LG Aachen, Beschluss vom 08.06.2020 - 60 Qs 24/20
Fundstelle
openJur 2021, 5629
  • Rkr:

1. Bei dem Vorwurf, der Angeschuldigte habe einen Hund "unbeaufsichtigt und frei" durch die Wohnung hat laufen lassen, woraufhin der Hund zu einem Kinderbett gelaufen und einem Säugling in den Kopf gebissen haben soll, handelt es sich um den Vorwurf eines strafbaren Unterlassens gem. §§ 229, 13 Abs. 1 StGB.

2. Allein der Umstand, dass der Angeschuldigte seinen Hund (hier: neun Jahre alter Husky) in seiner Wohnung unbeaufsichtigt und in Reichweite eines Säuglings laufengelassen haben soll, stellt keine den Fahrlässigkeitsvorwurf begründende (objektive) Sorgfaltspflichtverletzung dar. Das Halten von Tieren birgt, sofern es sich nicht lediglich um sog. Kleintiere handelt, stets Gefahren nicht nur für den Halter und Dritte, sondern auch für im Haushalt lebende Kinder. Insbesondere bei Säuglingen, die weder in der Lage sind, sich gegen unberechenbare Verhaltensweisen von Tieren zu erwehren, noch diese rechtzeitig zu erkennen, kann es für Eltern und damit vorliegend auch für den Angeschuldigten geboten sein, Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen, um ein solches Verhalten gegenüber einem Säugling zu verhindern. Andererseits kann nicht per se verlangt werden, dass Säuglinge oder Kleinstkinder von Tieren vollständig zu isolieren bzw. Tiere in der Wohnung wegzusperren sind, da es gerade auch Teil der elterlichen Sorge (Art. 6 Abs. 2 GG, § 1626 BGB) ist, einerseits Kinder frühzeitig an den Umgang mit Tieren und deren Verhaltensweisen und andererseits das Tier an das Kind als Familienmitglied zu gewöhnen. Unter Berücksichtigung dessen richten sich die im Einzelfall bei der Haltung eines Hundes in der Wohnung notwendigen Vorkehrungen zum Schutz von Säuglingen und Kleinstkindern danach, welche Anforderungen in der konkreten Situation im Rahmen des Zumutbaren zu stellen sind. Bedeutsam sind dabei Alter und Rasse des Hundes sowie sein bisheriges Verhalten dahingehend, ob er sich als gutartig oder vielmehr als unberechenbar erwiesen hat und bereits durch erhöhte Aggressionsbereitschaft oder Bösartigkeit aufgefallen ist.

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft XXX vom 11.05.2020 gegen den Beschluss des Amtsgerichts XXX vom 27.04.2020 wird mit der Maßgabe verworfen, dass die Ablehnung des Antrages auf Eröffnung des Hauptverfahrens aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen erfolgt.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeschuldigten insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Mit der Anklageschrift vom 04.03.2020 legt die Staatsanwaltschaft XXX dem Angeschuldigten eine fahrlässige Körperverletzung zum Nachteil seines am 06.11.2019 geborenen Sohnes XXX zur Last. Ihm wird vorgeworfen, am 06.12.2019 gegen 11.20 Uhr unbeaufsichtigt und frei seinen Hund "XXX" (Rasse Husky) durch seine Wohnung XXX in XXX laufen gelassen zu haben, obwohl ihm bekannt gewesen sein soll, dass es schon einmal zu einer Verletzung zum Nachteil eines Menschen durch seinen Hund gekommen sein soll. Der unbeaufsichtigte Hund soll zum Kinderbett gelaufen sein und den Säugling so stark in den Kopf gebissen haben, dass dieser hierbei verletzt worden sein und so stark blutende Bisswunden an beiden Schläfen erlitten haben soll, dass der Säugling mittels Rettungswagen in das Krankenhaus habe verbracht werden müssen. Dies habe der Angeschuldigte bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verhindern können und müssen. Auch nach dem Vorfall sei der Hund frei in der Wohnung umher gelaufen, ohne dass der Angeschuldigte Anstalten gemacht habe, diesen anzuleinen oder einzusperren.

Mit dem der Staatsanwaltschaft XXX am 07.05.2020 zugestellten Beschluss vom 27.04.2020 hat das Amtsgericht XXX die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den Angeschuldigten aus tatsächlichen Gründen abgelehnt. Insbesondere wurde der Beschluss damit begründet, dass eine Sorgfaltspflichtverletzung nicht vorliege. Zum einen sei nämlich der Hund nicht als "gefährlicher Hund" i.S.v. § 3 Abs. 2 LHundeG NRW anzusehen. Zum anderen könne auch nicht davon ausgegangen werden, ein früheres übergriffiges Verhalten des Hundes habe Anlass zu erhöhter Vorsicht gegeben, da ein solcher, hinreichend schwerwiegender Vorfall nach derzeitiger Aktenlage nicht erkennbar sei. Hinsichtlich des weiteren Inhalts der Begründung des Beschlusses vom 27.04.2020 wird auf die Verfahrensakte Bezug genommen (Bl. 55 GA).

Gegen den vorgenannten Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft XXX vom 11.05.2020, die am 12.05.2020 per Fax und am 13.05.2020 im Original bei dem Amtsgericht XXX eingegangen ist. Zur Begründung hat sie ausgeführt, der Angeschuldigte habe den Husky "XXX" nicht unbeaufsichtigt in Reichweite des Geschädigten herumlaufen lassen dürfen. Dies gelte auch, wenn es noch zu keinem ähnlichen Vorfall gekommen sei, da bereits aufgrund der Art und der Größe des Hundes der Angeschuldigte als dessen Halter sicherzustellen habe, dass es zu keinen Verletzungen kommen könne.

II.

Die gem. §§ 311, 210 Abs. 2 StPO gegen den Nichteröffnungsbeschluss statthafte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht (vgl. §§ 306, 311 Abs. 2 StPO) erhoben worden. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat die Eröffnung des Hauptverfahrens in dem angegriffenen Beschluss zu Recht und mit zutreffender Begründung, der die Kammer vollumfänglich folgt, abgelehnt. Eine Änderung ergibt sich lediglich insoweit, als die Ablehnung der Eröffnung aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen erfolgt.

Nach § 203 StPO beschließt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn der Angeschuldigte nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens einer Straftat hinreichend verdächtig ist. Hinreichender Tatverdacht liegt vor, wenn eine Verurteilung am Ende einer gedachten Hauptverhandlung aufgrund des Ermittlungsergebnisses überwiegend wahrscheinlich ist. Ein derartiger hinreichender Tatverdacht ist hier nicht gegeben.

Entgegen der Annahme der Staatsanwaltschaft XXX in der Anklageschrift vom 04.03.2020 ist für eine Strafbarkeit des Angeschuldigten wegen einer fahrlässigen Körperverletzung gem. § 229 StGB von vorneherein kein Raum. Anhaltspunkte für ein fahrlässiges Verhalten des Angeschuldigten durch aktives Tun sind nicht ersichtlich. Insoweit kommt alleine der Umstand in Betracht, dass der Angeschuldigte überhaupt einen Hund angeschafft hat und diesen hält, was jedoch allein keinen strafrechtlich relevanten Tatvorwurf zu begründen vermag.

Soweit die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten zur Last legt, seinen Hund "unbeaufsichtigt und frei" durch die Wohnung hat laufen lassen, handelt es sich in der Sache um den Vorwurf eines strafbaren Unterlassens gem. §§ 229, 13 Abs. 1 StGB (vgl. LG Bonn, Urt. v. 20.02.2013 - 25 Ns 207/12, juris Rn. 34). Insoweit hat der Angeschuldigte als Vater des Geschädigten zwar eine Garantenstellung inne (vgl. nur LK-StGB/Weigend, 13. Aufl. 2020, § 13 Rn. 26 m.w.Nachw.). Jedoch fehlt es - wie das Amtsgericht in dem angegriffenen Beschluss zutreffend ausgeführt hat - an einer den Fahrlässigkeitsvorwurf begründenden (objektiven) Sorgfaltspflichtverletzung. In diesem Zusammenhang kann dahinstehen, ob die Angaben des Angeschuldigten gegenüber den Zeugen PK XXX und PK'in XXX verwertbar sind, da nach Aktenlage eine ordnungsgemäße Beschuldigtenbelehrung des Angeschuldigten nicht erfolgt ist. Denn selbst wenn man einmal unterstellt, dass der der Anklage zugrunde gelegte Sachverhalt im Rahmen einer Hauptverhandlung festgestellt werden könnte, ergäbe sich hiernach kein strafbares Unterlassen des Angeschuldigten.

Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft kann eine den Fahrlässigkeitsvorwurf begründende (objektive) Sorgfaltspflichtverletzung nicht allein darin gesehen werden, dass der Angeschuldigte seinen Hund in seiner Wohnung unbeaufsichtigt und in Reichweite eines Säuglings laufengelassen haben soll. Das Halten von Tieren birgt, sofern es sich nicht lediglich um sog. Kleintiere handelt, stets Gefahren nicht nur für den Halter und Dritte, sondern auch für im Haushalt lebende Kinder. Insbesondere bei Säuglingen, die weder in der Lage sind, sich gegen unberechenbare Verhaltensweisen von Tieren zu erwehren, noch diese rechtzeitig zu erkennen, kann es für Eltern und damit vorliegend auch für den Angeschuldigten geboten sein, Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen, um ein solches Verhalten gegenüber einem Säugling zu verhindern. Andererseits kann nicht per se verlangt werden, dass Säuglinge oder Kleinstkinder von Tieren vollständig zu isolieren bzw. Tiere in der Wohnung wegzusperren sind, da es gerade auch Teil der elterlichen Sorge (Art. 6 Abs. 2 GG, § 1626 BGB) ist, einerseits Kinder frühzeitig an den Umgang mit Tieren und deren Verhaltensweisen und andererseits das Tier an das Kind als Familienmitglied zu gewöhnen. Unter Berücksichtigung dessen richten sich die im Einzelfall bei der Haltung eines Hundes in der Wohnung notwendigen Vorkehrungen zum Schutz von Säuglingen und Kleinstkindern danach, welche Anforderungen in der konkreten Situation im Rahmen des Zumutbaren zu stellen sind. Bedeutsam sind dabei Alter und Rasse des Hundes sowie sein bisheriges Verhalten dahingehend, ob er sich als gutartig oder vielmehr als unberechenbar erwiesen hat und bereits durch erhöhte Aggressionsbereitschaft oder Bösartigkeit aufgefallen ist (vgl. LK-StGB/Laufhütte, 12. Aufl. 2018, § 229 Rn. 38). Dahingehende hinreichende Anhaltspunkte ergeben sich nach Aktenlage indes nicht. Insoweit nimmt die Kammer vollumfänglich Bezug auf die zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts in dem angegriffenen Beschluss (Bl. 55 GA), die keiner Ergänzung bedürfen. Auf den Vorfall, den es nach Aktenlage gegenüber der Frau XXX gegeben haben soll, kommt es dabei nicht an. Abgesehen davon, dass dieser Vorfall mehrere Jahre zurückliegen soll, soll es sich um eine Verletzung beim "Spielen" gehandelt haben. Auf etwaige weitergehende Ermittlungen zu diesem Vorfall kommt es daher nicht rechtserheblich an. Zudem soll der Hund bereits mit zwei Kindern aufgewachsen und das Zusammenleben stets beanstandungsfrei gewesen sein. Entgegenstehende Anhaltspunkte bzw. Ermittlungsmöglichkeiten (§ 244 Abs. 2 StPO) ergeben sich nach Aktenlage nicht. Darüber hinaus liegen auch unter Berücksichtigung der dokumentierten Verletzungen des Geschädigten (Bl. 47-49 GA) sowie des Schreibens der Gemeinde XXX vom 12.02.2020 (Bl. 33 GA) keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass der Hund des Angeschuldigten den Geschädigten in Angriffsabsicht gebissen hat, das Geschehen also Ausdruck einer erhöhten Aggressionsbereitschaft oder Bösartigkeit des Hundes gewesen ist. Auch aus dem Alter (9 Jahre) und der Rasse des Hundes (Husky) ergeben sich keine abweichenden Anhaltspunkte, insbesondere lässt sich hieraus keine rassespezifische Gefährlichkeit herleiten (vgl. hierzu etwa OLG Karlsruhe, Beschl. v. 02.07.2014 - 2 (7) Ss 318/14, NStZ-RR 2014, 276, juris Rn. 10, 12).

Auf das Ergebnis des von der Gemeinde XXX mit Bescheid vom 12.02.2020 angeordneten Verhaltenstests (Bl. 34 GA) kommt es nicht rechtserheblich an. Insbesondere kann dahinstehen, ob und mit welchem Ergebnis die nach der Verbringung des Hundes zuständige Stadt XXX diesen Test noch durchgeführt hat. Denn selbst wenn sich insoweit Verhaltensauffälligkeiten des Hundes ergeben haben sollten, die erhöhte Sorgfaltspflichten des Angeschuldigten hätten begründen können, hätte es jedenfalls an der subjektiven Vorhersehbarkeit des Geschehens für den Angeschuldigten gefehlt, da nach dem oben Gesagten vor der hier in Rede stehenden Verletzung des Geschädigten durch den Hund keine Anhaltspunkte dafür vorgelegen haben, dass etwaige Verhaltensauffälligkeiten vor der Tat für den Angeschuldigten erkennbar hervorgetreten sind (vgl. hierzu LG Bonn, Urt. v. 20.02.2013 - 25 Ns 207/12, juris Rn. 38).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.

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