AG Ingolstadt, Beschluss vom 17.05.2019 - 3 XIV 198/19
Fundstelle
openJur 2021, 7083
  • Rkr:
Tenor

1. Gegen d. Betroffene wird Haft zur Sicherung der Zurückweisung angeordnet.

2. Die Haft beginnt mit dem heutigen Tag und endet spätestens am 28.06.2019.

3. Die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung wird angeordnet.

Gründe

I.

D. Betroffene ist nigerianiischer Staatsangehöriger.

Am 10.05.2019 um 15:45 Uhr reiste d. Betroffene im Bus Richtung Deutschland ein und wurde im Rahmen der Grenzkontrolle an der GKS K. kontrolliert. D. Betroffene konnte keinerlei zur Einreise berechtigende Ausweisdokumente vorweisen und war auch noch nicht eingereist. Somit lagen die Voraussetzungen für die Anordnung der Zurückweisung vor. Der Betroffene ist vollziehbar ausreisepflichtig.

Es liegen keine Hinweise vor, dass die Zurückweisung in dem hier angestrebten Verfahren nicht durchgeführt werden kann.

Die beteiligte Ausländerbehörde beantragte nach Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das Amtsgericht Rosenheim vom 11.05.2019, befristet bis spätestens 21.06.2019, gegen d. Betroffenen gemäß §§ 15I, V, 57 I, AufenthG Haft zur Sicherung der Zurückweisung bis zur vollzogenen Rückschiebung, längstens bis zum 28.06.2019 anzuordnen.

Am 10.05.2019 um 15:45 Uhr wurde der Betroffene als Insasse eines grenzüberschreitenden Fernreisebusses mit italienischer Zulassung an der Grenzkontrollstelle BAB 93, TRA Inntal Ost, 8... K. einer grenzpolizeilichen Einreisekontrolle unterzogen. Der Betroffene wies sich hierbei mit einer zeitlich gültigen, deutschen Duldung aus. Einen Pass konnte er nicht vorweisen.

Der Betroffene ist nigerianischer Staatsangehöriger und unterliegt für die Einreise und dem Aufenthalt in Deutschland der Reisepass und Sichtvermerks Pflicht.

Wegen des Verdachts der unerlaubten Einreise im Versuch wurde der Betroffene vor Ort vorläufig festgenommen und zur Dienststelle der BPOLI R. verbracht. Die durchgeführten, polizeilichen Ermittlungen ergaben folgende Erkenntnisse:

Im polizeilichen Fahndungssystem INPOL ist der Betroffene mehrfach erkennungsdienstlich erfasst:

22.08.2016 - Asylbewerber - Außenstelle D. ...

22.08.2018 - Asylbewerber/Asylfolgeantrag - ...

10.05.2019 - BPOLI R. - unerlaubte Einreise im Versuch.

Eine aktuelle Fahndung besteht nicht.

Sein Reisepass wurde am 27.11.2018 durch die PI E. aufgrund Verlust zur Eigentumssicherung im INPOL ausgeschrieben.

Im Ausländerzentralregister ist er ebenfalls erfasst.

04.08.2015 Ersteinreise

22.08.2016 Asylantrag gestellt

26.05.2017 Abschiebung angedroht

24.07.2018 Asylantrag abgelehnt und Aufenthaltsgestattung erloschen

Derzeit geduldet.

Die Eurodac Recherche verlief positiv mit zwei deutschen Treffer:

DE... 22.08.2018 620 AS M. H.STR. M

DE... 22.08.2016 D. M

VIS-Recherche (Visa-Informations-System) mit Fingerabdrücken verlief positiv: Antrag auf Visum gestellt am 10.07.2015 in Phnom Penh /Kambodscha. Schengenvisum erteilt am 15.07.2015 für 16 Tage im Zeitraum vom 27.07.2015 bis 11.08.2015. Bei der Beantragung wies ich O. mit seinem gültigen nigerianischen Reisepass (Nr. ...) aus.

An der oben angegebenen Wohnanschrift ist der Betroffene laut EWO Abfrage seit dem 22.02.2017 polizeilich gemeldet.

Laut Auskunft vom Lagezentrum des BAMF N. wurde der Asylantrag am 26.05.2017 als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Eine am 02.06.2017 eingereichte Klage gegen den Bescheid wurde am 24.07.2018 durch ein Verwaltungsgericht abgelehnt. Am 03.09.2018 wurde ein Folgeantrag gestellt. Dieser Antrag wurde als unzulässig abgelehnt. Eine Klage beim VG München vom 18.09.2018 wurde am 16.10.2018 als unanfechtbar abgelehnt. Somit ist der Bescheid seit dem 16.10.2018 bestandskräftig und der Betroffene vollziehbar ausreisepflichtig.

In der polizeilichen Vernehmung gab BES zusammenfassend an in Berlin zu einer Passbeschaffung bei der Botschaft gewesen zu sein. Bei der Rückfahrt hat er aber den Ausstieg verpasst und sei erst in Bozen aus dem Bus ausgestiegen. Dort hielt er sich für etwa 1 bis 2 Stunden auf und war nun auf dem Rückweg in seine Unterkunft. Er geht davon aus, dass sein Asylverfahren in Deutschland noch in Bearbeitung ist. Zurück nach Nigeria will er ausdrücklich nicht. Der Betroffene stellte im Jahr 2016 in Deutschland einen Asylantrag. Dieser wurde im Jahr 2018 abgelehnt. Deutschland ist laut jetzigem Ermittlungsstand zur Aufenthaltsbeendigung zuständig. Der Betroffen ist vollziehbar ausreisepflichtig.

Durch die BPOLI R. wurde beim zuständigen Amtsgericht Rosenheim die vorläufige Freiheitsentziehung im Wege der einstweiligen Anordnung für die Dauer von sechs Wochen beantragt, um das zur Anwendung kommende Verfahren sowie den endgültigen Zielstaat zu bestimmen. Das AG Rosenheim hat die Freiheitsentziehung durch Beschluss 8XIV 129/19(B) angeordnet.

Am 13.05.2019 teilte die Ausländerbehörde der Stadt E. hier auf telefonische Nachfrage mit, dass für die Person seit November 2018 ein Verfahren zur Beschaffung von Passersatzpapieren (PEP) eingeleitet wurde. Das Verfahren wurde an die Regierung von Oberbayern abgegeben, bisher erreichte das ALA E. kein Ergebnis.

Telefonische Kontaktaufnahme mit dem Referat 25 des Bundespolizeipräsidiums, welches für die Passersatzpapierbeschaffung in BPOL-Fällen zuständig ist ergibt, dass in der 20. Kalenderwoche Anhörungen für nigerianische Staatsangehörige zur PEP-Beschaffung beim Landesamt für Asyl in M. stattfinden. O. soll dort am 15/16.05.2019 persönlich zur Befragung erscheinen.

Bei einem positiven Identifizierungsergebnis wird ein Heimreisedokument von den nigerianischen Behörden ausgestellt.

Im Anschluss kann die Person in ihr Heimatland auf dem Luftweg zurückgewiesen werden.

II.

Im Rahmen der heutigen Vorführung wurde d. Betroffenen gem. § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG in der gebotenen Weise vor der Entscheidung rechtliches Gehör gewährt. Der Haftantrag der beteiligten Ausländerbehörde ist d. Betroffenen vor der Anhörung übersetzt und damit der gesamte Antragsinhalt bekannt gegeben worden. Ein Abdruck des Antrags ist dem Betroffenen überlassen worden. D. Betroffene war in der Lage sich zu sämtlichen Angaben der beteiligten Behörden zu äußern. Es handelt sich vorliegend um einen überschaubaren Sachverhalt den d. Betroffene vor der Anhörung ausreichend erfassen konnte. Zudem hatte d. Betroffene bereits aufgrund der vorangegangenen polizeilichen Vernehmung Kenntnis von den tatsächlichen Umständen, die die Ausländerbehörde dem Antrag zugrunde gelegt hat.

Bei der mündlichen Anhörung am 17.05.2019 erklärte d. Betroffene, dass er Einwände habe. Im Übrigen wird auf die Niederschrift vom heutigen Tag Bezug genommen.

III.

1. Die zuständige Ausländerbehörde hat den Haftantrag zulässig und ausreichend begründet. Der vorliegende Haftantrag genügt den Darlegungsanforderungen der obergerichtlichen Rechtsprechung. Insbesondere werden verlangt - wie erfolgt - Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Zurückweisungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Zurückweisung und zu der notwendigen Haftdauer, § 17 Abs. 2 Nr. 3 bis 5 FamFG.

Das Gericht erachtet diese Voraussetzungen unter Bezugnahme auf I. für erfüllt.

Ferner hat die Ausländerbehörde insbesondere schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, warum die Sicherungshaft in der beantragten Länge erforderlich und unverzichtbar ist. Sie trägt hierzu plausibel folgendes vor:

In Anwendung des Art. 14 der VO (EG) Nr. 399/2016 i.V.m § 15 AufenthG soll der Betroffene nach Nigeria zurückgewiesen werden.

In diesem Verfahren wird die Person durch die Bundespolizeiinspektion R. an den zuständigen Staat angeboten. Das hierzu erforderliche Konsultationsverfahren wurde durch die Bundespolizeiinspektion bereits eingeleitet und dauert in diesem Fall bis zum 28.06.2019.

Eine Zurückweisung nach Österreich scheidet aufgrund der Zuständigkeit Deutschlands für die Aufenthaltsbeendigung aus.

Der Zeitraum von 7 Wochen bis zum 28.06.2019 setzt sich zusammen aus:

1 Woche

Bearbeitungszeit bei der BPOLI RO:

Anhörung des Betroffenen durch Vertreter der nigerianischen Botschaft am 15./16. 05.2019 beim Landesamt für Asyl in M.

5 Wochen

Bearbeitungszeit durch die nigerianischen Behörden zur Feststellung der Staatsangehörigkeit. Auf die Dauer des Verfahrens hat die Bundespolizei keinen Einfluss.

1 Woche

Bearbeitungszeit bei der BPOLI RO nach Eingang der Mitteilung dass ein Passersatz ausgestellt wird, für die Organisation einer unbegleiteten Rückführung, Flugbuchung und tatsächlicher Rückführung.

Es sind keine Umstände ersichtlich, die einer Durchführung der Zurückweisung innerhalb der nächsten 3 Monate aus Gründen entgegenstehen, die der Betroffene nicht zu vertreten hat.

Die Dauer der Haft wird somit von der Behörde glaubhaft mit dem für die Organisation und Durchführung der Zurückweisung nach Nigeria notwendigen Erfordernissen, mithin mit der voraussichtlichen Dauer des Rücknahmeverfahrens begründet. Die im Antrag angegebenen einzelnen Zeitspannen sind für die organisatorische Realisierung der Zurückweisung einerseits erforderlich, andererseits aber auch ausreichend.

Sollte das Rücknahmeverfahren vor Ablauf der Frist abgeschlossen sein, so ist die Behörde aufgrund des Beschleunigungsgebots gehalten, den Betroffenen unverzüglich zurückzuweisen, vgl. auch § 62 Abs. 1 Satz 2 AufentG.

Auch das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft liegt gem. § 72 Abs. 4 AufentG vor.

2. Die materiellen Voraussetzungen der Zurückweisungshaft nach § 15 V AufenthG liegen vor.

In der Verfügung der Bundespolizei vom 10.05.19 liegt eine Zurückweisungsentscheidung vor, die nicht unmittelbar vollzogen werden kann, weil die Ziellandbestimmung noch nicht abgeschlossen war. Diese kann nur von den Verwaltungsgerichten und braucht nicht im hiesigen Haftverfahren durch das Amtsgericht verwaltungsrechtlich überprüft werden(BGH 22.06.2017 - V ZB 127/16). Erneut mit Beschluss des BGH vom 12.04.2018, V ZB 164/16 wurde durch den BGH entschieden, dass die sachliche Richtigkeit einer Einreiseverweigerung bzw. Zurückweisung nicht die Haftgerichte zu entscheiden haben, sondern die Verwaltungsgerichte. Hier liegt eine Zurückweisung der Bundesbehörde vor, deren Rechtmäßigkeit aufgrund dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung vom Haftgericht nicht geprüft werden kann. Insoweit sind die Bedenken des Landgerichts Traunstein in seinem Hinweis vom 16.05.2019 nicht nachvollziehbar.

3. Die Freiheitsentziehung genügt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und ist insbesondere zur Sicherung der Rückführung erforderlich.

Dagegen ist ein Haftgrund i.S.v. § 62 III AufenthG nicht erforderlich weil § 15 V S. 2AufenthG lediglich auf § 62 IV, nicht jedoch auf § 62 III AufenthG verweist(s.o.BGH aaO).

Die Anordnung der Zurückweisungshaft ist auf die Fälle beschränkt, in welchen zu besorgen ist dass der Betroffene sich dem Verfahren durch Flucht entziehen würde.

Diese Voraussetzung ist hier nach Überzeugung des Gerichts aufgrund folgender Tatsachen gegeben:

§ 15 Abs. 5 AufenthG

Die Zurückweisungsentscheidung ist ergangen, kann aber aus folgenden Gründen nicht unmittelbar vollzogen werden:

Da der Betroffene derzeit keine Reisedokumente besitzt, ist daher eine Passbeschaffung erforderlich.

Zudem besteht aus folgenden Gründen der Verdacht, dass der Betroffene untertaucht und sich der Zurückweisung entziehen wird:

§ 2 Abs. 14 Nr. 3 AufenthG (Mitwirkung bei der Identitätsfeststellung)

Während der Beschuldigtenvernehmung gibt der Betroffene an, seinen Reisepass verloren zu haben. Bei einer Passbeschaffung zur Beschleunigung des Verfahrens würde er nicht freiwillig mitwirken. Dies ist bereits im Ausländerzentralregister nachzuvollziehen, da eine aufenthaltsbeendenden Maßnahme bislang immer aufgrund fehlender Dokumente scheiterte

§ 2 Abs. 14 Nr. 5 AufenthG (Erklärung Entziehung der Aufenthaltsbeendigung)

Auch bei einer geplanten Rückführmaßnahme durch die Bundespolizei würde er nicht freiwillig mitwirken. Folglich ist davon auszugehen, dass er sich dieser Maßnahmen entziehen würde.

Die Fluchtgefahr ist daher deutlich erkennbar und auch als erheblich einzustufen.

Die Würdigung der Gesamtumstände ergibt, dass damit die Wahrscheinlichkeit, dass sich d, Betroffene den geplanten aufenthaltsbeendenden Maßnahmen entziehen wird, sehr hoch ist. Somit liegt in diesem Fall die erhebliche Fluchtgefahr vor.

Auch verfügt d. Betroffene über keine familiären oder sozialen Bindungen in Deutschland, sie ist hier arbeits- und wohnsitzlos.

Im übrigen wird ergänzend auf die Gründe des Antrages Bezug genommen.

Aufgrund der relativ kurzen Haftdauer überwiegt das öffentliche Interesse an einer wirksamen Durchsetzung ausländerrechtlichen Vorschriften und damit an einer kontrollierten Zuwanderung in die Bundesrepublik Deutschland gegenüber dem Freiheitsanspruch d. Betroffenen.

4. Gründe, die ein Absehen von der Sicherungshaft gem. § 57 Abs. 1 Abs. 3, 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich bzw. nicht glaubhaft gemacht.

Im übrigen liegen Zurückweisungshindernisse nicht vor.

Umstände die einer Durchführung der Zurückweisung innerhalb der nächsten 3 Monate aus Gründen die d. Betroffene nicht zu vertreten hat bzw. innerhalb von 6 Monaten entgegenstehen, sind nicht erkennbar (§§ 57 Abs. 3, 62 Abs. 3 Satz 4, IV 1 AufenthG).

5. Ein milderes Mittel als die Inhaftierung d. Betroffenen im Sinne von § 62 Abs. 1 AufenthG ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist angesichts der unter Ziffer 3 dargelegten Gegebenheiten die Hinterlegung von Ausweispapieren bzw. eine Meldeauflage bzw. die Auflage, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten vorliegend nicht ausreichend.

Das Verfahren beruht auf den §§ 416, 418, 419, 420, 421 FamFG.

Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit der Entscheidung beruht auf § 422 Abs. 2 FamFG.