LG Arnsberg, Urteil vom 23.09.2020 - 3 S 2/20
Fundstelle
openJur 2021, 3920
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 28.11.2019 verkündete Urteil des Amtsgerichts Schmallenberg in der Form des Beschlusses vom 09.01.2020 (Aktenzeichen 3 C 103/19) wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin betreibt ein Mietwagenunternehmen in H. Sie verfolgt mit ihrer Klage Ansprüche aus einem Verkehrsunfall, der sich am 16.12.2017 in T ereignete.

Zum Unfallzeitpunkt war die Klägerin Leasingnehmerin eines an dem Unfall beteiligten PKW D. Die Q war Leasinggeberin. Nach dem Unfallereignis erwarb die Klägerin das Fahrzeug zu ihrem Eigentum. Sie macht gegen die Beklagte als Haftpflichtversicherer des unfallverursachenden PKW weitergehenden Schadensersatz geltend. Die 100%-ige Haftung der Beklagten ist dabei unstreitig. In Streit steht allein der Abzug eines Großkundenrabattes im Rahmen einer fiktiven Abrechnung. Die Klägerin rechnete gegenüber der Beklagten auf Grundlage eines Sachverständigengutachtens fiktiv ab. Die Beklagte kürzte die Reparaturkosten pauschal um 15%, mithin 1.060,06 € (dem Klagebetrag). Sie begründete dies damit, dass die Klägerin einen Großkundenrabatt in dieser Höhe erhalte bzw. erhalten könne. Die Klägerin verlangt nunmehr die Zahlung dieses in Abzug gebrachten Betrages.

Die Klägerin hat behauptet, bei der von ihr genutzten Vertragswerkstatt von D, dem Autohaus N, erhalte sie keinerlei Rabatte. Sie habe auch lediglich maximal zwei D-Fahrzeuge im Fuhrpark, sodass sie auch nicht als Großkunde des Autohauses N einzuordnen sei. Sie habe auch mit keiner anderen Werkstatt eine Rabattvereinbarung. Bei ihr würden kaum Reparaturarbeiten anfallen, sodass sie auch keine Rabatte erhalten könne. Sie lease ihre Fahrzeuge lediglich für längstens zwei Jahre, oft nur 4-6 Monate und gebe sie dann zurück. Kleinere Schäden würden nicht repariert, sondern beim sogenannten "Remarketing" am Schluss der Leasingzeit berücksichtigt. Bei einem ernsthaften Unfallschaden würde das Fahrzeug ebenfalls nicht repariert, sondern aus dem Fuhrpark entfernt und entweder an den Leasinggeber zurückgegeben oder aber von diesem erworben und unrepariert weiter veräußert. Dies sei auch im vorliegenden Fall geschehen.

Sie war der Ansicht, selbst wenn Großkundenrabatte gewährt würden, seien diese im Rahmen fiktiver Abrechnung nicht zu berücksichtigen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.060,60 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.03.2018 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, die Klägerin als Mietwagenunternehmen erhalte Rabatte bei Ersatzteilen und Lohnkosten. Diese würden bei der Marke D mit mindestens 15% gewährt. Es sei der Klägerin jedenfalls ohne überobligatorische Anstrengungen möglich gewesen, einen solchen Rabatt zu erhalten.

Das Amtsgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, die Anrechnung eines möglichen Großkundenrabattes scheide im Rahmen der fiktiven Abrechnung aus. Die Anrechnung eines "etwaigen" Rabattes sei - anders als bei der konkreten Abrechnung - mit dem Wesen der Vorteilsausgleichung nicht vereinbar. Freigiebige Leistungen Dritter seien nicht anzurechnen, wenn sie nicht den Schädiger entlasten, sondern dem Geschädigten zugutekommen sollen. Ein Großkundenrabatt zöge auch Nachteile mit sich, wie eine verpflichtende Bindung an die Werkstatt, die den Rabatt gewähren würde. Da dem Geschädigten die Möglichkeit der fiktiven Abrechnung auch im Falle einer tatsächlichen Reparatur offenstehe, sei es konsequent, die von ihm gewählte - weil für ihn günstigere - fiktive Abrechnung nicht durch die Berücksichtigung der konkreten Reparaturumstände zu unterlaufen. Unabhängig davon, ob die Klägerin Rabatte erhalte oder nicht, seien daher keine Abzüge vorzunehmen.

Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten. Sie verweist auf die Entscheidung des BGH vom 29.10.2019, Az. VI ZR 45/19. Der BGH habe darin klargestellt, dass der Umstand, dass einem Geschädigten von markengebundenen Fachwerkstätten auf dem allgemeinen regionalen Markt Großkundenrabatte für Fahrzeugreparaturen eingeräumt werden, im Rahmen der subjektiven Schadenbetrachtung auch bei der fiktiven Abrechnung grundsätzlich zu berücksichtigen sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Amtsgerichts T abzuändern und die Klage abzuweisen;

hilfsweise

das angefochtene Urteil aufzuheben und zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht T zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie nimmt Bezug auf ihren erstinstanzlichen Vortrag und ist der Ansicht, die Rechtsauffassung des BGH (Az. VI ZR 45/19) sei nicht zutreffend. Darüber hinaus setze aber auch der BGH voraus, dass der Geschädigte - unabhängig von dem konkreten Schadensfall - aufgrund bereits bestehender Vereinbarungen mit markengebundenen Fachwerkstätten auf dem regionalen Markt einen Anspruch darauf hat, seine Fahrzeuge im Bedarfsfall unter Inanspruchnahme des Großkundenrabatts kostengünstiger reparieren zu lassen, der konkrete Schadensfall also lediglich den Anlass gibt, von dieser Möglichkeit im Falle einer Reparatur Gebrauch zu machen. Dies sei bei der Klägerin aber nicht der Fall, da keinerlei Rabattvereinbarungen existieren würden.

II.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Amtsgericht hat zwar im Ergebnis zu Unrecht die Berücksichtigungsfähigkeit von Großkundenrabatten bei fiktiver Schadensabrechnung schon im Grundsatz abgelehnt (dazu 1.). Im konkreten Fall waren aber dennoch keine Großkundenrabatte zu berücksichtigen (dazu 2.), sodass der Klägerin ein Anspruch nach §§ 7, 17, StVG, 115 VVG auf Erstattung weiterer 1.060,60 € zusteht.

1.

Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des dabei nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters (vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 2019 - VI ZR 45/19 -, Rn. 8, juris). An die Ermessensausübung der Vorinstanz ist die Kammer jedoch nicht gebunden. Das Berufungsgericht kann im Fall einer auf § 287 ZPO gründenden Entscheidung den Prozessstoff auf der Grundlage der nach § 529 ZPO berücksichtigungsfähigen Tatsachen ohne Bindung an die Ermessensausübung des erstinstanzlichen Gerichts selbstständig nach allen Richtungen von neuem prüfen und bewerten (vgl. BGH NZV 2011, 385 Rn. 22, beckonline). Die Kammer kommt bei dieser Prüfung zu dem Ergebnis, dass Großkundenrabatte auch bei fiktiver Schadensabrechnung grundsätzlich berücksichtigungsfähig sind.

Dies ergibt sich aus den bei BGH VI ZR 45/19 dargestellten Grundsätzen (die Entscheidung wurde erst nach dem erstinstanzlichen Urteil in NJW 2020, 144 veröffentlicht), denen sich die Kammer anschließt:

"Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der fiktiven Schadensabrechnung nicht allein der übliche oder durchschnittliche Aufwand zugrunde zu legen, vielmehr ist - zugunsten des Geschädigten oder des Schädigers - Rücksicht auf die eingeschränkten oder erhöhten Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten sowie auf gerade für ihn bestehende Schwierigkeiten oder Erleichterungen zu nehmen. Dies führt, anders als es das Berufungsgericht wohl befürchtet, nicht zu einer Vermengung von fiktiver und konkreter Schadensabrechnung, sondern ist Ausdruck der auch bei der fiktiven Abrechnung geltenden subjektbezogenen Schadensbetrachtung. Insbesondere ist es nicht Ziel der fiktiven Schadensabrechnung, den Geschädigten wirtschaftlich besser zu stellen als im Rahmen der konkreten Schadensabrechnung. Das Vermögen des durch einen Verkehrsunfall Geschädigten ist (nur) um denjenigen Betrag gemindert, der aufgewendet werden muss, um die beschädigte Sache fachgerecht zu reparieren (vgl. Senatsurteil vom 19. Februar 2013 - VI ZR 220/12, juris Rn. 6). Aufwand, der dem Geschädigten in seiner besonderen Lage nicht entstehen kann, soll ihm auch im Rahmen der fiktiven Abrechnung nicht ersetzt werden."

(BGH, Urteil vom 29. Oktober 2019 - VI ZR 45/19 -, Rn. 12, juris)

Der BGH führt für den zu entscheidenden Fall einer fiktiven Schadensberechnung weiter aus:

"Sind dem Geschädigten von markengebundenen Fachwerkstätten auf dem allgemeinen regionalen Markt Großkundenrabatte für Fahrzeugreparaturen eingeräumt worden, die er ohne weiteres auch für die Reparatur des Unfallfahrzeugs in Anspruch nehmen könnte, so ist dies ein Umstand, der im Rahmen der subjektbezogenen Schadensbetrachtung grundsätzlich zu berücksichtigen ist. (...) Da, wie ausgeführt, das Wirtschaftlichkeitsgebot einschließlich des Grundsatzes der subjektbezogenen Schadensbetrachtung sowie das Verbot, sich durch Schadensersatz zu bereichern, auch für die fiktive Schadensabrechnung gelten, liefert diese Abrechnungsart keinen Grund dafür, von der Berücksichtigung eines solchen Rabatts abzusehen."

(BGH, Urteil vom 29. Oktober 2019 - VI ZR 45/19 -, Rn. 14, juris)

Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer vollumfänglich an.

2.

Im konkreten Fall liegen die Voraussetzungen der Berücksichtigung eines Großkundenrabattes jedoch nicht vor.

Dabei ist der Klägerin nicht in der Ansicht zuzustimmen, dass der BGH in seinem Urteil vom 29.10.2019 voraussetzt, dass Rabattvereinbarungen mit Werkstätten bereits bestehen. Tatsächlich führt der BGH aus:

"Ein Großkundenrabatt stellt keine Maßnahme der sozialen Sicherung und Fürsorge gegenüber dem Geschädigten dar, die einem Schädiger nach dem Rechtsgedanken des § 843 Abs. 4 BGB nicht zugutekommen soll. Jedenfalls dann, wenn der Geschädigte - unabhängig von dem konkreten Schadensfall - aufgrund bereits bestehender Vereinbarungen mit markengebundenen Fachwerkstätten auf dem regionalen Markt einen Anspruch darauf hat, seine Fahrzeuge im Bedarfsfall unter Inanspruchnahme des Großkundenrabatts kostengünstiger reparieren zu lassen, der konkrete Schadensfall also lediglich den Anlass gibt, von dieser Möglichkeit im Falle einer Reparatur Gebrauch zu machen, ist eine Anrechnung grundsätzlich geboten (vgl. Senatsurteil vom 18. Oktober 2011 - VI ZR 17/11, NJW 2012, 50 Rn. 10)."

(BGH, Urteil vom 29. Oktober 2019 - VI ZR 45/19 -, Rn. 16, juris)

Hieraus ergibt sich nicht, dass eine fiktive Anrechnung ausgeschlossen ist, wenn Rabattvereinbarungen noch nicht konkret getroffen wurden, aber für den Geschädigten mit zumutbarem Aufwand zu erreichen wären. Vielmehr führt der BGH lediglich aus, dass jedenfalls wenn schon Rabattvereinbarungen bestehen, der Rechtsgedanke des § 843 Abs. 4 BGB einer Anrechnung nicht entgegensteht.

Die Kammer lässt im Ergebnis dahinstehen, ob es erforderlich ist, dass ein Rabatt bereits vereinbart ist, oder ob es genügt, wenn der Geschädigte nur die Möglichkeit hätte, einen Rabatt zu vereinbaren. Denn im vorliegenden Fall hat sich nach der Beweisaufnahme ergeben, dass die Klägerin weder bereits eine Rabattvereinbarung abgeschlossen hatte, noch, dass sie eine solche mit zumutbarem Aufwand abschließen könnte.

Es steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Klägerin aktuell keine Rabattvereinbarung abgeschlossen hat. Unbestritten bringt die Klägerin alle ihre D-Fahrzeuge zur Werkstatt "N" in C. Der Zeuge U, Mitarbeiter der Firma N, hat ausgesagt, die Klägerin erhalte keinen Rabatt. Gleiches hat auch der Zeuge I ausgesagt, ein langjähriger Mitarbeiter der Klägerin. Insoweit haben beide Zeugen übereinstimmend den Vortrag der Klägerin zu ihrem Geschäftsmodell bestätigt: Es würden Neufahrzeuge für 12 bis 24 Monate geleast (Zeuge U, Bl. 4 d. Protokolls). Die Fahrzeuge müssten wegen des Leasingvertrages stets zur Fachwerkstatt (Zeuge I, Bl. 2 d. Protokolls). Es würde im Normallfall lediglich eine HU und eine AU anfallen. Diese würden durch die E oder den V durchgeführt, nicht durch eine Werkstatt. Kleinere Schäden würden nicht repariert, größere Schäden würden meistens unrepariert verkauft (Zeuge I, Bl. 3 d. Protokolls). Darüber hinaus hat der Zeuge U ausgeführt, selbst wenn die Klägerin alle zwei Tage mit einem Fahrzeug käme, würde sie keinen Rabatt erhalten. Beide Zeugen wirkten auf die Kammer vollständig glaubwürdig. Anhaltspunkte gegen den Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen sind nicht ersichtlich. Insbesondere konnten beide Zeugen umfassend darlegen, warum es keine Rabatte gibt. Hinsichtlich des Geschäftsmodells der Klägerin machten beide Zeugen auch vollständig kongruente und lebensnahe Aussagen.

Aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme zieht die Kammer auch die Überzeugung, dass es der Klägerin nicht mit zumutbarem Aufwand möglich wäre, Rabattvereinbarungen zu erzielen. Die Klägerin trägt vor, in ihrem Geschäftsmodell würden kaum Reparaturen anfallen. Sie lease ihre Fahrzeuge lediglich für längstens zwei Jahre, oft nur 4-6 Monate und gebe sie dann zurück. Kleinere Schäden würden nicht repariert, sondern beim sogenannten "Remarketing" am Schluss der Leasingzeit berücksichtigt. Bei einem ernsthaften Unfallschaden würde das Fahrzeug ebenfalls nicht repariert, sondern aus dem Fuhrpark entfernt und entweder an den Leasinggeber zurückgegeben oder aber von diesem erworben und unrepariert weiter veräußert. Diese Ausführungen zu ihrem Geschäftsmodell, sind vollständig bewiesen durch die bereits ausgeführten Zeugenaussagen (s.o.). Anhaltspunkte für Zweifel hieran sind nicht ersichtlich. Bei der Klägerin fallen damit kaum Reparaturen an. Die Klägerin kann sich auch nur an einen begrenzten Kreis von Fachwerkstätten richten, da sie an diese nach den Garantie- und Leasingbedingungen gebunden ist. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, inwiefern die Klägerin überhaupt eine gute Verhandlungsposition haben sollte, um sich Rabattvereinbarungen auszuhandeln. Sie erteilt weder viele Aufträge, noch sind diese sonderlich ertragreich. Die Beklagte hat auch keinerlei Werkstätten benannt, die der Klägerin tatsächlich Rabatte gewähren würden.

Die Kammer musste zur Möglichkeit einer Rabattvereinbarung auch kein Sachverständigengutachten einholen. Die Frage der Berücksichtigung eines Großkundenrabattes ist eine der Schadensermittlung nach § 287 ZPO. Es steht damit nach § 287 Abs. 1 S. 2 ZPO im Ermessen der Kammer, ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme durch Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen ist. Dieses Ermessen war im Kosten- und Beschleunigungsinteresse hier dahingehend auszuüben, dass kein Gutachten einzuholen ist, denn es ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme keinerlei Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass die Klägerin die Möglichkeit hätte, Rabattvereinbarungen abzuschließen. Es sind nicht einmal Anhaltspunkte für eine gute Verhandlungsposition der Klägerin zur Erzielung von Rabatten ersichtlich. Darüber hinaus steht fest, dass eine regionale Fachwerkstatt (das Autohaus N) der Klägerin keinerlei Rabatte gewähren würde. Es ist auch nicht ersichtlich, dass andere regionale Fachwerkstätten der Klägerin Rabatte gewähren würden, auch die Beklagte benennt keine.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10 S. 1 und 2, 711, 713 ZPO. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Zulassung der Revision war nicht geboten, weil die Kammer aufgrund einer Beweisaufnahme im konkreten Einzelfall entschieden hat.