LG Bielefeld, Urteil vom 23.02.2016 - 9 O 34/16
Fundstelle
openJur 2021, 5153
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • nachfolgend: Az. 8 U 27/16
Tenor

Die einstweilige Verfügung vom 28.01.2016 wird aufgehoben. Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfügungsverfahrens hat der Verfügungskläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Verfügungskläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Parteien - Vater und Sohn - streiten unter anderem um Besitzrechte an körperlichen Gegenständen des Anlagevermögens, einem Warenlager, Zugang zu einer Kundendatei, Zugang zu Softwareprogrammen und Datenbestand, Zugang zu Büroräumen und die Berechtigung vom Verfügungsbeklagten getätigter Äußerungen.

Die Parteien haben in unterschiedlichen Funktionen zusammen ein vom Verfügungskläger gegründetes Familienunternehmen geführt, das aus mehreren Gesellschaften besteht. Die F. N. GmbH befasst sich mit industrieller Schraubtechnik. Sie ist eingegliedert in die Besitzgesellschaft N. GmbH & Co. KG (im Folgenden KG), vertreten von der N. Verwaltungs- GmbH.

Daneben besteht die Einzelfirma des Verfügungsklägers, die Firma F. N. Abrollsysteme, mit der der Verfügungskläger Kabelwickelsysteme für die Industrie vertreibt (im Folgenden: Einzelfirma). Mit Pachtvertrag vom 1.9.2004 (Anl. K 3) pachtete der Verfügungskläger für diese Einzelfirma von der N. GmbH & Co. KG ein zuvor zum 30.8.2004 aus steuerlichen Gründen von ihm in die KG eingebrachtes Einzelunternehmen. Der Warenbestand der in die KG eingebrachten Altfirma wurde dem Verfügungskläger von der KG verkauft und übereignet, wobei der Verfügungskläger den Kaufpreis über ein, ihm von der KG gewährtes Darlehen finanzierte. Die Parteien waren sich zum Zeitpunkt des Abschlusses des Pachtvertrages darüber einig, dass auch die Einzelfirma von beiden gemeinsam geführt wird, und auch Entscheidungen für dieses Unternehmen gemeinsam getroffen werden. Beide Parteien waren in der Folge in diesem Sinne für das Unternehmen tätig, wobei der Umfang der jeweiligen Tätigkeit zwischen den Parteien streitig ist.

Mit Mietvertrag vom 1.1.2007 (Anl. K 4) mietete der Verfügungskläger von der N. GmbH & Co. KG zum Betrieb seines Einzelunternehmens Bürofläche und ein Hochregallager zur Lagerung der vertriebenen Abrollsysteme an. Zu einem späteren Zeitpunkt vereinbarten die Vertragsparteien des Mietvertrages eine Änderung vermieteten Flächen.

Im Oktober 2013 nahmen die Parteien eine Neuregelung der Gesellschaftsverhältnisse vor. In der Folgezeit haben sich die Parteien unter anderem über die Gewinnbezugsrechte des Verfügungsklägers entzweit.

Bereits im Juni 2014 thematisierten die Parteien eine Kündigung des Unternehmenspachtvertrags durch die N. GmbH & Co. KG. Der Verfügungsbeklagte kündigte dann den Unternehmenspachtvertrag in seiner Funktion als Geschäftsführer der Verpächterin mit Schreiben vom 22.6.2015 ordentlich zum 31.12.2015 (Anl. K 7). In der Folge konnte der Verfügungskläger bis zum 11.1.2016 in den Betriebsräumen zunächst weiterarbeiten, wie er es bisher getan hatte. Im Januar 2016 erfuhr der Verfügungskläger, dass der Verfügungsbeklagte Waren aus dem von der Einzelfirma gemieteten Warenlager veräußert. Der Verfügungskläger hatte zudem - anders als zuvor - über seine Computer keinen Zugriff mehr auf die Kunden- und Lieferantenverwaltungsdaten seines Einzelunternehmens.

Der Verfügungsbeklagte gründete die Firma N. Abrollsysteme e.K. Inh D. N. und versandte im Dezember 2015 e-Mails und Kundenschreiben, in denen er den Geschäftspartnern des Antragstellers mitteilte, die Gründung seiner Einzelfirma sei als letzter Schritt der Unternehmensnachfolge zu sehen und es handele sich bei der Firma N. Abrollsysteme e.K. Inh D. N. um "die neue Firmierung" der Firma F. N. Abrollsysteme (Anlage K 12).

Mit Pachtvertrag vom 22.12.2015 verpachtete die N. GmbH & Co. KG zum 01.01.2016 das zuvor von der Einzelfirma des Verfügungsklägers gepachtete Unternehmen an die Firma N. Abrollsysteme e.K. Inh D. N.. Mit E-Mail vom 14.1.2016 wies der Verfügungsbeklagte den Verfügungskläger darauf hin, der von diesem bisher genutzte Geschäftsbereich sei nunmehr anderweitig verpachtet, Werkzeug und Warenbestand würden genutzt bzw. veräußert (Anlage K 13). Er kündigte dem Verfügungskläger mit email vom 13.01.2016 ein Hausverbot für den Falle an, dass dieser den Geschäftsbetrieb durch ein - in dem Schreibennäher beschriebenes Verhalten - weiterhin stört. Wegen der Einzelheiten dieses Schreibens wird auf den als Anlage K 9 zur Akte gereichten Ausdruck der mail Bezug genommen.

Der Verfügungsbeklagte kündigte für die N. GmbH & Co KG dem Verfügungskläger gegenüber die bestehenden Mietverträge am 05.02.2016.

Der Verfügungskläger erwirkte gegen den Verfügungsbeklagten auf Antrag vom 28.01.2016 am 28.01.2016 eine einstweilige Verfügung - Beschluss - der Kammer, mit der dem Verfügungsbeklagten u.a. untersagt wurde, körperliche Gegenstände der Fa F. N. Abrollsysteme in Besitz zu nehmen oder zu benutzen, Waren im Warenlager in Besitz zu nehmen, anzubieten oder zu veräußern, Software und Datenbestand der Einzelfirma zu benutzen, dem Verfügungskläger den Zugang zu den gemieteten Räumen zu verhindern oder zu erschweren, bestimmte Äußerungen im Geschäftsverkehr zu unterlassen und mit der diesem aufgegeben wurde, dem Verfügungskläger Zugang zu Software und Datenbestand zu gewähren. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Beschluss vom 28.01.2016 (Bl. 20 d.A.) Bezug genommen.

Hiergegen richtet sich der Widerspruch des Verfügungsbeklagten vom 09.02.2016.

Der Verfügungskläger beantragt,

den Beschluss vom 28.01.2016 aufrecht zu erhalten.

Der Verfügungsbeklagte beantragt,

die einstweilige Verfügung vom 28.01.2016 aufzuheben und den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die einstweilige Verfügung vom 28.01.2016 war auf den Widerspruch des Verfügungsbeklagten aufzuheben.

Dem Verfügungskläger stehen die gegen den Verfügungsbeklagten geltend gemachten Ansprüche nach dem unstreitigen und von ihm glaubhaft gemachten Vorbringen nicht zu.

1. Dem Verfügungskläger steht der mit Antrag zu Ziff. 1 geltend gemachte Anspruch darauf, dass es dem Verfügungskläger verboten wird, die körperlichen Gegenstände des Anlagevermögens in Besitz zu nehmen oder zu nutzen nicht zu.

Ein hierauf gerichteter Anspruch des Verfügungsklägers folgt insbesondere nicht aus §§ 858, 861, 862 BGB. Zwar war der Verfügungsbeklagte - unabhängig davon, wann und wie lange er sich tatsächlich selbst in den Räumlichkeiten aufhielt - aufgrund von ihm ausgeübter Sachherrschaft über die körperlichen Gegenstände Besitzer des Anlagevermögens des von ihm gepachteten Unternehmens. Er übte indes lediglich Mitbesitz an diesen Gegenständen aus, da auch der Verfügungsbeklagte insoweit Mitbesitzer war.

Beide Parteien führten nach übereinstimmendem Parteivortrag - und bis zum Ablauf des letzten Jahres auch übereinstimmendem Parteiwillen - die Geschäfte der Einzelfirma des Verfügungsklägers. Insoweit übte auch der Verfügungsbeklagte tatsächliche Gewalt über die körperlichen Gegenstände des Unternehmens aus. Dabei war er nicht lediglich Besitzdiener, da er die tatsächliche Gewalt nicht im Sinne des § 855 BGB weisungsgebunden für den Verfügungskläger ausübte.

Unstreitig ist insoweit, dass die Parteien bereits zu dem Zeitpunkt, als der Verfügungskläger das Unternehmen in die gemeinsam geführte Unternehmensgruppe einbrachte, sich darüber einig waren, dass sie die Einzelfirma, wie auch die anderen Firmen, gemeinsam führen. Der Verfügungskläger hat im Rahmen seiner persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass von Anfang an eine gemeinsame Unternehmensführung abgesprochen gewesen und so auch erfolgt sei. Zwar habe er als Inhaber des Unternehmens letztlich Verträge unterschreiben müssen, die zu treffenden Entscheidungen seien aber im Rahmen der gemeinsamen Unternehmensführung stets mit dem Verfügungsbeklagten abgestimmt gewesen. Aufgrund dieser gemeinsame Unternehmensführung und der damit einhergehenden weitgehenden Befugnisse des Verfügungsbeklagten zu selbstverantwortlichen Entscheidungen, fehlt es ein einer Weisungsabhängigkeit im Sinne des § 855 BGB, so dass der Verfügungsbeklagte seinen Besitz nicht für den Verfügungskläger ausübte, sondern Mitbesitzer war.

Der Mitbesitz des Verfügungsklägers an dem Anlagevermögen ist diesem durch den Verfügungsbeklagten nicht ohne seinen Willen entzogen worden. Der Verfügungskläger hat nach eigenem Bekunden weiterhin im vorherigen Umfang Zugang zu den körperlichen Gegenständen des Anlagevermögens.

Zudem stünde dem Verfügungskläger der geltend gemachte Anspruch auch insoweit nicht zu, als er in Folge einer Entziehung bzw. Störung seines Mitbesitzes nur verlangen könnte, so gestellt zu werden, wie es seiner vorherigen Stellung als Mitbesitzer entsprach (vgl. Palandt, 75. Aufl., § 861 Rn. 8 mwN). Der Antrag, es dem Verfügungsbeklagten zu verbieten, das Anlagevermögen zu benutzen oder in Besitz zu nehmen, ist indes auf den Ausschluss des Verfügungsbeklagten und damit auf die Einräumung von Alleinbesitz gerichtet.

2. Dem Verfügungskläger steht gegen den Verfügungsbeklagten auch nicht der mit Ziff. 2 des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung geltend gemachte Anspruch darauf, dass der Verfügungsbeklagte das Warenlager, an dem der Verfügungskläger aus den genannten Gründen ebenfalls keinen Alleinbesitz hatte, nicht besitzt zu. Soweit der Antrag darauf gerichtet ist, dass der Verfügungsbeklagte das die im Lager befindlichen Waren - bei denen es sich nach dem Vorbringen des Verfügungsklägers im Rahmen seiner persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung ohnehin nicht ausschließlich um Waren handelt, die dem Einzelunternehmen zuzuordnen sind, sondern auch um Waren der GmbH - nicht veräußert, steht ihm ein solcher Anspruch auch aus Besitzrecht nicht zu, da es sich weder bei der Veräußerung als solcher noch bei dem Anbieten im Geschäftsverkehr um Maßnahmen handelt, die den Besitz beeinträchtigen.

3. Dem Verfügungskläger steht auch kein Anspruch gegen den Verfügungsbeklagten darauf zu, dass dieser die Software und den Datenbestand, insbesondere die Kundendatei, der Einzelfirma nicht mehr benutzt.

Im Hinblick auf die Software und den Datenbestand als solche besteht ein besitzrechtlicher Anspruch schon deshalb nicht, weil es sich nicht um körperliche Gegenstände handelt, so dass an ihnen kein Besitz im Sinne des § 854 BGB begründet werden kann. Zudem steht dem Verfügungskläger - soweit er sich auf Besitzrechte an Datenträgern als körperlichen Sachen stützt - lediglich ein Mitbesitzrecht und - wie bereits dargestellt -, nicht der mit dem Antrag geltend gemachte Anspruch auf Ausschluss des Verfügungsklägers von der Nutzung zu.

4. Die einstweilige Verfügung war auch im Hinblick auf das Verbot, dem Verfügungskläger und seinen Mitarbeitern den Zugang zu den gemieteten Räumen zu verhindern oder zu erschweren, aufzuheben. Zwar darf dem Verfügungskläger aufgrund seines Mitbesitzes nicht durch verbotene Eigenmacht der Mitbesitz entzogen oder er im Mitbesitz gestört werden. Ein Anspruch des Verfügungsklägers aus § 861 BGB besteht indes nicht, da es an einer solchen verbotenen Eigenmacht fehlt. Zwar hat der Verfügungsbeklagte mit E-mail vom 13.01.2016 (Anlage K 9) angedroht, dem Verfügungskläger für den Fall ein Hausverbot zu erteilen, dass dieser in der dort beschriebenen Weise durch Drohungen gegenüber Mitarbeitern, Äußerungen dahingehend, dass der Verfügungsbeklagte ihn bestiehlt und Entwenden von Versandpapieren den Betrieb stört. Der Verfügungskläger hat indes im Rahmen seiner persönlichen Anhörung erklärt, dass er sich weiterhin völlig ungehindert in den Räumen bewegen kann und es auch zu keinem Hausverbot gekommen sei. Soweit es sich bei der Androhung eines Hausverbots um eine Besitzstörung im Sinne einer psychischen Einwirkung handelte, wirkt diese angesichts des weiterhin ungestörten Zugangs des Verfügungsklägers aktuell nicht fort.

5. Dem Verfügungskläger steht auch im Hinblick auf die mit dem Antrag zu Ziff. 5 geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung von Äußerungen des Verfügungsbeklagten kein Anspruch zu. Ein Anspruch des Verfügungsklägers folgt weder aus §§ 3, 12 UWG noch aus dem Recht des Verfügungsklägers an einem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB.

Nachdem die N. GmbH & Co. KG den Unternehmenspachtvertrag zum 31.12.2015 gekündigt hat, ist der Verfügungskläger als Inhaber der Fa. F. N. Abrollsysteme nicht mehr Pächter des verpachteten Unternehmens und damit nicht mehr Träger der Rechte aus diesem Gewerbebetrieb. Da weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist, dass der Verfügungsbeklagte sich auf andere Weise wirtschaftlich betätigt, stehen die Parteien auch nicht im Wettbewerb, so dass dem Verfügungskläger gegen den Verfügungsbeklagten auch keine Ansprüche aus dem UWG zustehen.

6. Schließlich steht dem Verfügungskläger auch der mit Ziff. 6 des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung geltend gemachte Anspruch, auf Gewährung des Zugangs zu den Softwareprogrammen und dem Datenbestand der Einzelfirma, nicht zu.

Ein besitzrechtlicher Anspruch besteht, wie dargestellt, nicht an nicht körperlichen Gegenständen. Soweit der Verfügungskläger einen Anspruch wegen der Störung im Besitz an den Datenträgern der Einzelfirma geltend macht, § 862 BGB, steht diesem entgegen, dass - nach übereinstimmenden Vorbringen der Parteien in der mündlichen Verhandlung - die streitgegenständlichen Daten auf dem Server der GmbH, der sich auch in deren Besitz befindet, gespeichert sind. Dass der Verfügungskläger über die in seinem Mitbesitz befindlichen Geräte nunmehr keinen Zugang zu den auf dem Server der GmbH gespeicherten Daten hat, stellt keinen Eingriff in die tatsächliche Sachherrschaft dar. Die Versorgung mit von der KG bzw. der GmbH auf deren Server verwalteten Daten kann zwar Voraussetzung für den vertragsgemäßen Gebrauch der der Einzelfirma überlassenen Rechner sein, der nach Beendigung des Vertrags nicht mehr geschuldet wird. Er ist hingegen nicht Bestandteil der tatsächlichen Sachherrschaft als solcher (vgl. BGH Urteil vom 6. 5. 2009 - XII ZR 137/07 zu Versorgungsleistungen).

7. Aus den dargestellten Gründen steht dem Verfügungskläger auch der mit dem Hilfsantrag in der Antragsschrift vom 28.01.2016 geltend gemachte Anspruch, nicht zu, soweit der Antrag sich gegen die Ausübung verbotener Eigenmacht des Verfügungsbeklagten richtet. Soweit der Verfügungskläger mit dem Antrag letztlich begehrt, seine Einzelfirma weiter führen zu können, steht dem die unstreitig erfolgte Kündigung des Unternehmenspachtvertrags durch die KG zum 31.12.2015 entgegen. Es kann damit dahingestellt bleiben, ob der Antrag des Verfügungsklägers dahingehend auszulegen ist, dass hilfsweise der Erlass einer einstweiligen Verfügung im Sinne des Hilfsantrags vom 28.01.2016 beantragt wird.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 91 Abs. 1ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO.