LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25.11.2020 - L 3 R 15/18
Fundstelle
openJur 2021, 5167
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. S 61 R 1054/15
Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 01.12.2017 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung von Witwerrente nach der verstorbenen Versicherten J L (Versicherte).

Der 1931 geborene H L (L.) schloss mit der Versicherten am 00.11.1952 die Ehe. Nach dem Tode der Versicherten am 00.09.2014 beantragte L. die Gewährung von großer Witwerrente nach der Versicherten. Der Antrag wurde am 14.10.2014 durch den Versichertenältesten L1, I, aufgenommen. L. gab hierin an, dass gegenüber einem Rentenversicherungsträger eine gemeinsame Erklärung abgegeben worden sei, dass die am 31.12.1985 geltenden Rechtsvorschriften für Rente an Witwen, Witwer und frühere Ehegatten anzuwenden seien. Die Beklagte übersandte daraufhin an L. eine Anlage zum Witwerrentenantrag im Falle der Anwendung des am 31.12.1985 geltenden Rechts. L. füllte diese Anlage am 16.11.2014 aus und gab an, über monatliche Einkünfte in Höhe von monatlich 1.467,25 Euro Altersrente sowie 352,93 Euro Firmenrente zu verfügen, während die Versicherte monatlich 832,- Euro Altersrente bezogen hätte.

Die Beklagte forderte von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) (Kontoführer des L.) die laut Kontospiegel des Versichertenkontos der Versicherten dort am 16.12.1988 abgegebene und am 01.02.1989 erfasste Erklärung zur Anwendung des alten Hinterbliebenenrechts an. Die DRV (früher: Landesversicherungsanstalt [LVA] Rheinprovinz) übersandte einen Ausdruck des dortigen Kontospiegels mit der Speicherung der gemeinsamen Erklärung der Ehegatten gem. § 303 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) vom 16.12.1988 und teilte mit, der Vordruck bezüglich der gemeinsamen Erklärung läge in der dortigen Akte nicht mehr vor.

L. machte daraufhin geltend, eine Vereinbarung aus dem Jahre 1988 nicht zu kennen. Wenn diese getroffen worden sei, müsse sie auch vorliegen, ansonsten müsse man davon ausgehen, dass es keine Vereinbarung gebe.

Mit Bescheid vom 31.03.2015 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Witwerrente an L. ab, da eine gemeinsame Erklärung für die Anwendung des bis zum 31.12.1985 geltenden Rechts vorliege und nicht die Versicherte, sondern L. den überwiegenden Unterhalt der Familie bestritten hätte.

Dagegen legte L. am 20.04.2015 Widerspruch ein und bestritt, dass es eine gemeinsame Erklärung für die Anwendung des bis zum 31.12.1985 geltenden Hinterbliebenenrechts gebe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.06.2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises hätten L. und die Versicherte am 16.12.1988 eine Erklärung über die Anwendung der am 31.12.1985 geltenden Rechtsvorschriften für Renten an Witwen und Witwer abgegeben, so dass § 303 SGB VI zur Anwendung komme. Es könne davon ausgegangen werden, dass die vorliegende elektronische Speicherung des Eingangs der gemeinsamen Erklärung über die Anwendung des alten Hinterbliebenenrechts am 16.12.1988 in den Versicherungskonten sowohl des L. als auch der verstorbenen Versicherten darauf beruhe, dass tatsächlich eine entsprechende Erklärung vorgelegen habe. Die zuständige Rentengruppe habe den Eingang der übereinstimmenden Erklärung im Zweizug-Verfahren zu dokumentieren. Als Datum der Erklärung sei der Tag zu speichern gewesen, an dem die Erklärung beim Rentenversicherungsträger oder bei einer anderen zur Entgegennahme berechtigten amtlichen Stelle eingegangen sei. Durch die fehlerfreie Verarbeitung sei das Vorliegen der übereinstimmenden Erklärung im Konto dokumentiert und ein maschinelles Bestätigungsschreiben erstellt worden. Das Partnerkonto werde durch einen DSRV (Datenstelle der Träger der Rentenversicherung)-Datensatz informiert. Aufgrund dieses so genannten Zweizug-Verfahrens werde der Sachverhalt durch zwei verschieden Personen unabhängig voneinander im Konto eingegeben und entsprechend dokumentiert. Die eine Person stelle die Daten durch maschinellen Arbeitsauftrag ins Konto, eine weitere Person rufe diese Daten nach Überprüfung ab. Damit könne nach dem normalen Geschehensablauf ausgeschlossen werden, dass eine Verwechselung bezüglich der Versicherungsnummer auftrete, denn es sei äußerst unwahrscheinlich, dass zwei Bearbeiter genau denselben Buchungsfehler machten. Bei dieser Verarbeitung handele es sich um einen typischen Geschehensablauf. Die Eintragung im Versicherungskonto lasse daher den Schluss zu, dass auch eine entsprechende Erklärung vorgelegen habe. Nicht entscheidend sei, dass der Antrag in seiner ursprünglichen Form nicht mehr reproduziert werden könne. Hierzu lägen bereits Urteile der Landessozialgerichte vor (siehe LSG Baden-Württemberg - L 7 R 4083/06).

Hiergegen hat L. am 13.07.2015 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund erhoben. Er hat vorgetragen, keine gemeinsame Erklärung mit der Versicherten über die Anwendung des bis zum 31.12.1985 geltenden Hinterbliebenenrechts abgegeben zu haben. Dies sei auch nachvollziehbar, da angesichts der Einkommensverhältnisse der Eheleute überhaupt keine Veranlassung bestanden habe, sich für das alte Hinterbliebenenrecht zu entscheiden. Eine Fortgeltung des alten Hinterbliebenenrechts wäre allenfalls nachteilig gewesen. Im Jahre 1988 sei er noch berufstätig gewesen. Er habe mit seiner Frau in Leverkusen gewohnt. Seine Frau habe eine Putztätigkeit ausgeübt und sei daneben wohl arbeitssuchend gemeldet gewesen. Anders als bei der Entscheidung des LSG Baden-Württemberg vom 18.07.2007 - L 7 R 4083/06, sei es nicht so gewesen, dass L. sich nicht bloß vorstellen könne, eine solche Erklärung nicht abgegeben zu haben, sondern dass er fest davon überzeugt sei, eine solche Erklärung nicht abgegeben zu haben. Damit sei der Anscheinsbeweis, auf den sich die Beklagte unter Verweis auf ein Zweizugverfahren berufe, erschüttert. Überdies habe die Beklagte lediglich Erklärungen abgegeben und keinen Beweis dafür erbracht, dass die angeblichen Einträge in den Datensätzen bezüglich einer Erklärung nach § 303 SGB VI tatsächlich vorlägen. Darüber hinaus habe sie nicht dargelegt, dass bei beiden Eheleuten auch jeweils das Zweizugverfahren durchgeführt worden sei. Wenn die Beklagte ihre eigene Aufbewahrungspflichten verletze, die bis zum 90. Geburtstag des jüngeren Ehepartners festgelegt worden seien, könne sie sich im Nachhinein nicht auf einen Anscheinsbeweis berufen. Die Beklagte sei darlegungs- und beweisbelastet für die Tatsache, dass L. den behaupteten Antrag gestellt habe. Die Beklagte müsse sich das Verhalten der DRV zurechnen lasse und könne sich wegen der Aktenvernichtung in ihrer Sphäre nicht auf den angeblichen Antrag des L. berufen. L. hat insoweit Bezug auf den Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 05.02.2014 - X B 138/13, genommen.

L. hat beantragt, die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 31.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.06.2015 zu verurteilen, ihm Witwerrente zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat Ablichtungen der Rundschreiben der Grundsatzabteilung Nrn. 32/85, 2/86, 09/86 und 37/86 übersandt. Die DRV habe auf nochmalige Nachfrage mitgeteilt, dass die Erklärung vom 16.12.1988 dort nicht vorliege. Diese sei auch im Archiv der Beklagten nicht vorhanden. Aus welchen Gründen die DRV die Aufbewahrungsfristen nicht beachtet habe, sei für die Beklagte nicht nachvollziehbar. Die gemeinsame Erklärung zur Anwendung des alten Hinterbliebenenrechts sei zunächst durch einen Sachbearbeiter geprüft und eingegeben worden. Daraufhin sei die Akte in Papierform an einen zweiten Sachbearbeiter weitergeleitet worden, der erneut die Daten überprüft und dann freigegeben habe. Erst dann sei der Datensatz an die zentrale Verarbeitung der Deutschen Rentenversicherung weitergeleitet und an das entsprechende Versicherungskonto des Ehepartners gemeldet worden.

Mit Urteil vom 01.12.2017 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, § 303 SGB VI sei anwendbar, da nach Auffassung der Kammer bewiesen sei, dass eine Erklärung zur Anwendung des alten Hinterbliebenenrechts abgegeben worden sei. Da die Versicherte im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor ihrem Tode nicht den überwiegenden Familienunterhalt bestritten habe, bestehe gem. § 303 SGB VI kein Anspruch auf Witwerrente. Es sei nach den Regeln des Anscheinsbeweises hinreichend bewiesen, dass L. und die Versicherte eine Erklärung zur Anwendung des alten Hinterbliebenenrechts abgegeben hätten. Der Verfahrensablauf hinsichtlich der Speicherung der gemeinsamen Erklärung zur Anwendung des alten Hinterbliebenenrechts lasse eine fehlerhafte Speicherung in den Versicherungskonten beider Ehegatten praktisch nicht zu. Eine zufällige Verwechselung der Identität dürfte praktisch ausgeschlossen sein. Die Abgabe der Erklärung bei dem am damaligen Wohnsitz der Eheleute örtlich zuständigen Rentenversicherungsträger sei ein weiteres Indiz, so dass die Kammer keine Zweifel an der Abgabe der entsprechenden Erklärung habe, auch wenn L. sich vielleicht nicht mehr daran erinnern könne.

Gegen das ihm am 20.12.2017 zugestellte Urteil hat L. am 09.01.2018 Berufung eingelegt. Er trägt vor, eine eigene Bewertung des SG, ob das von der Beklagten behauptete Verfahren überhaupt zur Anwendung gekommen sei und nur einen theoretischen Fehler zulasse, fehle. Es handele sich insoweit lediglich um Behauptungen der Beklagten. Auf einen irgendwie gearteten Anscheinsbeweis komme es nicht an, da die Behörde beweisfällig bleibe in dem Fall, dass eine Erklärung nicht mehr auffindbar oder reproduzierbar sei. Wenn eine Behörde ihre eigenen Fristen verletze und eine Erklärung vernichte oder verliere, so dürfe dies nicht zu Lasten des Bürgers gehen. Eine Mitteilung / Bescheid der Beklagten vom 30.01.1989 könne in den Unterlagen des L. nicht gefunden werden.

Nach dem Tode des L. am 00.03.2018 wird das Berufungsverfahren von der Tochter des L. als Erbin und Berufungsklägerin fortgeführt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 01.12.2017 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 31.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.06.2015 zu verurteilen, ihr Witwerrente als Rechtsnachfolgerin des H L nach der Versicherten J L nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, bei Dokumentation in beiden maschinellen Konten - wie im vorliegenden Fall - bestehe kein Zweifel an der Abgabe einer wirksamen Erklärung. Die Beweispflicht läge nicht bei der Beklagten, vielmehr gelte der Grundsatz der objektiven Beweislast, der vorliegend zu Lasten der Klägerin seine Wirkung entfalte. Die Klägerin könne den Nachweis nicht erbringen, dass die gemeinsame Erklärung nicht abgegeben worden sei. Dagegen spreche die beschriebene Dokumentation in beiden Konten.

Der Senat hat die von der DRV geführte Akte des L. (VSNR 00) beigezogen. Aus dem dort abgedruckten Kontospiegel vom 03.12.2008 ergibt sich, dass am 30.01.1989 "Daten zum Konto mit Hinterbliebenenrente" abgegeben worden sind.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten der Beklagten und der DRV, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Gründe

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 31.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.06.2015 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Witwerrente als Rechtsnachfolgerin des L. nach der Versicherten J L.

I.

Ein Witwerrentenanspruch ist nach § 303 SGB VI ausgeschlossen. Hiernach besteht ein Anspruch auf Witwerrente, wenn bis zum 31.12.1988 eine wirksame Erklärung über die weitere Anwendung des bis zum 31.12.1985 geltenden Hinterbliebenenrentenrechts abgegeben worden ist, nur, wenn die Verstorbene den Unterhalt ihrer Familie im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tod überwiegend bestritten hat.

Die verstorbene Versicherte hat ausgehend von den im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand bezogenen Rentenzahlungen den Unterhalt der Familie nicht überwiegend bestritten.

Zur Überzeugung des Senats ist am 16.12.1988 eine übereinstimmende Erklärung zur Anwendung des bis zum 31.12.1985 geltenden Hinterbliebenenrechts durch die Versicherte und L. abgegeben worden, wie das SG zutreffend und mit richtiger Begründung ausgeführt hat.

1.

Auch wenn die übereinstimmende Erklärung weder in den Akten der Beklagten noch der der DRV vorliegt, ist dennoch bewiesen, dass diese Erklärung abgegeben worden ist. Dies folgt aus dem Beweis des ersten Anscheins (vgl. z. B. BSG Urteil vom 24.10.1974 -11 RA 170/73, juris Rn 11 f; Urteil vom 31.01.2012 - B 2 U 2/11 R, juris Rn 29 ff).)

Beim Beweis des ersten Anscheins handelt es sich um eine Tatsachenvermutung. Bei typischen Geschehensabläufen erlaubt er den Nachweis eines ursächlichen Zusammenhangs aufgrund von Erfahrungssätzen, auch wenn im Einzelfall entsprechende Tatsachen nicht festgestellt werden können. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte kann der Geschehensablauf zu Grunde gelegt werden, als habe er sich in der typischen Weise ereignet. Erforderlich ist ein Hergang, der nach der Lebenserfahrung unabhängig von den Umständen des Einzelfalls und dem Willen der handelnden Personen in einer bestimmten Weise abzulaufen pflegt und deshalb auch im zu entscheidenden Fall als gegeben unterstellt werden kann (vgl. BSG Urteil vom 31.01.2012 - B 2 U 2/11 R, juris Rn 30 m.w.N.).

Vorliegend besteht der Erfahrungssatz, dass aufgrund der Speicherung der Daten einer übereinstimmenden Erklärung sowohl bei der Beklagten als auch bei der DRV / LVA Rheinprovinz tatsächlich eine solche wirksam am 16.12.1988 abgegeben worden ist (vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.07.2007 - L 7 R 4083/06). Hierfür spricht die Speicherung der Daten aufgrund eines typischen Geschehensablaufs. Wie sich aus dem Vorbringen der Beklagten und den von ihr vorgelegten Rundschreiben der Grundsatzabteilung Nrn. 32/85, 2/86, 09/86 und 37/86 ergibt, erfolgte die Dateneingabe grundsätzlich in der Weise, dass zunächst ein Sachbearbeiter der zuständigen Rentengruppe die Daten eingab und in einem zweiten Schritt ein weiterer Mitarbeiter diese gesondert prüfte und das Versicherungskonto freigab. Dass von dieser Vorgehensweise abgewichen wurde ist weder begründet vorgetragen worden noch ersichtlich. Insoweit kann neben den vorgelegten Rundschreiben auch auf das Vorbringen der Beklagten abgestellt werden. Plausibles Beteiligtenvorbringen kann sogar alleinige Entscheidungsgrundlage sein (vgl. BSG Beschluss vom 15.08.1960 - 4 RJ 291/59, juris Rn 9; Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt, SGG, 13. Aufl. § 103 Rn 7a m.w.N.), jedenfalls solange kein Widerspruch zur allgemeinen Lebenserfahrung eintritt. Ein solcher Widerspruch besteht hier nicht. Eine Verwechselung oder Falscheingabe ist aufgrund der Speicherung und Freigabe der Daten durch zwei verschiedene Personen auszuschließen. Anschließend erfolgte entsprechend Nr. 1.4 des Rundschreibens 37/86 der Grundsatzabteilung eine Benachrichtigung sowohl des/der Versicherten als auch im so genannten Zweizugverfahren des zuständigen Versicherungsträgers des Ehepartners. Diese Benachrichtigungen erfolgten nach Speicherung und Freigabe der Daten automatisch, so dass aufgrund der erfolgten Datenübermittlung durch die LVA Rheinprovinz an die Beklagte davon auszugehen ist, dass auch die Versicherte und L. ein entsprechendes Bestätigungsschreiben erhalten haben. Ebenfalls für die Richtigkeit der Datensätze der Beklagten und der DRV spricht, dass dennoch durch die Versicherte und L. keine Einwände gegen die Speicherung der Daten der übereinstimmenden Erklärung erhoben worden sind.

2.

Den vorliegenden Anscheinsbeweis haben die Klägerin und L. nicht dadurch erschüttern können, dass L. im Laufe des Verfahrens geltend gemacht hat, er sei fest davon überzeugt, eine solche Erklärung nicht abgegeben zu haben. Dagegen sprechen schon die Erstangaben des L. im Rentenantrag vom 14.10.2014. Diesen kommt nach freier Beweiswürdigung des Senats ein besonderer Beweiswert zu, da sie von irgendwelchen versicherungsrechtlichen Überlegungen noch unbeeinflusst waren (vgl. BSG Urteil vom 11.11.2003 - B 2 U 41/02 R, juris Rn 20). L. hat in diesem Rentenantrag, der von einem Versichertenältesten aufgenommen worden ist, selbst angegeben, eine gemeinsame Erklärung abgegeben zu haben, dass die am 31.12.1985 geltenden Rechtsvorschriften für Rente an Witwen, Witwer oder frühere Ehegatten anzuwenden seien. Da der Antrag von einem Versichertenältesten und damit von einer zur Aufnahme von Rentenanträgen kundigen Person aufgenommen ist, ist ein Irrtum über die Bedeutung der Abgabe einer gemeinsamen Erklärung zur Anwendung des bis zum 31.12.1985 geltenden Hinterbliebenenrechts auszuschließen.

3.

Weiterhin für die Abgabe des Antrags auf Anwendung des bis zum 31.12.1985 geltenden Hinterbliebenenrentenrechts spricht, dass zum Zeitpunkt der Abgabe dieses Antrags am 16.12.1988 - zu einem typischen Zeitpunkt kurz vor Fristablauf gem. § 303 SGB VI am 31.12.1988 - keinerlei anderweitige Aktenbearbeitung durch Mitarbeiter der Beklagten bzw. der LVA Rheinprovinz erfolgte, so dass die tatsächlich vorgenommene Dateneingabe am 01.02.1989 bei der LVA Rheinprovinz - dem für den Wohnsitz des L. und der Versicherten örtlich zuständigen Regionalträger der Rentenversicherung - sich allein aus der Verarbeitung des Antrags auf Anwendung des bis zum 31.12.1985 geltenden Hinterbliebenenrentenrechts erklären lässt.

4.

Auch aus dem vom Bevollmächtigten der Klägerin angeführten Beschluss des BFH vom 05.02.2014 - X B 138/13 ergibt sich keine andere Beurteilung, da dieser auf rechtlich anderen Grundlagen beruht. Dieser Beschluss ist zu Mitwirkungspflichten nach der Finanzgerichtsordnung ergangen und bezieht sich nicht auf die Anwendbarkeit des Anscheinsbeweises auf dem Gebiet des Sozialrechts.

5.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch, nach den Regeln des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so gestellt zu werden, als ob die Erklärung vom 16.12.1988 nicht abgegeben worden wäre.

Der von der Rechtsprechung entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Leistungsträger die ihm aufgrund eines Gesetzes oder des konkreten Sozialrechtsverhältnisses gegenüber dem Berechtigten obliegenden Haupt- oder Nebenpflichten, insbesondere zur Auskunft und Beratung (§§ 14, 15 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil [SGB I]), ordnungsgemäß wahrgenommen hätte. Er setzt demnach eine dem Sozialleistungsträger zurechenbare behördliche Pflichtverletzung voraus, die (als wesentliche Bedingung) kausal zu einem sozialrechtlichen Nachteil des Berechtigten geworden ist. Außerdem ist erforderlich, dass durch Vornahme einer zulässigen Amtshandlung der Zustand hergestellt werden kann, der bestehen würde, wenn die Behörde ihre Verpflichtungen gegenüber dem Berechtigten nicht verletzt hätte (stRspr, vgl BSG Urteil vom 30.09.2009 - B 9 VG 3/08 R, juris Rn 41 ff, m.w.N.). Nach ständiger Rechtsprechung des BSG kann sich ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch auch aus einem fehlerhaften Verhalten anderer Behörden ergeben, welches sich der zuständige Leistungsträger zurechnen lassen muss (vgl. BSG Urteile vom 30.09.2009, a.a.O., Rn 44 und vom 16.03.2016 - B 9 V 6/15 R, juris Rn 29 f).

Vorliegend ist für eine fehlerhafte Beratung durch die Beklagte oder die LVA Rheinprovinz im Zusammenhang mit der Abgabe der übereinstimmenden Erklärung am 16.12.1988 nichts ersichtlich. Die Abgabe der übereinstimmenden Erklärung zur Anwendung des alten Hinterbliebenenrechts war auch nicht für die Versicherte und L. lediglich rechtlich nachteilig. Zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung standen beide noch im Berufsleben. Es war nicht ersichtlich, welcher der Ehegatten eher sterben würde. Eine Einkommensanrechnung des Einkommens der Versicherten nach § 97 SGB VI hätte bei Vorversterben des L. vermieden werden können.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Da L. den Rechtsstreit noch im Berufungsverfahren geführt hatte, bleibt das Verfahren für die Klägerin als Rechtsnachfolgerin in diesem Rechtszug gem. § 183 Satz 2 SGG gerichtskostenfrei.

III.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nr 1, 2 SGG) sind nicht ersichtlich.

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