VG Darmstadt, Beschluss vom 18.09.2020 - 6 O 1493/20.DA
Fundstelle
openJur 2021, 4404
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag auf Erlass einer richterlichen Durchsuchungsanordnung wird abgelehnt.

Gründe

Der Antrag

zwecks Ergreifung und anschließender Abschiebung des Antragsgegners zu 1. die Durchsuchung der Wohnung der Antragsgegner zu 1. - 4. sowie der der Antragsgegnerin zu 5. gehörenden Nebenräume, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderen befriedeten Besitztums anzuordnen,

hat keinen Erfolg.

Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist gemäß § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Rechtsgrundlage und damit streitentscheidende Norm für den Erlass der begehrten Durchsuchungsanordnung ist § 58 Abs. 6 und 8 AufenthG und damit eine Vorschrift des öffentlichen Rechts. Eine abdrängende Sonderzuweisung existiert insoweit nicht. Die Vorschriften des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) betreffend die Durchsuchung von Wohnungen und die dort in § 39 Abs. 1 S. 2 HSOG geregelte Zuständigkeit der Amtsgerichte enthalten im Vergleich zur spezialgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage des § 58 AufenthG keine weitergehenden Regelungen im Sinne von § 58 Abs. 10 AufenthG und sind dementsprechend nicht vorrangig heranzuziehen (vgl. VG Gießen, Beschluss vom 26.11.2019, 6 N 4595/19, Rn. 2, juris).

Auch wenn der Antragsteller die Antragsgegner nicht eindeutig bezeichnet hat, ist der Antrag wohlwollend dahingehend auszulegen, dass er sich gegen sämtliche im Rubrum bezeichneten Personen richtet. Die Antragsgegner zu 1. - 4. bewohnen die Wohnung, die der Antragsteller zu durchsuchen begehrt. Dabei sind die minderjährigen Töchter der Antragsgegner zu 1. und 2. ebenfalls als Antragsgegnerinnen zu bezeichnen, weil das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG auch ihnen zusteht. Art. 13 Abs. 1 GG berechtigt jeden Inhaber oder Bewohner eines Wohnraums, unabhängig davon, auf welchen Rechtsverhältnissen die Nutzung des Wohnraums beruht (BVerfG, Urteil vom 03.03.2004, 1 BvR 2378/98, 1084/99, "großer Lauschangriff", BVerfGE 109, 279, 326). Bei mehreren Bewohnern steht das Grundrecht jedem einzelnen und bei Familien jedem Familienmitglied zu (BVerfG, a.a.O.). Aufgrund des Menschenwürdebezugs kommt es auf die Grundrechtsmündigkeit nicht an (Kluckert in BeckOK GG, 43. Ed. 15.5.2020, Art. 13 Rn. 4; a.A. Kühne in Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 13 Rn. 17 Fußnote 43, beide beck-online).

Das Verwaltungsgericht Darmstadt ist gemäß § 52 Nr. 1 VwGO örtlich zuständig. Die Wohnung der Antragsgegner zu 1. - 4. und die Geschäfts- und sonstigen Räume des Antragsgegners zu 5. liegen im Landkreis Z und damit nach § 1 Abs. 2 Nr. 1

HessAGVwGO im Gerichtsbezirk des entscheidenden Gerichts. § 6 HessAGVwGO ist nicht einschlägig, weil es sich vorliegend nicht um eine Streitigkeit nach dem Asylgesetz handelt, obwohl der Antragsgegner zu 1. aufgrund einer Abschiebungsandrohung aus einer ablehnenden Entscheidung über seinen Asylantrag abgeschoben werden soll. Die begehrte Durchsuchungsanordnung soll nicht im Rahmen des Asylverfahrens, sondern im ausländerrechtlichen Vollstreckungsverfahren ergehen (zur Trennung zwischen Asylverfahren und Vollzug siehe BVerwG, Urteil vom 25.09.1997, 1 C 6/97, Rn. 17-19). Das Verfahren der Aufenthaltsbeendigung steht insoweit nicht in funktioneller Einheit mit der Entscheidung über die Berechtigung des Antragsgegners zu 1. auf internationalen Schutz oder Asyl. Dem Bundesamt werden zwar in § 34a AsylG maßgebliche Entscheidungskompetenzen zugeschrieben (darauf hinweisend VG Darmstadt, Beschluss vom 01.10.2018, 5 L 1897/18.DA), doch sind dies nur punktuelle Übertragungen von Kompetenzen für das Vollstreckungsverfahren. Grundsätzlich hat der Gesetzgeber die Durchsetzung der Ausreisepflicht nach erfolglosem Asylverfahren bewusst der für die Abschiebung zuständigen Behörde auf der Grundlage der Regelungen des allgemeinen Ausländerrechts überlassen (sich dem BVerwG anschließend OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 12.05.2011, 2 M 23/11, Rn. 12; OVG Thüringen, Beschluss vom 17.02.2005, 3 EO 1424/04, Rn. 1; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 06.12.1999, 13 S 514/99, Rn. 1; OVG Hamburg, Beschluss vom 05.01.1998, Bs VI 91/97, Rn. 7, alle juris).

Der Antrag ist unbegründet. Nach § 58 Abs. 6 S. 1 AufenthG kann die die Abschiebung durchführende Behörde eine Durchsuchung der Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung vornehmen, soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert. Bei anderen Personen sind Durchsuchungen nur zur Ergreifung des abzuschiebenden Ausländers zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass der Ausländer sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet, § 58 Abs. 6 S. 2 AufenthG. Gemäß § 58 Abs. 6 S. 3, Abs. 5 S. 2 AufenthG umfasst die Wohnung die Wohn- und Nebenräume, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderes befriedetes Besitztum. Durchsuchungen nach § 58 Abs. 6 AufenthG bedürfen gemäß § 58 Abs. 8 S. 1 AufenthG i.V.m. Art. 13 Abs. 2 GG der richterlichen Anordnung.

Die Voraussetzungen für eine solche Anordnung liegen nicht vor. Die Durchsuchungen nach § 58 Abs. 6 S. 1 und S. 2 AufenthG setzten jeweils voraus, dass sie für die Durchführung der Abschiebung erforderlich sind. Diese Voraussetzung folgt aus Art. 13 Abs. 1 GG, der nicht nur den Antragsgegner zu 1. als abzuschiebende Person schützt, sondern insbesondere auch seine Partnerin und die gemeinsamen Kinder, die Antragsgegner zu 2. - 4., die mit dem Antragsgegner zu 1. in einer Wohnung zusammenleben und als Dritte in ihrem Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung betroffen wären. Auch die nicht allgemein zugänglichen Geschäftsräume des Antragsgegners zu 5., bei dem der Antragsgegner zu 1. arbeiten soll, sind vom Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG erfasst (vgl. Papier in Maunz/Dürig, GG, 90. EL Februar 2020, Art. 13 Rn. 10, beck-online).

Ein milderes, gleich wirksames Mittel als die Wohnungsdurchsuchung zur Durchführung der Abschiebung darf nicht ersichtlich sein. Anders gewendet muss davon auszugehen sein, dass der betroffene Ausländer sich seiner Abschiebung entziehen würde. Die Durchsuchung der Wohnung, die er mit seiner Partnerin und den gemeinsamen Kindern bewohnt, sowie der nicht allgemein zugänglichen Räumlichkeiten des Antragsgegners zu 5. muss in diesem Sinne notwendig sein.

Diese Notwendigkeit hat der Antragsteller nicht ausreichend dargetan. Der mit einer Durchsuchung einhergehende tiefe Eingriff in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 Abs. 1 GG zulasten aller Antragsgegner, insbesondere der Antragsgegnerinnen zu 2. - 4., ist nicht erforderlich. Nach dem Vortrag des Antragstellers scheiterte die Aufenthaltsbeendigung bislang an den fehlenden Reisedokumenten des Antragsgegners zu 1. Dieses Hindernis besteht nicht mehr, weil der aktuell gültige Reisepass des Antragsgegners zu 1. nach dem Vortrag des Antragstellers seit dem 05.09.2019 den zuständigen Behörden vorliegt.

Auch sonst ist nicht ersichtlich, dass eine Wohnungsdurchsuchung erforderlich wäre, um die Abschiebung des Antragsgegners zu 1. durchführen zu können. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass sich der Antragsgegner zu 1., dessen Asylantrag mit Bescheid vom 23.07.2010 abgelehnt wurde, seit inzwischen zehn Jahren im Bundesgebiet aufhält, ohne einen dafür erforderlichen Aufenthaltstitel zu besitzen. Er wird seither geduldet, seine derzeitige Duldung ist noch bis zum 30.09.2020 gültig. Weiterhin hat der Antragsgegner zu 1. bis zur Geburt seines ersten Kindes seinen Nationalpass verheimlicht und trotz vielfacher Aufforderung nicht zur Klärung seiner Identität beigetragen. Gegen die räumlichen Beschränkungen seiner Duldungen hat er mehrfach verstoßen. Seine Anträge auf Umverteilung zu seiner Partnerin und seiner ersten Tochter vom 27.11.2017 und vom 29.08.2018 wurden von der inzwischen zuständigen Ausländerbehörde abgelehnt.

Allerdings legte der Antragsgegner zu 1. nach der Geburt seiner ersten Tochter am 08.05.2018 seinen damals bereits abgelaufenen Nationalpass zusammen mit der Geburtsurkunde seiner ersten Tochter vor. Am 24.12.2018 wurde für den Antragsgegner zu 1. ein neuer Reisepass ausgestellt, den er am 05.09.2019 bei der damals zuständigen Ausländerbehörde V abgab und der sich inzwischen bei der Hessischen Bereitschaftspolizei zwecks Durchführung der Abschiebung befindet. Am 22.06.2020 stimmte die nun zuständige Ausländerbehörde dem Umzug des Antragsgegners zu 1. zu. Nach den vom Antragsteller vorgelegten Unterlagen ist der Antragsgegner zu 1. unter der Adresse gemeldet, an der er zusammen mit seiner Familie wohnt. Dort zog er laut den Daten der Meldebehörde am 05.06.2020 ein. Der Antragsgegner zu 1. hat laut Mitteilung der zuständigen Ausländerbehörde vom 28.08.2020 inzwischen einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG gestellt. Daraus ergibt sich das Bild eines Ausländers, der sich zwar über einen sehr langen Zeitraum illegal im Bundesgebiet aufhielt und sich in diesem Zeitraum auch seiner Aufenthaltsbeendigung widersetzte, doch inzwischen, nach der Geburt seiner Kinder, die Legalisierung seines Aufenthalts erstrebt. Augenscheinlich führte die Geburt der Kinder zu einer Zäsur im Verhalten des Antragsgegners zu 1., die sich auch daran zeigt, dass sein aktuell gültiger Reisepass den Behörden vorliegt.

Vor diesem Hintergrund kann nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass der Antragsgegner zu 1. sich seiner Abschiebung derartig widersetzen wird, dass eine Durchsuchung der Wohnräume, in denen er zusammen mit den Antragsgegnern zu 2. - 4. wohnt, sowie der Räume seines Arbeitgebers erforderlich ist. Insbesondere hat der Antragsteller nicht dargelegt, dass bereits Abschiebungsmaßnahmen zulasten des Antragsgegners zu 1. gescheitert wären, weil dieser sich seither durch Untertauchen o.ä. der Aufenthaltsbeendigung entzogen hätte. Vielmehr wohnt der Antragsgegner zu 1. an der den Behörden bekannten Adresse. Außerdem liegt den jeweils zuständigen Behörden der erforderliche Reisepass seit dem 05.09.2019 vor und ist der Antragsgegner zu 1. offensichtlich in Kontakt mit der jetzt zuständigen Ausländerbehörde, weil er ein Verfahren zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis angestrengt hat. Als milderes Mittel anstelle einer Wohnungsdurchsuchung drängt sich nicht nur das bloße Betreten der Wohnung der Antragsgegner zu 1. - 4. oder der Geschäftsräume des Antragsgegners zu 5. auf, sondern auch die Vorladung des Antragsgegners zu 1. zum Zwecke seiner Abschiebung. Weiterhin sieht § 58 Abs. 4 S. 1 AufenthG vor, dass die die Abschiebung durchführende Behörde befugt ist, einen Ausländer zum Zweck der Abschiebung zum Flughafen oder Grenzübergang zu verbringen und ihn zu diesem Zweck kurzzeitig festzuhalten. Dass solche Maßnahmen erfolglos versucht wurden, ist nicht vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich. Angesichts dessen erscheint der tiefe Eingriff in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 Abs. 1 GG zulasten aller Antragsgegner, insbesondere der Antragsgegnerinnen zu 2. - 4., nicht erforderlich.

Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich. Gerichtskosten fallen mangels eines Gebührentatbestandes im Kostenverzeichnis (Anlage 1) zum Gerichtskostengesetz nicht an. Außergerichtliche Kosten sind angesichts der fehlenden Beteiligung des Antragsgegners an dem Verfahren und dem demgemäß fehlenden kontradiktorischen Charakter des Verfahrens nicht zu erstatten (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 30.09.2019, 2 S 262/19, Rn. 24, juris). Dementsprechend bedarf es auch keiner Festsetzung eines Verfahrenswertes.