AG Nürnberg, Beschluss vom 14.09.2020 - 240 C 2134/20
Fundstelle
openJur 2021, 6432
  • Rkr:
Tenor

I. Das Verfahren wird ausgesetzt.

II. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft wird gemäß Artikel 19 Absatz 3 Buchstabe b des Vertrages über die Europäische Union und Artikel 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union folgende Frage vorgelegt:

Ist Art. 3 Abs. 1 der RL 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen dahin auszulegen, dass eine in allgemeinen Geschäftsbedingungen eines gewerblichen Luftbeförderers enthaltene Klausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde und nach der auf einen auf elektronischem Weg mit einem zu befördernden Verbraucher geschlossenen Vertrag das Recht des Mitgliedstaats anzuwenden ist, in dem der Luftbeförderer seinen Sitz hat, und das nicht identisch ist mit dem Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des zu befördernden Verbrauchers, missbräuchlich ist, sofern sie den Verbraucher in die Irre führt, indem sie ihn nicht darauf hinweist, dass die Wahl eines anderen Rechts gemäß Artikel 5 Abs. 2 Unterabschnitt 2 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) nur eingeschränkt möglich ist und nicht jedes beliebige, sondern nur die in Art. 5 Abs. 2 Unterabschnitt 2 Rom-I-Verordnung genannten Rechtsstatuten gewählt werden dürfen?

Gründe

I. Die Klägerin verlangt von dem beklagten Luftfahrtunternehmen die Erstattung von nicht angefallenen Steuern und Gebühren aufgrund stornierter Luftbeförderungsverträge aus abgetretenem Recht.

Die Passagiere,(nachfolgend Passagiere) buchten jeweils für sich (und zum Teil für Mitreisende) Flüge bei der Beklagten, die entweder von oder/und nach Nürnberg durchgeführt werden sollten. Alle Passagiere hatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Alle Passagiere traten die Flüge nicht an und traten ihre Ansprüche gegen die Beklagte auf Erstattung von nicht angefallenen Steuern und Gebühren an die Klägerin ab. Diese nahm die Abtretung jeweils an und forderte die Beklagte erfolglos außergerichtlich zur Offenlegung und Erstattung der nicht angefallenen Steuern, Gebühren und sonstigen Abgaben auf.

Bei der Buchung der Flugtickets wurden in allen Fällen die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten miteinbezogen. In diesen heißt es auszugsweise in:

Nummer 21.1.:

SOFERN NICHT ANDERS IM ÜBEREINKOMMEN ODER ANDEREN GELTENDEN RECHTSVORSCHRIFTEN ANGEGEBEN GILT:

a) DIESE ALLGEMEINEN BEFÖRDERUNGSBEDINGUNGEN SOWIE SÄMTLICHE BEFÖRDERUNGEN, DIE WIR IHNEN (IN HINSICHT AUF IHRE PERSON BZW. IHR GEPÄCK) ZUSAGEN; UNTERLIEGT DEN GESETZEN VON UNGARN UND

b) ALLE STREITFÄLLE ZWISCHEN IHNEN UND UNS HINSICHTLICH EINER SOLCHEN BEFÖRDERUNG UNTERLIEGEN DER NICHT-AUSSCHLIESSLICHEN GERICHTSBARKEIT DER GERICHTE VON UNGARN. "NICHT-AUSSCHLIESSLICHE GERICHTSBARKEIT" BEDEUTET, DASS SIE IHRE ANSPRÜCHE AUCH BEI GERICHTSBARKEITEN IN GERICHTEN AUSSERHALB UNGARNS ERHEBEN KÖNNEN.

Nummer 7.2.1 (auszugsweise):

...

Sämtliche von einem Flughafenbetreiber erhobenen Steuern und Gebühren, auch wenn sie auf die Anzahl der Passagiere zurückzuführen sind, können nicht zurückerstattet werden.

Nummer 6.5:

6.5.1. Sie können Ihre Buchung bis zum vierzehnten (14.) Tag vor der planmäßigen Abflugzeit Ihres Flugs stornieren. Sie sind dann zu einer Rückerstattung des Gesamtflugpreises abzüglich der Stornierungsgebühr berechtigt.

6.5.2. Wenn Sie Ihre Buchung innerhalb von vierzehn (14) Tagen vor der planmäßigen Abflugzeit Ihres Flugs stornieren, wird Ihnen der Gesamtflugpreis abzüglich der Gebühren für weitere Leistungen und der Sitzfreigabegebühr erstattet.

Im Falle der Nummer 6.5 erhebt die Beklagte eine Stornierungsgebühr von 60 € pro Flug und Passagier. Im Falle der Nummer 6.5.2 erhebt die Beklagte eine Sitzfreigabegebühr in Höhe von 80 € pro Flug und Passagier. Diese Gebühren sind auf der Homepage der Beklagten einsehbar.

Nach Nummer 18.3.1 der allgemeinen Geschäftsbedingungen verjähren jegliche Ansprüche der Passagiere 2 Jahre nach Ankunft am Zielort oder ab dem Datum, an dem das Flugzeug planmäßig hätte ankommen sollen oder ab dem Datum, an dem die Beförderung eingestellt wurde. Die Beklagte erhebt daher die Einrede der Verjährung. Die Frist ist jedoch nur für den Passagier überschritten.

Nach Auffassung der Beklagten ist die Rechtswahlklausel wie auch die weiteren Klauseln nach ungarischen Recht wirksam.

Die Klägerin ist dem entgegengetreten.

Ein Gutachten zum ungarischen Recht wurde im hiesigen Verfahren nicht erholt, weil dieses zur Überzeugung des Gerichts dann nicht erforderlich ist, wenn die Rechtswahlklausel unwirksam wäre. Darüber hinaus liegt ein Rechtsgutachten des Professor Dr. Dr. h.c. K des Instituts vom 02.06.2020 zu einer vergleichbaren Rechtswahl- und Verjährungsklausel in allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten vor. Der Gutachter kommt zu dem Ergebnis, dass sowohl die Rechtswahlklausel als auch die Abkürzung der Verjährung nach ungarischem Recht, falls dieses trotz des Vorrangs des Unionrechts anwendbar ist, wirksam wären.

II. 1. Das vorlegende Gericht hat die Rechtsfrage in der öffentlichen Sitzung vom 22.06.2020 und im Nachgang schriftlich mit den Parteivertretern erörtert.

2. Der Erfolg der Klage hängt von der Auslegung des Art. 3 Abs. 1 der RL 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ab. Das Verfahren ist deshalb auszusetzen und es ist gemäß Artikel 19 Absatz 3 Buchstabe b des Vertrages über die Europäische Union und Artikel 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union eine Vorab-Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft zu der im Beschluss-Tenor gestellten Frage einzuholen.

3. Das Bestehen der Ansprüche hängt im Wesentlichen davon ab, ob die die Rechtswahlklausel des ungarischen Rechts wirksam ist.

Zwar ist die Wirksamkeit einer Klausel gemäß Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 10 Abs. 1 Rom-I-Verordnung nach dem gewählten Recht und damit vorliegend ungarischen Recht zu beurteilen. Jedoch gehören zum Prüfungsmaßstab auch die der Umsetzung der RL 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen dienenden Vorschriften, welche richtlinienkonform auszulegen sind (Landgericht Frankfurt, Teilurteil vom 03. Juli 2020 - 2-24 O 100/19 -, juris). Wäre die Rechtswahlklausel danach unwirksam, so wäre in allen Fällen gemäß Art. 5 Abs. 2 Unterabschnitt 1 Rom-I-Verordnung deutsches Recht anwendbar, da alle Passagiere ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben und bei allen Flügen entweder der Abgangsort oder der Bestimmungsort sich in Nürnberg befindet. Nach deutschem Recht wären die weiteren Klauseln der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten unwirksam.

4. Der Europäische Gerichtshof hat bereits entschieden, dass Luftfahrtunternehmen die von den Kunden geschuldeten Beiträge für Steuern und Gebühren bei der Veröffentlichung ihrer Flugpreise gesondert ausweisen müssen und diese nicht (auch nicht teilweise) in den Flugpreis einbeziehen dürfen (Urteil vom 06.07.2017, Rs. C 290-16). In derselben Entscheidung wurde klargestellt, dass Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die ein pauschales Bearbeitungsentgelt für die Rückerstattung solcher Gebühren und Steuern vorsehen, als unwirksam aufgrund eines nationalen Gesetzes zur Umsetzung der RL 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen angesehen werden können. Nach deutschem Recht wäre daher die Klausel in Nr. 4.2.1 der AGB der Beklagten gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB wegen unangemessener Benachteiligung unwirksam (BGH, Beschluss vom 21. April 2016, Az.: I ZR 220/14, Rn. 23).

Nach deutschem Recht wäre auch der Ausschluss der Rückerstattung von Steuern und Gebühren ebenso wie die Abkürzung der Verjährung nach § 307 BGB unwirksam. Gemäß § 307 Abs. 1 BGB sind Klauseln unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Dies wäre vorliegend der Fall. Ein berechtigtes Interesse der Beklagten, die nicht ihr, sondern dem Staat, Flughafenbetreiber oder sonstigen Beteiligten zustehenden Zahlungen von Steuern und Gebühren bei Nichtantritt des Fluges für sich selbst zu vereinnahmen, ist in keinster Weise ersichtlich (so auch Amtsgericht Brühl, Teilurteil vom 03.06.2020, Aketenzeichen: 7 C 658/19) und auch von der Beklagten nicht vorgetragen. Auch ist kein berechtigtes Interesse erkennbar, die nach deutschen Recht regelmäßige Verjährungsfrist von 3 Jahren ab Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§§ 195, 199 BGB), erheblich abzukürzen.

5. Entscheidend ist also, ob die Rechtswahlklausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten (Nr. 21) wirksam ist oder nicht.

Der Europäische Gerichtshof hat zu Artikel 6 Abs. 2 Rom-I-Verordnung entschieden, dass eine Rechtswahlklausel in AGB eines Unternehmers dann irreführend im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der RL 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen sein kann, wenn der Verbraucher nicht auf das Günstigkeitsprinzip von Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom-I-Verordnung hingewiesen wird (Urteil vom 28. Juli 2016, Az. C-191/15). Auf Beförderungsverträge ist Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom-I-Verordnung wegen Artikel 6 Abs. 4 Buchstabe b) Rom-I-Verordnung nicht anwendbar. Die Vorlage zielt daher darauf ab, ob die genannte Rechtsprechung sinngemäß auch auf Artikel 5 Abs. 2 Rom-I-Verordnung übertragbar ist.

Das Landgericht Frankfurt a.M. (Urteil vom 14. Dezember 2017, Az.: 2-24 O 8/17) hat dies angenommen. Die Rechtswahlklausel sei irreführend, weil der Passagier als Verbraucher nicht auf die Einschränkung der Rechtswahlmöglichkeit hingewiesen werde. Dies sei wie bei Artikel 6 Abs. 2 Rom-I-Verordnung zu behandeln. Auch das Amtsgericht Brühl (Teilurteil vom 20.05.2020, Aktenzeichen 7 C 658/19) hat diese Auffassung vertreten.

Prof. Dr. P. M. ist dem in einem Aufsatz ("Rechtswahlklauseln in Luftbeförderungs-AGB auf dem Prüfstand", RRa 2014, 118ff) und das Oberlandesgericht Frankfurt mit Urteil vom 13.12.2018, Aktenzeichen 16 U 15/18 entgegengetreten. Auch das Oberlandesgericht Frankfurt (Urteil vom 13.12.2018, Aktenzeichen 16 U 15/18) hat entschieden, dass die Grundsätze der sogenannten amazon-Entscheidung der Europäischen Gerichtshofes (Urteil vom 28. Juli 2016, Az. C-191/15) mangels Strukturähnlichkeit und wegen der unterschiedlichen Anwendungsbereiche nicht auf Luftbeförderungsverträge übertragbar seien.

6. Die Vorlagefrage ist, soweit hier ersichtlich, bislang nicht geklärt.

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