VG Mainz, Beschluss vom 18.11.2020 - 1 L 855/20.MZ
Fundstelle
openJur 2021, 3865
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Das einstweilige Rechtschutzbegehren des Antragstellers,

den Antragsgegner zu verpflichten, für den Notarztstandort in Ingelheim einen Arzt mit der entsprechenden Qualifikation als Notarzt bereitzustellen, bzw. seine, des Antragstellers, Sicherstellung der Notarztversorgung zu gewährleisten,

hat keinen Erfolg.

I.

1. Das Begehren ist als Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO statthaft. Dabei kann offenbleiben, ob es sich in der Hauptsache um ein Verpflichtungsbegehren gemäß § 42 Abs. 1 Alternative 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) handelt oder um eine allgemeine Leistungsklage. Denn nur für die Anfechtungsklage wäre, wie sich aus § 123 Abs. 5 VwGO ergibt, der Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung nicht statthaft.

2. Da der Antrag unbegründet ist, lässt die Kammer dessen Zulässigkeit im Übrigen dahinstehen. Dies gilt insbesondere für die Frage, ob der Antragsteller in entsprechender Anwendung von § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt ist, das heißt geltend machen kann, durch die Ablehnung seines Begehrens in eigenen Rechten verletzt zu sein. Dem Landesgesetz über den Rettungsdienst sowie Notfall- und Krankentransport (Rettungsdienstgesetz - RettDG -) ist keine Vorschrift zu entnehmen, wonach der einzelne Bürger einen Anspruch darauf hat, eine standortbezogene Notarztbereitstellung einzufordern.

Davon abgesehen bestehen Bedenken am Vorliegen des allgemeinen Rechtschutzbedürfnisses, denn es ist nach Aktenlage nicht erkennbar, dass der Antragsteller sich mit seinem Anliegen zunächst an den Antragsgegner gewandt hat.

II.

Der Antrag ist in jedem Falle unbegründet.

Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen (auch) zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Voraussetzung hierfür ist, dass der Antragsteller einen Anordnungsgrund und einen Anordnungsanspruch glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -). Liegen diese Voraussetzungen vor, muss das Gericht eine einstweilige Anordnung treffen (vgl. W.-R.- Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 123 Rn. 23 ff.; Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand: Januar 2020, § 123 Rn. 132). Vorliegend hat der Antragsteller weder einen Anordnungsanspruch (nachfolgend 1.) noch einen Anordnungsgrund (nachfolgend 2.) glaubhaft gemacht.

1. Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

Er begehrt bei sachgerechter Auslegung mit der einstweiligen Anordnung vorläufig das Gleiche, was er dem Grunde nach auch in einem Hauptsacheverfahren beantragen würde, nämlich die näher beschriebene Verpflichtung zur Notarztbereitstellung. Damit liegt eine dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung grundsätzlich widersprechende endgültige Vorwegnahme der Hauptsache vor.

Um einen effektiven Rechtsschutz unter Beachtung der betroffenen Grundrechte zu gewährleisten (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG), kann das grundsätzliche Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache im Einzelfall ausnahmsweise nachrangig sein. Allerdings kann in einer solchen Konstellation die einstweilige Anordnung nur ergehen, wenn Rechtsschutz in der Hauptsache nicht rechtzeitig erlangt werden kann und dies zu schlechthin unzumutbaren, insbesondere anders nicht abwendbaren Nachteilen für den Antragsteller führt, die sich auch bei einem Erfolg in der Hauptsache nicht ausgleichen lassen. Zudem muss ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache bestehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 1988 - 2 BvR 745/88 -, juris Rn. 17; BVerwG; Urteil vom 18. April 2013 - 10 C 9/12 -, juris Rn. 22, und Beschluss vom 3. August 1999 - 2 VR 1/99 -, juris Rn. 24; OVG RP, Beschlüsse vom 11. Mai 2020 - 2 B 10626/20.OVG -, S. 3 BA, und vom 22. August 2018 - 2 B 11007/19 -, juris Rn. 5). Die Hauptsache darf daher nur "vorweggenommen" werden, wenn dem Antragsteller das Abwarten eines Hauptsacheverfahrens nicht zuzumuten ist und eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sich die Ablehnung seines Begehrens bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Sach- und Rechtsprüfung als rechtswidrig darstellte.

Das Rettungsdienstgesetz regelt die Verpflichtung der Träger des Rettungsdienstes, einen Rettungsdienst einschließlich der Notarztversorgung sicherzustellen. Nach § 23 Abs. 1 RettDG sind die Krankenhäuser im Rahmen ihrer Aufgabenstellung und Leistungsfähigkeit verpflichtet, Ärzte gegen Erstattung der ihnen entstehenden Kosten als Notärzte zur Verfügung zu stellen. Soweit darüber hinaus Bedarf besteht, wirken niedergelassene und andere Ärzte, ärztliche Arbeitsgemeinschaften und ärztliche Mitarbeiter sonstiger geeigneter Einrichtungen im Notarztdienst mit. Weder aus dieser Bestimmung, noch den sonstigen Regelungen im Rahmen des § 23 RettDG oder des Gesetzes selbst lässt sich ein Anspruch des Bürgers darauf ableiten, die Notarztversorgung in einer näher bezeichneten Weise zu organisieren.

Ein Anordnungsanspruch des Antragstellers ist daher nicht ersichtlich.

2. Der Antragsteller hat auch keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, weder im Sinne der von § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO geforderten Abwendung wesentlicher Nachteile, noch der - bei der hier vorliegenden Vorwegnahme der Hauptsache - erforderlichen schlechthin unzumutbaren Nachteile.

Der Antragsteller hat hierzu lediglich vorgetragen:

"Im Falle eines Notfalles, werden dann sofern verfügbar Notärzte aus den Nachbarbereichen, hier vor allem Mainz und Bingen zu Einsätzen nach Ingelheim geschickt. Diese Notärzte stehen dann aber Ihrem Wachbereich nicht zur Verfügung. Im Schnitt hat das Notarztfahrzeug in Ingelheim etwa 1.000 Einsätze pro Jahr.

Der Antragsteller sieht seine eigene Versorgung als Bürger der Stadt Mainz als beeinträchtigt an, wenn die für die Stadt zuständigen Rettungsmittel aufgrund der vorgenannten Lage in Ingelheim und Umgebung eingesetzt wird.

Gemäß § 2 Abs. 2 des Landesgesetzes über den Rettungsdienst sowie den Notfall- und Krankentransport, sind Notfalltransporte zeitkritische Einsätze, so dass eine verlängerte Fahrzeit für die Rettungsmittel die notfallmedizinische Versorgung verzögert und somit die Abwendung von Lebensgefahr und schweren gesundheitlichen Schäden nicht mehr in einer durchführbaren Weise ermöglicht.

Die Versorgung des Antragstellers als Bürger im Mainzer Stadtgebiet ist damit beeinträchtigt, da ein Notarzt in Ingelheim und Umgebung in einem Einsatz gebunden sein könnte oder einen längeren Anfahrtsweg zum Unterzeichner hat, als wenn er aus dem Mainzer Stadtgebiet startet.

Eilbedürftigkeit ist aus Sicht des Antragstellers gegeben, da es bei durchschnittlich 1.000 Einsätzen pro Jahr für den Notarzt in Ingelheim jederzeit zu einer Situation kommen kann, in welcher der für Mainz zuständige Notarzt in Ingelheim zum Einsatz kommen muss."

Ferner verweist er in seinem Schriftsatz vom 16. November 2020 darauf, das Notarztfahrzeug in Ingelheim sei bei der Leitstelle in Mainz seit dem 2. November 2020, 14.55 Uhr, mangels Notarzt durchgehend abgemeldet.

Diese Ausführungen sind zu allgemein und damit unzureichend, um die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlichen unzumutbaren Nachteile darzulegen. Es fehlt an jeglichen substantiierten Angaben dazu, dass der Antragsteller bei einem gesundheitlichen Notfall in eigener Sache im Mainzer Stadtgebiet mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht innerhalb der Hilfeleistungsfrist nach § 8 Abs. 2 RettDG (vgl. hierzu OVG RLP, Urteil vom 7. Mai 2009 - 7 A 10052/09-OVG -, AS 37, 269) notärztlich versorgt werden könnte.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Wertes des Verfahrensgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Eine Reduzierung des Streitwerts im Hinblick auf den Eilrechtsschutz war aufgrund der Vorwegnahme der Hauptsache nicht angezeigt (vgl. Ziffer 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).