LG Bonn, Urteil vom 18.12.2020 - 1 O 334/18
Fundstelle
openJur 2021, 3261
  • Rkr:
Tenor

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 4.955,95 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.08.2020 zu zahlen.

2. Die Beklagten werden weitergehend als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 6.500,00 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.09.2016 zu zahlen.

3. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

4. Die Kosten des Rechtsstreites werden dem Kläger zu 16% und den Beklagten als Gesamtschuldner zu 84% auferlegt.

5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des für die Beklagten aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagten als Erben des bei dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall verstorbenen Erblassers, Herrn Z, auf Ersatz immaterieller und materieller Schäden in Anspruch.

Am 26.06.2015 befuhr der Kläger mit einem Pkw die L...# in A in Fahrtrichtung D. Es herrschten beste Licht- und Sichtverhältnisse bei trockenem Sommerwetter. In gleicher Richtung befuhr der 78 Jahre alte Erblasser mit seinem Pedelec gegen 14:00 Uhr den Radweg neben der L...#. In Höhe der Y-Straße fuhr der Erblasser von dem Radweg auf die Fahrbahn der L...# ohne auf den vorfahrtsberechtigten Verkehr zu achten. Er wurde dort von dem von dem Kläger geführten Fahrzeug erfasst, durch die Luft geschleudert und verstarb an der Unfallstelle. Im Unfallbereich verlaufen die L...# ebenso wie der an die Fahrbahn angrenzende Radweg geradlinig. Zwischen dem Radweg und der Fahrbahn sind dort in Abständen von circa 15 Metern Bäume angepflanzt.

Das gegen den Kläger wegen dieses Verkehrsunfalles eingeleitete Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Bonn - 551 Js 331/15 - wurde gemäß § 170 Abs.2 StPO eingestellt. Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 06.09.2016 (Anlage F16 = Bl.210 - 211 d.A.) hat der Kläger die Privathaftpflichtversicherung des Erblassers um Abrechnung eines Gesamtbetrages von 9.905,00 € bis längstens zum 27.09.2016 gebeten. Die Haftpflichtversicherung hat auf das geltend gemachte Schmerzensgeld einen Vorschuss von 1.000,00 € gezahlt.

Der Kläger behauptet, er habe nicht bemerkt, dass der Erblasser die Fahrbahn überqueren wollte. Der Unfall sei für ihn, den Kläger, unvermeidbar gewesen.

Der Kläger behauptet ferner, er leide aufgrund des Unfallereignisses an einer posttraumatischen Belastungsstörung und befinde sich deshalb seit dem Verkehrsunfall in psychologischer Behandlung in der Klinik B, Zentrum für seelische Gesundheit (Arztberichte vom 28.10. und 12.11.2015, Anlagen K2 und K3 = Bl.12 - 17 d.A.; Arztbericht vom 13.04.2016, Anlage F14 = Bl.84 - 86 d.A.). Die psychologische Betreuung sei weiterhin erforderlich. Bis Januar 2016 sei er aufgrund des Verkehrsunfalls arbeitsunfähig erkrankt.

Mit der Klageschrift hat der Kläger behauptet, ein monatliches Bruttogehalt von 3.600,00 € verdient und bis zum 13.09.2018 (Datum der Klageschrift) einen Entgeltschaden von 5.400,00 € erlitten zu haben. Mit den Beklagten am 07.08.2020 zugestelltem Schriftsatz vom 24.07.2020 hat der Kläger unwidersprochen folgendes vorgetragen:

Für die Dauer der sechswöchigen Entgeltfortzahlung ab dem Unfalltage habe seine Arbeitgeberin 5.299,85 € gezahlt (Abtretungsvereinbarung Anlage F15 = Bl.209 d.A.). Für die weitergehenden sich anschließenden 136 Tage bis zum 21.12.2015 beanspruche er die Differenz zwischen seinem üblichen Gehalt und dem gewährten Krankengeld von 9,84 € pro Tag, mithin 1.338,42 €. Abzüglich berufsbedingter Aufwendungen von 10% aus 6.683,27 € verbleibe ein Entgeltschaden von 6.014,94 €. Ferner habe er rund 15 ambulante mehrstündige Termine in der Klinik B wahrgenommen und dafür 600 km fahren müssen. Unter Berücksichtigung eines Betrages von 0,30 € pro Kilometer seien ihm deshalb Fahrtkosten in Höhe von 180,00 € entstanden.

