OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.01.2021 - OVG 11 S 4/21
Fundstelle
openJur 2021, 3529
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller, der nach unbestritten gebliebenen eigenen Angaben aus gesundheitlichen Gründen vom Tragen einer sog. Mund-Nase-Bedeckung befreit ist, wendet sich im Wege einstweiliger Anordnung gemäß § 47 Abs. 6 VwGO dagegen, dass das ärztliche Zeugnis, mit dem die Befreiung von der Tragepflicht einer Mund-Nasen-Bedeckung "vor Ort" nachzuweisen ist (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 der 4. SARS-CoV-2-EindV), nach § 2 Abs. 2 Satz 2 2. HS der 4. SARS-CoV-2-EindV im Falle der Vorlage bei Behörden oder Gerichten konkrete Angaben beinhalten muss, warum die betroffene Person von der Tragepflicht befreit ist.

§ 2 der 4. SARS-CoV-2-EindV lautet:

(1) Soweit in dieser Verordnung vorgesehen ist, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, muss diese aufgrund ihrer Beschaffenheit geeignet sein, eine Ausbreitung von übertragungsfähigen Tröpfchenpartikeln beim Husten, Niesen, Sprechen oder Atmen zu verringern, unabhängig von einer Kennzeichnung oder zertifizierten Schutzkategorie.

(2) Von der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung sind folgende Personen befreit:

1. vorbehaltlich speziellerer Regelungen in dieser Verordnung Kinder bis zum vollendeten sechsten Lebensjahr,

2. Gehörlose und schwerhörige Menschen, ihre Begleitperson und im Bedarfsfall Personen, die mit diesen kommunizieren,

3. Personen, denen die Verwendung einer Mund-Nasen-Bedeckung wegen einer Behinderung oder aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar ist; dies ist vor Ort durch ein schriftliches ärztliches Zeugnis im Original nachzuweisen.

Das ärztliche Zeugnis nach Satz 1 Nummer 3 muss mindestens den vollständigen Namen und das Geburtsdatum enthalten; im Falle der Vorlage bei Behörden und Gerichten muss es zusätzlich konkrete Angaben beinhalten, warum die betroffene Person von der Tragepflicht befreit ist. Die oder der nach dieser Verordnung zur Kontrolle befugte Verantwortliche hat Stillschweigen über die erhobenen Daten zu bewahren und sicherzustellen, dass die Kenntnisnahme der Daten durch Unbefugte ausgeschlossen ist. Sofern im Einzelfall eine Dokumentation der Befreiung von der Tragepflicht erforderlich ist, darf die Tatsache, dass das ärztliche Zeugnis vorgelegt wurde, die ausstellende Ärztin oder der ausstellende Arzt sowie ein eventueller Gültigkeitszeitraum des ärztlichen Zeugnisses in die zu führenden Unterlagen aufgenommen werden; die Anfertigung einer Kopie des ärztlichen Zeugnisses ist nicht zulässig. Die erhobenen Daten dürfen ausschließlich zum Zweck des Nachweises der Einhaltung bereichsspezifischer Hygieneregeln genutzt werden. Die Aufbewahrung und Speicherung der erhobenen Daten hat unter Einhaltung der einschlägigen datenschutzrechtlichen Vorschriften zu erfolgen. Die erhobenen Daten sind umgehend zu vernichten oder zu löschen, sobald sie für den in Satz 5 genannten Zweck nicht mehr erforderlich sind.

Zur Begründung seines Antrags macht der Antragsteller im Wesentlichen geltend:

Die angegriffene Regelung des § 2 Abs. 2 Satz 2 2. HS der 4. SARS-CoV-2-EindV verletze sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Es fehle hierfür bereits an einer Rechtsgrundlage. Die Regelung sei überdies unverhältnismäßig. Der Zugang zu Behörden und Gerichten, der grundsätzlich jedermann offenstehe, dürfe nicht an die Offenbarung seiner Gesundheitsdaten geknüpft werden. Bei den danach zu offenbarenden Angaben handele es sich um Gesundheitsdaten, die als sensible Daten i.S.d. § 3 Abs. 9 BDSG besonders geschützt seien. Es sei weder erforderlich noch angemessen, dass er diese Daten zum Nachweis seiner Befreiung bei Behörden und bei Gerichten offenbaren müsse, zumal ihm die Staatskanzlei des Landes Brandenburg mitgeteilt habe, dass die Regelung auch bei "Alltagskontrollen" durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ordnungsamtes beim Betreten einer Fläche mit der Pflicht zur Mund-Nasen-Bedeckung Anwendung finde. Die Anzahl der Personen, die aus gesundheitlichen Gründen vom Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung befreit seien, sei eher gering. Das Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse sei überdies nach § 278 StGB strafbewehrt. Die Personen "vor Ort" - in Behörden bzw. Gerichten seien dies in der Regel Pförtner bzw. private Wachschutzleute - seien mangels medizinischer Fachkenntnisse ohnehin zu keiner inhaltlichen Überprüfung des ärztlichen Attestes befähigt, so dass die Vorschrift im Verhältnis zur bisherigen Regelung keinen zusätzlichen Nutzen bringe. Er indes habe ein starkes subjektives Interesse daran, dass konkrete Angaben, warum er von der Tragepflicht befreit ist, (auch) Behörden und Gerichten nicht zur Kenntnis gelangten. Eine Befreiung von der Maskenpflicht aus gesundheitlichen Gründen komme auch in psychischer Hinsicht in Fällen des sexuellen Missbrauchs bei Fesselung bzw. Knebelung des Opfers und hierbei erlebten Ohnmachtsgefühlen in Betracht. Die Würde des Menschen sei nach Art. 1 Abs. 1 GG unantastbar. Ein Mensch dürfe danach nicht zum Objekt staatlichen Handelns gemacht werden. Mit Blick auf den fehlenden Nutzen der Regelung sei dies hier jedoch der Fall.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

im Wege einstweiliger Anordnung den Vollzug des § 2 Abs. 2 Satz 2 2. HS der Vierten Verordnung über befristete Eindämmungsmaßnahmen aufgrund des SARS-CoV-2-Virus und COVID-19 im Land Brandenburg (4. SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung - 4. SARS-CoV-2-EindV) vom 8. Januar 2021 vorläufig auszusetzen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 47 Abs. 6 VwGO hat keinen Erfolg.

1. Der Antrag ist zulässig.

Gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 4 Abs. 1 Bbg VwGG entscheidet das Oberverwaltungsgericht im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit auf Antrag über die Gültigkeit von anderen (nicht von Nr. 1 erfassten) im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften und damit auch über die angegriffene Vorschrift in § 2 Abs. 2 Satz 2 2. HS der 4. SARS-CoV-2-EindV.

Der Antragsteller ist gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt, da die in § 2 Abs. 2 Satz 2 2. HS der 4. SARS-CoV-2-EindV im Falle der Vorlage des ärztlichen Attests bei Behörden und Gerichten geregelte Pflicht zur Offenbarung konkreter Angaben, warum er von der Tragepflicht befreit ist, ihn jedenfalls in seinem durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzen kann.

2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.

Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann.

Ergibt demnach die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsachenentscheidung unaufschiebbar ist.

Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens im Zeitpunkt der Entscheidung über den Eilantrag nicht (hinreichend) abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden: Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, das Hauptsacheverfahren aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, das Normenkontrollverfahren aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung - trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache - dringend geboten ist (vgl. zum vorstehenden insgesamt: Senatsbeschluss vom 23. April 2020 - OVG 11 S 25/20 -, Rn. 4 - 7, juris; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 09. April 2020 - 3 MR 4/20 -, Rn. 3 - 5, juris; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 30.03.2020 - 20 NE 20.632 -, juris Rn. 31 ff., jeweils unter Hinweis auf BVerwG, Beschluss vom 25.02.2015 - 4 VR 5.14 -, juris Rn. 12).

Hiernach ist der begehrte Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht dringend geboten.

Der Senat vermag die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache mit Blick auf die Kürze der Zeit nicht hinreichend zu beurteilen. Es lässt sich mit Blick auf die Eilbedürftigkeit der Sache nicht sicher feststellen, ob die angegriffene Offenbarungs- bzw. Nachweispflicht zu Gesundheitsdaten einer Prüfung im Normenkontrollverfahren voraussichtlich standhalten wird. In Frage steht insofern bereits, ob der mit der angegriffenen Regelung verbundene datenschutzrechtliche Eingriff in §§ 32, 28 Abs. 1, 28a Abs. 1 Nr. 2 des Infektionsschutzgesetzes in der Fassung vom 18. November 2020 (im Folgenden: IfSG), der notwendige Schutzmaßnahmen in Form einer Maskenpflicht erlaubt, eine hinreichende Rechtsgrundlage findet. Zweifel bestehen auch daran, ob die Maßnahme geeignet ist, den hiermit verfolgten Zweck zu erreichen; auch dies lässt sich jedoch im Eilverfahren nicht abschließend klären. Die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren sind daher bei summarischer Prüfung als offen einzuschätzen. Die danach vorzunehmende Folgenabwägung geht zulasten des Antragstellers aus.

Die Versagung des vom Antragsteller begehrten vorläufigen Rechtsschutzes nach § 47 Abs. 6 VwGO hat für diesen zur Folge, dass er sich bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren für die Vorlage bei Behörden und Gerichten gegebenenfalls ein zweites ärztliches Attest ausstellen lassen muss, das konkrete Angaben enthält, warum er von der Tragepflicht befreit ist. Der damit einhergehende Eingriff in seine allgemeine Handlungsfreiheit im Sinne von Art. 2 Abs. 1 GG ist indes von geringem Gewicht. Ferner muss der Antragsteller mit der Vorlage eines solchen Attests bei Behörden und Gerichten weitergehende Gesundheitsdaten preisgeben. Der hiermit verbundene Eingriff in sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ist jedoch in seiner Schwere dadurch begrenzt, dass die angegriffene Regelung die Preisgabe einer Diagnose bzw. der konkreten Hintergründe, wie etwa einen vom Antragsteller in Bezug genommenen sexuellen Missbrauch, nicht verlangt. Dem Attest muss bei Vorlage bei Behörden und Gerichten vielmehr nur zu entnehmen sein, warum es dem Betroffenen unmöglich oder unzumutbar ist, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen; das Attest muss mithin nur kurz und plakativ benennen, mit welchen Folgen der Betroffene zu rechnen hätte, wenn er eine Mund-Nasen-Bedeckung tragen würde. Der Antragsteller muss daher bei Abweisung seines Eilantrages nur wenig mehr an Gesundheitsdaten preisgeben als bei vorläufiger Außervollzugsetzung der angegriffenen Regelung. Denn die Angabe, dass dem Antragsteller die Verwendung einer Mund-Nasen-Bedeckung aus gesundheitlichen Gründen unmöglich oder unzumutbar ist, muss das vorzulegende ärztliche Attest bereits aufgrund der Regelung des § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 der 4. SARS-CoV-2-EindV enthalten, die hier nicht angegriffen ist.

Würde die vom Antragsteller angegriffene Vorschrift hingegen vorläufig außer Vollzug gesetzt, hätte dies zur Folge, dass nicht nur im Fall des Antragstellers, sondern allgemein die Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses ohne konkrete Angaben, warum die Person von der Tragepflicht befreit ist, (auch) gegenüber Behörden und Gerichten bis auf weiteres ausreicht. Da die angegriffene Regelung dazu dient, Missbrauch vorzubeugen, der auch durch die Strafbewehrung des § 278 StGB nicht gänzlich ausgeschlossen wird, zöge dies eine erhöhte Missbrauchsgefahr nach sich. Der möglichst weitreichende Ausschluss eines Missbrauchs ist indes für die Pandemiebekämpfung von erheblicher Bedeutung, weil die Maskenpflicht an sich ein wesentlicher Baustein in der Pandemiebekämpfung ist und sich - wird diese unterlaufen - das Ansteckungsrisiko daher wesentlich erhöhen kann. Der gegenwärtige Stand des Infektionsgeschehens mit landesweiten Höchstwerten der Inzidenzen, die damit verbundene starke Belastung des Gesundheitssystems, insbesondere der intensivmedizinischen Abteilungen der Krankenhäuser, und der Gefahr der Verbreitung von Virusmutationen mit einer nochmals höheren Infektiosität lässt es derzeit nicht zu, auf das grundsätzlich wirksame Mittel der Verwendung einer Mund-Nasen-Bedeckung auch in Fällen zu verzichten, in denen dies nicht tatsächlich gerechtfertigt ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Verfahrenswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG. Von einer Halbierung war angesichts der begehrten Vorwegnahme der Hauptsache abzusehen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte