten erstmals eine Erwerbstätigkeit aufnehme und ihm das Einkommen daraus angerechnet werde. Auch hier trete eine finanzielle Belastung ein, obwohl es zu einer finanziellen Entlastung nie gekommen sei. Weil demnach weder Bedürftigkeit noch die ehelichen Unterhaltsverhältnisse auf die Anrechnung von Bedeutung seien, vermöge auch ihre Rechtfertigung mit Verweis auf eine Unterhaltsersatzfunktion nicht zu überzeugen. Vielmehr müssten die konkreten Regelungen und die von ihnen ausgehenden Belastungen in den Blick genommen werden. In diesem Verfahren werde das Gericht sich also irgendwann mit der Frage befassen müssen, ob der in den Anrechnungsregelungen vorgesehene dynamische Freibetrag hoch genug und der Anrechnungsanteil von 40 % niedrig genug und ob die Gesamtregelung insgesamt als angemessen zu bewerten sei. Indem das Bundesverfassungsgericht bisher auf ehelichen Unterhalt und Bedarf verwiesen habe, sei es diesen Fragen ausgewichen.

Zusammenfassend sei festzustellen, dass die Anrechnungsregelungen des § 97 SGB VI als Inhalts- und Schrankenbestimmung des Art. 14 GG zu klassifizieren seien, auch wenn sie bei Leistungsberechtigten zu faktischen Kürzungen oder sogar dem vollständigen Ruhen der Leistungen führen könnten. Bei der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung solcher Eingriffe genüge es nicht, pauschal auf eine Unterhaltsersatzfunktion der Witwenrente oder auf Hilfebedürftigkeit bei denjenigen Leistungsempfänger zu verweisen, deren Bezüge anrechnungsbedingt gekürzt würden. Vielmehr müsse der Umfang der durch den Eingriff erfolgten Belastung ausgemacht und es müsse festgestellt werden, ob Betroffene tatsächlich keine unzumutbaren Einschnitte hinnehmen müssten. Hierfür seien eine differenzierte Betrachtung der belastenden Regelungen und deren möglichen Auswirkungen auf die finanzielle Situation der Betroffenen erforderlich. Gerade diese verfassungsrechtlich gebotene Betrachtung der konkreten Belastungen im Einzelfall der Klägerin habe die Beklagte unter Hinweis auf die vermeintliche Eindeutigkeit der gesetzlichen Regelungen unterlassen.

Im Falle der Klägerin komme erschwerend hinzu, dass sie zu dem Personenkreis der schwerbehinderten Menschen gehöre. Bei der Anwendung einfachgesetzlicher Normen sei insoweit auch die UN-Behindertenrechtskonvention zu beachten. Zum jetzigen Zeitpunkt gehe die Klägerin davon aus, dass die vorgebrachten verfassungsrechtlichen Argumente für eine Korrektur der angefochtenen Bescheide ausreichend seien.

Die einfachgesetzlichen Regelungen des SGB VI zu der Einkommensanrechnung verstießen gegen das allgemeine Gleichheitsgebot des Art. 20 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Die Grundrechte der Charta würden gemäß Art. 51 Abs. 1 Satz 1 auch die Mitgliedstaaten binden.

Ferner verstießen die Anrechnungsvorschriften auch gegen die Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie (Richtlinie 2000//78 EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf).

Entgegen der Auffassung des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 24. Juni 2014, L 11 R 3853/13) sei der Geltungsbereich der Richtlinie vorliegend eröffnet. Trotz der bereits zitierten Entscheidung des LSG Baden-Württemberg halte die Klägerin an der Europarechtswidrigkeit der einfachgesetzlichen Vorschriften fest. Eine höchstrichterliche Entscheidung des BSG zu diesem Themenkomplex liege jedenfalls noch nicht vor.

Auf völkerrechtlicher Ebene sei zur Anerkennung des Rechts von Menschen mit Behinderungen am 30. Dezember 2006 von der UN-Vollversammlung das "Übereinkommen über die Rechte behinderter Menschen" (UN-BRK) verabschiedet worden. Dieses Übereinkommen stehe aufgrund der Konvention in Deutschland seit dem 26. März 2009 im Rang eines einfachen Bundesgesetzes.

Da die Klägerin unstreitig sowohl nach der Definition des SGB IX als auch nach der Definition der Konvention dem Personenkreis der Menschen mit Behinderungen zuzuordnen sei, könne sie sich unmittelbar auf die UN-BRK berufen. Die UN-BRK habe Auswirkungen für die Auslegung der Regelungen zur Erwerbsminderung im SGB VI, da hierbei eine sogenannte „völkerrechtskonforme“ Auslegung anzustreben sei (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Oktober 2004, 2 BvR 1481/04). Es sei also bei Zweifelsfragen darauf zu achten, dass die Regelungen des SGB VI nicht in einen Widerspruch zur UN-BRK träten. Besonders relevant im folgenden Kontext sei Art. 28 der Konvention:

Der soziale Schutz und die Verwirklichung des Rechts auf einen angemessenen Lebensstandard seien nach Art. 28 UN-BRK von Deutschland anzuerkennen. Dabei sei unter anderem auch der gleichberechtigte Zugang zu Leistungen und Programmen der Altersversorgung für Menschen mit Behinderung zu sichern (Art. 28 Abs. 2e - UNBRK). Diese Vorgabe bedeute also, dass auch Menschen mit einer Erwerbsminderungsrente beim Bezug einer anderen Rentenart, hier also der Hinterbliebenenrente, nicht aufgrund ihrer Erwerbsminderung schlechter gestellt werden dürften. Eine mittelbare Diskriminierung sei daher näher zu untersuchen, wenn Erwerbsminderungsrenten mit Abschlägen in ihrer Höhe auf andere Rentenarten umgestellt würden, wie dies nach dem deutschen Recht aktuell der Fall sei (vgl. § 77 Abs. 3 Satz 1 SGB VI). Die vorstehend skizzierte Situation sei insbesondere dann problematisch, wenn effektiv keine Möglichkeiten zur erforderlichen privaten Alterssicherung bestünden. Da in Deutschland die Sicherung der Erwerbsminderung an das System der Alterssicherung systematisch angekoppelt sei, seien insbesondere die Regelungen, die eine Verschlechterung der Leistungen für Menschen mit der Behinderung bedeuteten, am Maßstab des Art. 28 UN-BRK zu beurteilen. Die in diesem Verfahren mehrfach gerügte „doppelte“ Kürzung sei mit den Wertungen der Konvention nicht vereinbar.

Die menschenrechtlichen Normen der UN-BRK seien geltendes deutsches Recht. Diese Normen hätten als völkerrechtliche Normen dadurch Eingang in die deutsche Rentenversicherung erhalten, dass der Bundestag unter einstimmiger Zustimmung des Bundesrates ein sogenanntes Vertragsgesetz verabschiedet habe. Die Konvention habe danach in ihrer Gesamtheit, quasi als völkerrechtlicher Normenkomplex, nach allgemeiner Auffassung den Rang von Bundesrecht erhalten. In ständiger Rechtsprechung sehe das Bundesverfassungsgericht in dieser gesetzgeberischen Entscheidung die Grundlage des verfassungsrechtlichen Gebots (Art. 59 Abs. 2 i. V. m. Art. 20 Abs. 2 GG), diese menschenrechtlichen Normen innerstaatlich zur Anwendung zu bringen. Das Bundesverfassungsgericht spreche insoweit von einem Rechtsanwendungsbefehl, der sich an alle staatlichen Stellen der vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt richte (vgl. nur BVerfGE 59, 63, 90; 63, 343, 355; 77, 170, 210; 90, 286, 364; 104, 151, 209). Dass die vorstehend erläuterte Bedeutung den Rechten der europäischen Menschenrechtskonvention zukomme, habe das Bundesverfassungsgericht wiederholt bekräftigt. In seinem Beschluss vom 13. März 2011 habe das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass auch die UN-BRK "als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte herangezogen werden könne“ (BVerfGE, 2 BvR 882/09, Rz. 52). Für Behörden und Gerichte sei eine entsprechende Rechtspraxis sogar rechtsstaatlich geboten, wenn sie ohne diese menschenrechtskonforme Auslegung zu einer konventionswidrigen Entscheidung kämen.

Ausweislich des Protokolls der erstinstanzlichen Verhandlung hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin dort erklärt, dass das Klagebegehren im Wesentlichen auf eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgebotes in Verbindung mit der UN-Behindertenkonvention reduziert werde; wobei sich die Unverhältnismäßigkeit auf den Art. 14 Grundgesetz beziehe.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid vom 18. Dezember 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. März 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine höhere Witwenrente zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Klägerin begründe ihren Klageantrag mit einer besonderen Härte für die Klägerin, weil ihre Witwenrente doppelt gekürzt werde. Diese doppelte Kürzung beziehe sich auf die Absenkung des Zugangsfaktors gemäß § 77 SGB VI und der durchzuführenden Einkommensanrechnung gemäß § 97 SGB VI. Warum der Zugangsfaktor bei der Berechnung der Witwenrente zu kürzen sei sowie Einkommen auf die Witwenrente der Klägerin anzurechnen sei und nach welchen gesetzlichen Vorschriften, habe die Beklagte in ihrem Widerspruchsbescheid ausführlich dargelegt. Die von der Beklagten durchgeführte Berechnung der Witwenrente werde von der Klägerin auch nicht in Frage gestellt. Die Gegenseite bezweifle im vorliegenden Fall jedoch die Rechtmäßigkeit und Verfassungsmäßigkeit der Rentenberechnung. Die Minderung des Zugangsfaktors bei Hinterbliebenenrenten sei Gegenstand sozialgerichtlicher Verfahren und eines Verfahrens beim Bundesverfassungsgericht gewesen. Das Bundesverfassungsgericht habe die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Sie sei unbegründet (Beschluss vom 7. Februar 2011 - 1 BvR 642/09). In der Begründung führe das Bundesverfassungsgericht aus, dass der Eingriff in die Rentenanwartschaft verfassungsrechtlich gerechtfertigt sei, weil er sowohl dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als auch den Anforderungen des Vertrauensschutzprinzips entspreche. Für die Kürzung gebe es hinreichende sachliche Gründe, weil die Minderung der Hinterbliebenenrente geeignet sowie erforderlich sei, die Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung sicherzustellen. Im Übrigen sei die Regelung verhältnismäßig, weil sie die Betroffenen nicht übermäßig belaste. Ferner müsse der Gesetzgeber Hinterbliebene, deren Rentenanwartschaft allenfalls durch Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz geschützt sei, nicht besser stellen als Versicherte, deren Anwartschaft grundrechtlichen Eigentumsschutz genieße. Bereits dies rechtfertige es, für die Höhe des Abschlags auf das Alter des Versicherten zum Zeitpunkt seines Todes und nicht auf das Alter der Hinterbliebenen abzustellen. Es würde nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts dem Charakter der Hinterbliebenenrente, als aus der Versicherung des Versicherten abgeleitete Rente, widersprechen, wenn die Hinterbliebene eine höhere Rente erhielte als der Versicherte zum gleichen Zeitpunkt.

Die Vorschriften zur Einkommensanrechnung seien mit dem Rentenreformgesetz (RRG 1992) am 1. Januar 1992 (Art. 85 Abs. 1 RRG 1992) in Kraft getreten. Sie habe die Regelungen des § 58 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) und des § 1281 Reichsversicherungsordnung (RVO) ersetzt, die am 31. Dezember 1991 außer Kraft getreten seien und gelte mit entsprechenden Ergänzungen und korrespondierenden Regelungen bis heute. Die Beklagte sei Leistungsträger gemäß § 12 SGB I und habe die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 23 SGB I in Verbindung mit dem SGB VI zu erbringen. Damit sei die Beklagte an die gesetzlichen Vorschriften gebunden. Eine Beurteilung oder Bewertung, inwiefern diese gesetzlichen Vorschriften verfassungskonform oder „zeitgemäß“ seien, gehören nicht zu den Aufgaben der Beklagten. Diese Entscheidungen unterlägen allein dem Gesetzgeber.

Inwieweit hier gegenüber EU- oder Völkerrecht verstoßen werden sollte, könne die Beklagte nicht beurteilen. Sie sei an die gesetzlichen Vorschriften in Deutschland, hier insbesondere der Vorschriften der Sozialgesetzbücher, gebunden.

Das SG Schwerin hat die Klage durch Urteil vom 28. November 2016 abgewiesen. Zur Begründung - auf die im Einzelnen Bezug genommen wird - hat das SG unter anderem ausgeführt, zwischen den Beteiligten sei unstrittig, dass die Beklagte den Hinterbliebenenrentenanspruch der Klägerin zutreffend nach den einfachgesetzlichen Vorschriften berechnet habe. Dies verstoße auch nicht gegen Bestimmungen des Grundgesetzes (GG).