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm sämtliche materiellen und immateriellen Ansprüche zu ersetzen, die darauf beruhen, dass er am 26.06.2015 in A in einen Verkehrsunfall mit Herrn Z aus C verwickelt war, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.

Hilfsweise beantragt der Kläger,

1. die Beklagten gesamtschuldnerisch kostenpflichtig zu verurteilen, an ihn 6.194,94 € zu zahlen zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz mit Wirkung ab Rechtshängigkeit;

2. die Beklagten weitergehend zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, welches den Betrag von 7.500,00 € nicht unterschreiten sollte zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz mit Wirkung ab dem 26.09.2016.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten bezugnehmend auf die Aussage des die L...# in entgegengesetzter Richtung befahrenden Zeugen S im Ermittlungsverfahren (vgl. Anlage K1, S. 4 = Bl.10 d.A.), dass der Erblasser seinen linken Arm ausgestreckt habe und der Kläger bei Annäherung an die Unfallstelle den Erblasser bereits aus einer Entfernung von 300 Metern habe wahrnehmen können. Sie vertreten die Rechtsansicht, dass sich der Kläger die von dem von ihm geführten Fahrzeug ausgehende Betriebsgefahr anspruchsmindernd anrechnen lassen müsse.

Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 09.12.2020 haben die Beklagten gegenüber den hilfsweise geltend gemachten Entgeltfortzahlungsansprüchen die Einrede der Verjährung erhoben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Beziehung der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Bonn - 551 Js 331/15 -, durch Einholung eines Unfallrekonstruktionsgutachtens sowie durch Einholung eines forensischpsychiatrischen Gutachtens nebst dessen mündlicher Erläuterung. Hinsichtlich des Inhaltes und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Beiakte, auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dr. X vom 27.11.2019, auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dr. T vom 20.05.2020 (Bl.163 - 175 d.A.) nebst Ergänzungsgutachten vom 21.08.2020 (Bl.215 - 218 d.A.) sowie auf das Sitzungsprotokoll der mündlichen Verhandlung vom 27.11.2020 (Bl.247 - 251 d.A.) verwiesen.

Gründe

Die Klage ist hinsichtlich des Hauptbegehrens des Klägers nicht zulässig, da es an dem gemäß § 256 Abs.1 ZPO erforderlichen Feststellungsinteresse fehlt. Die gemäß § 264 Ziffer 2. ZPO zulässigen Hilfsanträge sind überwiegend begründet, wobei auch der Hilfsantrag zu Ziffer 2. unter verständiger Würdigung des Klagebegehrens als Antrag auf gesamtschuldnerische Verurteilung auszulegen war (§ 133 BGB).

1. Die von dem Kläger mit Schriftsatz vom 13.09.2018 erhobene Feststellungsklage ist unzulässig, da die Schadensentwicklung aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall bereits zu diesem Zeitpunkt (vgl. BGH NJW-RR 2016, 759 Rd.6) abgeschlossen war.

Denn die von dem Kläger durch das Unfallereignis erlittene posttraumatische Belastungsstörung ist nach den sorgfältigen und einleuchtenden Feststellungen des Sachverständigen Dr. T seit dem Frühjahr 2016 ausgeheilt (S.12 des Erstgutachtens = Bl.174 d.A.; S.2 und S.4 des Ergänzungsgutachtens = Bl.216 und 218 d.A.; S.3 des Sitzungsprotokolls vom 27.11.2020). Dabei hat der Sachverständige den Zeitpunkt der Ausheilung im Vergleich zu der lediglich bis Ende 2015 attestierten Arbeitsunfähigkeit des Klägers überzeugend mit dem in den Arztberichten der Klinik A zuletzt vom 13.04.2016 (Anlage F14) beschriebenen Heilungsverlauf in Beziehung gesetzt und ist aufgrund des darin und in der Exploration des Klägers durch den Sachverständigen konstatierten konkreten Beschwerdebildes zu dem Ergebnis gelangt, dass die Belastungsstörung ab Anfang 2016 ausgeheilt ist (S.12 - 13 ebenda). Anhaltspunkte, die diese Feststellungen in Frage stellen könnten, hat der Kläger nicht vorgetragen. Dies gilt auch für die in der mündlichen Anhörung des Sachverständigen angesprochenen Schwierigkeiten des Klägers, Gerichts- oder Explorationstermine in Bezug auf das Unfallgeschehen wahrzunehmen und / oder dort über dieses Ereignis zu sprechen (vgl. S.3 des Sitzungsprotokolls zum "Triggern" dieses Erlebnisses). Denn diese Aspekte sind von dem Sachverständigen berücksichtigt worden, ohne dass dies an der attestierten Ausheilung etwas ändert (vgl. demgegenüber den abweichenden Sachverhalt bei OLG Hamm, Urteil vom 26.07.2016 - 9 U 169/15 - zit. nach beck.online).

Infolge der dadurch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme feststehenden vollständigen Ausheilung der unfallbedingten posttraumatischen Belastungsstörung können über die bezifferten Hilfsanträge hinausgehende Folgeschäden des Klägers ausgeschlossen werden, so dass es an dem für die Erhebung der isolierten Feststellungsklage erforderlichen qualifizierten Rechtsschutzbedürfnis im Sinne von § 256 Abs.1 ZPO fehlt (BGH, Urteil vom 02.04.2014 - VIII ZR 19/13 = juris Rd.18f.; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 07.10.2020 - 1 U 39/19 = BeckRS 2020, 30045 Rd.20; Foerste in Musielak/Voit, ZPO, 17.Aufl. 2020, § 256 Rd.29 jeweils m.w.N.). Vielmehr ist es für den Kläger in dieser Situation im Interesse der Verfahrensökonomie zumutbar, im Wege der Leistungsklage ein Urteil zu erwirken, aus dem auch vollstreckt und ein Folgeprozess zur Bezifferung seines Anspruches vermieden werden kann (BGH NJW-RR 2016, 759 Rd.6; Foerste, aaO., § 256 Rd.12 jeweils m.w.N.).

Soweit die neuere Rechtsprechung darüber hinaus auf die Wahrscheinlichkeit des Eintritts weiterer Schäden als Begründetheitserfordernis für einen Feststellungsantrag verzichtet (vgl. Bacher in Vorwerk/Wolf, BeckOK-ZPO, 38.Edit. 01.09.2020, § 256 Rd.34 m.w.N.), so betrifft dies den hier gerade nicht vorliegenden Fall, dass dem Anspruchssteller bereits ein aus dem Schadensereignis resultierender Vermögensschaden entstanden ist und / oder ein (zulässiger) Feststellungsantrag in einem Rechtsstreit neben einem Leistungsantrag formuliert worden ist (BGH NJW 2018, 1242 Rd.49 = VersR 2018, 120; OLG München, Endurteil vom 07.10.2020 - 10 U 2463/20 = BeckRS 2020, 26133 Rd.5f.).

2. Der Kläger hat dem Grunde nach gegen die Beklagten als Gesamtschuldner (§§ 2058, 1967 Abs.1, 421 BGB) einen Anspruch auf Ersatz der ihm durch den Verkehrsunfall entstandenen materiellen und immateriellen Schäden aus den §§ 823 Abs.1, 249f. und 253 Abs.2 BGB. Denn der Kläger hat bei dem Verkehrsunfall vom 26.06.2015 eine durch das Verhalten des Erblassers verursachte posttraumatische Belastungsstörung und damit eine Gesundheitsbeschädigung im Sinne von § 823 Abs.1 BGB erlitten (vgl. nur OLG Brandenburg, Urteil vom 06.06.2019 - 12 U 119/18 = NJOZ 2020, 425 = BeckRS 20119, 12676; OLG Hamm, Urteil vom 26.07.2016 - 9 U 169/15, aaO.; Palandt/Sprau, BGB, 80.Aufl. 2021, § 823 Rd.4; Palandt/Grüneberg, ebenda, Vorb. v. § 249 Rd.40 jeweils m.w.N.). Allerdings führt die von dem klägerseits gesteuerten Kraftfahrzeug ausgehende Betriebsgefahr hier gemäß den §§ 9, 18 Abs.3, 17 Abs.1 und Abs.2 StVG und in erweiternder Anwendung von § 254 Abs.1 BGB (vgl. BGH NJW 2013, 3225, 3236f. Rd.18 und 20; Heß in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 26.Aufl. 2020, § 9 StVG Rd.17; Walter in Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck.online Großkommentar StVG, Stand 01.09.2019, § 17 StVG Rd.6) zu einer (Mit-) Haftungsquote des Klägers von 20%.

Im Einzelnen:

a) Die Haftung der Beklagten als Rechtsnachfolger des Erblassers (§§ 1922 Abs.1, 1967 Abs.1 BGB) beruht auf dem Verstoß des Erblassers gegen die ihm als Pedelec-Fahrer obliegende Verpflichtung, das Vorrang- und Vorfahrtsrecht des Klägers auf der L...# zu beachten (§§ 10, 9 Abs.2 Satz 1 und Satz 2 StVO; vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 02.01.2018 - 7 U 44/17 - zit. nach juris; OLG Hamm NJW-RR 2016, 1043ff.).

Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der Erblasser fahrlässig und damit schuldhaft (§ 276 Abs.1 Satz 1 und Abs.2 BGB) gegen diese Verhaltenspflichten verstoßen und dadurch den streitgegenständlichen Verkehrsunfall mitverursacht hat.

b) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht auch zur Überzeugung des Unterzeichners fest, dass hierdurch der Kläger eine posttraumatische Belastungsstörung erlitten hat.

Der Sachverständige Dr. T hat diese Gesundheitsbeschädigung nach sorgfältiger Auswertung der ihm zur Verfügung stehenden Behandlungsdokumente sowie eigener Exploration des Klägers am 06.05.2020 in der LVR-Klinik F fachlich fundiert und in allen Punkten überzeugend bestätigt. Insoweit wird auf die bereits unter Ziffer 1. erwähnten Gutachten nebst deren protokollierter Erläuterung verwiesen.

Die mit Schriftsatz der Beklagten vom 19.06. und 09.09.2020 gegen die schriftlichen Gutachten erhobenen Einwendungen überzeugen nicht. Sie beruhen offensichtlich, ohne dies jedoch konkret zu benennen, auf dem Diagnosemanual DSM-5 (vgl. S.2 des Sitzungsprotokolls vom 27.11.2020). Demgegenüber verweist der Sachverständige zu Recht auf das von ihm angewandte und in der Bundesrepublik Deutschland medizinisch durchweg anerkannte Klassifikationsschema ICD-10 (International Statistical Classificiation of Diseases and Related Health Problems) der Weltgesundheitsorganisation WHO (vgl. nur von Boetticher/Meysen in Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 8.Aufl. 2019, § 35a Rd.18ff.). Gleichzeitig hat der Sachverständige in seiner mündlichen Anhörung überzeugend dargetan, dass auch nach dem DSM-5 als aktuellem Diagnosesystem der amerikanischen Fachgesellschaften (vgl. etwa LSG Bayern, Urteil vom 06.07.2016 - L 2 U 336/14 = BeckRS 2016, 71507), die von ihm attestierte Belastungsstörung als medizinisch fassbare Gesundheitsbeschädigung des Klägers zu bejahen ist. Der Feststellung des Sachverständigen, dass das hier zur Diskussion stehende und in der Ermittlungsakte anschaulich dokumentierte Unfallereignis ein auch aus klinischer Sicht für den Kläger katastrophales Ereignis mit den entsprechenden gesundheitlichen Folgen gewesen ist, ist nichts hinzuzufügen. Sie steht im Einklang mit allen aktuellen forensischpsychiatrischen Erkenntnissen (vgl. auch von Heintschel-Heinegg/Eschelbach, BeckOK-StGB, 44.Edit. 01.11.2019, § 20 StGB Rd.50.2 m.w.N.).

c) Allerdings war bei dem hier vorliegenden Verkehrsunfall zwischen einem Kraftfahrzeug und einem Pedelec zu prüfen, ob sich ein etwaiges Mitverschulden des Klägers an dem Verkehrsunfall (§ 9 StVG, § 254 Abs.1 BGB) ausgewirkt hat. Gleiches gilt für den Fall, dass der Kläger als Fahrer des Pkw den Entlastungsbeweis nach § 18 Abs.1 Satz 2 StVG nicht führen kann (vgl. Walter, aaO., § 18 StVG Rd.27), für die sich daran anschließende Berücksichtigung der Betriebsgefahr des von ihm geführten Pkw (arg. §§ 18 Abs.3, 17 Abs.1 und 2 StVG; vgl. Walter, aaO., § 17 StVG Rd.6 und § 18 StVG Rd.31).

Die auf der Grundlage der sich daraus ergebenden Beweislastverteilung (vgl. die Hinweise S.1 des Sitzungsprotokolls vom 15.02.2019) mit Beweisbeschluss vom 26.04.2019 angeordnete Einholung eines Unfallrekonstruktionsgutachtens hat zu folgenden Ergebnissen geführt:

Der Erblasser hat sich zum Zeitpunkt der Kollision mit dem Pkw in einer Vorwärtsbewegung befunden, wobei beide Füße Kontakt zur Fahrbahn hatten. Er hat auf den sich von links nähernden Pkw offenbar mit einer Bremsung reagiert, sich in einem dadurch entstehenden instabilen Fahrzustand des Pedelec auf der Fahrbahn abgestützt, sich aufgrund der Masseträgheit noch weiter in die Fahrbahn hinein bewegt und ist dort mit seinem Kopf von den Pkw erfasst worden (S.46 - 47 des Gutachtens des Sachverständigen Dr. X).

Dabei wurde der Erblasser streifend von dem Pkw angestoßen (S.49 ebenda).

Die vorkollisionäre Geschwindigkeit des Erblassers kann rechnerisch zwischen circa 11 km/h und circa 17 km/h eingegrenzt werden, wobei die Untergrenze mit 11 km/h mit dem beschriebenen instabilen Fahrzustand in Einklang gebracht werden kann (S.52 ebenda).

Die Kollisionsgeschwindigkeit der Pkw kann zwischen circa 60 km/h und circa 70 km/h eingegrenzt werden (S.51 und S.54 ebenda).

Eine aktive Verzögerung des Pkw wurde nicht umgesetzt, vielmehr erfolgte mit dem ausweislich der Ermittlungsakte klägerseits beschriebenen "reflexartigen" Ausweichen aus technischer Sicht ein "Notausweichen" (S.50 und S.53 ebenda).

Es ist darstellbar, dass der Kläger circa 10 Meter vor der Kollision reagiert hat und der Erblasser circa 3 Meter (S.54 ebenda). Eine technische Vermeidbarkeit für den Kläger bei diesen Abständen war nicht gegeben, da dieser bereits auf den Erblasser reagierte, bevor dieser sichtbar in den Fahrstreifen des Kläger eingedrungen war (S.55 ebenda).

Ausgehend von der in der Ermittlungsakte dokumentierten Bekundung des Zeugen S und der Sichtverhältnisse an der Unfallstelle konnte der Kläger aber ein linkes Handzeichen des Erblassers circa 64 Meter vor dem Kollisionsort erkennen (S.56 - 57 ebenda). Bei Vollverzögerung aus einer Geschwindigkeit von 100 km/h betrug die Anhaltestrecke circa 76 Meter (S.57 - 58 und S.61 ebenda).

Nach diesen in allen Punkten überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen kann ein Sorgfaltspflichtenverstoß des Klägers in Form einer § 1 Abs.2 StVO nicht genügenden Unaufmerksamkeit (vgl. dazu OLG Hamm NJW-RR 2016, 1043, 1045 Rd.31) als Mitursache für das Unfallgeschehen nicht mit der für die Überzeugungsbildung des Unterzeichners erforderlichen Sicherheit (§ 286 Abs.1 ZPO) bejaht werden. Gleichzeitig kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger bei erhöhter Aufmerksamkeit und in Anbetracht der Sichtverhältnisse das linke Handzeichen des Erblasser wahrnehmen konnte und bei sofortiger Brems- und / oder Ausweichreaktion, bevor der Erblasser in die Fahrspur eindrang, die Kollision vermieden hätte. Die in diesem Zusammenhang zu berücksichtigenden Beobachtungen des Zeugen S sind auf Seite 4 der polizeilichen Unfallanzeige (Bl.5 der Beiakte; vgl. Anlage K1 = Bl.7 - 11 d.A.) dokumentiert und von dem Kläger weder konkret bestritten noch durch sein Vorbringen erschüttert worden.

Damit ist dem Kläger der ihm nach § 18 Abs.1 Satz 2 StVG obliegende Entlastungsbeweis nicht gelungen und die von dem Pkw ausgehende Betriebsgefahr haftungsmindernd zu berücksichtigen. Insoweit gelten die Erwägungen aus dem Beweisbeschluss vom 28.01.2020 fort:

Nach dem Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme (Beweisbeschluss vom 26.04.2019 = Bl.90f. d.A.) ist dem Kläger der ihm nach den fortgeltenden Erwägungen des Unterzeichners zur Beweislastverteilung aus der letzten mündlichen Verhandlung (S.1f. des Sitzungsprotokolls vom 15.02.2019 = Bl.70f. d.A.) obliegende Beweis eines die Betriebsgefahr seines Pkw ausschließenden Verschuldens des Erblassers nicht gelungen.

Denn § 17 Abs.3 StVG ist im hier vorliegenden Fall eines Verkehrsunfalles zwischen Pkw und Fahrradfahrer nicht anwendbar (OLG Hamm, Beschluss vom 02.01.2018 - 7 U 44/17 = NJW-RR 2018, 410 - 412 = juris Rd.35), so dass es allein auf die Frage des Gewichtes des Verkehrsverstoßes des Erblassers ankommt. Zwar oblagen dem Erblassers als auf die Fahrbahn des Klägers einfahrendem Fahrradfahrer nach § 10 Satz 1 StVO besondere Sorgfaltsanforderungen (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 13.02.2014 - 4 U 59/13 = NJW-RR 2014, 1056, 1057). Indes ergibt sich aus den Feststellungen des Sachverständigen Dr.-Ing. X vom 27.11.2019, dass der Erblasser auf den sich von links nähernden Pkw des Klägers reagiert hat (vgl. S.47 des Gutachtens). Nimmt man die von dem Zeugen S in seiner Vernehmung vom 29.06.2015 (Bl.74 der Beiakte 551 Js 331/15) beschriebene Ankündigung des Erblassers durch Handzeichen (vgl. § 10 Satz 2 StVO) und die gute Erkennbarkeit eines Radfahrers sowie dessen Handzeichen für den Kläger (vgl. S.56f. des Gutachtens) hinzu, so verbleibt für eine Alleinhaftung der Beklagten kein Raum. Die in der zitierten Entscheidung des LG Frankfurt/Oder (DAR 2015, 468f.) beurteilte Überquerung einer über die Fahrbahn führenden Fußgängerfurt ist mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar.

Auch wenn nach dem Ergebnis der Unfallrekonstruktion kein für den Unfall zumindest mitursächlicher Verkehrsverstoß des Klägers festgestellt werden kann, verbleibt es nach alledem bei einer den Kläger treffenden Betriebsgefahr seines Pkw, worauf die Beklagten mit Schriftsatz vom 06.12.2019 sowie auf den Seiten 5 - 7 der Klageerwiderung (Bl.43ff. d.A.) zu Recht hingewiesen haben.

Die von dem klägerseits geführten Pkw ausgehende Betriebsgefahr ist in Anbetracht der eingangs aufgezeigten Gesamtumstände mit einer Haftungsquote von 20% zurückhaltend aber noch angemessen berücksichtigt. Denn der Sorgfaltspflichtenverstoß des Erblassers erscheint in Anbetracht der oben aufgezeigten Weg-Zeit-Zusammenhänge, des linken Handzeichens und des Versuchs, das Pedelec noch rechtzeitig bei Gewahrwerden des Pkw zum Stehen zu bringen, nicht derart gravierend, dass es gerechtfertigt wäre, die Betriebsgefahr des Pkw dahinter vollständig zurücktreten zu lassen (vgl. auch OLG Saarbrücken NJW-RR 2014, 1056, 1059 unter II.7.a): nur in Einzelfällen bei grob verkehrswidrigem Verhalten; OLG Hamm NJW-RR 2016, 1043, 1046 Rd.38).

d) Dem Umfang und der Höhe nach steht dem Kläger deshalb ein Anspruch auf Ersatz von 80% der ihm aufgrund des Unfallgeschehens entstandenen materiellen Schäden, teilweise aus abgetretenem Recht (§ 398 BGB), zu.

Diese erfassen den durch seine Gesundheitsbeschädigung und die daraus nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme resultierende Arbeitsunfähigkeit des Klägers (oben unter 2. und 2.c)) und somit entstandenen Verdienst- und Arbeitskraftausfälle abzüglich 10% ersparter berufsbedingter Aufwendungen sowie die behandlungsbedingten Fahrtkosten (§§ 249 Abs.2 Satz 1, 252 BGB; vgl. Palandt/Grüneberg, aaO., § 252 Rd.7ff. und § 249 Rd.8).

Die entsprechenden Schadenspositionen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 07.08.2020 unwidersprochen dargetan, die deshalb gemäß § 138 Abs.3 ZPO hier zugrunde zu legen waren. Ausgehend von dem Gesamtbetrag von 6.194,94 € verbleibt abzüglich einer Mithaftungsquote des Klägers von 20% (1.238,99 €) der unter 1. des Tenors ausgeurteilte Betrag von 4.955,95 €.

Die erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangene Verjährungseinrede der Beklagte war gemäß § 296a Satz 1 ZPO nicht mehr zu berücksichtigen. Ein Grund für die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung besteht nicht.

e) Der Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Entschädigung zum Ausgleich der ihm aus dem Unfallereignis entstandenen immateriellen Schäden im Sinne von § 253 Abs.2 BGB besteht nach Teilerfüllung (§ 362 Abs.1 BGB) der Beklagten durch die vorgerichtlich bereits gezahlten 1.000,00 € noch in Höhe von 6.500,00 €.

Aus der klägerseits vorgetragenen und sachverständig bestätigten Dauer der psychologischen Behandlung in der Klinik B und der damit verbundenen Arbeitsunfähigkeit des Klägers ergibt sich, dass die Auswirkungen der posttraumatischen Belastungsstörung die Lebensführung des Klägers in erheblichem Maße beeinträchtigt haben. Insoweit wird auf die bereits oben unter 1. und 2.b) zitierten Gutachten Bezug genommen, insbesondere auf die Seiten 5 bis 7 des Erstgutachtens des Sachverständigen Dr. T, wo die konkrete und behandlungsbedürftige Symptomatik anschaulich beschrieben ist. Allerdings ist hier auch festzuhalten, dass weitergehende Symptome von dem Kläger nicht vorgetragen worden sind.

Hieran anschließend ist als dem Kläger zuzusprechende angemessene Entschädigung im Sinne von § 253 Abs.2 BGB ein Gesamtbetrag in Höhe von 7.500,00 € angemessen, auf den die Haftpflichtversicherung des Erblassers bereits 1.000,00 € gezahlt hat.

Dieser Betrag rechtfertigt sich in Anlehnung an vergleichbare Fälle, in denen für eine posttraumatische Belastungsstörung Schmerzensgeldbeträge zwischen 12.000,00 € und 5.000,00 € zugesprochen worden sind (vgl. die Rechtsprechungsnachweise bei Slizyk, Beck´sche Schmerzensgeldtabelle, IMMDAT beckonline, Stand 30.10.2020, jeweils unter der Rubrik "Entscheidungen Besondere Verletzungen und Verletzungsfolgen" dort unter "Posttraumatische Belastungsstörung, Ängste und andere psychische Beeinträchtigungen"; etwa OLG Brandenburg, Urteil vom 06.06.2019 - 12 U 119/18, aaO. : 12.000,00 € bei dreijähriger PTB aufgrund von Nahtoderfahrungen; OLG Hamm, Urteil vom 26.07.2016 - 9 U 169/15 - : 8.000,00 € bei latenter PTB und körperlichem Dauerschaden; OLG Karlsruhe, Urteil vom 03.05.2016 - 9 U 13/15 - : 5.000,00 € bei PTB nach Todesangst durch Schußwaffenbedrohung und 2,5 monatiger psychotherapeutischer Behandlung).

Bei der Bemessung dieses Betrages waren die folgenden, eingangs bereits im Einzelnen beschriebenen Faktoren zu berücksichtigen:

das Ausmaß der erlittenen Gesundheitsbeschädigung insgesamt,

die Intensität und die Dauer der ambulanten medizinisch indizierten Behandlungsmaßnahmen,

keine verbleibenden Dauerfolgen,

die Beeinträchtigung in der Lebensführung des zum Unfallzeitpunkt 50 Jahre alten Klägers infolge der fehlenden Arbeitsfähigkeit und der notwendigen Behandlungsmaßnahmen,

das fehlende (Mit-) Verschulden des Klägers an dem Unfallereignis,

das oben unter 2.c) beschriebene lediglich fahrlässige Verschulden des Erblassers,

das Entfallen der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes (vgl. Palandt/Grüneberg, aaO., § 253 Rd.4) in Anbetracht der tödlichen Unfallfolgen für den Erblasser.

Nach alledem ist ein Gesamtbetrag von 7.500,00 € abzüglich der geleisteten 1.000,00 € zum Ausgleich der von dem Kläger erlittenen Gesundheitsschäden auch unter dem Aspekt einer Wiedergutmachung des erlittenen Unfalls angemessen.

Der ausgeurteilte Zinsanspruch folgt aus den §§ 288 Abs.1, 286 Abs.1, 291 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 Abs.1, 92 Abs.1 Satz 1, 100 Abs.4 ZPO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO einerseits und den §§ 708 Ziffer 11., 711 ZPO andererseits.

Streitwert: 13.694,94 € (entsprechend dem Nennbetrag der Hilfsanträge; § 45 Abs.1 Satz 2 und 3 GKG)

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