AG Ingolstadt, Beschluss vom 17.05.2019 - 2 XIV 201/19
Fundstelle
openJur 2021, 7090
  • Rkr:
Tenor

1. Gegen die Betroffene wird weitere Haft zur Sicherung der Zurückweisung angeordnet.

2. Die Haft endet spätestens mit Ablauf des 10.06.2019.

3. Die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung wird angeordnet.

4. Der Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwaltes vom 16.05.2019 wird abgelehnt.

Gründe

I.

Die Betroffene ist nigerianische Staatsangehörige.

Gegen die Betroffene wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Ingolstadt vom 05.04.2019, Az. 2 XIV 136/19 Haft zur Sicherung der Zurückweisung angeordnet bis 10.05.2019 sowie mit weiterem Beschluss vom 09.05.2019, Az. 2 XIV 186/19, verlängert bis 23.05.2019. Bezüglich des Sachverhalts, der zunächst notwendig erscheinenden Haftdauer, der Haftgründe, der Verhältnismäßigkeit der Haft etc. wird zur Vermeidung von Wiederholungen vollumfänglich auf diese Beschlüsse Bezug genommen.

Durch die Bundespolizei wurde für die Betroffene ein Flug nach Rom für den 07.05.2019 gebucht. Bei der Zuführung am Flughafen München schrie die Betroffene lautstark kurz vorm dem Einsteigen in den Flieger und weigerte sich weiterzulaufen. Durch den Piloten wurde die Mitnahme verweigert. Die Betroffene wurde umgehend wieder in die JVA Eichstätt eingeliefert. Durch die Bundespolizei wurde nunmehr am 07.05.2019 die Organisation eines Charterfluges nach Rom veranlasst. Am 10.05.2019 wurde durch das Bundespolizeipräsidium ein Kleincharter nach Rom für den 07.06.2019 bestätigt.

Die beteiligte Ausländerbehörde beantragte am 15.05.2019 gegen d. Betroff. gemäß §§ 57 Abs. 1, 62 III, 60 AufenthG, 420 FamFG Zurückweisungshaft bis zur vollzogenen Rückschiebung, längstens jedoch bis 10.06.2019 anzuordnen.

II.

Im Rahmen der heutigen Vorführung wurde d. Betroff. gemäß § 420 I 1 FamFG in der gebotenen Weise vor der Entscheidung rechtliches Gehör gewährt.

Der Haftantrag der beteiligten Ausländerbehörde ist d. Betroff. vor der Anhörung übersetzt und damit der gesamte Antragsinhalt bekannt gegeben worden. Ein Abdruck des Antrags ist d. Betroff. überlassen worden. Die Betroffene war in der Lage, sich zu sämtlichen Angaben der beteiligten Behörde zu äußern. Es handelt sich vorliegend um einen überschaubaren Sachverhalt, den d. Betroff. vor der Anhörung ausreichend erfassen konnte. Zudem hatte sie bereits aufgrund des vorangegangenen Beschlusses des Amtsgerichts Ingolstadt vom 05.04.2019 und vom 09.05.2019 Kenntnis von den tatsächlichen Umständen, die die Ausländerbehörde dem Antrag zugrunde gelegt hat.

Bei der mündlichen Anhörung am heutigen Tag erklärte d. Betroff., dass sie Einwände habe. Im Übrigen wird auf die Niederschrift vom heutigen Tag Bezug genommen.

III.

1. Die zuständige Ausländerbehörde hat den Haftantrag zulässig und ausreichend begründet.

Der vorliegende Haftantrag genügt den Darlegungsanforderungen der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BGH vom 15.09.2011, Az V ZB 123/11; vom 10.05.2012, Az V ZB 246/11). Insbesondere werden verlangt - wie hier erfolgt - Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Ab-/Zurückschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Ab-/Zurückschiebung und zu der notwendigen Haftdauer, § 417 II 2 Nr. 3-5 FamFG. Das Darlegungserfordernis soll gewährleisten, dass das Gericht die Grundlagen erkennt, auf welche die Behörde ihren Antrag stützt, und dass das rechtliche Gehör d. Betroff. durch die Übermittlung des Haftantrags nach § 23 II FamFG gewahrt wird, wobei die Darlegungen knapp gehalten sein dürfen, solange sie die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falles ansprechen (BGH FGPrax 2011, 317).

Das Gericht erachtet diese Voraussetzungen unter Bezugnahme auf I. für erfüllt.

Ferner hat die Ausländerbehörde insbesondere schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, warum die Sicherungshaft in der beantragten Länge erforderlich und unverzichtbar ist (vgl. auch BGH vom 12.09.2013, Az V ZB 171/12).

Sie trägt hierzu plausibel vor:

In Anwendung der Dublin III-VO soll die Betroffene nach Italien zurückgeschoben werden. Nach dem Scheitern der Rückführung am 07.05.2019 musste ein neuer Flug, hier eine Kleinchartermaßnahme nach Rom, organisiert werden. Dieser findet nun am 07.06.2019 statt. Die 3 zusätzlich beantragten Tage werden benötigt, um bei einem erneuten Scheitern die Möglichkeit zu haben, die Betroffene erneut vorführen zu können.

Es sind keine Umstände ersichtlich, die einer Durchführung der Zurückweisung innerhalb der nächsten 3 Monate aus Gründen entgegenstehen, die die Betroffene nicht zu vertreten hat.

Die Dauer der Haft wird somit von der Behörde glaubhaft mit den für die Organisation und Durchführung der Zurückweisung nach Italien notwendigen Erfordernissen, mithin mit der voraussichtlichen Dauer des Rücknahmeverfahrens nach gescheiterter Rückführmaßnahme begründet. Die im Antrag angegebenen einzelnen Zeitspannen sind für die organisatorische Realisierung der Zurückweisung einerseits erforderlich, andererseits aber auch ausreichend.

2. Es liegen die Voraussetzungen einer unerlaubten Einreise gemäß § 14 Abs. 1 AufenthG vor. D. Betroff. ist damit auch vollziehbar ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 2 AufenthG). Ergänzend und zur Vermeidung von Wiederholungen wird vollumfänglich auf die Beschlüsse des AG Ingolstadt vom 05.04.2019 und 09.05.2019 Bezug genommen.

3. Es ist nunmehr zusätzlich der Haftgrund der erheblichen Fluchtgefahr iSv Art. 28 II, 2 n) der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 iVm § 2 Abs. 15 (iVm § 2 Abs. 14 Nr. 5 und Nr. 6) AufenthG gegeben.

Die Betroffene hat ihre Rückführung vereitelt, indem sie durch ihr gezeigtes Verhalten den Abbruch der Rückführmaßnahme veranlasste und sich damit ihrer Abschiebung entzogen hat. Das gezeigte Verhalten der Betroffenen zwang die Ausländerbehörde zum Abbruch der Rückführung (vgl. BT-DS 18/4097, S. 34), § 2 XIV Nr. 6 AufenthG. Hier besteht daher der begründete Verdacht, dass sich die Betroffene der weiteren Abschiebung durch Flucht oder Untertauchen entziehen will.

Die Fluchtgefahr ist auch als erheblich zu qualifizieren. Aufgrund der Gesamtumstände erachtet das Gericht diese Erheblichkeit für gegeben. Die Betroffene hat durch ihr Verhalten im Rahmen der geplanten Überstellung am Flughafen bewiesen, dass sie sich der Rückführung nicht freiwillig stellen wird.

4. Hinsichtlich der weiteren Haftgründe wird zur Vermeidung von Wiederholungen vollumfänglich auf den Beschluss des AG Ingolstadt vom 05.04.2019 im Verfahren Az. 2 XIV 136/19 und vom 09.05.2019 im Verfahren Az. 2 XIV 186/19 Bezug genommen.

5. Gründe, die ein Absehen von der Sicherungshaft gem. § 57 Abs. 1, Abs. 3, 62 Abs. 3 S. 3 AufenthG rechtfertigen können, sind nicht ersichtlich bzw. nicht glaubhaft gemacht.

Im Übrigen liegen Zurückweisungshindernisse nicht vor. Ob die Zurückweisung nach Italien zu Recht erfolgt, ist nicht vom Haftrichter, sondern von den jeweils zuständigen Verwaltungsgerichten zu entscheiden (BGH vom 25.02.2010, Az V ZB 172/09); der Haftrichter ist letztlich nicht befugt, über das Vorliegen von Ab/Zurückschiebungshindernissen - mit wenigen Ausnahmen, die eine Sachverhaltsermittlung des Haftrichters erfordern (vgl. hierzu BGH aaO) - zu entscheiden.

Umstände, die einer Durchführung der Zurückweisung innerhalb der nächsten 3 Monaten aus Gründen, die d. Betroff. nicht zu vertreten hat, bzw. innerhalb von 6 Monaten, entgegenstehen, sind nicht erkennbar (§ 57 Abs. 3, 62 Abs. 3 S. 4, IV 1 AufenthG).

6. Gründe, die ein Absehen von der Sicherungshaft gem. § 57 Abs. 1, Abs. 3, 62 Abs. 3 S. 3 AufenthG rechtfertigen können, sind nicht ersichtlich bzw. nicht glaubhaft gemacht. Ein milderes Mittel als die Inhaftierung des Betroffenen im Sinne von § 62 Abs. 1 AufenthG ist nicht ersichtlich. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit vollumfänglich auf den Beschluss des AG Ingolstadt vom 05.04.2019 und vom 09.05.2019 Bezug genommen.

7. Umstände, die einer Durchführung der Zurückweisung innerhalb der nächsten 3 Monate aus Gründen, die d. Betroff. nicht zu vertreten hat, entgegenstehen, sind nicht erkennbar. Hierbei ist eine Prognose, gerechnet ab dem Zeitpunkt der ersten Haftanordnung, anzustellen (Renner u.a. § 62 AufenthG Rz 115); wie oben festgestellt, wäre die Zurückweisung am 07.05.2019 zu bewerkstelligen gewesen. Die (weitere) Haftdauer hat die Betroffene durch ihre Widerstandshandlung beim Rückführungsversuch selbst heraufbeschworen. Scheitert die praktische Durchführbarkeit aber aus Gründen, die die zu überstellende Person zu vertreten hat, wird eine erneute Sechswochenfrist in Lauf gesetzt, vgl. BGH, Beschluss vom 06.04.2017 - V ZB 126/16. Diese Sechswochenfrist beginnt am Tag der gescheiterten Rückführung.

IV.

Der auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsbestandes/Rechtsanwaltes für das Haftverlängerungsverfahren vom 16.05.2019 war zurückzuweisen, da die Rechtsverfolgung im konkreten Fall keine Aussicht auf Erfolg hat, § 76 Abs. 1 FamFG, § 114 Abs. 1 ZPO. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit vollumfänglich auf den Beschluss des AG Ingolstadt vom 05.04.2019 und vom 09.05.2019 Bezug genommen.

V.

Das Verfahren beruht auf den §§ 416, 418, 419, 420, 421 FamFG.

Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit der Entscheidung beruht auf § 422 Abs. 2 FamFG.