Insbesondere würden durch die Berechnung des Hinterbliebenenrentenanspruchs der Klägerin nicht deren durch Art. 14 GG geschützte Eigentumsrechte verletzt. Wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt habe, setze der Eigentumsschutz sozialversicherungsrechtliche Rechtspositionen und Anwartschaften voraus, dass es sich um Rechte handele, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechtes dem Einzelnen als privatnützlich zugeordnet seien, auf einer nicht unerheblichen Eigenleistung des Versicherten beruhten und der Sicherung seiner Existenz dienten. Ausgehend davon, dass der Hinterbliebenenrentenanspruch der Klägerin dem Eigentumsschutz des Art. 14 GG unterliege, stelle die vorgenommene Kürzung ihres Anspruchs aufgrund des Einkommens und eines abgesenkten Zugangsfaktors keinen unverhältnismäßigen Eingriff in dieses Recht dar. Dies gelte auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass bereits aufgrund des um 0,084 gekürzten Zugangsfaktors der Hinterbliebenenrentenanspruch der Klägerin gemindert worden sei. Insgesamt führten beide Kürzungen zusammen zu einer Minderung des Anspruchs um ca. 20 %; hierin sei zur Überzeugung des Gerichts kein unverhältnismäßiger Eingriff in etwaige Eigentumsrechte der Klägerin zu sehen. Diskutabel in diesem Zusammenhang sei auch, ob dem Eigentumsschutz der ungekürzte Rentenanspruch der Klägerin oder nicht vielmehr der auch unter Berücksichtigung von Kürzungen zu ermittelnde Rentenanspruch unterliege.

Des Weiteren vermöge das Gericht in der vorgenommenen Kürzung keinen Verstoß gegen Art. 3 GG zu sehen. Ein solcher liege vor, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt werde, obwohl zwischen beiden Gruppen von Normadressaten keine Unterschiede von solcher Art und Gewicht bestünden, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigten (BVerfGE 79, 87, 98). Der Gesetzgeber überschreite den ihm eingeräumten weiten Gestaltungsspielraum, wenn für eine gesetzliche Differenzierung ein vernünftiger, einleuchtender Grund fehle, es sich also um eine Regelung handele, die unter keinem sachlich vertretbaren Gesichtspunkt gerechtfertigt erscheine (BVerfGE 71, 39, 58 f.). Ein Verstoß gegen diese Bestimmung liege schon deshalb nicht vor, weil nicht erkennbar sei, gegenüber welcher vergleichbaren Personengruppe die Klägerin ungleich behandelt worden sein sollte.

Ein Verstoß gegen Bestimmungen des GG, hier insbesondere des Art. 14 GG, ergebe sich auch nicht im Zusammenhang mit dem Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen.

Die Vertragsstaaten dieses Übereinkommens würden das Recht von Menschen mit Behinderungen auf einen angemessenen Lebensstandard für sich selbst und für ihre Familien, einschließlich angemessener Ernährung, Bekleidung und Wohnung, wie auch eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen anerkennen und würden geeignete Schritte zum Schutz und zur Förderung der Verwirklichung dieses Rechts ohne Diskriminierung aufgrund von Behinderung unternehmen. Die Vertragsstaaten würden das Recht von Menschen mit Behinderungen auf sozialen Schutz und den Genuss dieses Rechts ohne Diskriminierung aufgrund von Behinderung anerkennen und würden geeignete Schritte zum Schutz und zur Förderung der Verwirklichung dieses Rechts, einschließlich Maßnahmen, um Menschen mit Behinderungen gleichberechtigten Zugang zu Leistungen und Programmen der Altersvorsorge zu sichern, unternehmen (Art. 28 UN-Behinderten-konvention). Entgegen der Ansicht der Klägerin ergebe sich auch insbesondere aus Art. 28 Abs. 2e der UN-Behindertenkonvention kein Anspruch auf Besserstellung hinsichtlich des Zugangs zu Sozialleistungen. Vielmehr sei in dieser Vorschrift ausdrücklich von einem gleichberechtigten Zugang zu solchen Leistungen die Rede. Ein Anspruch auf Besserstellung gegenüber Nichtbehinderten lasse sich hieraus nicht ableiten; der Anspruch beschränke sich darauf, wegen einer Behinderung nicht diskriminiert oder benachteiligt werden zu dürfen.

Ein Verstoß gegen Art. 20 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2010/C 83/02), alle Personen seien vor dem Gesetz gleich, sei im Hinblick auf die Berechnung des Hinterbliebenenrentenanspruchs der Klägerin ebenso wenig erkennbar wie ein Verstoß gegen die Gleichbehandlungsrichtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (Gleichbehandlungsrichtlinie).

Gegen das dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 4. Januar 2017 zugestellte Urteil richtet sich die am 25. Januar 2017 beim Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern eingelegte Berufung. Zur Begründung wird unter anderem vorgebracht, im vorliegenden Verfahren seien die Tatsachen sowie die Anwendung des einfachgesetzlichen Rechts unstreitig. Streitig sei allein die Verfassungs- und Völkerrechtswidrigkeit der einfachgesetzlichen Normen und deren Anwendung. Zutreffend gehe das Sozialgericht Schwerin zunächst davon aus, dass der Hinterbliebenenrentenanspruch der Klägerin dem Eigentumsschutz des Art. 14 GG unterliege. Unzutreffend sei indes die Schlussfolgerung des SG, dass die vorgenommene Kürzung des Anspruchs aufgrund des Einkommens und des abgesenkten Zugangsfaktors keinen unverhältnismäßigen Eingriff in dieses Recht darstelle. Die beiden Kürzungen führten zusammen zu einer Minderung des Anspruchs um ca. 20 %. Dies habe auch das SG Schwerin festgestellt. Ohne eine weitere Begründung behaupte das SG indes, dass eine 20-prozentige Kürzung kein unverhältnismäßiger Eingriff in Eigentumsrechte der Klägerin sei. Die Frage, bei welcher prozentualen Kürzung ein unverhältnismäßiger Eingriff in Eigentumsrechte der Klägerin zu bejahen wäre, bleibe unbeantwortet. Das SG Schwerin könne sich jedenfalls nicht auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 2011 (1 BvR 3588/08) stützen, denn in dieser Entscheidung habe das Bundesverfassungsgericht die Verfassungskonformität der Kürzung des Zugangsfaktors um maximal 10 % bestätigt. Bei einer 10-prozentigen Kürzung des Rentenanspruchs handele es sich um eine den Umfang der Rentenanwartschaft reduzierende Inhaltsbestimmung im Schutzbereich des Art. 14 GG, die einem Gemeinwohlszweck diene und verhältnismäßig sei, so das Bundesverfassungsgericht. Ob das Bundesverfassungsgericht die vorstehende Rechtsprechung auch bei einer Verdopplung der Kürzung aufrechterhalten würde, sei völlig ungewiss. Insofern bedürfe es angesichts der Verfassungsrechtsprechung einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Grenze verhältnismäßiger Eingriffe in die Eigentumsrechte der Klägerin.

Auch die weitere Argumentation des SG Schwerin zur vermeintlichen Vereinbarkeit der (doppelten) Kürzung der Rentenansprüche mit der UN-Behindertenrechtskonvention vermöge nicht zu überzeugen. Wie bereits vorgetragen, gehöre die Klägerin zum Personenkreis schwerbehinderter Menschen und genieße den Schutz der UN-Behindertenrechts-konvention. Entgegen der Ansicht des Sozialgericht Schwerin ergebe sich aus Art. 28 Abs. 2e der Konvention ein Anspruch auf faktische Gleichstellung der Behinderten mit nicht behinderten Menschen hinsichtlich des Zugangs zu den Alterssicherungsleistungen. Aufgrund des faktischen Ungleichgewichts beim Erwerb entsprechender Anwartschaften zwischen den beiden Gruppen folge aus der Konvention mittelbar die Verpflichtung zu einer Beseitigung der Kürzungen, die das faktische Ungleichgewicht perpetuierten. Ob diese Verpflichtung als "Besserstellung“ definiert werde, sei eine rein terminologische Frage. Der Verstoß gegen die Konvention liege darin begründet, dass die Gruppe der behinderten und nicht behinderten Menschen hinsichtlich der "doppelten“ Kürzungen des Hinterbliebenenanspruchs gleich behandelt würden, obwohl sie faktisch ungleich seien. Die Gleichbehandlung von wesentlich ungleichen Personengruppen stelle einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz dar.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Schwerin vom 28. November 2016 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 18. Dezember 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. März 2015 zu verpflichten, ihr eine höhere große Witwenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Gründe

Der Senat konnte trotz Ausbleibens der Klägerin und ihres Vertreters im Termin zur mündlichen Verhandlung entscheiden, da in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.

Zur Begründung seiner Entscheidung nimmt der Senat, mit Ausnahme der wohl vom SG vorgenommenen Annahme, dass der Hinterbliebenenrentenanspruch der Klägerin dem Eigentumsschutz des Art. 14 Grundgesetz unterliege, auf die im angefochtenen Urteil des SG Schwerin dargestellten und zutreffenden Gründe Bezug und macht sie - nach Überprüfung - zum Gegenstand seiner eigenen Rechtsfindung (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ausweislich der eindeutigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 18. Februar 1998 - 1 BvR 1318/86 -, juris, Rz. 60, 61) ist die Hinterbliebenenversorgung dem Versicherten nicht als Rechtsposition privatnützig zugeordnet und beruht auch nicht auf einer dem Versicherten zurechenbaren Eigenleistung; sie ist keine dem Eigentumsschutz des Art. 14 GG unterliegende Rechtsposition.

Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ins Feld führt, sei lediglich darauf hingewiesen, dass auch das BSG nicht von den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichtes abweicht: "Das BSG ist nämlich an die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss des Ersten Senats vom 18. Februar 1998 im Sinne von § 31 Abs. 1 BVerfGG gebunden. Dort hat das Bundesverfassungsgericht die Frage, ob auch Ansprüche auf "Versorgung" von Hinterbliebenen (§ 46 SGB VI) dem Eigentumsbegriff des Art. 14 Abs. 1 GG unterfallen, verneint“ (BSG, Urteil vom 29. Januar 2004 – B 4 RA 29/03 R -, juris, Rz. 101).

In der oben benannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahre 1998 hat dieses auch festgestellt, dass die Anrechnung von Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen auf Hinterbliebenenrenten der gesetzlichen Rentenversicherung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG wurde nicht festgestellt (Rz. 65ff, 81ff).

Dem schließt sich der erkennende Senat an.

Soweit von Klägerseite die Absenkung des Zugangsfaktors für Hinterbliebenenrenten gerügt wird, sei ebenfalls auf die diesbezügliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes im Nichtannahmebeschluss vom 7. Februar 2011 (- 1 BvR 642/09 -, juris Rz. 6ff) hingewiesen. Dort hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass, soweit die Absenkung des Zugangsfaktors für Hinterbliebenenrenten gemäß § 77 SGB VI in Rentenanwartschaften eingreift, dieser Eingriff gerechtfertigt ist, weil er sowohl dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als auch den Anforderungen des Vertrauensschutzprinzips genügt. Ebenso ist auch Art. 3 Abs. 1 GG nicht verletzt.

Auch diesen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts schließt sich der erkennende Senat ausdrücklich an.

Es sei ferner darauf hingewiesen, dass in dieser Entscheidung vom Februar 2011 (a.a.O., juris Rz. 6) das Bundesverfassungsgericht auch auf seine Entscheidung aus dem Februar 1998 hinweist. Demnach ist dem Bundesverfassungsgericht auch bewusst gewesen, dass es neben einer Absenkung des Zugangsfaktors für Hinterbliebenenrenten darüber hinaus, aufgrund der Anrechnung von Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen auf die Hinterbliebenenrente, zur kumulierten Rentenminderungen kommen kann, was nicht beanstandet worden ist.

Weiterhin ist festzustellen, dass allein die Einkommensanrechnung bei der Hinterbliebenenrente bereits dazu führen kann, dass gar kein Zahlbetrag mehr verbleibt (sogenannter Nullfall), was vom Bundesverfassungsgericht erkannt und für nicht verfassungswidrig erachtet worden ist (- 1 BvR 1318/86 -, Rz. 73).

Nach alledem muss in dem hier vorliegenden Fall auch die insgesamt knapp 20-prozentige Minderung der Hinterbliebenenrente der Klägerin als verfassungskonform angesehen werden.

Soweit hier von Klägerseite eine Verletzung von Art. 3 GG dergestalt geltend gemacht wird, dass die Klägerin behindert ist, verkennt sie, dass es sich bei der Hinterbliebenenrente nicht um eine Rente aus eigener Versicherung handelt - bei der die Behinderung eine Bedeutung haben kann -, sondern um eine Rente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemanns, die mit ihrer Behinderung in keinerlei Zusammenhang steht.

Hinsichtlich der Ausführungen der Klägerin im Berufungsverfahren bezüglich der UN-Behindertenrechtskonvention ist lediglich wiederholend auszuführen, dass hier die Höhe der aus der Versicherung des verstorbenen Ehemanns abgeleitete Hinterbliebenenrente in Streit steht, also mit ihrer Behinderung in keinem Zusammenhang steht und daher auch keine Europa- und völkerrechtlichen Vorgaben verletzt sein können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 SGG.

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