AG Dortmund, Urteil vom 19.11.2020 - 514 C 88/20
Fundstelle
openJur 2021, 5327
  • Rkr:
Tenor

1. Die Beschlüsse der Eigentümerversammlung der WEG S Str. ...#, ...#, ...#, ...# sowie ...# vom 14.05.2020 werden für ungültig erklärt.

2. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagten zu tragen.

3. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert wird auf bis zu 48.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien bilden die WEG S Str. ...#, ...#, ...#, ...# sowie ...# in E, welche von der Beigeladenen verwaltet wird. Am 14.05.2020 fand eine Eigentümerversammlung statt. Eingeladen zu dieser Versammlung hat die Verwalterin mit Schreiben vom 28.04.2020. Wegen der Einzelheiten des Einladungsschreibens wird auf Bl. 34 ff. d.A. Bezug genommen. Im Einladungsschreiben heißt es unter anderem wörtlich:

"Nach Rückfrage beim Ordnungsamt der Stadt E ist die Durchführung dieser Zusammenkunft mit aktueller Fassung der Coronaschutzverordnung, Stand 27.04.20, zulässig. Die Antwort des Ordnungsamts fügen wir zu Ihrer Information bei. Wir werden Desinfektionsmöglichkeiten bereithalten und die erforderlichen Abstandsgrenzen der Bestuhlung sicherstellen. Das Büro darf nur einzeln und unter Verwendung einer Schutzmaske, wie Sie sie bereits bei Einkäufen benötigen, betreten werden. Die Schutzmaske können Sie ablegen, sobald alle Teilnehmer ihren Sitzplatz eingenommen haben.

Wir möchten Ihnen jedoch ausdrücklich empfehlen, vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie statt eines persönlichen Erscheinens eine Vollmacht (siehe Anlage) mit Ihrem Beschlussvotum zu erteilen und sich vertreten zu lassen. Die Versammlung wird voraussichtlich nicht lange dauern und wir gehen davon aus, dass die mehrheitlichen Beschlüsse der Versammlung vom 25.02.20 im Wesentlichen auch so erneut gefasst und bestätigt werden. Bitte verhindern Sie, dass eine Minderheit mehrheitliche Beschlüsse Ihrer Eigentümergemeinschaft erfolgreich und dauerhaft blockiert und stimmen Sie unbedingt mit ab. Zudem ist der Sanierungsauftrag an die Fa. G und S1 bereits rechtskräftig erteilt, wozu die Verwaltung nach Versammlungsbeschluss vom 25.02.20 nicht nur berechtigt, sondern ausdrücklich verpflichtet war. Eine Stornierung des Auftrags würde zu Schadensersatzforderungen des Auftragnehmers gegenüber der Eigentümergemeinschaft führen.

Bevollmächtigten Sie z.B. Herrn O (Beiratsvorsitz), Herrn D (Beirat) oder die Verwaltung und lassen Sie den Beiräten (Briefkasten in Haus ...# und ...#) oder der Verwaltung die Vollmacht rechtzeitig im Original zukommen."

In der Eigentümerversammlung wurden Beschlüsse über die Sanierung der gesamten Außenfassaden inklusive der Außenflächen der Garagen, über die Ersatzinstallation von beleuchteten Hausnummern sowie über eine Beiratsergänzungswahl gefasst. Wegen der Einzelheiten der Beschlussfassung wird auf das Protokoll der Eigentümerversammlung (Bl. 78 ff. d.A.) Bezug genommen. Gegen die Durchführung der Beschlüsse zu TOP 2 haben die Kläger bereits in dem Verfahren 514 C 84/20 den Erlass einer einstweiligen Verfügung, gerichtet auf Außervollzugsetzung, beantragt. Durch Urteil vom 28.05.2020 wurde der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Diese Zurückweisung begründete das Gericht seinerzeit mit dem prinzipiellen Vorrang der gesetzlichen Wirksamkeitsanordnung.

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass an der Eigentümerversammlung im Versammlungsraum, der eine Größe von 100 qm aufweist, insgesamt 7 Personen teilgenommen haben. In früheren Eigentümerversammlungen waren zumindest folgende Personen anwesend:

Eigentümerversammlung 25.02.2020: 20 Personen

Eigentümerversammlung 2019: 19 Personen

Eigentümerversammlung 2018: 23 Personen.

Die Kläger sind der Ansicht, dass zur Eigentümerversammlung am 14.05.2020 aufgrund der Corana-Pandemie nicht hätte eingeladen werden dürfen. Es sei nicht auszuschließen gewesen, dass eine erhebliche Zahl von Wohnungseigentümern zur Versammlung erscheinen würde. Die Kläger gehörten der Risikogruppe an. Die Kläger hätten Angst gehabt, zu einer Eigentümerversammlung zu kommen. Aber andererseits hätten sie auch kein Vertrauen in die Verwaltung gehabt, um Vollmachten zu erteilen. Zudem ging es in der Versammlung um ein hochbrisantes Thema, das bereits seit fünf Jahren kontrovers diskutiert werde. Es bestehe vorliegend auch keine Eilbedürftigkeit. Darüber hinaus bestünden Bedenken in der Sache selbst. Nicht nur die Hausfassade, sondern vor allem die Anschlussbereiche an den Balkonen sowie die Bereiche zwischen den Balkonbetonplatten und die Brüstungen seien sanierungsbedürftig. Anstatt Anstreicherarbeiten durchzuführen sei es zunächst erforderlich, die tragenden Bestandteile der Fassade zu sanieren. Mit Schriftsatz vom 07.08.2020 behaupten die Kläger darüber hinaus, dass vorliegend eine dreistufige Vorgehensweise geboten gewesen sei aufgrund des Umfangs der Sanierungsmaßnahme.

Die Kläger beantragen,

sämtliche der in der Eigentümerversammlung der WEG S Str. ...#, ...#, ...#, ...# und ...# vom 14.05.2020 gefassten Beschlüsse für ungültig zu erklären.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten sind der Ansicht, dass die gefassten Beschlüsse ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechen. Die Abhaltung der Versammlung erfolgte weder zur Unzeit noch sei sie unzulässig gewesen. Die Hygienevorschriften seien eingehalten. Die Voraussetzungen zur Abhaltung der Eigentümerversammlung unter Berücksichtigung der geltenden Corona-Schutzverordnung des Landes NRW seien gewährleistet gewesen. Wären zu viele Personen erschienen, wäre die Versammlung nicht abgehalten worden. Die Kläger hätte sich auch durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen können. Die Beschlüsse seien auch materiell ordnungsgemäß. Die Fassade sei mehrfach durch Fachunternehmen begutachtet worden. Die Wohnungseigentümer könnten hier auf die Aussagen der Fachunternehmen vertrauen. Es werde bestritten, dass es diverse Schäden an der Fassade gebe, die zuvor durch Maurer- oder Baufirmen saniert werden müssten. Die Beklagten sind darüber hinaus der Ansicht, dass für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Abhaltung nicht auf einen hypothetischen Versammlungsablauf, sondern auf den tatsächlichen Geschehensablauf abzustellen ist, mithin auf die tatsächlich erschienenen Teilnehmer. Aufgrund der vor dem Versammlungstermin vorliegenden Vollmachten und in Anbetracht dessen, dass auswärtige Kapitalanleger als Eigentümer in der Vergangenheit noch nie zu einer Versammlung erschienen waren, hätte die Verwaltung auch davon ausgehen können, dass maximal acht persönlich teilnehmende Eigentümer zur Versammlung erscheinen würden. Für die Kläger sei zudem weniger Platz erforderlich gewesen, da sie als Angehörige des gleichen Hausstandes keinen Mindestabstand hätten einhalten müssen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die protokollierten Erklärungen Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Vorliegend entsprechen die gefassten Beschlüsse in der Eigentümerversammlung vom 14.05.2020 nicht ordnungsgemäßer Verwaltung. Die Beschlussfassungen leiden bereits an einem formellen Fehler. Der Ort und die Zeit der Wohnungseigentümerversammlungen sind gesetzlich nicht geregelt. Im Wege der Vereinbarung können generelle Vorgaben gemacht werden. Ansonsten steht dem Einberufenden, hier dem Verwalter, ein Ermessensspielraum zu. Sowohl der Ort als auch die Zeit müssen aber verkehrsüblich und den Wohnungseigentümern zumutbar sein. Ein überprüfbarer Ermessensmissbrauch liegt vor, wenn die Versammlung so gelegt wird, dass sie ein oder mehrere Wohnungseigentümer nicht aufsuchen können (vgl. Hermann in: BeckOGK, 01.03.2020, § 24 WEG, Rdnr. 91, 92). Grundsätzlich konnte am 14.05.2020 eine Eigentümerversammlung stattfinden. Denn § 13 Abs. 3 der Corona-Schutzverordnung (Verordnung zum Schutz von Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2) in der zum Zeitpunkt der Eigentümerversammlung gültigen Fassung vom 11. Mai 2020 sieht vor, dass Sitzungen von rechtlich vorgesehenen Gremien privatrechtlicher Gemeinschaften - zu diesen gehören unzweifelhaft auch Eigentümerversammlungen - erlaubt sind. Dort sind Vorkehrungen zur Hygiene, zur Steuerung des Zutritts und zur Gewährung eines Mindestabstands von 1,5 m zwischen Personen sicherzustellen. Es genügt somit, wenn pro Person 7 qm Fläche Versammlungsraum vorgehalten werden, damit ein Abstand in jede Richtung von 1,5 m gewährleistet ist (3,14*1,5²). Bei der Durchführung der Versammlung lag somit ein unmittelbarer Verstoß gegen die Corona-Schutzverordnung nicht vor. Dennoch liegt ein formeller Fehler vor, da ein ungeeigneter Versammlungsort gewählt wurde. Denn vorliegend ist bei der Frage, ob der gewählte Ort und der gewählte Zeitpunkt ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechen, darauf abzustellen, was nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwarten ist. Zwar ist nicht von einer Nichtigkeit der Beschlussfassung deswegen auszugehen, wenn hypothetisch bei einer Vollversammlung der Wohnungseigentümer einem oder mehreren Eigentümern der Zugang nicht möglich gewesen wäre ohne einen Verstoß gegen die Corona-Schutzverordnung darzustellen (vgl. hierzu aber AG Kassel, Urteil vom 27.08.2020 - 800 C 2563/20 mit Anmerkung Bub/Pramataroff, FD-MietR 2020, 432711). Andererseits ist zur Überzeugung des Gerichts nicht nur auf die tatsächliche Teilnehmerzahl abzustellen, sondern auf die zu erwartenden Teilnehmer (vgl. hierzu Schmidt, COVID-19, § 4 Wohnungseigentumsrecht, Rdnr. 11). Zur Bestimmung der durchschnittlichen Teilnehmerzahl ist auf die letzten drei Eigentümerversammlungen abzustellen. Bei einer solchen Durchschnittswertbildung lässt sich ein realistisches Bild eines zu erwartenden Geschehensablaufs abbilden. Im Durchschnitt der letzten drei Versammlungen waren selbst nach dem Vortrag der Beklagten zumindest mehr als 20 Personen anwesend. Für diese 20 Personen war der vorliegende Versammlungsraum nicht geeignet. Anders als die Beklagten darlegen, ist hier auch nicht auf etwaige Besonderheiten der Corona-Pandemie abzustellen, was die Teilnehmerzahl anbelangt. Dass bereits vor der Eigentümerversammlung mehrere Vollmachten vorlagen und üblicherweise Kapitalanleger nicht zur Versammlung erscheinen, ist unbeachtlich. Denn zu berücksichtigen ist, dass eine erteilte Vollmacht jederzeit widerruflich ist. Ein Teilnahmerecht und eine Teilnahmemöglichkeit besteht zudem auch für solche Miteigentümer, die bisher niemals an einer Eigentümerversammlung teilgenommen haben. Somit war zumindest von einer Teilnehmerzahl von 20 Personen auszugehen. Ein Raum mit einer Größe von 100 qm ist in einem solchen Fall nicht geeignet den Anforderungen der seinerzeit geltenden Corona-Schutzverordnung zu genügen. Die gefassten Beschlüsse entsprechen somit nicht ordnungsgemäßer Verwaltung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

Rechtsbehelfsbelehrung:

A)

Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,

1. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder

2. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.

Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Landgericht Dortmund, Kaiserstr. 34, 44135 Dortmund, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.

Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Landgericht Dortmund zu begründen.

Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht Dortmund durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.

Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

B)

Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde an das Amtsgericht Dortmund statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt oder das Amtsgericht die Beschwerde zugelassen hat. Die Beschwerde ist spätestens innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Amtsgericht Dortmund, Gerichtsstraße 22, 44135 Dortmund, schriftlich in deutscher Sprache oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerde kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichtes abgegeben werden.

Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

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