OLG Köln, Urteil vom 19.02.2021 - 6 U 105/20
Fundstelle
openJur 2021, 5869
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 31.7.2020 - 14 O 470/18 - hinsichtlich der Ziffern 1 und 2 des Tenors aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen.

Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz trägt der Kläger.

Das Urteil und das Urteil des Landgerichts Köln, soweit die Berufung des Klägers zurückgewiesen worden ist, sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Bei der vorliegenden Klage handelt es sich um das Hauptsacheverfahren zum einstweiligen Verfügungsverfahren 14 O 302/15 des Landgerichts Köln und 6 U 8/17 des OLG Köln.

Der Kläger ist eine bundesunmittelbare rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts und hat unter anderem die Aufgabe, die Bundesregierung auf dem Gebiet der Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln im Hinblick auf die Gesundheit von Mensch und Tier zu beraten.

Der Beklagte ist eine öffentlichrechtliche Rundfunkanstalt. Er produziert unter anderem das politische Magazin FAKT für die ARD. Zudem unterhält der Beklagte eine Website (www.mdr.de), auf der die Redaktion zusätzliche Informationen zu Sendungen zugänglich macht.

Gegenstand des Rechtsstreits ist eine Ergänzung zu einem umfangreichen wissenschaftlichen Bewertungsbericht im Rahmen einer Neubewertung des Pflanzenschutzmittels Glyphosat ("Addendum") sowie die zusammenfassende deutschsprachige Erläuterung dieses Berichts ("Zusammenfassung"). Das Addendum ist vor dem Hintergrund einer im Juli 2015 erschienen Monographie der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) erstellt worden. Die beiden Dokumente, Addendum und Zusammenfassung, hat der Beklagte auf der Website des Magazins FAKT ohne Zustimmung des Klägers öffentlich zugänglich gemacht. Die Veröffentlichung erfolgte im Zusammenhang mit einem 5,30 Minuten langen Beitrag mit dem Titel "Glyphosat: Bundesinstitut hat falsch informiert" vom 20.10.2015 im Rahmen der Sendung FAKT. Das Addendum I wurde anders als die später von der EFSA veröffentlichte Version mit Schwärzungen, ohne Literaturverzeichnis und mit zumindest einer inhaltlichen Abweichung öffentlich zugänglich gemacht.

Das Addendum ist als Teil des Gesamtberichts zum Thema Glyphosat am 19.11.2015 von der EFSA veröffentlicht worden. Unter dem 23.4.2019 erließ der Kläger eine Allgemeinverfügung, veröffentlicht im Bundesanzeiger am 3.5.2019, aufgrund derer Personen, die einen Antrag gem. § 7 Abs. 1 S. 1 IFG auf Informationszugang zu der hier streitgegenständlichen Zusammenfassung stellen, über eine dafür eingerichtete Internetseite für die Dauer von jeweils 7 Tagen ein Lesezugang gewährt wird. Die Übermittlung der Zugangsdaten erfolgt seitens des Klägers in einem automatisierten E-Mail-Verfahren. Bis zum 5.6.2019 waren bereits mehr als 43.000 Anträge gestellt worden.

Der Kläger hat behauptet, das Addendum sei ausschließlich von hauptamtlich tätigen Beamten und Tarifbeschäftigten des Klägers als Mitautoren erstellt worden. Auch die Autoren der Zusammenfassung seien Beamte bzw. Tarifbeschäftigte des Klägers, sodass er als Arbeitgeber bzw. Dienstherr zur Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs berechtigt sei. Die Zusammenfassung habe internen und vertraulichen Charakter und sei nicht zur Veröffentlichung bestimmt gewesen. Der Beklagte habe in seine Verwertungsrechte aus §§ 19a und 16 UrhG eingegriffen. Es handele sich um schutzrechtsfähige Sprachwerke und nicht um amtliche Werke i.S.d. § 5 UrhG. Auf die Schrankenregelungen der §§ 50, 51 UrhG könne sich der Beklagte nicht stützen.

Der Kläger hat beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, es bei Meidung eines für jeden Fall der

Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu

250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu

sechs Monaten, wobei die Ordnungshaft jeweils an dem gesetzlichen Vertreter des Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen,

a. den "Renewal Assessment Report, Glyphosate Addendum I to RAR,

Assessment of IARC Monographies Volume 112 (2015): Glyphosate "

vom 31. August 2015,

wie beigefügt als Anlage K1

ohne Zustimmung des Klägers im Internet öffentlich zugänglich zu

machen und/oder öffentlich zugänglich machen zu lassen und/oder zu

vervielfältigen und/oder vervielfältigen zu lassen;

und/oder

b. die "Stellungnahme des BfR zur IARC-Monographie über

Glyphosat" vom 4. September 2015,

wie beigefügt als Anlage K2

ohne Zustimmung des Klägers im Internet zu veröffentlichen und/oder

veröffentlichen zu lassen und/oder öffentlich zugänglich zu machen

und/oder öffentlich zugänglich machen zu lassen und/oder zu

vervielfältigen und/oder vervielfältigen zu lassen;

2. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 1822,96 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1531,90 € vom 12.02.2019 bis 28.11.2019 sowie aus 1822,96 € seit 29.11.2019 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Ansicht gewesen, die Entscheidungen der erkennenden Kammer sowie des Senats in dem vorangegangenen Verfügungsverfahren (LG Köln, Az. 14 O 320/15; OLG Köln, Az. 6 U 8/17, Anl. K3f) seien unrichtig. Der Kläger missbrauche das Urheberrecht für sachfremde Zwecke.

Der Beklagte hat ferner die Ansicht vertreten, der Kläger müsse das Klagemuster vorlegen. Es sei völlig offen, hinsichtlich welches konkreten Textes der Kläger seine Urheberschaft behaupte. Die Klage sei deshalb schon nicht schlüssig.

Darüber hinaus stehe dem Kläger der geltend gemachte Unterlassungsanspruch

schon dem Grunde nach nicht zu. Die streitgegenständlichen Texte seien

urheberrechtlich nicht schutzfähig, auch fehle es an der Aktivlegitimation des Klägers.

Zudem sei eine Nutzung der streitgegenständlichen Texte erlaubt, weil es sich um

amtliche Werke handele. Die wenigen Abweichungen im Addendum führten nicht zu einer Unanwendbarkeit des § 5 Abs. 2 UrhG, zumal die inhaltlichen Änderungen keine "Weglassungen" seien, sondern die EFSA die Originalfassung des Klägers im Nachhinein ergänzt habe.

