OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 02.03.2021 - 1 A 157/20
Fundstelle
openJur 2021, 6663
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 26 K 14390/16
Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 506,75 Euro festgesetzt.

Gründe

Der auf die Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 3 VwGO gestützte Antrag hat keinen Erfolg.

Die Berufung ist gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO nur zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 VwGO innerhalb der Begründungsfrist dargelegt ist und vorliegt. Dabei bedeutet "darlegen" i. S. v. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, unter konkreter Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil fallbezogen zu erläutern, weshalb die Voraussetzungen des jeweils geltend gemachten Zulassungsgrundes im Streitfall vorliegen sollen. Das Oberverwaltungsgericht soll allein aufgrund der Zulassungsbegründung die Zulassungsfrage beurteilen können, also keine weiteren aufwändigen Ermittlungen anstellen müssen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Oktober 2013- 1 A 106/12 -, juris, Rn. 2 m. w. N.; ferner etwa Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 186, 194 m. w. N.

Hiervon ausgehend rechtfertigt das fristgerechte Zulassungsvorbringen des Beklagten in dem Schriftsatz vom 8. Januar 2020 nicht die Zulassung der Berufung.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit der Begründung stattgegeben, die Klägerin habe Anspruch auf die Gewährung weiterer Beihilfe zu den Kosten der Anwendung des Femtosekundenlasers im Rahmen der bei ihr durchgeführten Kataraktoperation. Diese Kosten seien als notwendige und angemessene Aufwendungen zur Wiedererlangung der Gesundheit, zur Besserung oder Linderung von Leiden nach § 77 Abs. 3 LBG i. V. m. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 4 Abs. 1 Nr. 1 BVO NRW - jeweils in der maßgeblichen Fassung - beihilfefähig. Der Einsatz des Femtosekundenlasers sei nicht nur (objektiv) medizinisch notwendig gewesen. Die entsprechenden Aufwendungen seien auch angemessen. Aufwendungen für ärztliche Leistungen seien schon dann beihilferechtlich als angemessen anzusehen, wenn der vom Arzt in Rechnung gestellte Betrag bei objektiver Betrachtung einer zumindest vertretbaren Auslegung der ärztlichen Gebührenordnung entspreche und der beihilfepflichtige Dienstherr nicht rechtzeitig für Klarheit über seine Auslegung gesorgt habe. Dies folge aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber dem Beamten. So liege der Fall hier. Vorliegend werde in der zivil- und verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung die Auffassung vertreten, der Einsatz des Femtosekundenlasers könne in Fällen der vorliegenden Art gem. Ziffer 5855 GOÄ analog abgerechnet werden. Der Dienstherr habe im Zeitpunkt der Entstehung der Aufwendungen (September 2016) noch nicht klargestellt, dass er diese Auffassung nicht teile. Diesen Rechtsstandpunkt habe er vielmehr erstmals im Runderlass des Ministerium der Finanzen - B 3100-0.88-IV A 4 - vom 1. Juli 2017, MBL.NRW, Ausgabe 2017 Nr. 24 vom 4. August 2017, S. 764, eingenommen. Nichts anderes ergebe sich bei Berücksichtigung des Erlasses des Finanzministeriums NRW vom 10. Dezember 1997 - B 3100 - 3.1.6 - IV A 4 - "Hinweise zum ärztlichen Gebührenrecht".

1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.

Ernstliche Zweifel in diesem Sinne sind begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt. Der Rechtsmittelführer muss darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht unrichtig ist. Dazu muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzen und konkret aufzeigen, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen sie ernstlichen Zweifeln begegnen. Er muss insbesondere die konkreten Feststellungen tatsächlicher oder rechtlicher Art benennen, die er mit seiner Rüge angreifen will.

Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 28. August 2018 - 1 A 249/16 -, juris, Rn. 2 ff.

Nach Maßgabe dieser Grundsätze zeigt das Zulassungsvorbringen keine durchgreifenden ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung auf.

Der Beklagte trägt vor, das Verwaltungsgericht habe keine eigenständige Prüfung vorgenommen, ob die Abrechnung des Einsatzes eines Femtosekundenlasers bei einer Kataraktoperation nach Ziffer 5855 GOÄ möglich und damit angemessen sei. Dies sei auch nicht der Fall. Nicht nur sei der Ansatz der Ziffer 5855 GOÄ doppelt so hoch wie der Ansatz für die gesamte Kataraktoperation in Ziffer 1375 GOÄ, tatsächlich fehle es aus den - im Einzelnen beschriebenen - Gründen an der für eine gesonderte (analoge) Berechnung nach §§ 6 Abs. 2, 4 Abs. 2 und 2a GOÄ zwingend erforderlichen Selbständigkeit der ärztlichen Leistung.

Dieser Vortrag geht an der entscheidungstragenden Argumentation des Verwaltungsgerichts vorbei. Das Verwaltungsgericht musste nicht abschließend entscheiden, ob der Einsatz des Femtosekundenlasers tatsächlich in analoger Anwendung der Ziffer 5855 GOÄ abgerechnet werden kann. Es hat seiner Entscheidung nämlich zugrunde gelegt, dass die Abrechnung in analoger Anwendung der Ziffer 5855 GOÄ ärztlicherseits vertretbar sei und dass es an einer vorherigen Klarstellung einer insoweit abweichenden Auslegung des Dienstherrn fehle, weshalb die entsprechenden Aufwendungen schon aus Gründen der Fürsorgepflicht zugunsten der Klägerin als beihilferechtlich angemessen anzusehen seien.

Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, Aufwendungen für medizinische Leistungen, deren Berechnung auf einer (ernstlich) zweifelhaften Auslegung der einschlägigen Gebührenordnung durch die ordentlichen Gerichte gestützt sei, seien aus Gründen der Fürsorgepflicht beihilferechtlich schon dann als angemessen anzusehen, wenn der vom Arzt in Rechnung gestellte Betrag bei objektiver Betrachtung auf einer zumindest vertretbaren Auslegung der Gebührenordnung beruhe und der beihilfepflichtige Dienstherr nicht rechtzeitig für Klarheit über seine Auslegung der streitigen Gebührennummer(n) gesorgt habe, entspricht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des beschließenden Senats.

Vgl. hierzu und zum Folgenden: OVG NRW, Urteil vom 23. November 2018 - 1 A 1825/16 -, juris, Rn. 30 ff. m. w. N.

Dieser Vertretbarkeitsmaßstab erleichtert die beihilferechtliche Angemessenheitsprüfung zugunsten des Beihilfeberechtigten. Hat der Dienstherr seine Rechtsauffassung vorab nicht klargestellt und haben sich die Beihilfeberechtigten deswegen nicht rechtzeitig auf einen möglichen Ausfall an Beihilfezahlungen einstellen können, sollen objektive Unklarheiten der Gebührenordnung, die zu unterschiedlichen Auffassungen Anlass geben, nicht zu Lasten des Beihilfeberechtigten gehen. Aus Gründen der Fürsorgepflicht soll dieser nicht vor die Wahl gestellt werden, entweder auf eigenes Risiko eine rechtliche Auseinandersetzung über die objektiv zweifelhafte Rechtsposition zu führen oder den an sich auf die Beihilfe entfallenden Anteil des zweifelhaften Rechnungsbetrages selbst zu tragen. Nur dann, wenn der Dienstherr seine eigene Auslegung rechtzeitig vorab klarstellt, verbleibt es bei dem Grundsatz, dass die erforderliche (beihilferechtliche) Klärung im Klageverfahren den Verwaltungsgerichten obliegt, die das ärztliche Gebührenrecht dann umfassend auslegen.

Der Beklagte hat die Auffassung des Verwaltungsgerichts, aus Gründen der Fürsorgepflicht gelte zugunsten der Klägerin der Vertretbarkeitsmaßstab, mit seinem Zulassungsvorbringen nicht substantiiert in Frage gestellt. Er erörtert zwar, warum aus seiner Sicht eine analoge Anwendung der Ziffer 5855 GOÄ ausscheide. Er hat aber weder behauptet, dass er diese Auffassung vorliegend bereits vorab (etwa im Zusammenhang mit der Vorlage eines Kostenvoranschlags) klargestellt hätte, noch hat er allein mit der Wiedergabe seiner eigenen Auffassung substantiiert dargelegt, dass die in der Zivilgerichtsbarkeit auch vertretene gegenteilige Auffassung, der Einsatz des Femtosekundenlasers stelle eine höherwertige und vollkommen neuartige (selbständige) Leistung dar, die mit der unter Ziffer 5855 GOÄ geregelten intraoperativen Strahlentechnik vergleichbar sei, jedenfalls im maßgeblichen Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen bei objektiver Betrachtung unvertretbar war. Für letzteres ist auch sonst nichts ersichtlich. Die Frage, wie der Einsatz von Femtosekundenlasern bei Kataraktoperationen nach der ärztlichen Gebührenordnung abzurechnen ist, wird in der Rechtsprechung der ordentlichen (Instanz)Gerichte - soweit ersichtlich - erst neuerdings vermehrt als im Sinne des Beklagten geklärt angesehen.

Vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 28. August 2020- 4 U 162/18 -, juris, Rn. 49 ff. (Revision nicht zugelassen) mit Anmerkung von Fenercioglu/Schoenen, VersR 2021, 246; OLG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 9. Mai 2019 - 4 U 28/16 -, juris, Rn. 27 ff. (Revision nicht zugelassen); LG Frankenthal, Urteil vom 11. März 2020 - 2 S 283/18 -, juris, Rn. 31 ff. (Revision nicht zugelassen); LG Hildesheim, Urteil vom 21. Januar 2020 - 3 S 8/19 -, juris, Rn. 11 ff. (Revision nicht zugelassen); LG Wuppertal, Urteil vom 15. Oktober 2019 - 16 S 57/18 -, juris, Rn. 8 ff. (Revision nicht zugelassen); LG Frankfurt/Main, Urteil vom 31. Mai 2019 - 2-14 S 3/18 -, juris, Rn. 64 ff., mit Anmerkung von Fenercioglu/Schoenen, VersR 2019, 1350; AG Heidelberg, Urteil vom 22. Mai 2019 - 30 C 112/18 -, juris, Rn. 31 ff. m.w.N.; nachfolgend LG Heidelberg, Urteil vom 10. Dezember 2019 - 2 S 14/19 -, juris, Rn. 19 ff. (Revision nicht zugelassen); vgl. auch Fenercioglu/Schoenen/Stelberg, GOÄ-konforme Abrechnung von mittels Femtosekundenlaser durchgeführten Katarakt-Operationen, Versicherungsmedizin 2018, 83 ff., und Fenercioglu/Patt/Schoenen/Stelberg GOÄ-konforme Abrechnung von mittels Femtosekundenlaser durchgeführten Katarakt-Operationen - Rechtsprechungsübersicht bis zum 15. Mai 2019 -, Versicherungsmedizin 2019, 70 ff.

2. Die Rechtssache weist auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf.

Schwierigkeiten solcher Art liegen vor, wenn der Ausgang des Rechtsstreits aufgrund des Zulassungsvorbringens bei summarischer Prüfung als offen erscheint. Dies ist der Fall, wenn das Zulassungsvorbringen - etwa wegen der Komplexität der betroffenen Tatsachen- bzw. Rechtsfragen - Anlass zu solchen Zweifeln gibt, welche sich nicht schon ohne Weiteres im Zulassungsverfahren, sondern erst in einem Berufungsverfahren mit der erforderlichen Sicherheit klären und entscheiden lassen.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 27. Februar 2018- 1 A 2072/15 -, juris, Rn. 40 m. w. N., und vom 13. Februar 2018 - 1 A 2517/16 -, juris, Rn. 28 m. w. N.

Das Vorbringen des Beklagten lässt derartige besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten nicht erkennen. Wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, zieht er mit seinen Ausführungen die Gründe des angefochtenen Urteils nicht derart in Zweifel, dass der Ausgang eines Berufungsverfahrens als offen zu bezeichnen wäre.

3. Die Berufung kann ferner nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen werden.

Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift, wenn sie eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird, und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, wenn sich die als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Rechtsfrage auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts nach allgemeinen Auslegungsregeln und auf der Grundlage der bereits vorliegenden Rechtsprechung ohne Weiteres beantworten lässt. Zur Darlegung des Zulassungsgrundes ist die Frage auszuformulieren und substantiiert auszuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. November 1989- 4 B 163.89 -, juris, Rn. 8; OVG NRW, Beschlüsse vom 13. Februar 2018 - 1 A 2517/16 -, juris, Rn. 32, und vom 13. Oktober 2011 - 1 A 1925/09 -, juris, Rn. 31 f. m. w. N.

In Anwendung dieser Grundsätze liegen die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht vor. Die vom Beklagten sinngemäß aufgeworfene Frage, ob der Einsatz eines Femtosekundenlasers im Rahmen einer Kataraktoperation nach Ziffer 5855 GOÄ selbständig berechnet werden kann und deshalb beihilfefähig ist, stellt sich - wie unter 1. dargelegt - im vorliegenden Verfahren wegen der nicht substantiiert in Frage gestellten Anwendung des Vertretbarkeitsmaßstabes bei der Prüfung der beihilferechtlichen Angemessenheit nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 52 Abs. 1 und 3 Satz 1, 47 Abs. 1 und 3 GKG.

Dieser Beschluss ist hinsichtlich der Streitwertfestsetzung nach §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG und im Übrigen gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.

Das angefochtene Urteil ist rechtskräftig, § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO.