Bayerischer VGH, Beschluss vom 16.01.2021 - 10 CS 21.166
Fundstelle
openJur 2021, 15917
  • Rkr:
Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. In Abänderung von Nr. III. des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 15. Januar 2021 wird der Streitwert für beide Instanzen auf jeweils 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Landratsamts Fürth vom 14. Januar 2021 weiter, mit dem dieses die von ihm angezeigte Versammlung "Coronoia 2020. Nie wieder mit uns. Wir stehen heute auf! Wir bestehen auf die ersten 20 Artikel unserer Verfassung. Wir bestehen auf Beendigung des Notstands-Regimes. Frieden, Freiheit, keine Diktatur" am 17. Januar 2021 um 17.00 Uhr auf dem Festplatz in Stein (Landkreis Fürth) verboten hat.

Hinsichtlich der Begründung des auf Art. 15 Abs. 1 BayVersG, § 7 Abs. 1 der 11. BayIfSMV gestützten Verbots wird auf den angefochtenen Bescheid Bezug genommen.

Am 15. Januar 2021 erhob der Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach hiergegen Klage und stellte außerdem den Antrag, die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs anzuordnen.

Mit Beschluss vom 15. Januar 2021 hat das Verwaltungsgericht den Antrag abgelehnt. Der Verbotsbescheid erweise sich nach summarischer Prüfung als rechtmäßig und verletze den Antragsteller nicht in seinen Rechten.

Der Antragsteller erhob am 16. Januar 2021 Beschwerde mit dem Antrag, den Beschluss des Verwaltungsgerichts abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 14. Januar 2021 anzuordnen. Zur Begründung rügt er im Wesentlichen neben der Verletzung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit durch ein "letztlich Totalverbot" von Querdenker-Versammlungen in ganz Deutschland die Willkür und Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme, die Verletzung der Grundrechte der Europäischen Union, insbesondere Art. 12 der Grundrechte-Charta, die fehlerhafte Gefahrenprognose sowie Verstöße der Behörde und des Verwaltungsgerichts gegen das Rechtsstaatsprinzip durch Behörden und Gerichte.

Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Die Beschwerde stelle der Gefahrenprognose nichts Durchgreifendes entgegen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die vom Antragsteller in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, die der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, rechtfertigen keine Abänderung des angefochtenen Beschlusses.

Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen, wenn die Klage (vgl. Art. 25 BayVersG) keine aufschiebende Wirkung hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat bei seiner Entscheidung eine originäre Interessenabwägung auf der Grundlage der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage darüber zu treffen, ob die Interessen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streiten, oder diejenigen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen, überwiegen. Dabei sind die Erfolgsaussichten der Klage im Hauptsacheverfahren wesentlich zu berücksichtigen, soweit sie bereits überschaubar sind. Nach allgemeiner Meinung besteht an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer voraussichtlich aussichtslosen Klage kein überwiegendes Interesse. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein (weil er zulässig und begründet ist), so wird regelmäßig nur die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen.

Gemessen daran führen die im Beschwerdeverfahren dargelegten Gründe zu keiner Änderung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Die Anfechtungsklage gegen das Versammlungsverbot ist voraussichtlich unbegründet.

Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen. Nach Art. 8 Abs. 2 GG kann dieses Recht für Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden. Derartige Beschränkungen sind im Lichte der grundlegenden Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG auszulegen. Eingriffe in die Versammlungsfreiheit sind nur zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig (vgl. zuletzt BVerfG, B.v. 21.11.2020 - 1 BvQ 135/20 - juris Rn. 6 m.w.N.). Gem. Art. 15 Abs. 1 BayVersG kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.