Jedenfalls griffen zugunsten des Beklagten die Schranken der §§ 50, 51 UrhG. Nach den aktuellen Entscheidungen des EuGH (Urteile vom 29.07.2019, C-469/17 - Funke Medien; C-516/17 - Volker Beck) seien die gegenteiligen im einstweiligen Verfügungsverfahren ergangenen Entscheidungen nicht haltbar.

Mit der Bewilligung des ersten Lesezugangs zur Zusammenfassung am 10.12.2018 habe der Kläger das Veröffentlichungsrecht nach § 12 UrhG ausgeübt. Die Zusammenfassung sei nunmehr auch ein amtliches Werk.

Mit Urteil vom 31.7.2020 hat das Landgericht die Beklagte zur Unterlassung der öffentlichen Zugänglichmachung und Vervielfältigung des Addendum und zur Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten i.H.v. 1822,96 € verurteilt, aber die Klage bzgl. der Zusammenfassung abgewiesen.

Dagegen richten sich die Berufungen beider Parteien, soweit das Urteil, auf das nach § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, jeweils zu ihrem Nachteil ergangen ist.

Der Beklagte meint, dass es sich bei den Schriftstücken bereits nicht um schutzfähige Schriftwerke handele, weil sie nicht die Persönlichkeit des Urhebers widerspiegelten und nicht dessen kreative Entscheidungen zum Ausdruck brächten. Dies seien jedoch Voraussetzungen, die der EuGH aufgestellt habe. Es fehle bereits an einem künstlerischen Freiraum, weil das Format eines Bewertungsberichts nach bestimmten Verfahren festgelegt sei. Auch bei wissenschaftlichen Arbeiten bestünden bestimmte Leitlinien, die keinen Gestaltungsspielraum zuließen.

Weiter habe das Landgericht für das gesamte Addendum mit Tabellen, Übersichten und Literaturverzeichnis kurzerhand insgesamt urheberrechtlichen Schutz bejaht, ohne sich festzulegen, was konkret den Schutzgegenstand ausmacht.

Es handelt sich nach Ansicht des Beklagten um ein amtliches Werk, weil es nach Art. 12 Abs. 1 S. 2 der Verordnung 1107/2009/EG der Öffentlichkeit zugänglich zu machen sei.

Der Verzicht auf das Literaturverzeichnis und die Schwärzung von Autorennamen seien noch von § 62 UrhG gedeckt, da ein amtliches Werk nach § 62 Abs. 2 UrhG auch nur in Auszügen dargestellt werden dürfe und es sich bei der inhaltlichen Änderung auf S. 38 um eine nachträgliche Einfügung durch die EFSA handele. Die Abweichungen in der Tabelle auf S. 38 beruhten nicht auf einer unvollständigen Wiedergabe oder einer Kürzung durch den Beklagten. Das ursprüngliche Klagemuster habe die zusätzlichen Angaben auch nicht enthalten, weshalb die Unterschiede zwischen der Version des Beklagten und der EFSA keine Auswirkungen auf den Charakter des Addendums als amtliches Werk haben könnten und keine Rechtswidrigkeit begründeten.

Im Mittelpunkt der Berufungsrügen der Beklagten steht die rechtliche Bewertung der Schrankenregelungen.

Es handele sich um ein Tagesereignis, wobei der relevante Zeitpunkt die Zeit des Eingriffs sei. Selbst wenn auf den heutigen Zeitpunkt abzustellen wäre, sei ein Tagesereignis nicht zu verneinen, weil auch ein zeitlich zurückliegendes Ereignis erneut zum Tagesgeschehen werden könne, wenn es wieder Gegenstand der öffentlichen Debatte werde. Wie im Fall "Reformistischer Aufbruch" müsse aber auf den damaligen Zeitpunkt abgestellt werden. Das Landgericht habe zu Unrecht auf die "aktuellen Umstände" abgestellt, ohne zu erkennen, dass der Unterlassungsanspruch eine Begehungsgefahr erfordere. Es komme nur eine Wiederholungsgefahr in Betracht, bei der jedenfalls eine bereits erfolgte Verletzung vorliegen müsse. Daher hätte das Landgericht jedenfalls auch auf den Zeitpunkt in 2015 abstellen müssen.

Der Beklagte rügt zudem die fehlende Auseinandersetzung durch das Landgericht mit dem Vortrag, dass auch die ursprünglich "geleakte" Version des Klägers die später ergänzten Maus-Studien nicht enthalten habe.

Weiter rügt er eine unzutreffende Verhältnismäßigkeitsprüfung.

Ferner rügt der Beklagte auch die Verneinung des Zitatrechts und verweist auch insoweit auf die BGH-Entscheidung "Reformistischer Aufbruch".

Er regt schließlich die Zulassung der Revision mit Blick auf die Schrankenregelung des § 51 UrhG an, die der BGH in der genannten Entscheidung offen gelassen habe.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgericht Köln aufzuheben, soweit der Beklagte verurteilt wurde, und die Klage vollumfänglich abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Er beantragt sinngemäß zu seiner eigenen Berufung,

unter teilweiser Abänderung des Urteils des Landgerichts Köln den Beklagten zusätzlich zu den in Ziffern 1 und 2 des Tenors des erstinstanzlichen Urteils zuerkannten Ansprüchen zu verurteilen, es bei Meidung der üblichen Ordnungsmittel

