BGH, Beschluss vom 19.01.2021 - VI ZR 433/19
Fundstelle
openJur 2021, 4334
  • Rkr:
Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 27. September 2019 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert wird auf bis 25.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger nimmt den beklagten Fahrzeughersteller auf Schadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.

Der Kläger erwarb am 19. Januar 2012 von der Beklagten ein Neufahrzeug vom Typ Mercedes-Benz C 220 CDI zu einem Kaufpreis von 32.106,20 €. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 ausgestattet und unterliegt keinem Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA). Für den Fahrzeugtyp wurde eine Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. L 171 vom 29. Juni 2007, S. 1 ff.; nachfolgend: Verordnung 715/2007/EG) mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt.

Die Abgasreinigung erfolgt im streitgegenständlichen Fahrzeug über die Abgasrückführung. Dabei wird ein Teil der Abgase wieder der Verbrennung im Motor zugeführt, was zu einer Verringerung der Stickoxidemissionen führt. Die Abgasrückführung wird bei kühleren Außentemperaturen reduziert ("Thermofenster"), wobei zwischen den Parteien streitig ist, bei welchen Außentemperaturen dies der Fall ist. Eine Abgasnachbehandlung in Form der Selective Catalytic Reduction (SCR) findet nicht statt.

Der Kläger behauptet, die Motorsteuerung reduziere bei einstelligen positiven Außentemperaturen die Abgasrückführung und schalte sie schließlich ganz ab. Dies führe zu einem erheblichen Anstieg der Stickoxidemissionen. Die Beklagte habe diese Funktion, die als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren sei, dem KBA gezielt vorenthalten und verschleiert. Mit der Klage begehrt er zuletzt die Zahlung von 22.208,71 € (Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsentschädigung) nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung, dass sich die Beklagte im Annahmeverzug befindet sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen.

II.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht dem Kläger ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte wegen der Nutzung eines Thermofensters nicht zu. Vertragliche Ansprüche seien verjährt. Ein Anspruch aus § 826 BGB scheide mangels vorsätzlichen Verhaltens der für die Beklagte handelnden Personen aus. Ein - auch nur bedingter - Vorsatz in Bezug auf die Sittenwidrigkeit, die der Kläger aus der Rechtswidrigkeit des "Temperaturfensters" herleite, könne nicht angenommen werden. Allein aus dem bloßen Vorhandensein einer objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug ergebe sich weder der erforderliche Schädigungsvorsatz der Beklagten noch die Sittenwidrigkeit ihres Verhaltens. Bei einer Motorsteuerungssoftware wie dem vorliegend in Rede stehenden Thermofenster, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeite wie auf dem Prüfstand und bei der Gesichtspunkte des Motor- respektive Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft erwogen werden könnten, könne ohne konkrete Anhaltspunkte nicht unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein agiert hätten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Vorsätzliches Handeln könne vielmehr nur dann angenommen werden, wenn über die bloße Kenntnis von dem Einbau einer Einrichtung mit der in Rede stehenden Funktionsweise in den streitgegenständlichen Motor hinaus zugleich auch Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass dies von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschehen sei, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen worden sei. Denn die Gesetzeslage sei hinsichtlich der Zulässigkeit von Thermofenstern nicht eindeutig. Ohne konkrete Anhaltspunkte für ein Bewusstsein und eine billigende Inkaufnahme des - unterstellten - Gesetzesverstoßes könne das Verhalten der Beklagten ferner nicht als besonders verwerflich angesehen werden. Derartige Anhaltspunkte habe der Kläger aber nicht aufgezeigt.

Der neue Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung, wonach die Angaben der Beklagten im Zulassungsantrag unzutreffend oder jedenfalls unvollständig gewesen seien, weil nur die Ladetemperatur als Parameter angeführt worden sei, der die Abgasrückführung beeinflusse, könne gemäß § 531 Abs. 2 ZPO, jedenfalls aber gemäß § 530 ZPO nicht berücksichtigt werden. Gründe, den neuen und streitigen Vortrag zuzulassen, seien weder ersichtlich noch vorgetragen.

Ein Anspruch aus § 826 BGB scheitere aber auch daran, dass der Kläger nicht hinreichend substantiiert dargelegt habe, dass die Abschaltfunktion im Zusammenhang mit Außentemperaturen rechtswidrig sei. Der Vortrag des Klägers beziehe sich auf unterschiedliche Fahrzeugtypen der Beklagten; der streitgegenständliche Fahrzeugtyp sei nicht dabei. Die Behauptung einer temperaturadaptierten Abgasrückführung im Motor OM 651 sei für sich allein genommen nicht geeignet, den Tatbestand der vorliegend allein in Betracht kommenden deliktischen Anspruchsgrundlagen zu bejahen.

Eine Haftung der Beklagten ergebe sich auch weder aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB noch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG oder mit § 6 Abs. 1, § 27 EG-FGV. Die zuletzt genannten Bestimmungen seien keine Schutzgesetze; sie bezweckten nicht den Schutz der Kraftfahrzeugerwerber.

III.

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt, weil es dessen Vortrag im nachgelassenen Schriftsatz vom 16. September 2019 zu den Angaben der Beklagten im Typgenehmigungsverfahren bei der Entscheidung nicht berücksichtigt hat.

1. Art. 103 Abs. 1 GG vermittelt allen an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten einen Anspruch darauf, sich zu dem in Rede stehenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern (vgl. BVerfGE 19, 32, 36; 49, 325, 328; 55, 1, 5 f.; 60, 175, 210; 64, 135, 143 f.). Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, tatsächliche und rechtliche Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (Senatsbeschluss vom 29. Mai 2018 - VI ZR 370/17, VersR 2018, 1001 Rn. 8; BVerfGE 60, 1, 5; 86, 133, 145 f.; BVerfG, Beschluss vom 1. August 2017 - 2 BvR 3068/14, NJW 2017, 3218 Rn. 47). Daraus folgt zwar nicht, dass das Gericht verpflichtet wäre, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu bescheiden (vgl. Senatsbeschluss vom 26. September 2017 - VI ZR 529/16, VersR 2018, 38 Rn. 6; BVerfGE 88, 366, 375 f. mwN). Die wesentlichen, der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen müssen in den Gründen aber verarbeitet werden (vgl. BVerfGE 47, 182, 189). Dies gilt auch bezüglich des in einem fristgerecht eingereichten, nachgelassenen Schriftsatz enthaltenen Vortrags; diesen hat das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen und gegebenenfalls - unter Umständen auch zur Wahrung rechtlichen Gehörs des Gegners - die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen (vgl. § 283 Satz 2 ZPO; BVerfGE 11, 218, 220; BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2019 - VIII ZR 377/18, NJW-RR 2020, 284 Rn. 13; MünchKommZPO/Prütting, 6. Aufl., § 283 Rn. 26; BeckOK ZPO/Bacher, 38. Edition, § 283 Rn. 18 f. [Stand: 1. September 2020]).

2. Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht nicht hinreichend beachtet.

a) Zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) nicht bereits deshalb gegeben sind, weil die Beklagte den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) ausgestattet und in den Verkehr gebracht hat. Dieses Verhalten ist für sich genommen nicht als sittenwidrig zu qualifizieren. Dies gilt auch dann, wenn die Beklagte mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt hat.

aa) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (st. Rspr., s. nur Senatsurteile vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 Rn. 29; vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 15; vom 7. Mai 2019 - VI ZR 512/17, NJW 2019, 2164 Rn. 8; vom 28. Juni 2016 - VI ZR 536/15, NJW 2017, 250 Rn. 16 mwN). Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (Senatsurteile vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 Rn. 29; vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 15; vom 28. Juni 2016 - VI ZR 536/15, NJW 2017, 250 Rn. 16 mwN). Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (Senatsurteile vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 Rn. 29; vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 15; vom 7. Mai 2019 - VI ZR 512/17, NJW 2019, 2164 Rn. 8 mwN).

Ob das Verhalten des Anspruchsgegners sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB ist, ist dabei eine Rechtsfrage, die der uneingeschränkten Kontrolle des Revisionsgerichts unterliegt (Senatsurteile vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 14; vom 7. Mai 2019 - VI ZR 512/17, NJW 2019, 2164 Rn. 8; vom 28. Juni 2016 - VI ZR 536/15, NJW 2017, 250 Rn. 15 mwN).

bb) Nach diesen Grundsätzen reicht der Umstand, dass die Abgasrückführung im Fahrzeug des Klägers nach seinem mangels abweichender Feststellungen revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Sachvortrag durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems bei einstelligen Positivtemperaturen reduziert und letztlich ganz abgeschaltet wird, für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Dabei kann zugunsten des Klägers in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren ist (vgl. zu Art. 5 der Verordnung 715/2007/EG auch EuGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 - C-693/18, Celex-Nr. 62018CJ0693). Wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, wäre der darin liegende Gesetzesverstoß auch unter Berücksichtigung einer damit einhergehenden Gewinnerzielungsabsicht der Beklagten für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Hierfür bedürfte es vielmehr weiterer Umstände.

(1) Entgegen der Auffassung der Revision ist der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems nicht mit der Fallkonstellation zu vergleichen, die dem Senatsurteil vom 25. Mai 2020 (VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179) zugrunde liegt und in der der Senat das Verhalten des beklagten Automobilherstellers gegenüber dem klagenden Fahrzeugkäufer als sittenwidrig qualifiziert hat. Dort hatte der Automobilhersteller die grundlegende strategische Frage, mit welchen Maßnahmen er auf die Einführung der - im Verhältnis zu dem zuvor geltenden Recht strengeren - Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm reagieren würde, im eigenen Kosten- und Gewinninteresse dahingehend entschieden, von der Einhaltung dieser Grenzwerte im realen Fahrbetrieb vollständig abzusehen und dem KBA stattdessen zwecks Erlangung der Typgenehmigung mittels einer eigens zu diesem Zweck entwickelten Motorsteuerungssoftware wahrheitswidrig vorzuspiegeln, dass die von ihm hergestellten Dieselfahrzeuge die neu festgelegten Grenzwerte einhalten. Die Software war bewusst und gewollt so programmiert, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten wurden (Umschaltlogik), und zielte damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde ab (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 16-27). Die mit einer derartigen - evident unzulässigen - Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeuge hatte der Hersteller sodann unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzten, in den Verkehr gebracht (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 17, 23, 25). Ein solches Verhalten steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahr- zeugerwerber in der Bewertung gleich (Senatsurteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Leitsatz 1 und Rn. 23, 25).

Bei dem Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems wie im vorliegenden Fall fehlt es an einem derartigen arglistigen Vorgehen des beklagten Automobilherstellers, das die Qualifikation seines Verhaltens als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts unterscheidet die im streitgegenständlichen Fahrzeug eingesetzte temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Sie weist keine Funktion auf, die bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise. Unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, Geschwindigkeit, Widerstand, etc., vgl. Art. 5 Abs. 3 a) der Verordnung 715/2007/EG i.V.m. Art. 3 Nr. 1 und 6, Anhang III der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 der Kommission vom 18. Juli 2008 zur Durchführung und Änderung der Verordnung 715/2007/EG (ABl. L 199 vom 28. Juli 2008, S. 1 ff.) in Verbindung mit Abs. 5.3.1 und Anhang 4 Abs. 5.3.1, Abs. 6.1.1 der UN/ECE-Regelung Nr. 83 (ABl. L 375 vom 27. Dezember 2006, S. 246 ff.)) entspricht die Rate der Abgasrückführung im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand.

(2) Bei dieser Sachlage wäre der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten nur gerechtfertigt, wenn zu dem - hier unterstellten - Verstoß gegen die Verordnung 715/2007/EG weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, setzt die Annahme von Sittenwidrigkeit jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt. Dabei trägt die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzung nach allgemeinen Grundsätzen der Kläger als Anspruchsteller (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 35).

b) Die Nichtzulassungsbeschwerde wendet sich aber mit Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Kläger habe für ein derartiges Vorstellungsbild sprechende Anhaltspunkte nicht aufgezeigt. Die diesbezügliche Bewertung beruht auf einer Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör.

aa) Ohne Erfolg rügt die Nichtzulassungsbeschwerde allerdings, das Berufungsgericht habe in diesem Zusammenhang den Vortrag des Klägers übergangen, sein Fahrzeug sei Gegenstand einer freiwilligen Kundendienstmaßnahme der Beklagten, mit der lediglich bezweckt werde, eine unzulässige Abschalteinrichtung in Wegfall zu bringen und einen verpflichtenden Rückruf zu vermeiden. Dieser Vortrag ist nicht entscheidungserheblich. Der Kläger hatte in dem von der Nichtzulassungsbeschwerde in Bezug genommenen Schriftsatz vom 2. Juli 2018 vorgetragen, die Beklagte kündige "mittlerweile" freiwillige Servicemaßnahmen an, um einem amtlichen Rückruf durch das KBA zu entgehen. Nach der Intensivierung der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart und des KBA "weite" sie ihre Nachbesserung "nun" massiv aus. Hieraus lassen sich keine Rückschlüsse auf das Vorstellungsbild der Beklagten zum maßgeblichen Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung - spätestens dem Eintritt des behaupteten Schadens in Form des Vertragsschlusses - am 19. Januar 2012 ziehen (vgl. Senatsurteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 Rn. 30, juris).

bb) Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt aber mit Erfolg, dass das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung den Sachvortrag des Klägers nicht berücksichtigt hat, wonach die Beklagte im Typgenehmigungsverfahren unzutreffende Angaben über die Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems gemacht habe. Dabei kann offenbleiben, ob das Berufungsgericht die in der mündlichen Verhandlung vom 23. August 2013 aufgestellte Behauptung des Klägers, die Beklagte habe im Zulassungsantrag nur die Ladelufttemperatur als Parameter angegeben, der die Abgasrückführung beeinflusse, zu Recht nicht zugelassen hat (§ 531 Abs. 2 ZPO).

Wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht beanstandet, hat das Berufungsgericht jedenfalls das Vorbringen des Klägers in seinem nachgelassenen Schriftsatz vom 6. September 2019 gehörswidrig übergangen, mit dem der Kläger unter ausdrücklicher Bezugnahme auf einen von der Beklagten mit Schriftsatz vom 5. August 2019 in einem Parallelverfahren vorgelegten und ein nach seiner Behauptung vergleichbares Fahrzeug betreffenden Typgenehmigungsbogen geltend gemacht hatte, die Beklagte habe im Typgenehmigungsverfahren in Bezug auf die Abgasrückführung lediglich angegeben, diese sei "kennfeldgesteuert"; aus dieser Angabe gehe nicht hervor, ob überhaupt ein anderes Verhalten des Abgasrückführungssystems bei anderen Temperaturen, und wenn ja, welchen, stattfinde. Dieses Vorbringen war von dem dem Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 23. August 2019 gemäß § 283 Satz 1 ZPO gewährten Schriftsatzrecht umfasst. Es steht im Zusammenhang mit dem Vortrag der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 5. August 2019, wonach sie im Rahmen des Typgenehmigungsprozesses die Parameter ausweise, die für die Steuerung des Emissionskontrollsystems relevant seien, und stellt sich als Erwiderung darauf dar (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Februar 2018 - VIII ZR 90/17, NJW 2018, 1686 Rn. 22 ff.; BeckOK ZPO/Bacher, 38. Edition, § 283 Rn. 18 f. [Stand: 1. September 2020]).

Auf dieses Vorbringen ist das Berufungsgericht nicht eingegangen. Ausführungen hierzu in den Entscheidungsgründen waren aber geboten, da es sich aus der insoweit maßgeblichen Sicht des Berufungsgerichts um einen für die Streitentscheidung erheblichen Gesichtspunkt handelt. Hätte die Beklagte im Typgenehmigungsverfahren verschleiert, dass die Abgasrückführungsrate in dem streitgegenständlichen Fahrzeugtyp durch die Außentemperatur mitbestimmt wird, könnten sich hieraus gegebenenfalls Anhaltspunkte für ein Bewusstsein der für die Beklagte handelnden Personen ergeben, eine - hier unterstellt - unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden.

3. Die Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. In jedem Fall wird das Berufungsgericht zunächst der Beklagten Gelegenheit zur Erwiderung auf dieses Vorbringen geben müssen.

4. Das Urteil wird auch nicht durch die Hilfserwägung des Berufungsgerichts getragen, der Kläger habe die Rechtswidrigkeit der temperaturadaptierten Abschaltfunktion nicht hinreichend substantiiert dargetan. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Erfolg, dass diese Beurteilung nur darauf zurückzuführen sein kann, dass das Berufungsgericht entsprechenden Vortrag des Klägers nicht berücksichtigt hat. Sie weist zu Recht darauf hin, dass der Kläger die Funktionsweise der Motorsteuerungssoftware näher dargelegt und in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht konkret begründet hat, warum hierin eine unzulässige Abschalteinrichtung zu sehen sei. Anders als das Berufungsgericht meint, bezog sich sein Vortrag auch nicht lediglich auf andere Fahrzeugtypen der Beklagten. Er hat vielmehr konkret behauptet, in seinem Fahrzeug sei eine unzulässige Abschaltvorrichtung in Gestalt eines Thermofensters verbaut, das die Abgasrückführung bereits bei einstelligen positiven Temperaturen reduziere, wodurch die Stickoxidemissionen im normalen Fahrbetrieb erheblich anstiegen.

Seiters von Pentz Dr. Oehler Dr. Klein Böhm Vorinstanzen:

LG Köln, Entscheidung vom 22.02.2019 - 8 O 85/18 -

OLG Köln, Entscheidung vom 27.09.2019 - 6 U 57/19 -