BGH, Beschluss vom 17.12.2020 - III ZR 60/20
Fundstelle
openJur 2021, 3478
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 9. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 26. Februar 2020 - 9 U 125/19 - wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 6.500 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche aus einem zwischen den Parteien im Hinblick auf die von der Beklagten betriebene Social Media-Plattform "F. " bestehenden Nutzungsverhältnis geltend.

Er unterhält bei F. ein Nutzerkonto und nimmt die hierzu von der Beklagten angebotenen Dienste in Anspruch. Das entsprechende Vertragsverhältnis wird unter anderem durch die zwischen den Parteien vereinbarten Nutzungsbedingungen und "Gemeinschaftsstandards" (Stand: 19. April 2018) geregelt (Anlagen B 1 und B 2).

Am 22. August 2018 "postete" der Kläger unter Verwendung seines Nutzerkontos auf der Plattform der Beklagten unter einem Link zu einem externen Zeitungsartikel. Die Überschrift des Beitrags, der sich auf den externen Artikel bezog, lautete:

"Nach der Attacke auf zwei Polizisten in Plauen ermittelt die Polizei gegen drei Männer aus Mazedonien, Libyen und Kroatien. Ihnen wird unter anderem gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Sie hatten den Einsatz gegen einen libyschen Sex-Täter behindert. Ein Video von dem Vorfall lässt nun Rufe nach einem härteren Durchgreifen der Polizei laut werden."

Darüber hinaus enthielt der Link ein Video, das das diskutierte Ereignis in Plauen zeigte. Der Kläger kommentierte den Link mit: "Warum wird auf die Angreifer nicht geschossen?".

Die Beklagte löschte diesen Beitrag des Klägers am 22. August 2018 und sperrte sein Nutzerkonto für 30 Tage mit der Begründung, der Beitrag verstoße gegen ihre "Gemeinschaftsstandards". Während der Sperre wurde das Konto in einen sogenannten "Read only-Modus" versetzt, während dessen der Kläger auf sein Konto zugreifen und Inhalte auf dem Facebook-Service einsehen, nicht aber Inhalte veröffentlichen konnte.

Der Kläger hält die Löschung seines Beitrags sowie die vorübergehende Sperrung seines Nutzerkontos für rechtswidrig. Er begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Sperrung (Berufungsantrag zu 2) sowie von der Beklagten die Freischaltung des gelöschten Beitrags (Berufungsantrag zu 3), Unterlassung der erneuten Sperrung für das Einstellen des gelöschten Beitrags und der erneuten Löschung des Beitrags, wenn dieser sich auf den Angriff mehrerer Personen auf eine Diensthandlung ausführende Polizisten beziehe (Berufungsantrag zu 4), Auskunft darüber, ob die Sperre durch ein - gegebenenfalls zu benennendes - beauftragtes Unternehmen erfolgt sei (Berufungsantrag zu 5) und ob die Beklagte hinsichtlich der Löschung von Beiträgen oder der Sperrung von Nutzern konkrete oder abstrakte Weisungen, Hinweise, Ratschläge oder sonst irgendwelche Vorschläge von der Bundesregierung oder - gegebenenfalls zu benennenden - nachgeordneten Dienststellen erhalten habe (Berufungsantrag zu 6), Schadensersatz in Höhe von 1.500 € (Berufungsantrag zu 7) und Freistellung von der Verpflichtung zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu 8).

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde verfolgt der Kläger die vorgenannten Anträge weiter.

II.

Die Beschwerde ist unzulässig, weil der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 € nicht übersteigt (§ 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

1. Es obliegt grundsätzlich dem Beschwerdeführer, darzulegen und glaubhaft zu machen, dass er mit der beabsichtigten Revision die Abänderung des Berufungsurteils in einem die Wertgrenze von 20.000 € übersteigenden Umfang erreichen will. Maßgebend für die Bewertung der Beschwer der Nichtzulassungsbeschwerde ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht (Senat, Beschlüsse vom 28. September 2017 - III ZR 580/16, BeckRS 2017, 128871 Rn. 5 und vom 3. August 2017 - III ZR 445/16, BeckRS 2017, 121625 Rn. 5; BGH, Beschluss vom 10. Januar 2017 - II ZR 177/15, BeckRS 2017, 100946 Rn. 5; jeweils mwN). Das Revisionsgericht ist dabei an die Streitwertfestsetzung des Berufungsgerichts nicht gebunden (z.B. Senat, Beschluss vom 28. September 2017 aaO; BGH, Beschluss vom 10. Januar 2017 aaO; jeweils mwN).

2. Der Kläger ist durch das Berufungsurteil in Höhe von 6.500 € beschwert.

a) Hinsichtlich des Berufungsantrags zu 2 ist zu berücksichtigen, dass der Kläger nur für einen begrenzten Zeitraum von 30 Tagen und nur an einer aktiven Nutzung seines Kontos gehindert war. Die Kenntnisnahme von dessen Inhalten war ihm hingegen durchgehend möglich. Die mit der Teilsperrung des Kontos verbundene Einschränkung seiner Kommunikationsfreiheit war zudem auf die Plattform der Beklagten beschränkt (so zu ähnlichen Sachverhalten Senat, Beschluss vom 26. November 2020 - III ZR 124/20, zur Veröffentlichung bestimmt; OLG Frankfurt a.M., ZUM-RD 2019, 6, 7 und OLG Koblenz, MMR 2019, 625 Rn. 18). Der Kläger konnte weiterhin über andere Internet-Plattformen, E-Mails und alle anderen Medienarten kommunizieren. Andererseits sind die Marktmacht, die Reichweite und der potenzielle Empfängerkreis von F. erheblich (vgl. Senat, Beschluss vom 26. November 2020; OLG Dresden, GRUR-RR 2019, 408 Rn. 4; Haertel/Thonke, GRUR-Prax 2020, 75, 76 f; BeckOK ZPO/Wendtland, § 3 Rn. 18 [Stand: 01.07.2020]). Das von der Beklagten betriebene Netzwerk kann daher nicht einschränkungslos durch andere Kommunikationsformen ersetzt werden.

Unter Abwägung dieser Gesichtspunkte ist nach Auffassung des Senats ein Klageantrag, der sich gegen eine 30tägige Teilsperre eines F. -Nutzerkontos richtet, mit einem Betrag von 2.500 € zu bewerten (siehe bereits Senat, Beschluss vom 26. November 2020). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist zwar in Anlehnung an § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG bei einer nichtvermögensrechtlichen Streitigkeit und mangelnden genügenden Anhaltspunkten für ein höheres oder geringeres Interesse von einem Wert von 5.000 € auszugehen (BGH, Beschluss vom 17. November 2015 - II ZB 8/14, WM 2016, 96 Rn. 13; vgl. auch § 52 Abs. 2 GKG: Streitwert von 5.000 € bei fehlenden Anhaltspunkten für die Bestimmung des Streitwerts). Die zeitliche und inhaltliche Begrenzung der Sperre ergeben jedoch deutliche Anhaltspunkte für eine geringere Beschwer des Klägers. Auch darf das Gesamtgefüge der Bewertung nichtvermögensrechtlicher Streitgegenstände nicht aus den Augen verloren werden (vgl. Senat, Beschluss vom 26. November 2020; so auch OLG Frankfurt a.M. aaO S. 8). In dieses sind die Anträge des Klägers unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Einzelfalls (vgl. § 48 Abs. 2 Satz 1 GKG) einzuordnen. Daraus ergibt sich für die 30tägige Kontosperre jedenfalls kein höherer Wert als 2.500 €.

Die vorliegende Fallkonstellation kann nicht mit Unterlassungsansprüchen gegenüber einer ehrverletzenden Äußerung verglichen werden (vgl. Senat, Beschluss vom 26. November 2020; anders OLG Dresden aaO Rn. 3 f). Eine Ehrverletzung stellt einen wesentlich stärkeren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen dar als die ihm (vorübergehend) genommene Kommunikationsmöglichkeit auf einer Internetbasierten Plattform. Dass auf dieser Plattform im Hinblick auf den Kläger ehrverletzende Äußerungen erfolgt sind, gegen die er sich während der Sperre nicht hat zur Wehr setzen können, ist nicht geltend gemacht.

Im Ansatz ist somit bei der hier verhängten 30tägigen Sperre des F. - -Nutzerkontos von einem Streitwert in Höhe von 2.500 € auszugehen. Hiervon ist - da es sich (nur) um einen Feststellungsantrag handelt - ein Abschlag von 20 % vorzunehmen (vgl. Senat, Beschluss vom 26. November 2020 mwN). Denn es handelt sich nicht um die Untersagung einer gegenwärtigen oder künftigen Sperre, sondern lediglich um die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer in der Vergangenheit liegenden, beendeten Sperre. Auf diese Weise ergibt sich für den Berufungsantrag zu 2 eine Beschwer von 2.000 €.

b) Hinsichtlich des Berufungsantrags zu 3 ist bei der Bemessung der Beschwer zwar zu berücksichtigen, dass der gelöschte Beitrag vom Schutzbereich der Meinungs- und Kommunikationsfreiheit erfasst wird (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG; vgl. Senat, Beschluss vom 26. November 2020; BGH, Beschlüsse vom 19. Januar 2016 - VI ZB 69/14, juris Rn. 11 und vom 13. Januar 2015 - VI ZB 29/14, CR 2015, 250 Rn. 11). Indes betrifft die Löschung vorliegend nur eine einzige kurze und zudem in Frageform gefasste Äußerung auf einer Internet-Plattform (ähnlich Senat, Beschluss vom 26. November 2020; OLG Frankfurt a.M. aaO S. 8 und OLG Koblenz aaO Rn. 18). Vor diesem Hintergrund ist der Eingriff in die Meinungsfreiheit des Klägers gering zu bewerten und erscheint - neben dem separat angesetzten Wert für die Kontosperre - ein Betrag von 500 € angemessen (vgl. Senat, Beschluss vom 26. November 2020). Anhaltspunkte für ein besonderes Interesse des Klägers an seiner Äußerung macht die Beschwerde nicht geltend. Sie beruft sich allein auf den bei fehlenden Anhaltspunkten für die Bestimmung des Streitwerts gemäß § 52 Abs. 2 GKG anzunehmenden Streitwert von 5.000 €. Indes sind - wie ausgeführt - mit den vorgenannten Umständen Anhaltspunkte für ein deutlich geringeres Interesse des Klägers gegeben.

c) Hinsichtlich des auf die Unterlassung einer künftigen Löschung und Sperrung bezogenen Berufungsantrags zu 4 ist zu berücksichtigen, dass die Berufungsanträge zu 2 und 3 lediglich andere Zeiträume, aber denselben Beitrag des Klägers und dasselbe Nutzerkonto betreffende identische Verhaltensweisen der Beklagten zum Gegenstand haben. Auch die Feststellungs- und Freischaltungsanträge zu 2 und 3 dienen bereits der Vermeidung künftiger identischer Rechtsbeeinträchtigungen. Vor diesem Hintergrund erscheint ein Wert von 1.500 € angemessen, um einerseits der separaten Antragstellung und andererseits der Bedeutung des Unterlassungsantrags im Gesamtgefüge der Anträge hinreichend Rechnung zu tragen.

d) Hinsichtlich des Berufungsantrags zu 5 bemisst der Senat die Beschwer des Klägers mit 500 € (vgl. Senat, Beschluss vom 26. November 2020). Soweit der Kläger die Auskunft zur Vorbereitung von Ansprüchen gegen mit der Durchführung der Kontosperre beauftragte Unternehmen verlangt, bilden diese Ansprüche einen Anhaltspunkt für seine Beschwer (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Februar 2014 - III ZR 75/13, juris Rn. 9 zum wirtschaftlichen Interesse an der Erteilung der Auskunft als maßgeblichem Kriterium für die Bemessung der Beschwer des - in den Vorinstanzen erfolglos - Auskunft Begehrenden). Der Wert des Auskunftsanspruchs ist allerdings nicht identisch mit dem Leistungsanspruch, sondern in der Regel nur mit einem Teilwert des Anspruchs zu bemessen, dessen Durchsetzung die verlangte Information dienen soll. Dabei werden üblicherweise 1/4 bis 1/10 angesetzt (Senat, Beschluss vom 27. Februar 2014 aaO mwN). Die Beschwerde zeigt keinen Vortrag des Klägers auf, nach dem dieser einen Betrag von 2.000 € übersteigende Ansprüche gegen ein mit der Kontosperre beauftragtes Unternehmen geltend zu machen beabsichtigt. Selbst bei Ansatz eines Viertels des Betrages solcher Ansprüche ergibt sich mithin für das vorliegend zu bewertende Auskunftsverlangen keine höhere Beschwer als 500 €.

e) Hinsichtlich des Berufungsantrages zu 6 bemisst der Senat die Beschwer des Klägers ebenfalls mit 500 € (vgl. Senat, Beschluss vom 26. November 2020). Die Beschwerde zeigt auch insofern keinen Vortrag des Klägers auf, nach dem dieser einen Betrag von 2.000 € übersteigende Ansprüche gegen die B. D. geltend zu machen beabsichtigt.

f) Soweit das Berufungsgericht den auf Zahlung von 1.500 € gerichteten Berufungsantrag zu 7 abgewiesen hat, ist die entsprechende Beschwer des Klägers mit diesem Betrag anzusetzen.

Damit berechnet sich die Beschwer des Klägers i.S.v. § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wie folgt:

Berufungsantrag zu 2: 2.000 € Berufungsantrag zu 3: 500 € Berufungsantrag zu 4: 1.500 € Berufungsantrag zu 5: 500 € Berufungsantrag zu 6: 500 € Berufungsantrag zu 7: 1.500 € Gesamtbeschwer: 6.500 €.

Herrmann Remmert Reiter Kessen Herr Vorinstanzen:

LG Itzehoe, Entscheidung vom 24.05.2019 - 6 O 322/18 -

OLG Schleswig, Entscheidung vom 26.02.2020 - 9 U 125/19 -