§ 7 Abs. 1 Elfte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (11. BayIfSMV vom 15. Dezember 2020, BayMBl. Nr. 737, geändert durch Verordnung vom 8. Januar 2021, BayMBl. Nr. 5) bestimmt für Versammlungen im Sinne des Bayerischen Versammlungsgesetzes unter anderem einen Mindestabstand von 1,5 m zwischen allen Teilnehmern (Satz 1). Die nach Art. 24 Abs. 2 BayVersG zuständigen Behörden haben, soweit dies im Einzelfall erforderlich ist, durch entsprechende Beschränkungen nach Art. 15 BayVersG sicherzustellen, dass die Bestimmungen nach Satz 1 eingehalten werden und die von der Versammlung ausgehenden Infektionsgefahren auch im Übrigen auf ein infektionsschutzrechtlich vertretbares Maß beschränkt bleiben; davon ist in der Regel auszugehen, wenn die Versammlung nicht mehr als 200 Teilnehmer hat und ortsfest stattfindet. Sofern diese Anforderungen nicht sichergestellt werden können, ist die Versammlung zu verbieten (§ 7 Abs. 1 Satz 4 der 11. BayIfSMV). Damit konkretisiert § 7 Abs. 1 der 11. BayIfSMV die versammlungsrechtliche Befugnisnorm des Art. 15 Abs. 1 BayVersG sowohl auf der Tatbestandswie auch auf der Rechtsfolgenseite im Hinblick auf von Versammlungen unter freiem Himmel ausgehende Gefahren für die Gesundheit und das Leben Einzelner (Art. 2 Abs. 2 GG) sowie den Schutz des Gesundheitssystems vor einer Überlastung (vgl. BVerfG, B.v. 10.4.2020 - 1 BvQ 31/20 - juris Rn. 15; vgl. auch BayVGH, B.v. 11.9.2020 - 10 CS 20.2063).

Versammlungsverbote dürfen als tiefgreifendste bzw. stärkste Eingriffe in das Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG auch in Ansehung der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit für das demokratische und freiheitliche Gemeinwesen allerdings nur verfügt werden, wenn mildere Mittel nicht zur Verfügung stehen und der hierdurch bewirkte Grundrechtseingriff insgesamt nicht außer Verhältnis steht zu den jeweils zu bekämpfenden Gefahren und dem Beitrag, den ein Verbot zur Gefahrenabwehr beizutragen vermag (stRspr, vgl. z.B. BVerfG, B.v. 30.8.2020 - 1 BvQ 94/20 - Rn. 16; vgl. auch BayVGH, B.v. 29.4.2010 - 10 CS 10.1040 - juris Rn. 12 m.w.N.). Ein Versammlungsverbot scheidet nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit demnach aus, solange mildere Mittel und Methoden der Rechtsgüterkonfliktbewältigung wie versammlungsrechtliche Beschränkungen und der verstärkte Einsatz polizeilicher Kontrollen nicht ausgeschöpft oder mit tragfähiger Begründung ausgeschieden sind (BayVGH a.a.O. unter Verweis auf BVerfG, B.v. 4.9.2009 - 1 BvR 2147/09 - juris Rn. 17 m.w.N.).

Ausgehend davon erweist sich die angefochtene Verbotsverfügung der Versammlungsbehörde auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens voraussichtlich als rechtmäßig und mit dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG vereinbar und die vom Verwaltungsgericht insoweit vorgenommene Interessenabwägung schon aus diesem Grund als richtig.

Die von der Versammlungsbehörde und vom Verwaltungsgericht vorgenommene Gefahrenprognose kann auch durch das Vorbringen in der Beschwerdebegründung nicht erschüttert werden. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass es sich bei der streitgegenständlichen Versammlung um eine Ersatzveranstaltung für die für die gleiche Zeit vom Antragsteller in Nürnberg angemeldete und mittlerweile verbotene Versammlung handle und sich somit der Teilnehmerkreis voraussichtlich größtenteils aus Anhängern der sog. Querdenker-Bewegung zusammensetzen würde, wird in der Beschwerdebegründung nicht (mehr) bestritten. Vielmehr wird es mit dem Argument, da die Versammlungsfreiheit in Deutschland von den Regierungen massiv bekämpft werde, wenn die Versammlung regierungskritisch sei, müssten "die Kritiker auch mobil sein", geradezu bestätigt. Zu einem "Totalverbot in ganz Deutschland" führt das Verbot einer Versammlung in einer Stadt nicht. Eine pauschale Einstufung als Ersatzverstaltung würde ein Versammmlungsverbot für sich allein nicht rechtfertigen; vielmehr müssen in jedem Einzelfall eine Gefahrenprognose vorgenommen und die Verhältnismäßigkeit des Grundrechtseingriffs geprüft werden, unabhängig davon, ob es sich um eine "Ersatzverstaltung" handelt. Demgemäß hat auch im vorliegenden Fall die Versammlungsbehörde eingehend geprüft, ob konkret bei der streitgegenständlichen Versammlung die öffentliche Sicherheit oder Ordnung umittelbar gefährdet ist.

Versammlungsbehörde und Verwaltungsgericht konnten dabei auch die Vorkommnisse bei und im Zusammenhang mit dem Versammlungsgeschehen in Nürnberg am 3. Januar 2021 heranziehen, auch wenn der Antragsteller insoweit von "Polizeigewalt und Willkür" spricht. Es trifft nicht zu, dass lediglich wegen Ordnungswidrigkeiten (gemeint sind offenbar Verstöße gegen das Abstandsgebot und die Maskenpflicht) die Versammlungsfreiheit unzulässig beschnitten oder sogar faktisch abgeschafft worden wäre. Vielmehr dienen die vom Antagsteller angesprochenen Einschränkungen der Versammlungsfreiheit dem Schutz vom Grundgesetz geschützer höchster Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG).

Das Verwaltungsgericht hat auch zu Recht festgestellt, die Einhaltung von Schutzmaßnahmen wie das Einhalten von Abständen und das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen als milderes Mittel gegenüber einem Versammlungsverbot sei von den Versammlungsteilnehmern gerade nicht zu erwarten, was aus den zahlreichen Erfahrungen bei anderen Versammlungen der Querdenken-Bewegung in ganz Deutschland, welche im streitgegenständlichen Bescheid aufgezählt würden, gefolgert werden könne (vgl. hierzu auch BayVGH, B.v. 20.11.2020 - 10 CS 20.2745 - BeckRS 2020, 32683 Rn. 19). Der Antragsteller kann dies nicht als "falsch und willkürlich" rügen, wenn er gleichzeitig geltend macht, "den Menschen vorzuschreiben, sich das ins Gesicht zu ziehen, wogegen sie demonstrieren, ist bizarr", und damit etwa seine grundsätzliche Ablehnung einer Mund-Nasen-Bedekcung deutlich macht. Insoweit hat sich die Versammlungsbehörde nicht nur "ein paar Fälle" herausgepickt, "um regierungskritische Demonstrationen zu verhindern", sondern zu Recht eine größere Anzahl von der Querdenker-Bewegung zuzurechnenden Versammlungen, bei denen es zu vielfachen und systematischen Rechtsverstößen gekommen ist, in seiner Gefahrenprognose berücksichtigt.

Vor diesem Hintergrund genügt es auch nicht, wenn der Antragsteller lediglich auf die Abstände hinweisen und "die Auflagen durchsagen" will. Auch ist eine Auflösung der Versammlung durch die Polizei kein milderes Mittel gegenüber einem Versammlungsverbot. Es ist nicht in gleicher Weise geeignet, Infektions- und damit Gesundheitsgefahren (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) effektiv abzuwehren, da es dann ja bereits zu einer Verwirklichung der Gefahrensituation und damit Störung im Sinne des Sicherheitsrechts gekommen wäre. Denn ist die Auflösung einer Versammlung durch die Polizei aufgrund tatbestandsmäßiger Gefahrensituationen absehbar, darf die Versammlungsbehörde diese Versammlung auch präventiv verbieten (BayVGH, B.v. 19.9.2020 - 10 CS 20.2103 - juris Rn 10).

Der Antragsgegner und das Verwaltungsgericht haben sich bei ihrer Gefahrenprognose in nicht zu beanstandender Weise maßgeblich auf die fachliche Einschätzung des Robert-Koch-Instituts gestützt. Das Robert-Koch-Institut (RKI), dem der Gesetzgeber im Bereich des Infektionsschutzes mit § 4 IfSG besonderes Gewicht eingeräumt hat (vgl. BVerfG, B.v. 10.4.2020 - 1 BvQ 28/20 - juris Rn. 13; BayVerfGH, E.v. 26.3.2020 - Vf. 6-VII-20 - juris Rn. 16), schätzt in der erneut überarbeiteten Risikobewertung vom 12. Januar 2021 die Lage in Deutschland auch gegenwärtig als sehr dynamisch und ernstzunehmend und die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung insgesamt als sehr hoch ein (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuarti ges_Coronavirus/Risikobewertung.html). Die Inzidenz der letzten 7 Tage liegt deutschlandweit (Stand 15.1.2021) bei 146 Fällen pro 100.000 Einwohner. Das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) weist für den Landkreis Fürth eine 7-Tages-Inzidenz von aktuell 152,73, für den Bezirk Mittelfranken von 182,57 aus (https://www.lgl.bayern.de/gesundheit/infektionsschutz/infektionskrankheiten_a_z/coronavirus/karte_coronavirus/index.htm).

Soweit der Bevollmächtigte des Antragstellers die von einer Versammlung ausgehenden Gefahren zum wiederholten Male in Abrede stellt, kann dem der Senat ausdrücklich nicht folgen. Richtig ist, dass das RKI die Gefahr von Ansteckungen im Freien als wesentlich kleiner einschätzt als in geschlossenen Räumen. Diese Einschätzung ist aber mit der ausdrücklichen Bedingung verknüpft, dass Mindestabstände gewahrt werden, was bei der hier in Frage stehenden Versammlung gerade nicht zu erwarten ist (s.o.).

Ebenso wenig durchgreifend sind die Ausführungen des Antragstellers zur seiner Auffassung nach geringeren Gefährlichkeit einer SARS-CoV-2-Infektion für unter 70-jährige. Dieser Vortrag verkennt, dass jede Infektion die Gefahr einer anschließenden Ansteckung Dritter und somit die Aufrechterhaltung von Infektionsketten, an deren (vorläufigem) Ende immer auch Personen mit einem hohen Risiko eines schwerwiegenden Verlaufes stehen können, begründet.

Der pauschale Verweis von Antragsteller und Bevollmächtigtem auf Schriftverkehr in früheren Verfahren (des Bevollmächtigten) und die darin enthaltenen Ausführungen zur "nicht vorliegenden Übersterblichkeit, von der Unwirksamkeit der Maßnahmen, von einer niemals drohenden Überlastung der Krankenhäuser, von einem absolut unzureichenden PCR-Test usw." führen ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis. Es ist - nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Darlegungsgebots des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO - nicht Aufgabe des Senats, sich aus der Vielzahl teils kaum nachvollziehbarer Ausführungen mehr oder weniger relevantes Beschwerdevorbringen selbst herauszusuchen.

Es wird allerdings darauf hingewiesen, dass die Übersterblichkeit in Deutschland in den Kalenderwochen 51 und 52 des Jahres 2020 trotz der ergriffenen Schutzmaßnahmen um 24% bzw. 25% über dem Durchschnitt der Jahr 2016 bis 2019 lag (https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Sterbefaelle -Lebenserwartung/sterbefallzahlen.html). Die Behauptung, eine Überlastung der Krankenhäuser bestehe nicht, kann der Senat angesichts der Krankenhausbelegung einschließlich Intensivbetten (vgl. https://www.intensivregister.de/ ...aktuelle-lage/kartenansichten) trotz Einschränkung der Regelversorgung auch nicht im Ansatz nachvollziehen.

Der Senat weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das offensiv zur Schau gestellte Unverständnis des Antragsstellers und seines Bevollmächtigten für infektiologische und epidemiologische Sachverhalte und Zusammenhänge einschließlich des befremdlichen Vortrags zur Übersterblichkeit und zur Belastung des Gesundheitssystems die Gefahrenprognose des Beklagten eher bestätigt als widerlegt.

Soweit der Antragsteller daneben (auch) eine Verletzung der Grundrechte aus Art. 11 und vor allem Art. 12 der EU-Grundrechte-Charta (GRCh) geltend macht, hat er schon nicht schlüssig dargelegt, dass in seinem Fall deren Anwendungsbereich gemäß Art. 51 Abs. 1 GRCh eröffnet ist. Denn nach dieser Bestimmung gilt die Charta der Grundrechte der Europäischen Union für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Die Anwendung bzw. Geltung der GRCh kommt nur im Rahmen der unionsrechtlichen Verträge und damit nur dann in Betracht, wenn nach Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRCh die "Durchführung von Unionsrecht" in Frage steht. Hierdurch wird der innerstaatliche Anwendungsbereich der Charta bewusst begrenzt gehalten und der Grundrechtsschutz sonst - auf der gemeinsamen Grundlage der EMRK - den Mitgliedstaaten und ihren innerstaatlichen Grundrechtsverbürgungen überlassen. Die Charta errichtet so keinen umfassenden Grundrechtsschutz für die gesamte Europäische Union, sondern erkennt schon mit der Begrenzung ihres Anwendungsbereichs föderative Vielfalt (vgl. Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EUV; s. auch Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG) für die grundrechtlichen Gewährleistungen an. Einer gleichzeitigen Anwendbarkeit der Unionsgrundrechte neben den Grundrechten des Grundgesetzes sind damit Grenzen gesetzt. Dies darf auch durch eine übermäßig weite Auslegung des Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRCh nicht unterlaufen werden (vgl. BVerfG, B.v. 6.11.2019 - 1 BvR 16/13 - juris Rn. 43 m.w.N. seiner Rspr).

Die in der Antragsschrift zum Verwaltungsgericht bezüglich der behaupteten Anwendbarkeit dieser Grundrechte angeführten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs betreffen die Anwendbarkeit der Grundfreiheiten, konkret der Dienstleistungsfreiheit (EuGH, U.v. 3.12.2020, Rs. C-311/19) und der Niederlassungsfreiheit (EuGH, U.v. 11.3.2010, Rs. C-384/08), und führen schon deshalb hier nicht weiter. Die bloße Behauptung, zu jeder Demonstration und Versammlung gegen Corona-Beschränkungen kämen auch "zahlreiche EU-Ausländer", ist ebenfalls nicht geeignet, hier den erforderlichen (engen) Unionsrechtsbezug ("Durchführung von Unionsrecht") und damit eine EU-Grundrechtsbindung der Versammlungsbehörde nachvollziehbar darzulegen. Schließlich ist auch die Argumentation in der Beschwerdebegründung, "soweit mithin eine Versammlung - insbesondere wegen der Auswirkungen der Lockdown-Maßnahmen der Regierungen - Auswirkungen auch auf Unionsbürger haben kann, was hier unbestreitbar der Fall ist, ist Unionsrecht unmittelbar anwendbar" schon im Ansatz ungeeignet, diesen Unionsrechtsbezug, d.h. hinreichenden Zusammenhang von einem gewissen Grad mit einem durch das Unionsrecht tatsächlich geregelten bzw. mitgeregelten Bereich (vgl. dazu Jarass in Jarass, Charta der Grundrechte der EU, 4. Aufl. 2021, Art. 51 Rn. 23 ff. m.w.N.) schlüssig zu begründen.

Unabhängig davon ist vom Antragsteller auch weder nachvollziehbar dargelegt noch für den Senat sonst ersichtlich, dass der Schutz der Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit aus Art. 11 und Art. 12 GRCh hier substantiell weitergehend wäre als nach Art. 5 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 GG. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (B.v. 6.11.2019 - 1 BvR 16/13 - juris) zu Recht darauf verwiesen, dass durch eine Prüfung am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes das Schutzniveau der GRCh regelmäßig mitgewährleistet wird. Dass jede Einschränkung der Ausübung dieser Grundrechte einer gesetzlichen Grundlage bedarf und den Wesensgehalt dieser Rechte achten muss sowie Grundrechtseinschränkungen nur unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vorgenommen werden dürfen (Art. 52 Abs. 1 GRCh) ist keine unionsrechtliche Besonderheit und bedeutet nicht per se einen weitergehenden Schutz (s. Art. 8 Abs. 2, Art. 19 Abs. 2 GG).

Einschränkungen der Versammlungsfreiheit müssen ein legitimes Ziel i.S.d. Art. 52 Abs. 1 Satz 2 GRCh verfolgen (hierzu und zum Folgenden: Jarass, a.a.O., Art. 12 Rn. 23 m.w.N.). Zudem sind gemäß Art. 52 Abs. 3 Satz 1 GRCh die Vorgaben des Art. 11 Abs. 2 EMRK zu den Einschränkungszielen zu beachten. Die Einschränkungen müssen daher für die nationale oder öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer erforderlich und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein. Diese Gründe sind weit zu verstehen. Eine Rechtfertigung ist durch jedes zwingende gesellschaftliche Bedürfnis möglich. Damit ergeben sich aus Art. 12 Abs. 1 i.V.m. 52 GRCh in der hier vorliegenden Konstellation des Widerstreits von Versammlungsfreiheit und Gesundheitsschutz keine weitergehenden Anforderungen als aus Art. 8 Abs. 1 GG.

Die Rüge der Verletzung des unionsrechtlichen Kohärenzgrundsatzes, nach dem eine Regelung nur dann im Sinne des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit geeignet ist, wenn sie das fragliche Anliegen (hier: Gefahrenabwehr) in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen sucht (vgl. Jarass, a.a.O., Art. 52 Rn. 38 m. Rsprnachweisen), ist - unabhängig von dem Vorstehenden - auch deshalb unbegründet, weil sie wie oben dargelegt von einer verfehlten Gefährdungs- bzw. Risikobeurteilung ausgeht.

Wenn der Antragsteller und sein Prozessbevollmächtigter meinen, es sei "letztlich egal", wie der Senat entscheide, "da unionsrechtswidrige Entscheidungen nicht anwendbar sind", zeigt dies nach alledem nicht nur eine erhebliche Fehleinschätzung der Wirkung des Unionsrechts, sondern auch eine - vom Antragsteller den (Versammlungs-)Behörden und Verwaltungsgerichten vorgeworfene - Missachtung des Rechtsstaats.

Der Senat sieht sich im Übrigen nicht veranlasst, in seiner Entscheidung auf wiederholte Vorwürfe und Behauptungen in der Beschwerdebegründung wie etwa "Ziel des Verwaltungsgerichts und der Antragsgegnerin ist offensichtlich der Versuch, einen demokratischen Rechtsstaat samt der für diese konstituierende Meinungsfreiheit abzuschaffen", oder das Verfahren biete ein "goldene Brücke für die Justiz zur Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit" sowie "Deutschland befindet sich auf dem Weg zu einem autoritären Staat" bzw. "Hygienediktatur", einzugehen. Insoweit verweist der Senat jedoch auf das Sachlichkeitsgebot (§ 43a Abs. 3 BRAO). Schriftsätze in einem Beschwerdeverfahren sind kein Ort für politische Kampfbegriffe.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG. Da die Entscheidung die Hauptsache im Wesentlichen vorwegnimmt, sieht der Senat keinen Anlass, den Streitwert gemäß Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu mindern.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).