VG Köln, Urteil vom 23.02.2021 - 2 K 6495/19
Fundstelle
openJur 2021, 6677
  • Rkr:

Ermessenerwägungen bei Ausspruch eines bauaufsichtlichen Nutzungsverbots; Nichterreichbarkeit eines bebauten Gründstücks im Brandfall

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Gemarkung M. , Flur 00, Flurstück 0 (X. Straße 00 in 00000 M. ). Auf dem Grundstück sind zwei Wohngebäude und ein Geräteschuppen errichtet. Im Februar 2019 teilte ein von der Klägerin beauftragter Immobilienmakler dem Beklagten mit, das Grundstück solle veräußert werden und bat um Mitteilung, ob die aufstehenden Gebäude legal errichtet worden seien. Der Beklagte stellte daraufhin fest, dass in seinen Verwaltungsvorgängen keine Baugenehmigung vorhanden ist. Im Zuge der weiteren Ermittlungen teilte der Wehrführer der Freiwilligen Feuerwehr L. dem Beklagten am 3. Juni 2019 mit, am 16. Februar 2015 sei die Feuerwehr L. am frühen Morgen wegen einer Brandmeldung zu einem Einsatz auf dem Grundstück X. Straße 00 gerufen worden. Sie habe das Grundstück weder über die X. Straße noch über den Weg "Am M. " mit ihren Fahrzeugen anfahren können, weil beide Wege mit Feuerwehrfahrzeugen nicht befahrbar seien. Der Beklagte teilte dem Immobilienmakler daraufhin mit Schreiben vom 19. Juni 2019 mit, wegen der brandschutzrechtlichen Gefährdungssituation sehe er keinen Raum für eine weitere Duldung der Gebäude auf dem Grundstück X. Straße 00.

Nach Anhörung der Klägerin mit Schreiben vom 17. Juni 2019 und Durchführung eines Ortstermins am 24. September 2019 gab der Beklagte der Klägerin durch Ordnungsverfügung vom 24. September 2019 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung auf, unmittelbar nach Zustellung der Verfügung die auf dem Grundstück X. Straße 00 in M. befindlichen Wohngebäude nicht mehr zu nutzen oder nutzen zu lassen. Weiterhin drohte er ihr für den Fall, dass sie der Anordnung nicht, nicht vollständig oder nicht fristgerecht nachkomme, ein Zwangsgeld in Höhe von 5 000 Euro an. Zur Begründung führte er aus, die baulichen Anlagen seien ohne die erforderliche Baugenehmigung errichtet worden und damit formell illegal. Schon wegen dieser formellen Illegalität sei er nach ständiger Rechtsprechung berechtigt, ein Nutzungsverbot auszusprechen. Von dieser Ermächtigungsgrundlage mache er nach pflichtgemäßem Ermessen Gebrauch, insbesondere vor dem Hintergrund, dass wegen brandschutzrechtlicher Mängel eine Gefahr für Leib und Leben potentieller Nutzer bestünde. Der Beklagte verwies insoweit auf den Bericht der Freiwilligen Feuerwehr L. über den Einsatz am 16. Februar 2015. Der Bescheid ging bei den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 07.Oktober 2019 ein.

Die Klägerin hat am 06. November 2019 Klage erhoben.

Sie macht geltend, der Beklagte müsse jedenfalls die Nutzung des größeren der beiden Häuser für Wohnzwecke dulden. Dies folge aus der von ihm erlassenen Stichtagsregelung vom 01. August 2016, wonach hinsichtlich formell und materiell illegaler Gebäude, die vor dem 01. Januar 1960 errichtet und seither nicht verändert worden seien, eine Duldung möglich sei. Dies sei hier zumindest bei dem größeren Gebäude der Fall. Dieses bestehe seit ca. 1940 im Wesentlichen unverändert bis heute. Es bestehe weiterhin nicht die vom Beklagten angeführte besondere brandschutzrechtliche Gefahrenlage. Denn die Zufahrt, die von der Straße "Am M. " zum Grundstück der Klägerin führe, stelle eine den Anforderungen des § 5 BauO NRW entsprechende Feuerwehrzufahrt dar. Wenn der Feuerwehreinsatz im Jahr 2015 damals als tatsächlich gefährlich bewertet worden wäre, hätte es zudem nahegelegen, unmittelbar bauaufsichtlich oder ordnungsbehördlich einzuschreiten. Außerdem sei der Beklagte seit vielen Jahren über den Zustand der Zufahrt zum Grundstück informiert, ohne eingegriffen zu haben. Er habe diesen Zustand damit aktiv geduldet.

Die Klägerin beantragt,

die Ziffern 1 und 2 der Ordnungsverfügung des Beklagten vom 24. September 2019 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er im Wesentlichen auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid. Ergänzend führt er aus, die von ihm erlassene Stichtagsregelung vom 01. August 2016 finde in dem vorliegenden Fall keine Anwendung, da sie nicht mit Blick auf Nutzungsverbote erlassen worden sei. Die Zufahrt von der Straße "Am M. " entspreche nicht den Anforderungen aus § 5 BauO NRW. Den baurechtswidrigen Zustand auf dem Grundstück X. Straße 00 habe er auch niemals aktiv geduldet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die Ziffern 1 und 2 der Ordnungsverfügung des Beklagten vom 24. September 2019 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin deshalb nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz1 VwGO).

1. Das unter Ziffer 1 der Verfügung ausgesprochene Nutzungsverbot ist rechtmäßig. Es findet seine Rechtsgrundlage in § 82 Satz 2 BauO NRW 2018. Danach kann die Nutzung von Anlagen untersagt werden, wenn diese im Widerspruch zu öffentlichrechtlichen Vorschriften genutzt werden. Letzteres ist hier der Fall. Die beiden Wohngebäude auf dem Grundstück Gemarkung M. , Flur 00, Flurstück 0 sind ohne die erforderliche Baugenehmigung (vergl. heute § 60 Abs. 1 BauO NRW) errichtet worden und damit formell illegal. Weder findet sich in den Verwaltungsvorgängen des Beklagten eine Baugenehmigung, die die Errichtung und Nutzung der beiden Gebäude dauerhaft für Wohnzwecke gestattet, noch kann die insoweit nach ständiger Rechtsprechung beweisbelastete Klägerin eine solche vorlegen.

Liegen die Voraussetzungen für den Erlass eines Nutzungsverbots damit vor, kann das Gericht gemessen an § 114 Satz 1 VwGO nicht feststellen, dass die vom Beklagten getroffene Ermessensentscheidung rechtswidrig ist. Der Beklagte hat weder die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten, noch hat er von dem ihm eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht.

Der Beklagte hat die Nutzungsuntersagung selbständig tragend auf die formelle Illegalität der ausgeübten Wohnnutzung gestützt. Ihm ist entgegen der Ansicht der Klägerin kein Ermessensdefizit unterlaufen. Die von der Klägerin angesprochene Stichtagsregelung vom 1. August 2016 erfasst die vorliegende Fallkonstellation nicht. Sie ist erlassen worden als "Handlungskonzept zur Vorgehensweise bei Beseitigung formell und materiell illegaler baulicher Anlagen" im Zuständigkeitsbereich der unteren Bauaufsichtsbehörde des Beklagten. Die Regelung steuert hingegen nicht den Fall des bauaufsichtlichen Einschreitens im Falle einer festgestellten illegalen baulichen Nutzung, wie sie hier in Streit steht.

Im Übrigen läge hier - würde man diese Stichtagsregelung entgegen ihrem eindeutigen Wortlaut anwenden - auch ein Sonderfall im Sinne von deren Ziffer 6 vor. Danach kann (natürlich) auch gegen vor dem 1. Januar 1960 errichtete Schwarzbauten bauaufsichtlich eingeschritten werden, wenn die Maßnahme zur Gefahrenabwehr im Einzelfall (etwa wegen Brandschutz oder Einsturzgefahr) erforderlich ist. So liegt der Fall hier. Es besteht aus brandschutzrechtlicher Sicht eine besondere Gefahrensituation, weil das Flurstück 5 nicht über eine geeignete Zufahrt für die Feuerwehr im Sinne von § 5 BauO NRW verfügt. Daran bestehen mit Blick auf den Einsatzbericht des Wehrführers der Freiwilligen Feuerwehr L. vom 3. Juni 2019 und der Stellungnahme der Brandschutzdienststelle des Beklagten vom 13. Juni 2019, die dem Gericht im Ortstermin am 7. Oktober 2020 nochmals eingehend erläutert worden ist, und den weiteren Ermittlungen des Beklagten keinerlei Zweifel. Die Zufahrt, die von der Straße "Am M. " zum Grundstück der Klägerin führt, ist für Feuerwehrfahrzeuge nicht ausreichend befestigt und tragfähig im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 1 BauO NRW. Außerdem ist die Zufahrt für Rettungsfahrzeuge ungeeignet, weil sie stellenweise eine Neigung von mehr als 20% aufweist, wie der Beklagte im Ortstermin am 24. September 2019 festgestellt hat. Aus diesen Gründen musste der Feuerwehreinsatz am 16. Februar 2015 abgebrochen werden. Dieser Vorfall belegt die Nichterreichbarkeit des bebauten Grundstücks durch Feuerwehrfahrzeuge im Brandfall nachdrücklich. Schließlich mangelt es auch an den Voraussetzungen aus § 5 Abs. 2 Sätze 2 und 3 BauO NRW.

Der Beklagte hat sein Entschließungsermessen auch nicht im Sinne eines Nichteinschreitens gegen die Klägerin wegen Vorliegens einer aktiven Duldung gebunden. Von einer aktiven Duldung kann nur dann gesprochen werden, wenn die zuständige Bauaufsichtsbehörde in Kenntnis der formellen und ggf. auch materiellen Illegalität klar und eindeutig zu erkennen gibt, dass sie sich auf Dauer mit dem konkret baurechtswidrigen Zustand abzufinden gedenkt.

Ständige Rechtsprechung, vgl. nur OVG NRW, Beschluss vom 24. Januar 2006 - 10 B 2159/05 -.

Hierfür ist im vorliegenden Fall auch nicht ansatzweise etwas ersichtlich. Im Gegenteil hat der Beklagte die Klägerin unverzüglich unter dem 17. Juni 2019 zum Erlass eines Nutzungsverbots angehört, nachdem er von der formellen Illegalität der Nutzung und der brandschutzrechtlichen Gefahrenlage Kenntnis erlangt hat und dieses Verbot nach Eingang der Stellungnahme der Klägerin vom 30. August 2019 dann mit Bescheid vom 24. September 2019 ausgesprochen. Ein irgendwie geartetes schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin, der Beklagte würde den baurechtswidrigen Zustand auf ihrem Grundstück dulden, konnte bei dieser Sachlage nie entstehen.

Sonstige Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Grundverfügung bestehen nicht und werden von der Klägerin auch selbst nicht geltend gemacht. Insbesondere ist sie als Eigentümerin für den ordnungsgemäßen Zustand ihres Grundstücks nach § 18 Abs.1 Satz 1 OBG verantwortlich.

2. Ebenfalls nicht zu beanstanden ist die Androhung der Festsetzung eines Zwangsgeldes in Höhe von 5 000 € unter Ziffer 2 der Ordnungsverfügung. Die Androhung findet ihre Rechtsgrundlage in § 63 VwVG NRW i.V.m. §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2 und 60 VwVG NRW. Das angedrohte Zwangsgeld steht insbesondere in einem angemessenen Verhältnis zu seinem Zweck, den Willen der Pflichtigen zu beugen und sie zur Nutzungsaufgabe der beiden Wohngebäude zu veranlassen. Denn das Zwangsmittel, das von der Vollzugsbehörde angedroht wird, soll ein fühlbares Ausmaß erreichen, damit der beabsichtigte Erfolg auch erreicht wird.

Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 154 Abs. 1 VwGO und aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,

2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,

3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,

4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder

5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, schriftlich zu beantragen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

Statt in Schriftform kann die Einlegung des Antrags auf Zulassung der Berufung auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) erfolgen.

Die Gründe, aus denen die Berufung zugelassen werden soll, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Die Begründung ist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.

Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.

Die Antragsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf

10.000,00 €

festgesetzt.

Gründe:

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG und entspricht der anzunehmenden Bedeutung der Sache für die Klägerin. Das Gericht legt insoweit in ständiger Rechtsprechung den Streitwertkatalog der Bausenate des OVG NRW vom 22. Januar 2019 zugrunde, hier dessen Ziffer 11 lit. a.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss kann schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, Beschwerde bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln eingelegt werden.

Statt in Schriftform kann die Einlegung der Beschwerde auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) erfolgen.

Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.

Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.

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