VG Gießen, Beschluss vom 21.01.2021 - 8 K 4149/18.GI
Fundstelle
openJur 2021, 4705
  • Rkr:

Verweist ein Rechtsmittelgericht das Verfahren an ein Gericht einer niedrigeren prozessualen Instanz eines anderen Rechtswegs (sog. Diagonalverweisung) - hier: Landgericht als Berufungsinstanz an Verwaltungsgericht als erstinstanzliches Gericht¬ -, ist für die Festsetzung der vor dem zuerst angerufenen Gericht angefallenen Kosten der Streitwert maßgeblich, der vom empfangenden Gericht (hier dem Verwaltungsgericht) festgesetzt worden ist.

Tenor

Unter Abänderung des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 11. März 2020 in dem Verwaltungsstreitverfahren 8 K 4149/18.GI werden die von der Erinnerungsgegnerin an die Erinnerungsführerin zu erstattenden Kosten auf 4.363,49 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 17.02.2020 festgesetzt.

Die Kosten des Erinnerungsverfahrens hat die Erinnerungsgegnerin zu tragen. Gerichtsgebühren werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Die Erinnerungsführerin wendet sich gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss der Kostenbeamtin des hiesigen Gerichts.

Im Ausgangsverfahren erhob die Erinnerungsgegnerin gegen die Erinnerungsführerin Klage beim Amtsgericht C-Stadt auf Unterlassung einer bestimmten Äußerung (Az.: 32 C 356/17). Mit Versäumnisurteil vom 27.07.2017 gab das Amtsgericht C-Stadt der Klage antragsgemäß statt. Auf den Einspruch der Erinnerungsführerin wurde mit Urteil vom 21.12.2017 das Versäumnisurteil vom 27.07.2017 überwiegend aufrechterhalten und der Erinnerungsführerin wurden die Kosten des Verfahrens auferlegt. Eine förmliche Streitwertfestsetzung durch das Amtsgericht C-Stadt erfolgte nicht. Der vor Zustellung der Klage angeforderten Vorschusszahlung lag ein Streitwert von 3.000 Euro zugrunde.

Auf die Einlegung der Berufung durch die Erinnerungsführerin hob das Landgericht N-Stadt mit Beschluss vom 24.05.2018 das Versäumnisurteil des Amtsgerichts C-Stadt vom 27.07.2017 sowie dessen Urteil vom 21.12.2017 auf, erklärte den angerufenen Rechtsweg vor den Zivilgerichten für unzulässig und verwies den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Gießen (Az.: 3 S 4/18). Das Gericht entschied weiterhin, dass die Kosten des Berufungsverfahrens die Erinnerungsgegnerin zu tragen habe und setzte den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 3.000 Euro fest. Die von dem Bevollmächtigten der Erinnerungsgegnerin gegen diesen Beschluss erhobene sofortige Beschwerde verwarf das Oberlandesgericht O-Stadt mit Beschluss vom 08.08.2018 (Az.: 1 W 39/18).

Mit Urteil vom 04.02.2020 wies das hiesige Gericht die Klage ab und entschied, dass die Kosten des Verfahrens die Erinnerungsgegnerin zu tragen habe (Az.: 8 K 4149/18.GI). In der mündlichen Verhandlung wurde der Streitwert auf 15.000 Euro festgesetzt.

Mit Schriftsatz vom 17.02.2020 beantragte der Bevollmächtigte der Erinnerungsführerin, nachfolgend berechnete Gebühren und Auslagen gegen die Erinnerungsgegnerin festzusetzen und auszusprechen, dass der festzusetzende Betrag ab Antragstellung mit fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen ist:

Geb.Nr.

Satz

Bezeichnung

Gebühr

3100

1,3

Verfahrensgebühr AG C-Stadt (32 C 356/17) aus einem Gegenstandswert von € 15.000,00

€ 845,00

3104

1,2

Terminsgebühr AG C-Stadt (32 C 356/17) aus einem Gegenstandswert von € 15.000,00

€ 780,00

7002

Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen

€ 20,00

3200

1,6

Verfahrensgebühr Berufungsverfahren N-Stadt (3 S 4/18) aus einem Gegenstandswert von € 3.000,00

€ 321,60

7002

Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen

€ 20,00

3100

1,3

Verfahrensgebühr VG Gießen (8 K 4149/18.GI) aus einem Gegenstandswert von € 15.000,00

€ 845,00

3104

1,2

Terminsgebühr VG Gießen (8 K 4149/18.GI) aus einem Gegenstandswert von € 15.000,00

€ 780,00

7002

Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen

€ 200,00

7003

fiktive Fahrtkosten von C-Stadt nach Gießen (tatsächliche Anreise aus Saarbrücken): 2 x 17 km x 0,30 €/km

€ 10,20

7005

Tage- und Abwesenheitsgeld bei einer eintägigen Geschäftsreise (Abwesenheit bis zu 4 Stunden)

€ 25,00

Zwischensumme netto

€ 3.666,80

7008

19,00 % Umsatzsteuer hieraus

€ 696,69

Gesamtsumme brutto

€ 4.363,49

Zur Begründung trug der Bevollmächtigte der Erinnerungsführerin vor, das Verfahren vor dem Amtsgericht C-Stadt und das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Gießen seien zwei verschiedene Rechtszüge, da das Landgericht N-Stadt die Sache als Gericht zweiter Instanz an das Verwaltungsgericht Gießen als Gericht erster Instanz im Wege der sog. Diagonalverweisung gemäß § 20 Satz 2 RVG (zurück-)verwiesen habe. Der vom Verwaltungsgericht Gießen festgesetzte Gegenstandswert von 15.000,00 Euro gelte auch rückwirkend für das amtsgerichtliche Verfahren, da Werterhöhungen im Gegensatz zu Wertreduzierungen bei der Berechnung der Gebühren für das Erstverfahren zu berücksichtigen seien. Eine Anrechnung der Verfahrensgebühr des amtsgerichtlichen Verfahrens auf die Verfahrensgebühr des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nach Vorbem. 3 Abs. 6 VV-RVG finde nicht statt, da das Gericht, an das verwiesen wurde - vorliegend das Verwaltungsgericht Gießen -, mit der Sache noch nicht befasst war.

Mit Schriftsatz vom 20.02.2020 nahm der Bevollmächtigte der Erinnerungsgegnerin zum Kostenfestsetzungsantrag Stellung. Er trug im Wesentlichen vor, der Streitwert für das Verfahren vor dem Amtsgericht C-Stadt sei von dort mit 3.000 Euro festgesetzt worden und daher auch im Rahmen der Kostenfestsetzung maßgebend. Die Höhe sei durch das Landgericht N-Stadt bestätigt worden. Im Falle der Diagonalverweisung seien grundsätzlich Wertänderungen (nach oben) zu beachten, die aber nur für die weitere Tätigkeit beim Empfangsgericht von Bedeutung seien. Die Streitwertfestsetzung durch das Verwaltungsgericht betreffe ausschließlich das verwaltungsgerichtliche Verfahren und nicht das Erstverfahren.

Mit Beschluss vom 11.03.2020 setzte die Kostenbeamtin des Gerichts aufgrund des vorläufig vollstreckbaren Urteils des hiesigen Gerichts vom 04.02.2020 die von der Erinnerungsgegnerin an die Erinnerungsführerin zu erstattenden Kosten auf 3.027,72 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 Abs. 1 Satz 1 BGB seit dem 17.02.2020 fest.

Ausweislich der beigefügten Berechnung wurden die 1,3-fache Verfahrensgebühr sowie die 1,2-fache Terminsgebühr für das Verfahren vor dem Amtsgericht C-Stadt aus einem Gegenstandswert von 3.000 Euro und nicht - wie vom Bevollmächtigten der Erinnerungsführerin beantragt - aus einem Gegenstandswert von 15.000 Euro berechnet. Zur Begründung führte die Kostenbeamtin in dem Beschluss aus, dass es sich vorliegend um eine sog. Diagonalverweisung nach § 20 Satz 2 RVG handele und demnach das weitere Verfahren vor dem Verwaltungsgericht gegenüber dem Verfahren vor dem Amtsgericht C-Stadt eine eigene Angelegenheit sei. Eine Anrechnung der Gebühren finde nicht statt. Eine nachträgliche Erhöhung des Gegenstandswertes für das Verfahren vor dem Amtsgericht C-Stadt scheide aus. Im Falle einer Horizontalverweisung sei bei dem Gericht, an das verwiesen worden sei und der Gegenstandswert höher sei, der höhere Gegenstandswert maßgeblich, aber auch unter entsprechender Anrechnung. Die Kostenentscheidung des Verwaltungsgerichts betreffe bezüglich des Streitwertes das verwaltungsgerichtliche Verfahren. Eine konkrete Aussage über Mehrkosten sei in der Kostengrundentscheidung vom 04.02.2020 nicht getroffen worden. Daher seien die Gebühren des Amtsgerichts C-Stadt ausgehend von einem Gegenstandswert von 3.000 Euro berücksichtigt und die Mehrwertsteuer entsprechend gekürzt geworden. Im Übrigen werde auf die Ausführungen der Erinnerungsgegnerin Bezug genommen.

Am 11.03.2020 hat der Bevollmächtigte der Erinnerungsführerin für diese einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt.

Er trägt vor, die im angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss vorgenommenen Absetzungen seien zu Unrecht erfolgt. Insbesondere seien die Gebühren des amtsgerichtlichen Verfahrens aus dem von der erkennenden Kammer festgesetzten Streitwert von 15.000 Euro zu berechnen. Die Kostenbeamtin verkenne zunächst, dass die von ihr vorgenommene Berechnung aus einem Streitwert von 3.000,00 Euro schon deshalb ausscheide, weil es an einer diesbezüglichen Streitwertfestsetzung fehle; eine solche habe das Amtsgericht nicht vorgenommen. Der von der Kostenbeamtin der Berechnung zugrunde gelegte Wert hänge daher - bildlich gesprochen - in der Luft. Die einzige den ersten Rechtszug betreffende Streitwertfestsetzung sei durch die erkennende Kammer erfolgt, sodass diese Festsetzung - in Ermangelung einer anderweitigen - auch für das amtsgerichtliche Verfahren maßgeblich sei. Selbst wenn das Amtsgericht den Gebührenstreitwert tatsächlich auf 3.000,00 Euro festgesetzt hätte, wäre dies durch den Streitwertbeschluss der erkennenden Kammer überholt. Im Falle einer Diagonalverweisung seien nach allgemeiner Meinung Werterhöhungen im Gegensatz zu Wertreduzierungen bei der Berechnung der Gebühren für das Erstverfahren regelmäßig zu berücksichtigen. Dies sei auch einleuchtend, denn der Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens sei beim Amtsgericht genau derselbe wie vor der erkennenden Kammer gewesen; die falsche Sachbehandlung durch das Amtsgericht ändere daran nichts. Wenn sich durch die Verweisung von einem Gericht zum anderen aber der Streitgegenstand nicht ändere, könne sich genauso wenig sein Wert ändern. Dieser habe sich von Anfang an auf die nunmehr festgesetzten 15.000 Euro belaufen. Aus der Kostengrundentscheidung des erkennenden Gerichts ergebe sich nichts anderes, denn die "Kosten des Verfahrens" seien sämtliche von der Rechtshängigkeit bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits angefallenen Verfahrenskosten, also auch die Kosten des Verfahrens vor dem Amtsgericht. Vor diesem Hintergrund sei nicht erkennbar, weshalb das Gericht eine einheitliche Kostenentscheidung für das verwaltungsgerichtliche und das amtsgerichtliche Verfahren treffe, jedoch eine Streitwertfestsetzung nur für das verwaltungsgerichtliche Verfahren vornehmen sollte, zumal das Amtsgericht - wie ausgeführt - überhaupt keinen Streitwert festgesetzt habe. Die Ausführungen der Kostenbeamtin zur Horizontalverweisung seien unzutreffend, weil es sich vorliegend um eine Diagonalverweisung handele.

Die Erinnerungsführerin beantragt,

weitere 1.335,77 Euro zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit ursprünglicher Antragstellung gegen die Erinnerungsgegnerin festzusetzen.

Die Erinnerungsgegnerin hat keinen ausdrücklichen Antrag gestellt.

Sie bezieht sich auf ihre bisherigen Ausführungen. Ergänzend trägt sie vor, dass eine förmliche Streitwertfestsetzung durch das Amtsgericht C-Stadt zwar nicht erfolgt sei, dies aber auch nicht erforderlich sei. Die Gerichtskosten seien nach einem Wert von 3.000 Euro berechnet worden und auch das Landgericht N-Stadt sei in seinem Beschluss vom 24.05.2018 von diesem Wert ausgegangen.

Die Kostenbeamtin hat der Erinnerung nicht abgeholfen und das Verfahren dem Richter zur Entscheidung vorgelegt.

Die Kammer hat dem Amtsgericht C-Stadt die Gerichtsakte mit der Anregung übersandt, den Streitwert für das Verfahren vor dem Amtsgericht C-Stadt förmlich festzusetzen. Das Amtsgericht C-Stadt teilte daraufhin dem hiesigen Gericht unter Verweis auf den Beschluss des OVG Lüneburg vom 10.07.2020 - 4 OA 120/20 - mit, dass eine förmliche Streitwertfestsetzung aufgrund der Unzuständigkeit gemäß § 17a GVG nicht erfolgen könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.

II.

Zur Entscheidung über die Erinnerung ist die Kammer berufen, da diese die der Kostenfestsetzung zugrundeliegende Kostenentscheidung getroffen hat (vgl. Happ, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 165 Rn. 7).

Der gemäß §§ 11 Abs. 3 RVG, 165 VwGO i.V.m. §§ 151, 147 VwGO analog statthafte und auch im Übrigen zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist begründet.

In dem angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss vom 11.03.2020 ist zu Unrecht eine 1,3-fache Verfahrensgebühr und eine 1,2-fache Terminsgebühr für das Verfahren vor dem Amtsgericht C-Stadt aus einem Streitwert von 3.000 Euro festgesetzt worden. Richtigerweise ist insoweit von einem Streitwert von 15.000 Euro auszugehen.

Das Gericht folgt der Argumentation der Erinnerungsführerin, wonach der vom hiesigen Gericht festgesetzte Streitwert in Höhe von 15.000 Euro auch für die Berechnung der vor dem Amtsgericht C-Stadt angefallenen Kosten maßgeblich ist. Dafür spricht zum einen, dass im Falle einer Verweisung - es handelt sich hier um eine sog. Diagonalverweisung i.S.d. § 20 Satz 2 RVG, weil das Landgericht als Rechtsmittelgericht den Rechtsstreit an das erstinstanzliche Verwaltungsgericht verwiesen hat - das Gericht des zulässigen Rechtsweges (hier das Verwaltungsgericht) den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten prüft (§ 17 Abs. 2 Satz 1 GVG). Daneben ist der Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung zu beachten, wonach über die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten, die beim zuerst angegangenen Gericht angefallen sind, in der Endentscheidung des empfangenden Gerichts entschieden wird (§ 17b Abs. 2 Satz 1 GVG; vgl. auch Zimmermann, in: MüKo ZPO, 5. Aufl. 2017, § 17b GVG Rn. 9). Zum anderen war der Klagegegenstand vor dem Amtsgericht C-Stadt derselbe wie der vor dem hiesigen Gericht.

Die von der Erinnerungsführerin geltend gemachten Kosten sind auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Insofern wird auf die o.a. Berechnung verwiesen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Für das Erinnerungsverfahren sind Gerichtskosten nicht vorgesehen, so dass das Erinnerungsverfahren gerichtskostenfrei ist.

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