LG Magdeburg, Beschluss vom 22.01.2021 - 50 StVK 460/20
Fundstelle
openJur 2021, 4815
  • Rkr:
Tenor

Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt dauert bis zum Ablauf der gesetzlichen Höchstfrist am 12.6.2021 fort.

Es wird ein Sachverständigengutachten eingeholt zur Beurteilung der Frage, ob, unabhängig vom Aufnahmeanlass der Unterbringung, eine weitere -psychiatrisch relevante Erkrankung - des Verurteilten aufgetreten ist sowie Verlauf und gesundheitliche Entwicklung des Verurteilten erwarten lassen, dass eine Therapieweisung nach § 68b Abs. 2 StGB ausreichen kann, verbleibende Therapieziele zu erreichen und eine Bewährungsentscheidung mit den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit verantwortet werden kann.

Der Sachverständige soll hierzu die Patientenakten des Verurteilten auswerten, den Verurteilten selbst untersuchen, zur Eignung einer Therapieweisung und zur Bewährungsaussetzung Stellung nehmen und, soweit sie eine sinnvolle Option wäre sich auch zu deren praktischen Durchführbarkeit äußern.

Zum Sachverständigen wird bestellt, Herr OA Dr. Stephan P, Harzklinikum Blankenburg

Gründe

I.

Der Verurteilte ist aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Halle vom 8.7.2018 (Aktz. 303 Ds 200 Js 33871/17) wegen versuchten Diebstahls im besonders schweren Fall in zwei Fällen, Diebstahls in drei Fällen, davon in zwei Fällen geringwertiger Sachen, Sachbeschädigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, Beleidigung und Hausfriedensbruch sowie wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, jeweils begangen im Zustand verminderter Schuldfähigkeit, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und 10 Monaten verurteilt worden. Daneben wurde die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet.

Mit Beschluss vom 30.3.2019 ist auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Zeit des Vollzugs der Maßregel bereits auf eine verfahrensfremde Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Halle (303 Ds 246 Js 10308/15) angerechnet worden, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind, nachdem die diesem Urteil zugrundeliegende Bewährungsentscheidung mit Beschluss vom 20.12.2018 rechtskräftig widerrufen worden war. Nach der vorgelegten Strafzeitberechnung ist der 2/3 Termin aus dem Urteil des AG Halle vom 8.7.2018 (Aktz 303 Ds 200 Js 3387/17) bereits verstrichen, die verlängerte Höchstfrist für die Dauer der Zulässigkeit der Unterbringung auf den 12.6.2021 berechnet und das Strafzeitende auf den 24.10.2021 notiert (Bl. 200 Bd. I d.A.).

Im Anschluss an den Fortdauerbeschluss vom 03.08.2020 und vom 31.12.2020 hat die Maßregelklinik erneut die Erledigung der Maßregel beantragt, mit der Erwägung, die zur verfügende stehende Höchstfrist reiche nicht mehr aus, die Therapieziele zu erreichen.

a) Das Gericht sieht sich nicht in der Lage, dem Erledigungsantrag der Maßregelklinik, wie er aus dem Bericht vom 10.11.2020 ersichtlich geworden ist, zu folgen. Denn es ist bei derzeitigem Sachstand zweifelhaft, ob die Anordnungsvoraussetzungen deshalb entfallen, weil die Fristen des § 67 d StGB es nicht mehr zulassen, den erforderlichen Therapieerfolg, den Verurteilten mindestens eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und ferner vor der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten zu bewahren ( § 64 S. 2 StGB) zu erreichen.

Nach dem bisherigen Erkenntnisstand des Gerichts befindet sich der Verurteilte seit dem 13.9.2018 im Maßregelvollzug (Bericht, Fax vom 9.1.2019, Bl. 65 d.A.). Danach war bei der Aufnahme des Verurteilten in die Maßregelklinik eine Polytoxikomanie und eine Alkoholabhängigkeit nach F19.2/F10.2 des ICD-10 diagnostiziert worden, und zwar bei einer Opiatsubstitution mit Buprenorphin (Z51.83 des ICD-10) und einer chronischen Virushepatitis (B18.2 des ICD-10).

Wie sich dem Aufnahmebericht weiter entnehmen lässt, ist die Substitutionsbehandlung mit Buprenorphin bis Oktober 2018 aufrechterhalten worden.

Wie der Bericht ergeben und auch die Anhörung bestätigt hat, war der Verurteilte zunächst auch mit Olanzapin - einem antipsychotisch wirkenden atypischen Neuroleptika - behandelt worden. Im späteren Verlauf des Jahres 2018 ist sodann auf ein Antidepressiva (Escitalopram) umgestellt worden. Im weiteren Verlauf änderte sich das Verhaltensbild des Verurteilten. Zunächst wird eine instabile von niedrigen Selbstwirksamkeitserwartungen mitbestimmten Persönlichkeit, die noch im Verlauf der ersten Jahreshälfte 2019 mit Antriebsschwäche ("verschlafen"), Versagens- und Bewertungsängsten auffiel, mitgeteilt. Diese therapeutischen Anforderungen haben sich, wie der Bericht mitteilt, nur in kleinen Schritten bewältigen lassen (Bericht vom 1.7.2019 (Bl. 123 f Bd. I. d.A.). Im späteren Verlauf wird, bei fortbestehendem Interesse an der therapeutischen Arbeit, ausdrücklich hervorgehoben, dass es bis dahin zu keinerlei Regelverstößen, Suchtmittelrückfällen oder sonstigen Lockerungsmissbräuchen gekommen sei (Bericht vom 30.12.2019, Bl. 148 d.A.), dann aber eine bipolare Entwicklung mit hypomanen Episoden und subjektiver Verletzlichkeit mitgeteilt. Ferner wird ein Leiden im Zusammenhang mit den Coronaeinschränkungen sichtbar, wobei weiterhin keine groben Regelverstöße oder Suchtmittelrückfälle erkennbar geworden sind (Bericht vom 29.5.2020, Bl. 171). Wie die Therapeutin in der Anhörung klarstellte, kamen nicht nur paranoide Wahrnehmungen hinzu, sondern es wurde auch eine Veränderung der Medikation eingeleitet. Nach der erst im Bericht vom 10.11.2020 angedeuteten Erforderlichkeit, ein Verständnis für Stimmungsveränderungen und eine Compliance für eine daraus resultierende Notwendigkeit für eine Medikation zu entwickeln, ist durch die ergänzenden bestätigenden Angaben der Therapeutin schließlich offenbar geworden, dass bereits im April 2020 eine Medikation mit Seroquel aufgenommen wurde, die ab September 2020 mit Risperidon und Carbamazepin ergänzt wurde. Seroquel ist ein Präparat, das zur Vorbeugung manisch-depressiver Episoden, aber auch zur Schizophreniebehandlung eingesetzt wird. Risperidon wird zu den atypischen Neuroleptika gerechnet. Es wird in der Regel auch zur Schizophreniebehandlung eingesetzt, während es bei Carbamazepin im Wesentlichen um ein Phasenprophylaktikum handelt, das antikonvulsivische (krampflösende) Wirkungen entfaltet und deshalb auch in der Epilepsiebehandlung zur Verhütung fokaler Anfälle eingesetzt wird.

b) Bei diesem Verlauf erschließt sich dem Gericht die auf § 67 d, 64 S. 2 StGB gestützte Erledigungsannahme nicht ohne weiteres. Denn der institutionelle Therapieerfolg, den Verurteilten jedenfalls für eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren, liegt offen zu Tage, wenn es der Maßregelklinik, wie berichtet, gelungen ist, den Verurteilten seit der Aufnahme am 13.9.2018 bis zum Schluss der Anhörung am 20.1.2021, nicht nur bezogen auf Suchtmittel rückfallfrei zu halten sondern es auch nicht zu sonstigen groben Verstößen oder Lockerungsmissbräuchen gekommen ist. Angesichts des ursprünglich schweren Erkrankungsbildes, das anfänglich mit einer Substitutionstherapie und einem atypischen Neuroleptika angegangen werden musste, lässt ein solcher Verlauf allerdings weder Zweifel an der Therapiewilligkeit des Verurteilten, noch an einem bis dahin erfolgreichen Verlauf der Therapie zu, weshalb sich die erforderlichen weitere günstige suchtmedizinische Prognose ohne Weiteres dem bisherigen Verlauf entnehmen lässt.

c) Das Gericht sieht aufgrund des im Jahre 2020 zunehmend sich verändernden pharmakologischen Therapieanteils des Verurteilten allerdings Anlass darauf hinzuweisen, dass vermeintlich ungünstige Beobachtungen aus der verhaltenstherapeutischen Perspektive bei einer derartigen Verlaufsentwicklung psychiatrisch eingeordnet werden müssen. Denn wenn sich ein Verlauf wie der vorliegende grundsätzlich erfolgreich und mit ungebrochener Compliance des Patienten entwickelt, muss auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die beobachteten Veränderungen auf eine bestehende psychiatrisch relevante Grunderkrankung verweisen können, die von der den Anlass zur Unterbringung gebenden Suchtmittelerkrankung im Sinne eines Hangs nach § 64 StGB, entweder maskiert worden sein kann oder sich erst im weiteren therapeutischen Verlauf entwickelt haben kann. Denn der vorliegende Verlauf wird so beschrieben, dass hypomanische und paranoide Episoden erst im späteren Verlauf erscheinen, aber die Aufnahme auch neuroleptisch wirkender Medikation als erforderlich angesehen worden ist. Die damit einhergehenden, zuletzt eher kritischen Verhaltensbeobachtungen erfordern deshalb eine eingehende Aufklärung der psychiatrischen Seite, einschließlich medikamentöser Verträglichkeiten und Wechselwirkungen, wenn es, wie im vorliegenden Fall, zu einer Kombination mehrerer Präparate gekommen ist und deshalb auch Interaktionswirkungen nicht von vornherein ausgeschlossen werden können. Jedenfalls werden solche Phänomene in der suchtmedizinischen Literatur beschrieben und mit der Empfehlung verbunden, eine gesonderte psychiatrische Betrachtung des Störungsbildes vorzunehmen (dazu Tretter, Suchtmedizin, 3. Aufl., 2.6.4 "Psychiatrische Komorbidität").

Nach Auffassung des Gerichts kann in Fällen wie diesen, die Maßregelunterbringung ferner dann aber auch nicht ohne weitergehende vollzugsrechtliche Überprüfungen, die gegebenenfalls nach § 8 Abs. 1, 9 Abs. 1, 8 Abs. 6 MVollzG-LSA im Zusammenwirken der Maßregelklinik mit ihrer Aufsichtsbehörde und der zuständigen Vollzugsbehörden zu leisten wären, beurteilt werden, weil das Gericht nicht ausschließen kann, dass die noch vorzunehmenden psychiatrischen Untersuchungen auch zu einem günstigen Bild führen können. Denn vor dem Hintergrund des insgesamt rückfallfreien Verlaufs, fehlender Lockerungsmissbräuche und der gezeigten Compliance des Verurteilten, kann im Hinblick auf die Möglichkeit anderweitiger Therapieweisungen möglicherweise auch eine Gesamterledigung der bisherigen Vollstreckung in Erwägung gezogen werden, weshalb der Auftrag an den Sachverständigen sich nicht nur auf die Abklärung der psychiatrischen Dimensionen des Falles beschränken kann, sondern sich auch auf die damit verbundenen praktischen Fragen erstrecken muss.

II.

Das Maßregelvollzugsgesetz des Landes unterscheidet in § 8 Abs. 1 jedenfalls diejenige Behandlung der Erkrankung, die zur Unterbringung geführt hat und die zu behandeln ist, von der in § 9 Abs. 1 MVollzG geregelten weiteren gesundheitlichen Betreuung, nach den am Ort der Unterbringung geltenden Vorschriften für die allgemeine Ortskrankenkasse. Das MVollzG-LSA verschafft der Maßregelklinik deshalb bereits während des laufenden Vollzugs nach § 8 Abs. 6 MVollzG-LSA ausdrücklich die Möglichkeit, mit Einwilligung der Aufsichtsbehörde und der Vollstreckungsbehörde zu prüfen, ob eine wegen einer weiteren als schwer anzusehenden Erkrankung notwendige Behandlung von der Maßregelklinik durchgeführt werden kann oder der Verurteilte in ein geeignetes Krankenhaus, das auch den Sicherungsinteressen der Allgemeinheit Rechnung tragen kann, zu verlegen wäre (§ 8 Abs. 6 S. 1 und 2 des MVollzG des Landes).

Es liegt auf der Hand, dass, bei rechtem Licht besehen, mit diesem Instrument auch Zielkonflikte zwischen den Belangen des Gesundheitsschutz des Verurteilten einerseits, als auch den organisatorischen Belangen der Maßregelklinik betreffend ihrer klinikeigenen, modulartig aufgebauten Therapieorganisation andererseits, Rechnung getragen werden kann. Denn wenn sich der Verlauf so darstellen würde, dass nach Aufklärung der Gesundheitsfrage sowohl den widerstreitenden Belangen, als auch den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit mit einer gesonderten Therapieweisung verbundenen Bewährungsentscheidung Rechnung getragen werden könnte, liegt es ebenso auf der Hand, dass die noch erforderlichen therapeutischen Zielstellungen nur unter Verkennung der wertsetzenden Bedeutung des Gesundheitsschutzes des Verurteilten an den gesetzlichen Höchstfristen der Unterbringungsdauer in der Maßregelklinik scheitern können.

Denn wäre der Untergebrachte in der Lage, wie bisher, auch außerhalb des Maßregelvollzugs die erforderliche Compliance aufzubringen, konzentrieren sich die verbleibenden Fragen auf die Abklärung des fortbestehenden therapeutischen Bedarfs und der Organisierbarkeit dieses Bedarfs im Rahmen einer Therapieweisung. Deshalb kann die Maßregel bis zur Beantwortung dieser Frage auch nicht erledigt erklärt werden. Denn für die Aufklärung der Sach- und Fachfragen ist bis zum 12.6.2021 allemal ausreichend Zeit vorhanden.

Dem entspricht bislang auch das Anliegen der Staatsanwaltschaft, die zu Recht der Gesundheit und dem therapeutischen Erfolg des Verurteilten den Vorrang eingeräumt hat (vgl. Verfügung vom 7.3.2019, Bl. 88 d.A.).

b) Im Übrigen ist es Sache der Maßregelklinik, unter Berücksichtigung der aufgezeigten, aus dem MVollzG-LSA folgenden rechtlichen Möglichkeiten den weiteren Behandlungsverlauf des Verurteilten zu gestalten. Dieser ist jedenfalls, wie seine Schreiben und die Anhörung ergeben hat, entsprechend seines bisherigen günstigen Verlaufs, weiterhin an seinen gesundheitlichen Verhältnissen in hohem Maße interessiert.

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