LG Ingolstadt, Endurteil vom 11.07.2017 - 51 O 1820/16
Fundstelle
openJur 2021, 7010
  • Rkr:
Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 15.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger nimmt den Beklagten auf Schadensersatz und Schmerzensgeld aus einem Vorfall vom ... in der Gaststätte des Beklagten in Anspruch.

Der Beklagte betreibt in der ... in ... eine Speisewirtschaft. Es handelt sich um ein Traditionslokal mit bayerischer Küche, das auch schon die Mutter des Klägers jahrzehntelang betrieben hat. Die Möblierung besteht aus insoweit typischen Massivholzmöbeln, die dem Beklagten von der Brauerei, mit der er einen Bierliefervertrag geschlossen hat, überlassen wurden.

Am ... fand dort die jährliche Zusammenkunft der ... statt. Der Kläger sowie der Zeuge ... waren als Mitglieder der ... Gäste des Beklagten. Der Beklagte hielt sich als Koch vornehmlich in der Küche auf, seine Cousine, die Zeugin ..., half als Bedienung aus.

Kurz nach 20 Uhr brach ein hölzerner Wirtshausstuhl im Lokal des Beklagten zusammen, weil sich die Verleimung einer Leiste, an der zwei Stuhlbeine fixiert waren, an der Unterseite der Sitzfläche löste (vgl. Lichtbild Anlage B 1).

Der Kläger erklärt, der Stuhl sei unter ihm zusammengeklappt, als er gerade beim Essen gesessen sei. Der Stuhl habe vorher nicht gewackelt oder sonstige Anzeichen eines baldigen Zusammenbrechens gezeigt. Der Kläger macht geltend, er habe durch seinen Sturz vom Stuhl eine Weber C-Fraktur am linken Sprunggelenk und eine Fraktur des Malleolus medialis tibiae erlitten. Diese Frakturen seien am ... operativ versorgt worden. Er sei vom ... bis ... stationär in der ... verblieben und bis ... arbeitsunfähig gewesen.

Der Kläger trägt vor, bei den Stühlen im Wirtshaus des Beklagten handle es sich um ältere, abgenützte Stühle. Der Beklagte habe dafür Sorge zu tragen, dass von den Örtlichkeiten und dem Inventar der Gaststätte keine Gefahren ausgehen. Dies schließe auch ein, sein Sitzmobiliar auf Tauglichkeit zu überprüfen. Eine Sichtkontrolle sei insoweit nicht ausreichend, selbst diese hätte aber wohl genügt, um eine Schadhaftigkeit des Stuhles festzustellen. Der Beklagte habe sein Mobiliar offenbar keiner regelmäßigen Kontrolle unterzogen.

Da der Kläger in der Gaststätte des Beklagten unverschuldet zu Schaden gekommen sei, habe er einen Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten. Diesen Schadensersatzanspruch beziffert er mit insgesamt 1.575,83 €, nämlich 1.196,80 € für die Differenz zwischen dem Krankengeld und dem Lohn, den er ohne die Verletzung in der Zeit seiner Krankschreibung verdient hätte, 50,00 € für die Eigenbeteiligung bezüglich der fünf Tage der stationären Behandlung, 18,13 € für eine Attestgebühr, 58,62 € für dreimal Krankengymnastik und 52,28 € für zwei Lymphdrainagen sowie einer Pauschale in Höhe von 200,00 € für allgemeine weitere Unkosten.

Weiter verlangt der Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 10.000,00 €. Er klagt außerdem auf Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger jeden weiteren Schaden zu ersetzen, den er aus dem streitgegenständlichen Unfall haben werde, soweit der Anspruch nicht auf einen Versicherungsträger übergegangen sei und möchte seine vorgerichtlichen Anwaltskosten ersetzt bekommen.

Der Kläger beantragt:

I. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.575,83 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen.

II. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld von mindestens 10.000,00 € zu zahlen.

III. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger jeden weiteren Schaden zu ersetzen, den er aus dem Unfall vom ... haben wird, soweit dieser nicht auf einen Versicherungsträger übergegangen ist.

IV. Der Beklagte wird verurteilt, vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.029,35 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen.

Der Beklagte beantragt:

Klageabweisung.

Der Beklagte bestreitet mit Nichtwissen, dass der Stuhl ohne irgendeine äußere Einwirkung auseinander brach und der Kläger zu Boden stürzte. Tatsächlich sei an dem Abend ein Stuhl zerbrochen. Bei diesem handele es sich um einen robusten Wirtshausstuhl, der etwa 15 Jahre alt sei. Er werde täglich beim Staubwischen und beim Wischen des Bodens in die Hand genommen und kontrolliert. Der Stuhl sei zuvor nicht wackelig gewesen und hätte keinen sonstigen Vorschaden aufgewiesen. Letztlich handle es sich, wenn der Kläger durch den zusammengebrochenen Stuhl zu Schaden gekommen sei, um schicksalhaftes Geschehen, das der Beklagte auch unter Einhaltung gebotener Sorgfalt bei der Kontrolle der Stühle nicht hätte vermeiden können.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteivertreter und die zugehörigen Anlagen Bezug genommen.

Das Gericht hat am ... und am ... mündlich zur Sache verhandelt. Im ersten Termin hat es die Parteien informatorisch angehört. Im zweiten Termin hat es die Zeugen ... und ... uneidlich zur Sache vernommen. Auf die Niederschriften (Bl. 29/32 d.A. und Bl. 36/42 d.A.) wird Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

I.

Das Landgericht Ingolstadt ist örtlich und sachlich zuständig.

II.

Die Klage ist nicht begründet; ein Anspruch des Klägers auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gegen den Beklagten gemäß §§ 280 Abs. 1, 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB besteht nicht.

1. Allerdings steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich der streitgegenständliche Vorfall wie vom Kläger dargestellt abgespielt hat, also der Stuhl, auf dem er im Gastraum der Gaststätte des Beklagten Platz genommen hatte, kurz darauf ohne Vorwarnung unter ihm zusammengebrochen ist. Der Zeuge ... hat insoweit die Schilderung des Klägers umfassend bestätigt und insbesondere auch angegeben, dass dieser den Stuhl nicht in ungewöhnlicher Weise benutzt bzw. belastet habe. Ohnehin beruhte das Bestreiten des Beklagten allein darauf, dass er bei dem Sturz nicht selbst anwesend war und ihm lediglich bekannt war, dass ein Stuhl während der Sitzung des ... zusammenbrach sowie der Zeuge ... für den Kläger nach Eis verlangt habe, um dessen Knöchel zu kühlen.

2. Zwischen den Parteien ist ein Bewirtungsvertrag geschlossen worden.

Eine Verletzung der vertraglichen Schutzpflicht aus § 241 Abs. 2 BGB liegt nicht vor, ebenso wenig eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht.

a) Grundsätzlich treffen Geschäftsleute, die ihre Räumlichkeiten für Publikumsverkehr öffnen, umfassende Verkehrssicherungspflichten. Sie sind verpflichtet, Gefahrenquellen für die Besucher auszuschließen. Daraus folgt, dass der Beklagte als Gastwirt dafür Sorge zu tragen hat, dass die von ihm den Gästen zur Verfügung gestellten Möbel der verkehrsüblichen Nutzung Stand halten.

Voraussetzung für die Annahme einer Verkehrssicherungspflicht wie auch einer vertraglichen Schutzpflicht ist jedoch, dass sich vorausschauend für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit einer Schädigung von Rechtsgütern anderer ergibt (vgl. BGH, NJW 2007, 1683). Eine Verkehrssicherung, die jeden Unfall ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt gemäß § 276 Abs. 2 BGB ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und die ihm den Umständen nach zuzumuten sind (vgl. BGH, a.a.O., 1684).

b) An diesen Kriterien gemessen hat der Beklagte seine Sicherungspflicht nicht verletzt.

Er hat für das Gericht nachvollziehbar dargelegt, dass er im Gastraum jedes Mal nach Schließung bzw. vor erneuter Öffnung den Boden reinige, wozu auch ein Wegstellen bzw. im Regelfall ein "Hochstellen" der Stühle auf die Tische gehöre. Jeder Stuhl, auf dem ein Gast gesessen habe, werde auch gesondert abgewischt. Das Gericht hat davon abgesehen, hierzu weiteren Beweis einzufordern, weil es sich um das übliche und absolut gängige, der Hygiene geschuldete Vorgehen in derartigen Wirtshäusern handelt und es auch aus dem Vortrag des Klägers nicht zu entnehmen vermag, dass der Betrieb des Beklagten hier in irgend einer Weise von gleichartigen Wirtschaften abweicht. Demnach werden die Stühle regelmäßig vom Beklagten, beim "Hochstellen" auch an den Stuhlbeinen, angefasst, womit eine Sichtkontrolle der Stühle zwangsläufig verbunden ist. Beklagter und Beklagtenvertreterin haben im Übrigen in beiden Terminen klargestellt, dass sie das im Klageerwiderungsschriftsatz so bezeichnete "tägliche" Staubwischen und Wischen des Bodens so verstanden wissen wollten, dass es sich auf die jeweiligen Öffnungstage der Gastwirtschaft beziehen sollte.

Eine darüber hinausgehende regelmäßige "Rüttelprobe" bzw. Belastungsüberprüfung an den Stühlen schuldet der Beklagte nicht. Eine solche Forderung überspannt die Anforderungen an Art und Umfang der Verkehrssicherungspflichten eines Gastwirts. Bei Stühlen handelt es sich nicht um allgemein als gefahrtragend anzusehende Einrichtungen, die bei denen eine regelmäßige Überprüfung auf ihre Standfestigkeit über den üblicherweise ohnehin gegebenen Kontakt mit dem Sitzmobiliar hinaus erwartet werden kann. Sollte sich - letztlich wider Erwarten - doch eine Gefahr für die körperliche Unversehrtheit der Gaststättenbesucher, etwa durch eine gelockerte Verleimung oder ein angebrochenes Stuhlbein, ergeben, würde diese bei der täglichen Reinigung offenbar werden.

Es wäre hier am Kläger gewesen darzulegen, dass darüber hinaus eine konkrete Gefahrensituation bestanden hat, die eine gesteigerte Untersuchungspflicht ausgelöst hätte. Dies wäre etwa der Fall gewesen, wenn es sich um einen frei bewitterten Kunststoffstuhl gehandelt hätte, weil hier evident die Gefahr besteht, dass der Kunststoff durch Witterungseinflüsse brüchig wird und unvermittelt nachgibt.

Allein das vom Kläger ins Feld geführte Alter der Stühle gibt insoweit keinen Anlass, eine gesteigerte Untersuchungspflicht anzunehmen. Es handelt sich um Massivholzstühle, die für die Verwendung im Gastronomiebereich ausgelegt sind und dort - schon aus Wirtschaftlichkeitsgründen - lange Jahre im Einsatz sind. Aus dem Lichtbild des Stuhls (Anlage B 1) ist keine untypische oder übermäßige Abnutzung erkennbar, die den Schluss auf eine nachlassende Haftkraft der Verleimung zulassen würde. Zwar ist im Einzelfall eine altersbedingte Degeneration der Stühle bis hin zur fehlenden Standfestigkeit nicht auszuschließen. Nach einem vorausschauenden Urteil wird diese regelmäßig beim dargestellten Putzen an den Öffnungstagen der Gaststätte offenbar werden - sofern sie überhaupt durch eine Kontrolle erkannt werden kann (dazu s.u.). Daher hat das Gericht auch auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Feststellung des genauen Alters der Stühle in der Gaststätte des Beklagten verzichtet.

Die Qualität des für die Stühle verwendeten Holzes spielt entgegen der Argumentation des Klägers keine Rolle, da nicht das Holz des Stuhles zerborsten ist, sondern dessen Verleimung nachgegeben hat.

Dass diese Verleimung wiederum nicht mehr in dem werkseitig geschaffenen Zustand gewesen sei, sondern es sich um eine nachträgliche, eventuell aufgrund eines früheren Schadens, aufgetragenen Verleimung gehandelt hat, konnte die Vernehmung des klägerseits aufgebotenen Zeugen G. nicht bestätigen. Weitere Anhaltspunkte für eine Vorschädigung der Verleimung hat der Kläger nicht vorgetragen.

Weiter führt auch der klägerseits behauptete weitere Vorfall mit einem zusammengebrochenen Stuhl in der Gaststätte des Beklagten nicht zu einer gesteigerten Überprüfungspflicht. Davon abgesehen, dass der Beklagte ohnehin einen Zusammenhang zu dem Unfall des Klägers bestreitet und einen völlig anderen Ablauf, nämlich ein Verkeilen von Stuhlbeinen und einen daraus resultierenden Bruch eines Stuhlbeines behauptet, spielte sich dieser Vorfall nach dem 11.11.2015 ab und ist daher von vorneherein nicht geeignet, den Umfang der Verkehrssicherungspflicht des Beklagten am bzw. vor dem ... zu beeinflussen.

c) Selbst wenn eine Verpflichtung des Beklagten zur Durchführung von Belastungstests noch bejaht werden könnte, würde es am Nachweis einer Kausalität für den Unfall des Beklagten mangeln. Hierfür wäre mindestens Voraussetzung, dass der Beklagte die Gefahr, die von dem Stuhl ausging, durch einen solchen Belastungstest hätte erkennen können.

Tatsächlich widerspricht der Ablauf des Unfalls nach der klägerischen Sicht einer solchen Vorhersehbarkeit: Der Kläger selbst hat erklärt, er sei bereits einige Minuten auf dem Stuhl gesessen, der weder gewackelt habe noch sonst in irgend einer Weise auffällig gewesen sei, ehe er völlig unvermittelt zusammengebrochen sei. Eine Belastungsprobe könnte kaum eine Vorschädigung aufdecken, die erst nach minutenlanger Belastung durch Sitzen auf dem Stuhl plötzlich zu Tage tritt, weil die (Rest-) Haftkraft der Verleimung schlagartig endet.

3. Mangels Einstandspflicht für die dem Kläger entstandenen Schäden (Klageantrag zu I.) und mangels Verpflichtung zur Schmerzensgeldzahlung (Klageantrag zu II.) fehlt auch ein Anspruch auf Feststellung gemäß dem Klageantrag zu III. sowie ein Anspruch auf die Zahlung der vorgerichtlichen Anwaltskosten gemäß dem Klageantrag zu IV.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

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