zu unterlassen, die "Stellungnahme des BfR zur IARC-Monographie über Glyphosat" vom 4.9.2015, wie beigefügt als Anlage BK 1, ohne Zustimmung des Klägers im Internet zu veröffentlichen und/oder veröffentlichen zu lassen und/oder öffentlich zugänglich zu machen und/oder öffentlich zugänglich machen zu lassen und/oder zu vervielfältigen und/oder vervielfältigen zu lassen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Mit der eigenen Berufung wendet sich der Kläger gegen die Abweisung der Klage bzgl. der "Zusammenfassung". Der Kläger habe die "Zusammenfassung" nicht veröffentlicht i.S.d. § 6 Abs. 1 UrhG. Das Landgericht sei danach zu Unrecht von einem amtlichen Werk ausgegangen. Der Kläger habe zwar am 23.4.2019 eine Allgemeinverfügung erlassen und in einem automatisierten Verfahren eine Zugriffsmöglichkeit eröffnet. Die "Zusammenfassung" sei aber nicht unbeschränkt einem unbeschränkten Personenkreis ausgehändigt worden. Es sei ein Antrag sowie ein individuelles Passwort erforderlich und es werde nur ein Lesezugriff gewährt. In der Allgemeinverfügung werde ausdrücklich auf den urheberrechtlichen Schutz der "Zusammenfassung" hingewiesen. Gegen eine Veröffentlichung spreche, dass er die "Zusammenfassung" unbeschränkt online hätte stellen können und ferner, dass der Kläger nicht zur Weiterverbreitung nach dem Informationsweiterverwendungsgesetz berechtigt sei. Denn der Kläger sei eine Forschungseinrichtung i.S.v. § 1 Abs. 2 Nr. 6 IWG, die vom Anwendungsbereich des IWG ausgenommen sei. Dies führe dazu, dass der Kläger die "Zusammenfassung" nicht gem. § 2a IWG habe weiterverwenden dürfen. Außerdem hätte eine Veröffentlichung allenfalls zum "Verbrauch" nach § 12 UrhG geführt, aber nicht die Verwertungsrechte entfallen lassen können. Es handele sich auch nicht um ein amtliches Werk. Allein die Veröffentlichung führe nicht zum Charakter als amtliches Werk. Bei der Frage, ob ein amtliches Werk vorliege, komme es allein auf das Interesse der veröffentlichenden Behörde an, nicht auf die Anzahl der Anfragenden. Nach der Gesetzesbegründung zu § 5 Abs. 2 UrhG solle der Urheberrechtsschutz für Werke, die nur zum inneramtlichen Gebrauch hergestellt worden sind, "voll erhalten" bleiben (BT-Drucks. 4/270, S. 39). Die Zusammenfassung könne jetzt nicht mehr in sog. Peer Reviews-Fachzeitschriften veröffentlicht werden. Auch aus der Tatsache, dass ein Anspruch nach dem IFG vorliegt, könne nicht per se auf ein amtliches Verbreitungsinteresse geschlossen werden. Aus § 6 S. 1 IFG folge, dass der Schutz des geistigen Eigentum dem Informationszugang entgegenstehen könne.

Hinsichtlich der Berufung des Beklagten wiederholt und vertieft der Kläger seinen erstinstanzlichen Vortrag. Es handele sich um eine mehr als 100 Seiten starke wissenschaftliche Auswertung, in der wissenschaftliche Erkenntnisse bzw. die bestehende Datenlage umfangreich aufbereitet und kritisch bewertet würden, sodass an der Werkqualität nach § 2 UrhG kein Zweifel bestehe. Dies gelte auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des EuGH in "Funke Medien", weil danach lediglich Berichte, die allein durch ihre technische Funktion gekennzeichnet seien und jede Originalität ausschlössen, keine eigene geistige Schöpfung darstellten. Dass das Format eines Entwurfs des Bewertungsberichts nach Art. 11 Abs. 4 der Verordnung 1107/1009/EG verwendet wurde, spreche ebenfalls nicht gegen die urheberrechtliche Schutzfähigkeit, weil es sich dabei lediglich um einen groben Rahmen mit abstrakten Formatvorgaben handele.

Die Veröffentlichung und Verbreitung des Addendums in stark veränderter Form sei rechtswidrig gewesen. Dabei seien die Ausführungen des Beklagten unerheblich, dass es sich bei den Unterschieden nicht allein um "Kürzungen" seitens des Beklagten, sondern um Ergänzungen durch die EFSA handele. Denn eine Änderung i.S.d § 62 Abs. 1 S. 1 UrhG liege immer vor, wenn von der äußeren oder inhaltlichen Gestaltung des Originalwerkes, also von der vom Urheber gewählten Form, abgewichen werde. Die Änderungen seien auch nicht ausnahmsweise im Rahmen des § 62 Abs. 1 S. 2 UrhG zulässig, weil die Interessenabwägung zu Lasten des Beklagten ausfalle. Es fehle auch ein nach § 63 Abs. 1 S. 2 erforderlicher Hinweis auf die Änderungen.

Soweit sich der Beklagte auf die Entscheidungen des EuGH und BGH (Afghanistan Papiere II und Reformistischer Aufbruch) beziehe, seien diese nicht einschlägig, weil es sich dort um unveränderte Werknutzungen gehandelt habe.

Das Addendum sei auch kein amtliches Werk, weil es weder feststellende noch gestaltende verbindliche Regelungen enthalte. Als wissenschaftliche Bewertungs- und Informationsmitteilung falle es nicht unter die abschließende Aufzählung des § 5 Abs. 1 UrhG. Auch § 5 Abs. 2 UrhG greife nicht, weil die streitgegenständliche Version des Addendums bereits nicht zur Veröffentlichung bestimmt gewesen sei und es zudem an einer Veröffentlichung im amtlichen Interesse zur allgemeinen Kenntnisnahme fehle.

Das Eingreifen der Schrankenregelungen, §§ 50, 51 UrhG, scheitere bereits daran, dass der Beklagte das Addendum in veränderter Form genutzt habe. Auch im Übrigen lägen die Voraussetzungen nicht vor, weil weder ein Tagesereignis dargetan sei noch ein Zitat vorliege.

II.

Die Berufungen der Parteien sind zulässig. Die Berufung des Beklagten ist auch in der Sache begründet, die des Klägers ist unbegründet.

1. Die Berufung des Beklagten ist begründet, weil ein Anspruch des Klägers auf Unterlassung der Vervielfältigung und öffentlichen Zugänglichmachung des "Renewal Assessment Report, Glyphosate Addendum I to RAR, Assessment of IARC Monographies Volume 112 (2015): Glyphosate" (nachfolgend: Addendum) nicht besteht. Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus den §§ 97 Abs. 1 S. 1, 16, 19a UrhG.

a. Die Aktivlegitimation des Klägers hat das Landgericht zu Recht und mit zutreffender Begründung bejaht. Diese Ausführungen werden vom Beklagten mit der Berufung nicht angegriffen.

b. Die Werkqualität gem. § 2 UrhG ist vom Landgericht zu Recht bejaht worden. Vorliegend handelt es sich um ein Sprachwerk i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG. In dem Addendum sind zwar auch Darstellungen wissenschaftlicher Art i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 7 UrhG enthalten. Die genaue Zuordnung kann aber letztlich offenbleiben, solange die Werkqualität - wie hier - als solche bejaht werden kann.

aa. Die Schutzfähigkeit eines Werks setzt eine persönliche geistige Schöpfung voraus (Schulze in: Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl., § 2 Rn. 6). Der Schutzfähigkeit von wissenschaftlichen Schriftwerken sind zwar von vornherein enge Grenzen gesetzt, weil wissenschaftliche Ideen und Erkenntnisse grundsätzlich frei bleiben. Deshalb bleiben auch solche Texte, die lediglich in der üblichen Fachsprache formuliert worden sind, grundsätzlich schutzlos (Schulze in: Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl. § 2 Rn. 26 mwN). Vorliegend besteht die Besonderheit jedoch darin, dass es sich nicht um einen wissenschaftlichen Text handelt, der allein die Darstellung wissenschaftlicher Erkenntnisse zum Gegenstand hat. Es handelt sich vielmehr um einen Bewertungs- und Informationsbericht, der eine Auseinandersetzung mit der Monografie des IARC und dessen Standpunkt bzgl. Glyphosat zum Inhalt hat. In dem Addendum geht es um die argumentative und anhand von Studienergebnissen belegte Positionierung des Klägers zu der von der IARC in der Monografie dargestellten Bewertung. Der Gestaltungsspielraum im Rahmen eines Berichts, der sich zu einer Stellungnahme eines Dritten verhält und diese bewertet, ist größer als der bei der bloßen Darstellung von wissenschaftlichen Erkenntnissen. Insoweit spricht der größere Gestaltungsspielraum in Bezug auf die Art und Weise der Darstellung und Formulierung der Argumente und Belege für eine geistige Schöpfung. Entscheidend für die Schutzfähigkeit eines Werks ist der für die jeweilige Werkart vorhandene Gestaltungsspielraum, von welchem im Einzelfall Gebrauch gemacht worden sein muss (Schulze in: Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl. § 2 Rn. 33). Auch wenn sich der Kläger zum einen an ein vorgegebenes Format für einen Bewertungsbericht und zum anderen an die Leitlinien für wissenschaftliches Arbeiten gehalten haben sollte, sind Zweck und Zwänge nicht derart, dass die Auseinandersetzung mit der Monografie des IARC nicht auch anders hätte aufgebaut und formuliert werden können. Trotz des vorgegebenen Gebrauchszwecks ist in dem Addendum in seiner Gesamtheit von über 100 Seiten vom bestehenden Gestaltungsspielraum auf eine individuelle Weise Gebrauch gemacht worden, indem etwa die Vorgeschichte hin zum Addendum vorangestellt wurde, im "Abstract" bereits auf bestimmte Studien näher eingegangen wird und inhaltlich im Wesentlichen durchgehend eine Annahme oder Stellungnahme der IARC einer eigenen Bewertung gegenübergestellt wird. Ob die tabellarischen Darstellungen oder einzelne Textpassagen für sich betrachtet schutzfähig sind, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden, weil der Beklagte im Wesentlichen den gesamten Bericht öffentlich zugänglich gemacht hat.

bb. Soweit der Beklagte die Ansicht vertritt, dass der Werkbegriff des § 2 UrhG europarechtlich vorgegeben und anhand der Vorgaben der Richtlinie 2001/29/EG als autonomer Begriff des Unionsrecht einheitlich auszulegen sei, so führt dieser Ansatz ebenfalls nicht zur Schutzunfähigkeit. Dass der EuGH erhöhte Anforderungen an die Schutzfähigkeit stellen würde, ist nicht ersichtlich. Denn auch der EuGH setzt voraus, dass ein schutzfähiges Werk eine geistige Schöpfung seines Urhebers darstellen muss, indem die Persönlichkeit des Urhebers zum Ausdruck kommt, was dann der Fall sei, wenn der Urheber bei der Herstellung des Werks seine schöpferischen Fähigkeiten zum Ausdruck bringen konnte, indem er frei kreative Entscheidungen getroffen hat (vgl. EuGH, Urt. v. 29.7.2019 - C- 469/17 -, Funke Medien, juris Rn. 19 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind wie bereits dargestellt zu bejahen, denn auch nach der Ansicht des EuGH kann sich die Originalität eines Werkes auch aus der Auswahl, der Anordnung und der Kombination der Wörter ergeben (vgl. EuGH, Urt. v. 29.7.2019 - C- 469/17 -, Funke Medien, juris Rn. 23 m.w.N). Das Addendum stellt sich nicht als ein rein informatives Dokument dar, dessen Inhalt im Wesentlichen durch die in ihm enthaltenen Informationen bestimmt wird, so dass diese Information und ihr Ausdruck in den Berichten deckungsgleich und das Addendum allein durch seine technische Funktion gekennzeichnet wäre. Vielmehr stellt es eine Auseinandersetzung mit einer anderen Meinung und den Versuch einer wissenschaftlich fundierten Begründung der eigenen Meinung dar, was ausreichend Freiraum für eigene Entscheidungen der Urheber hinsichtlich der Anordnung und Formulierung lässt.

cc. Dass Vortrag des Klägers zur Schutzfähigkeit in erster Instanz fehlte, schadet nicht. Zwar muss nach allgemeinen Beweislastregeln derjenige die Schutzfähigkeit eines Werkes darlegen und beweisen, der sich darauf beruft, d.h. in der Regel der Urheber oder der Rechtsinhaber (BGH GRUR 1981, 820, juris Rn. 25 - Stahlrohrstuhl II). Üblicherweise genügt hierfür jedoch die Vorlage des Werkes (vgl. BGH GRUR 1981, 820, juris Rn. 25 - Stahlrohrstuhl II; Schulze in: Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl., § 2 Rn. 70). Dies gilt erst recht bei einem Schriftwerk von über 100 Seiten. Die Länge eines Textes ist relevant für den einem Text zu Grunde liegenden Spielraum für eine individuelle Wortwahl und Gedankenführung. Ein mehrere Seiten umfassender Text ist daher eher schutzfähig als ein kurzer (vgl. Schulze in: Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl., § 2 Rn. 83).

dd. Soweit der Beklagte rügt, dass der Kläger nach wie vor kein Original des ursprünglichen Addendums, also des nicht im Nachhinein ergänzten Addendums vorgelegt habe, ist dies für die Frage der Werkqualität i.S.d. § 2 UrhG nicht von Belang. Zwar hat der Kläger tatsächlich bislang lediglich die Verletzungsform, wie sie der Beklagte genutzt hat, und die letztlich von der EFSA veröffentlichte Version des Addendums vorgelegt. Es war und ist allerdings zwischen den Parteien unstreitig, dass die vorliegenden Versionen, dem ursprünglichen Addendum des Klägers im Wesentlichen entsprechen, sodass die Schutzfähigkeit auch anhand der vorliegenden Versionen geprüft und bejaht werden konnte.

ee. Dass das Addendum als Bewertungsbericht bereits keinen Gestaltungsspielraum eröffne und damit per se eine schöpferische Leistung nicht erkennen ließe, ist - wie bereits ausgeführt - nicht ersichtlich. Dementsprechend bedurfte es in erster Instanz seitens des Klägers keiner substantiierteren Ausführungen darüber, was die Werkqualität des Addendums ausmacht.

c. Der Beklagte ist als Betreiber der Webseite "mdr.de", auf der der streitgegenständliche Text seit Oktober 2015 online bereitgehalten wurde, passivlegitimiert. Er hat dadurch in die dem Kläger zustehenden Verwertungsrechte gem. § 16 UrhG und § 19a UrhG eingegriffen.

d. Der Beklagte hat jedoch nicht rechtswidrig gehandelt.

aa. Eine Zustimmung des Klägers lag und liegt nicht vor.

bb. Der Urheberrechtsschutz ist auch nicht durch § 5 UrhG ausgeschlossen. Das Addendum ist kein amtliches Werk i.S.d. § 5 UrhG. § 5 Abs. 1 UrhG kommt nicht zur Anwendung, weil es sich bei dem Bewertungs- und Informationsbericht des Klägers nicht um eine allgemeinverbindliche Regelung handelt. Eine amtliche Bekanntmachung, die das Addendum allenfalls darstellen könnte, setzt einen regelnden Inhalt voraus; sie erfasst gerade nicht jede informatorische Äußerung eines Amtes (vgl. BGH, Urt. v. 20.7.2007 - I ZR 185/03 -, juris Rn. 13 f. m.w.N.).

Das Addendum ist auch kein anderes amtliches Werk i.S.d. § 5 Abs. 2 UrhG, weil es nicht im amtlichen Interesse zur allgemeinen Kenntnisnahme veröffentlicht worden war. Dieses Interesse muss "nach Art und Bedeutung der Information gerade darauf gerichtet sein, dass der Nachdruck oder die sonstige Verwertung des die Information vermittelnden Werkes jedermann freigegeben wird" (BGH, Urt. v. 20.7.2007 - I UR 185/03 -, juris Rn. 17 - Bodenrichtwertsammlung). Es reicht nicht das allgemeine Interesse der Allgemeinheit an jeder Veröffentlichung einer Behörde aus. Im Zweifel sind alle Umstände des Einzelfalls abzuwägen. Je bedeutsamer die Information ist, desto eher liegt ein spezifisches Verbreitungsinteresse vor. Ist die Information weniger bedeutsam, wird die Abwägung in der Regel ergeben, dass die allgemeine Kenntnisnahme bereits durch eine erfolgte Veröffentlichung sichergestellt ist, ohne dass zusätzlich eine urheberrechtsfreie Verbreitung erforderlich wäre (BGH, Urt. v. 20.7.2007 - I ZR 185/03 -, juris Rn. 18 m.w.N.).

Das Addendum war zum Zeitpunkt der Nutzung durch den Beklagten im Oktober 2015 noch nicht veröffentlicht worden. Die EFSA hat das Addendum erst am 19.11.2015 offiziell veröffentlicht, so dass für den Zeitpunkt des Einstellens ins Internet seitens des Beklagten das Tatbestandsmerkmal der Veröffentlichung "im amtlichen Interesse zur allgemeinen Kenntnisnahme" bereits ausscheidet. Dass die EFSA das Addendum im Nachhinein veröffentlicht hat und seitdem für die Öffentlichkeit zum Download bereithält, mag die Eigenschaft dieser Version als anderes amtliches Werk i.S.d. § 5 Abs. 2 UrhG begründen. Der Beklagte hält jedoch unstreitig nicht dieses seitens der EFSA veröffentlichte Werk im Internet vor. Soweit der Beklagte behauptet, dass er außer den Schwärzungen und dem Weglassen des Literaturverzeichnisses keine Änderungen, insbesondere keine Kürzungen inhaltlicher Art vorgenommen habe und darauf verweist, dass der inhaltliche Unterschied zur EFSA-Version erst durch eine nachträgliche Ergänzung der EFSA zustande gekommen sei, spielt dieser Aspekt für die Frage der Schutzrechtsfähigkeit bzw. das Vorliegen eines amtlichen Werkes nach § 5 Abs. 2 UrhG keine Rolle, weil unstreitig der Beklagte nicht den von der EFSA veröffentlichten, sondern einen abweichenden Text nutzt. Unterstellt man die Richtigkeit des Vortrags des Beklagten, dass das "geleakte" Addendum mit dem von ihm genutzten inhaltlich identisch gewesen und die offizielle Version erst im Nachhinein ergänzt worden sei, zeigt sich erst recht, dass der Beklagte gerade kein amtliches Werk i.S.d. § 5 Abs. 2 UrhG genutzt hat, sondern eine erste, vor der Veröffentlichung noch inhaltlich korrigierte bzw. ergänzte (Vor-)Version. Da diese(Vor-)Version nie im amtlichen Interesse zur allgemeinen Kenntnisnahme zur Veröffentlichung gelangt ist, liegt in Bezug auf die "(Vor-)Version" jedenfalls kein amtliches Werk vor.

Auch wenn das Addendum als Teil des Berichtsentwurfs nach Art. 12 Abs. 1 S. 3 der Verordnung 1107/2009/EG über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln der Öffentlichkeit zugänglich zu machen war, begründet diese Pflicht nicht für jede Version des Berichtsentwurfs die Qualität eines amtlichen Werkes i.S.d. § 5 Abs. 2 UrhG, weil sich die Pflicht zur Veröffentlichung sinnvollerweise nur auf den Endentwurf beziehen kann.

cc. Der Beklagte kann sich jedoch auf die Schrankenregelung des § 50 UrhG berufen. Nach § 50 UrhG ist zur Berichterstattung über Tagesereignisse durch die im Gesetz aufgeführten Mittel und Wege die Vervielfältigung und öffentliche Wiedergabe von Werken, die im Verlauf des Ereignisses wahrnehmbar werden, in einem durch den Zweck gebotenen Umfang zulässig.

Diese Regelung dient der Umsetzung von Art. 5 Abs. 3 Buchst, c der Richtlinie 2001/29/EG und ist deshalb richtlinienkonform auszulegen. Unter Berichterstattung ist nach der Rechtsprechung des EuGH eine Handlung zu verstehen, mit der Informationen über ein Tagesereignis bereitgestellt werden. Die bloße Ankündigung eines Tagesereignisses stellt noch keine Berichterstattung über das Ereignis dar, eine eingehende Analyse des Ereignisses ist jedoch nicht erforderlich (BGH, Urt. v. 30.4.2020 - I ZR 139/15 -, juris Rn. 29 - Afghanistan Papiere II, m.w.N.).

aaa. Danach steht der Annahme einer Berichterstattung im Streitfall nicht entgegen, dass das Addendum als Pdf zum Download eingestellt wurde, weil dadurch Informationen bereitgestellt wurden.

Eine Berichterstattung erfordert keine eingehende Analyse des Ereignisses. Die Texte, die zum Download bereitgehalten wurden, stehen im Zusammenhang mit einer redaktionellen Einleitung des Beklagten versehen mit einem Link zur Beitragszusammenfassung. Es wird seitens des Beklagten die Behauptung aufgestellt, der Kläger habe falsch über Glyphosat informiert, indem er wichtige Hinweise auf Krebs übersehen oder ignoriert habe (Anlage B 2). In diesem Zusammenhang wird das Addendum bereitgehalten, sodass eine Berichterstattung bejaht werden kann, denn es wird nicht nur das Addendum präsentiert, sondern dieses redaktionell eingeleitet und in einen Zusammenhang mit weiteren Links zu mehr Informationen gestellt.

bbb. Die Berichterstattung betraf auch ein Tagesereignis i.S.d. § 50 UrhG. Darunter ist jedes zur Zeit des Eingriffs in das Urheberrecht aktuelle Geschehen zu verstehen, das für die Öffentlichkeit von Interesse ist, wobei ein Geschehen so lange aktuell ist, wie ein Bericht darüber von der Öffentlichkeit noch als Gegenwartsberichterstattung empfunden wird (BGH, Urt. v. 30.4.2020 - I ZR 139/15 -, juris Rn. 40 - Afghanistan Papiere II). Die Berichterstattung betraf die Frage, ob der Kläger bei seiner Einschätzung der Gefährlichkeit des Pflanzenschutzmittels Glyphosat im Rahmen des Verfahrens über die Erneuerung der Zulassung für die EU wichtige Hinweise übersehen oder ignoriert hatte. Die Frage der Zuverlässigkeit der klägerischen Bewertung ist damals und nach wie vor von öffentlichem Interesse, weil die Zulassungsentscheidung bzgl. Glyphosat auf fünf Jahre befristet erteilt worden ist und damit die Zulassungsfrage in Kürze erneut auf dem Prüfstand stehen wird.

ccc. Die Schrankenregelung scheidet auch nicht deshalb aus, weil das Addendum nicht i.S.d § 50 UrhG im Verlaufe des Tagesereignisses wahrnehmbar geworden wäre. Dieses Merkmal setzt nach der Rechtsprechung des BGH das in Art. 5 Abs. 3 Buchst. c Fall 2 der Richtlinie 2001/29/EG geregelte Erfordernis um, dass die Nutzung des urheberrechtlich geschützten Werks in Verbindung mit der Berichterstattung über Tagesereignisse stehen muss (BGH, Urt. v. 30.4.2020 - I ZR 139/15 -, juris Rn. 43 - Afghanistan Papiere II). Der Beklagte hat das Addendum im Zusammenhang mit seiner Berichterstattung über die behauptete Falschinformation durch den Kläger wahrnehmbar gemacht und als Grundlage für weitere Diskussionen benutzt, was nach der zitierten Rechtsprechung des BGH ausreicht.

ddd. Auch dass der Beklagte vor der Zugänglichmachung des Addendum die Zustimmung des Kläger hätte einholen können, steht der Anwendung des § 50 UrhG nicht entgegen, weil ein solches Erfordernis der Bestimmung bei unionsrechtskonformer Auslegung nicht zu entnehmen ist (BGH, Urt. v. 9.4.2020 - I ZR 228/15 -, juris Rn. 45 f. - Reformistischer Aufbruch II).

eee. Die von dem Kläger beanstandete Berichterstattung hält sich ferner in einem durch ihren Zweck gebotenen Umfang. Eine Berichterstattung gem. § 50 UrhG ist nur dann privilegiert, wenn sie verhältnismäßig ist, das heißt mit Blick auf den Zweck der Schutzschranke, der Achtung der Grundfreiheiten des Rechts auf Meinungsfreiheit und auf Pressefreiheit, den Anforderungen der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit entspricht (vgl. BGH, Urt. 9.4.2020 - I ZR 228/15 -, juris Rn. 48 f. - Reformistischer Aufbruch II).

(a) Die öffentliche Zugänglichmachung war geeignet, das mit der Berichterstattung verfolgte Ziel zu erreichen, nämlich der Öffentlichkeit die behauptete bewusste oder fahrlässige Falschbewertung und -information durch den Kläger vor Augen zu führen und nachprüfbar zu machen. Dass es sich um einen wissenschaftlichen Text in englischer Sprache handelt, der von einem durchschnittlichen Internetnutzer möglicherweise nicht verstanden wird, ist unbeachtlich, weil die zu informierende Öffentlichkeit u.a. auch Wissenschaftler und Forscher umfasst, die an die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit englischsprachigen Texten gewöhnt sind. Da es vorliegend in der Berichterstattung nicht um die Gesamtbewertung der Studienlage ging, sondern der Bericht einen konkreten Vorwurf der falschen Bewertung der Studienlage zu Mäusen und zur Berücksichtigung von Materialien des Herstellers verfolgte, schadete es auch nicht, dass die Autorennamen geschwärzt waren und auf die Bereitstellung des Literaturverzeichnisses verzichtet worden war. Es ging letztlich nicht um alle Studien und deren Zuverlässigkeit, sondern in erster Linie um die (fehlerhafte) Art der Bewertung der Mäuse-Studien durch den Kläger.

Mittlerweile ist unstreitig, dass das Addendum, wie es von dem Beklagten ins Netz gestellt wurde, von der später von der EFSA veröffentlichten Version auch inhaltlich abweicht. Auf S. 37 ist in der Fassung des Beklagten u.a. die Swiss albino mice-Studie aus 2009 weder textlich unter (a) "Renal adenoma and carcinoma in male mice" noch auf S. 38 in der Tabelle 3-4 aufgeführt. Auf S. 36 und 37 in der von der EFSA veröffentlichten Fassung werden im Text neben der Swiss albino mice-Studie noch weitere Studien aus 2009 und 1993 ausdrücklich erwähnt. Die letzten drei Sätze des Absatzes (a) fehlen in der Fassung des Beklagten ganz. Diese inhaltliche Abweichung beruht unstreitig nicht auf einem Eingriff des Beklagten, sondern darauf, dass die "geleakte" Version, die der Beklagte genutzt hat, unstreitig nachträglich an den genannten Stellen ergänzt wurde. Ob dies von einem Mitarbeiter des Klägers oder der EFSA vorgenommen wurde, ist zwar zwischen den Parteien streitig. Wer die Nachträge eingefügt hat, ist jedoch nicht entscheidend. Unstreitig ist, dass der Beklagte eine ihm zugespielte Version genutzt hat, die damals für den Beklagten nicht als noch nicht endgültige Version erkennbar war, aber aus heutiger Sicht noch fehlerhaft, weil unvollständig war. Das Fehlen der Stellen spielt im Ergebnis jedoch keine Rolle für die Frage der Geeignetheit. Denn die auf S. 36/37 fehlenden Studien sind auch im Addendum in der Version des Beklagten erwähnt und argumentativ genutzt worden. So ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der Abschnitt 3 über "Cancer in experimental animals" im Übrigen identisch ist. Sowohl in Abschnitt 3 ii), also auch in der "Conclusion RMS" und "Summary and conclusion" wird die Schweizer Studie nebst den weiteren Studien erwähnt und argumentativ genutzt, sodass sowohl der Aussagenkern als auch die Begründung des Klägers für seine von der IARC abweichende Bewertung der Studien zu Krebs bei Tieren in beiden Versionen unverändert sind. Auch die noch nicht ergänzte Version war daher geeignet, den Bericht des Beklagten zu stützen und den Leser über die vom IARC abweichende Bewertung des Klägers und dessen Begründung zu informieren.

(b) Die Veröffentlichung war auch erforderlich, weil bei einer Darstellung nur in eigenen Worten die Gefahr bestand, dass die Leser darin eine bloße Behauptung des Beklagten hätten sehen können. Erst durch die Bezugnahme auf den vollständigen Text kann der Leser eine eigene Überprüfung der Gründe für die unterschiedliche Bewertung der Kanzerogenität von Glyphosat vornehmen. Auch eine nur auszugsweise Einstellung des Addendums wäre nicht ausreichend gewesen, um Dritten die Möglichkeit zu geben, den Vorwurf der falschen Bewertung zu prüfen, zumal sich der Kläger nicht nur an einer Stelle zur Studienlage bzgl. der Mäuse und Ratten und deren Aussagekraft äußert.

(c) Die Veröffentlichung stellt sich im vorliegenden Fall ausnahmsweise als angemessen dar. Es sind bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne die Grundrechte auf beiden Seiten gegeneinander abzuwägen (vgl. EuGH, GRUR 2019, 940 Rn. 38 - Spiegel Online). Da keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das grundrechtliche Schutzniveau des Unionsrechts durch die von Art. 5 Abs. 1 S. 1 und 2 und Art. 14 Abs. 1 GG gewährleisteten Grundrechte des Grundgesetzes nicht gewahrt ist, sind diese in die Abwägung unter Berücksichtigung des Grundsatzes der praktischen Konkordanz einzustellen (BGH, Urt. v. 30.4.2020 - I ZR 139/15 -, juris Rn. 50 m.w.N. - Afghanistan Papiere II). Die Abwägung der im Streitfall betroffenen Grundrechte führt zu einem Vorrang der Meinungs- und Pressefreiheit.

Auf Seiten des Beklagten ist dabei zu berücksichtigen, dass die beanstandete Berichterstattung ein das öffentliche Interesse besonders berührendes Thema zum Inhalt hatte, weil Gegenstand die Vertrauenswürdigkeit der durch den Kläger vorgenommenen Bewertung hinsichtlich der mit dem Pflanzenschutzmittel Glyphosat verbundenen Gesundheitsrisiken war. Es ging um die Frage, ob die Bewertung des Klägers als verlässliche Grundlage für die Entscheidung über die weitere Zulassung als Pflanzenschutzmittel dienen konnte. Den von dem Beklagten dabei in Anspruch genommenen Grundrechten der Meinungs- und Pressefreiheit kommt ein besonders hoher Rang zu, weil die umfassende und wahrheitsgemäße Information der Bürger durch die Presse eine Grundvoraussetzung des Prozesses demokratischer Meinungs- und Willensbildung ist; diese Grundrechte gewinnen bei einem Konflikt mit anderen Rechtsgütern besonderes Gewicht, wenn sie Angelegenheiten betreffen, die - wie hier die mögliche Kanzerogenität eines weit verbreiteten Pflanzenschutzmittels - die Öffentlichkeit wesentlich berühren (vgl. BGH, Urt. v. 30.4.2020 - I ZR 139/15 -, juris Rn. 53 - Afghanistan Papiere; BVerfGE 71, 206, 220 - juris Rn. 47).

Im Hinblick auf die Interessen des Klägers ist zu berücksichtigen, dass die durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten ausschließlichen Verwertungsrechte zur Vervielfältigung und zur öffentlichen Zugänglichmachung des Addendums nicht wesentlich betroffen sind, weil das Addendum in erster Linie der Information weiterer Behörden und nicht der wirtschaftlichen Verwertung dient. Das vom Urheberpersönlichkeitsrecht geschützte Interesse an einer Geheimhaltung des Inhalts des Werks erlangt im Rahmen der im Streitfall vorzunehmenden Grundrechtsabwägung kein entscheidendes Gewicht. Das Urheberpersönlichkeitsrecht schützt allein das Urheberrecht spezifische Interesse des Urhebers, darüber zu bestimmen, ob er mit der erstmaligen Veröffentlichung den Schritt von der Privatsphäre in die Öffentlichkeit tut und sich und sein Werk damit der öffentlichen Kenntnisnahme und Kritik aussetzt (vgl. BGH GRUR 2017, 1027 Rn. 64 - Reformistischer Aufbruch I, m.w.N.). Dieses vom Urheberpersönlichkeitsrecht geschützte Geheimhaltungsinteresse kann nach den Umständen des Streitfalls das durch die Meinungs- und Pressefreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 und 2 GG geschützte Veröffentlichungsinteresse nicht überwiegen. Dem Interesse an einer Veröffentlichung steht vorliegend das besondere allgemeine Interesse an der Objektivität der Bewertung von Gesundheitsrisiken durch den Kläger entgegen.

fff. Der Drei-Stufen-Test des Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG steht der Annahme einer Privilegierung der öffentlichen Zugänglichmachung des Addendums als Berichterstattung über ein Tagesereignis gleichfalls nicht entgegen. Die in Art. 5 Abs. 1-4 der RL 2001/29/EG genannten Ausnahmen und Beschränkungen dürfen nur in bestimmten Sonderfällen angewandt werden, in denen die normale Verwertung des Werks nicht beeinträchtigt wird und es dürfen die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden.

(a) Ein Sonderfall liegt vor, weil das Recht des Urhebers zum Öffentlich-Zugänglichmachen seines Werkes nur beschränkt wird, wenn das Werk bei einer Berichterstattung über Tagesereignisse im Verlauf des Tagesereignisses wahrnehmbar wird und nur soweit es durch den Zweck der Berichterstattung geboten ist.

(b) Die normale Verwertung des Werks wird nicht beeinträchtigt, weil eine wirtschaftliche Verwertung des Addendums nicht in Betracht kommt. Soweit der Kläger meint, es sei ihm nicht mehr möglich in Fachzeitschriften veröffentlicht zu werden, ist dieses Vorbringen nicht hinreichend substantiiert, weil es für die Publikation in Fachzeitschriften keinen Unterschied machen dürfte, ob das Addendum nur durch die EFSA öffentlich zugänglich ist oder ob eine (Vor-)Version auf der Seite eines Pressemediums vorgehalten wird.

(c) Es fehlt auch an einer ungebührlichen Verletzung der berechtigten Interessen des Rechtsinhabers, weil - wie im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ausgeführt - die beanstandete Zugänglichmachung verhältnismäßig war.

ggg. Die gem. § 63 Abs. 2 S. 1 UrhG erforderliche Quellenangabe liegt hier vor. Der Beklagte hat offengelegt, dass es sich um den Bericht des Klägers handelt, der der Information im Rahmen der Zulassungsentscheidung dient.

hhh. Da die Voraussetzungen der Schutzschranke der Berichterstattung über Tagesereignisse gemäß § 50 Urhebergesetz vorliegen, ist die Vervielfältigung und die öffentliche Wiedergabe in Form der öffentlichen Zugänglichmachung zulässig. Damit ist nach der Rechtsprechung des BGH auch die Verletzung des Erstveröffentlichungsrecht gerechtfertigt (vgl. BGH, Urt. v. 30.4.2020 - I ZR 139/15 -, juris Rn. 63 m.w.N. - Afghanistan Papiere II). Für diese Annahme spricht nach Einschätzung des BGH, dass die Schrankenregelung der Berichterstattung über Tagesereignisse anders als etwa die Schrankenregelung des Zitatrechts nicht auf veröffentlichte Werke beschränkt ist (vgl. BGH, aaO).

2. Die Berufung des Klägers ist zurückzuweisen, weil der geltend gemachte Unterlassungsanspruch bzgl. der "Stellungnahme des BfR zur IARC-Monographie über Glyphosat" vom 4.9.2015 (nachfolgend: Zusammenfassung) ebenfalls nicht besteht. Dem Kläger steht auch in Bezug auf die Zusammenfassung kein Anspruch auf Unterlassung der Veröffentlichung, Vervielfältigung und öffentlichen Zugänglichmachung aus §§ 97, 12, 16, 19a UrhG zu.

a. Die Aktivlegitimation steht auch insoweit nicht mehr in Streit.

b. Zur Werkqualität gelten die Ausführungen zum Addendum entsprechend. Bei der Zusammenfassung handelt es sich nur um einen Text ohne Tabellen und Literaturverzeichnis. Es gilt aber auch hier, dass die Stellungnahme darin besteht, die Bewertung des Klägers zu begründen. Insoweit gibt es keinen Standard oder vorgegebenen Formen und Formulierungen, sodass die Zusammenfassung angesichts des großen Gestaltungsspielraums als persönliche geistige Schöpfung erscheint.

c. Die Zusammenfassung ist auch seit Oktober 2015 auf der Webseite des Beklagten öffentlich zugänglich, sodass der Beklagte auch insoweit passivlegitimiert ist.

d. Der Urheberrechtsschutz könnte hier bereits durch § 5 UrhG ausgeschlossen sein, wenn es sich bei der Zusammenfassung um ein amtliches Werk i.S.d. § 5 Abs. 2 UrhG handelt. Die Zusammenfassung diente allein der Unterrichtung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft und war nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Die Bestimmung zur Veröffentlichung ist jedoch Voraussetzung für das Vorliegen eines amtlichen Werkes i.S.d. § 5 Abs. 2 UrhG. Erforderlich ist, dass ein Werk im amtlichen Interesse zur allgemeinen Kenntnisnahme veröffentlicht worden ist. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Stellungnahme durch den Beklagten war die Stellungnahme amtlich noch nicht veröffentlicht. Mittlerweile hat der Kläger mit Allgemeinverfügung vom 23.4.2019 eine Möglichkeit geschaffen, dass Interessierte in einem automatisierten Verfahren einen Lesezugang zur Zusammenfassung erhalten. Darin hat das Landgericht eine Ausübung des Veröffentlichungsrechts gesehen und hat die Zusammenfassung als amtliches Werk eingeordnet. Eine Meinung im Schrifttum geht ebenfalls davon aus, dass etwa die Ausarbeitungen des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages wohl als amtliche Werke einzustufen seien und durch die Akteneinsicht, die jedermann verlangen könne, die nach § 5 Abs. 2 UrhG erforderliche Veröffentlichung gegeben sei (s. Schulze in Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl., § 12 Rn. 16). Damit wäre die Zusammenfassung als amtliches Werk urheberrechtlich nicht geschützt und bereits deshalb kein Unterlassungsanspruch begründet.

Ob dem zu folgen ist, obwohl das amtliche Interesse an der öffentlichen Kenntnisnahme i.S.d § 5 Abs. 2 UrhG nicht erkennbar ist, kann vorliegend dahinstehen, weil auch bzgl. der Zusammenfassung, die Schrankenregelung des § 50 UrhG eingreift.

aa. Die Ausführungen zur Berichterstattung über ein Tagesereignis gelten entsprechend.

bb. Der Beklagte hat sich bei seiner vom Kläger beanstandeten Berichterstattung in einem durch ihren Zweck gebotenen Umfang gehalten.

Die öffentliche Zugänglichmachung der Zusammenfassung neben dem Addendum war geeignet, die Leser über die Bewertung der Gesundheitsrisiken durch Glyphosat seitens des Klägers und dessen Begründung aufzuklären, weil die Zusammenfassung die wesentlichen Argumente enthielt.

Sie war auch erforderlich, weil das in englischer Fachsprache gehaltene Addendum nur einen bestimmten Kreis von Lesern erreichen konnte. Die deutschsprachige Zusammenfassung erreichte einen anderen, weitergehenden Kreis.

Zur Angemessenheit kann auf die Ausführungen zum Addendum verwiesen werden.

cc. Gleiches gilt hinsichtlich des Drei-Stufen-Tests und der Quellangabe.

Damit scheidet der Unterlassungsanspruch entweder aus, weil bereits ein anderes amtliches Werk i.S.d. § 5 Abs. 2 UrhG vorliegt oder weil im Fall des Vorliegens eines schutzfähigen Werks die Schrankenregelung des § 50 UrhG die Rechtswidrigkeit des Eingriffs ausschließt.

3. Der Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten gem. § 97a Abs. 3 UrhG ist nach alledem ebenfalls unbegründet.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

5. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die entscheidenden rechtlichen Fragen bereits durch den BGH in seinen Entscheidungen "Afghanistan Papiere II" und "Reformistischer Aufbruch II" geklärt sind.

Streitwert: 50.000 €

(Berufung des Klägers: 25.000 €, Berufung des Beklagten: 25.000 €)