AG Tiergarten, Beschluss vom 22.01.2021 - 381 XIV 10/21 B
Fundstelle
openJur 2021, 3989
  • Rkr:

Für die Entziehungserklärung (§ 62 Abs. 3a Nr. 6 AufenthG) genügt es nicht, wenn "Würden Sie bei einer Abschiebung Widerstand leisten?" mit "ja" angekreuzt wird. Das Wort "Widerstand" ist verschiedenen Auslegungen fähig und grundsätzlich als aktives Gegenwirken in Anwesenheit zu verstehen; damit spricht es eher gegen eine Flucht.

Tenor

1. Der Haftantrag wird in der Hauptsache und im einstweiligen Anordnungsverfahren als unzulässig zurückgewiesen.

2. D. Betr. ist sofort freizulassen.

3. Die Gerichtskosten und die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Betroffenen trägt das Land Berlin.

Gründe

Die beantragte Haft war sowohl in der Hauptsache als auch im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen, weil der Haftantrag unzulässig ist.

Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist ein Haftantrag nur, wenn er den Vorgaben des § 417 Abs. 2 FamFG entspricht. Darzulegen sind danach die zweifelsfreie Ausreisepflicht, die Abschiebungsvoraussetzungen, die Erforderlichkeit der Haft, der Durchführbarkeit der Abschiebung und die notwendige Haftdauer (§ 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Die Darlegungen dürfen zwar knapp gehalten sein, sich aber nicht in Textbausteinen und Leerformeln erschöpfen (BGH Beschl. v. 20.10.2016 - V ZB 167/14 - juris-Rn. 6; Beschl. v. 27.10.2011 - V ZB 311/10 - InfAuslR 2012, 25 - juris-Rn. 13). Vielmehr müssen alle für die gerichtliche Prüfung wesentlichen Aspekte angesprochen werden. Fehlt es daran, darf eine Haft nicht angeordnet werden (st. Rspr. BGH Beschl. v. 4.7.2019 - V ZB 190/18 - juris-Rn. 5; Beschl. v. 29.4.2010 - V ZB 218/09 - NVwZ 2010, 1508 - juris-Rn. 14).

Diesen Vorgaben genügt der Haftantrag nicht.

Die darin enthaltenen Darlegungen genügen nicht, um den Haftgrund der Fluchtgefahr gem. § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AufenthG zu begründen. Insofern müssen die inhaltlichen Voraussetzungen dargelegt werden und der Antragsteller muss sich mit diesen auseinandersetzen (BGH Beschl. v. 15.9.2011 - V ZB 123/11 - InfAuslR 2012, 25 - juris-Rn. 11).

I.

Gemessen hieran hat der Antragsteller keine Vermutung der Fluchtgefahr gem. § 62 Abs. 3a Nr. 3 AufenthG dargelegt.

Fluchtgefahr wird danach vermutet, wenn die Ausreisefrist abgelaufen ist und der Ausländer seinen Aufenthaltsort trotz Hinweises auf die Anzeigepflicht gewechselt hat, ohne der zuständigen Behörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist. Dabei muss der Aufenthaltswechsel nach Entstehen der Ausreisepflicht und Ablauf der Ausreisefrist erfolgt (BGH, Beschluss vom 19.05.2011 - V ZB 15/11 - InfAuslR 2011, 361 - juris-Rn. 12) und zuvor ein Hinweis auf die mögliche Haftfolge in einer für den Ausländer verständlichen Sprache erteilt worden sein (BGH, Beschluss vom 19.07.2018 - V ZB 223/17 - InfAuslR 2018, 413 - juris-Rn. 14).

Soweit der Antragsteller die maßgebliche Belehrung als Anlage zum Bescheid vom 01.06.2016 darlegt, genügt diese nicht den Anforderungen. Sie ist nämlich ausschließlich in Deutsch verfasst (Bl. 23 der Ausländerakte). Dass d. Betr. dieser Sprache zu diesem Zeitpunkt ausreichend mächtig gewesen wäre, ist nicht dargelegt. Insbesondere reicht hierfür nicht Verweis auf die Angaben der Evangelischen Kirche ggü. der Härtefallkommission. Denn diese verweist lediglich drei Jahre nach 2016 darauf, dass d. Betr. "in all den Jahren gut Deutsch sprechen und lesen gelernt" habe (Bl. 174 der Ausländerakte), aber nicht, wann. Im Übrigen handelt es sich dabei auch nicht um Angaben d. Betr. oder eigene Feststellungen des Antragstellers, die daher verlässlich wären.

Soweit der Antragsteller die maßgebliche Belehrung als Anlage zum Bescheid vom 19.08.2020 darlegt, ist diese zwar auf Deutsch und Albanisch verfasst; schon dies spricht dafür, dass sie auch zuvor auf Albanisch erforderlich gewesen sein dürfte, wenn der Antragsteller 2020 noch von diesem Erfordernis ausging. Es ist nicht dargelegt, dass der Aufenthaltswechsel nach Belehrung erfolgt ist. Vielmehr trägt der Antragsteller ausdrücklich vor, dass d. Betr. "unter seiner damals aktuellen Meldeanschrift bereits seit dem 27.07.20 (!) nicht mehr whft." gewesen sei (Seite 3 des Haftantrages). Ein solcher Aufenthaltswechsel wäre daher vor der Belehrung und nicht nach ihr erfolgt.

II.

Auch hat der Antragsteller keine Vermutung der Fluchtgefahr gem. § 62 Abs. 3a Nr. 6 AufenthG dargelegt.

Fluchtgefahr wird danach vermutet, wenn der Ausländer ausdrücklich erklärt hat, dass er sich der Abschiebung entziehen will. Dies liegt vor, wenn klar zum Ausdruck gebracht wird, dass der Ausländer nicht freiwillig ausreisen und sich auch nicht für eine behördliche Durchsetzung seiner Rückführung zur Verfügung halten würde (BGH, Beschluss vom 23.01.2018 - V ZB 53/17 - InfAuslR 2018, 187 - juris-Rn. 10).

Diese Erklärung ist durch das bloße Ankreuzen zweier Fragen auf dem Personalbogen bei Inhaftierung nicht erfolgt. Zwar ist dort bei der Frage "Sind Sie mit Ihrer Abschiebung in Ihren Heimatstaat einverstanden?" ein "Nein" angekreuzt und bei der Frage "Würden Sie bei der Abschiebung Widerstand leisten?" ein "Ja". Dies ist aber keine unmissverständliche Angabe einer Entziehungsabsicht.

Sollte d. Betr. bei Inhaftierung diese Kreuze selbst gesetzt haben, hätte er mit der ersten Frage lediglich erklärt, dass er nicht zurückreisen wolle und hiermit auch nicht einverstanden sei. Dies ist aber nur der Grund für die Abschiebung gem. §§ 58 ff. AufenthG bzw. eine Erklärung seines Willens und für sich genommen noch kein Haftgrund. Die Erklärung, Widerstand zu leisten, ist zudem zu vage, um auf eine Entziehung schließen zu lassen. Denn bereits der Wortlaut der Frage lässt verschiedene Auslegungen zu. So ist Widerstand auch rechtlich möglich, zB durch Eilantragstellung beim Verwaltungsgericht. Eben dies hat d. Betr. in der Vergangenheit durch vielfältige, obschon erfolglose Nutzung des Verwaltungsrechtsweges ausführlich dokumentiert. Ebenso kann Widerstand rein passiv erfolgen, was für sich genommen ebenfalls kein aktives Entziehen durch zB Untertauchen begründen würde. Passiver Widerstand wäre aber lediglich fehlende Mitwirkung bei der Ausreise und insofern ebenfalls nur der Grund für die Abschiebung als Verwaltungszwangsverfahren, aber kein Haftgrund. Dabei ist das Wort "Widerstand" auch schon dem allgemeinen Sprachgebrauch gemäß auf eine Interaktion zwischen Beteiligten gerichtet; ein Widerstand ggü. Abwesenden wäre sprachlich mindestens schief. Ein vom Antragsteller angenommenes Entziehen würde aber gerade im Erfolgsfalle diese Abwesenheit begründen und daher sprachlogisch gegen einen Widerstand sprechen.

Danach ist die Erklärung in dem Personalbogen nicht eindeutig. Dem Antragsteller stünde es jederzeit frei, den Fragebogen entsprechend zu präzisieren. Insbesondere könnte er zB danach fragen, ob d. Betr. sich für eine behördliche Zwangsmaßnahme zur Verfügung halten oder untertauchen würde. Solange der Antragsteller dies nicht tut, können Zweifel bei der Auslegung nicht zu Lasten d. Betr. gehen. Auch ist nicht ersichtlich, unter welchen Umständen die Erklärung bei der Inhaftierung erfolgt ist und ob tatsächlich d. Betr. die Kreuze allein gesetzt hat oder diese bei einer Befragung mit dem Gericht unbekanntem konkreten Inhalt durch einen sonstigen Mitarbeiter für d. Betr. gesetzt wurden.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 81, 430 FamFG und entsprechend Art. 5 Abs. 5 EMRK. Sie folgt im Rahmen des Ermessens für die Gerichtskosten der Entscheidung in der Sache und berücksichtigt für die außergerichtlichen Kosten, dass kein hinreichender Anlass zur Stellung des Haftantrages bestand.

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