LAG Köln, Urteil vom 04.12.2020 - 10 Sa 418/20
Fundstelle
openJur 2021, 3254
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 3 Ca 4478/19
Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 19.02.2020 - 3 Ca 4478/19 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe eines angemessenen Nachtarbeitszuschlags für die vom Kläger als Zeitungszusteller zu verrichtende Nachtarbeit - soweit berufungsrelevant - im Zeitraum ab Oktober 2018.

Der Kläger ist bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin seit dem 16.02.2010 als Zeitungszusteller beschäftigt. Grundlage seines Arbeitsverhältnisses ist der schriftliche Arbeitsvertrag vom 16.02.2010.

Die Beklagte ist ein Zustellbetrieb und stellt die Zeitungstitel der M D R (K -S , K R , E ) in ihrem Zustellterritorium an die jeweiligen Abonnenten zu. Bei der Beklagten sind ca. 1.050 Zusteller beschäftigt. In ihrem Betrieb ist ein Betriebsrat gebildet.

Gemäß § 5 des Arbeitsvertrages vom 16.02.2010 ist der Kläger verpflichtet, die angelieferten Zeitungen täglich bis 06:00 Uhr an die vorgegebenen Adressen auszutragen.

In der Betriebsvereinbarung vom 29.03.2016 regelte die Beklagte mit dem in ihrem Betrieb gebildeten Betriebsrat Folgendes:

1. "Die Arbeitgeberin verzichtet bezüglich solcher Ansprüche auf Zahlung eines angemessenen Nachtzuschlags, die zum heutigen Tag nicht bereits verfallen sind. Auf die Einhaltung etwaiger Verfallfristen durch die Arbeitnehmer, die als Zeitungszusteller bei ihr beschäftigt sind oder waren. Die Frage der angemessenen Höhe ist zwischen den Parteien streitig.

2. Die Arbeitgeberin verpflichtet sich, einen höheren Nachtzuschlag als 10 % an alle bei ihr beschäftigten Zeitungszusteller zu zahlen, wenn im Rechtsstreit eines Zeitungszustellers, der Arbeitnehmer der Arbeitgeberin ist oder war, durch rechtskräftiges Urteil ein höherer Nachtzuschlag als 10 % als angemessen festgestellt worden ist (einer Feststellung im Urteilstenor bedarf es nicht). Diese Verpflichtung übernimmt die Arbeitgeberin durch diese Betriebsvereinbarung für spätestens für die Zeit ab Rechtskraft des Urteils."

Unter Ziffer I.3. der Betriebsvereinbarung zur innerbetrieblichen Lohngestaltung vom 23.12.2016 ist hinsichtlich eines angemessenen Nachzuschlags als Lohnbestandteil geregelt, dass dieser für bis zum 31.12.2016 eingestellte Arbeitnehmer mindestens 20 % und für ab dem 01.01.2017 eingestellte Arbeitnehmer mindestens 10 % betrage.

Mit Schreiben vom 15.01.2019 machte der Kläger gegenüber der Beklagten die Zahlung einer Nachtarbeitszulage von 30 % als angemessen geltend und fordert mit Rücksicht darauf, für den Zeitraum ab dem 01.01.2016 für die von ihm geleistete Nachtarbeit den entsprechenden Differenzbetrag zu den von der Beklagten geleisteten Nachtarbeitszuschlägen in Höhe von 20 % nachzuzahlen.

Mit seiner Klage vom 10.07.2019, die am 12.07.2019 beim Arbeitsgericht Köln eingegangen ist, verfolgt der Kläger sein Begehren auf Zahlung der Differenzbeträge hinsichtlich der Nachtarbeitszuschläge weiter.

Er hat erstinstanzlich geltend gemacht, ihm stehe ein Anspruch auf Differenzzahlung zwischen der von der Beklagtenseite geleisteten Zuschlagshöhe von 20 % des Lohns zu geschuldeten 30 % für den Zeitraum ab Januar 2016 zu.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt:

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn für die Zeit von 3.366,02 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klage zu zahlen;

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an ihn ab Juli 2019 unter den Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 ArbZG einen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 30 % auf den Zustelllohn für die während der Nachtzeit geleisteten Arbeitsstunden zu zahlen, soweit sie keinen Ausgleich durch bezahlte freie Tage gewährt.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich die Rechtsauffassung vertreten, der dem Kläger bisher geleistete Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 20 % des ihm gewährten Lohns sei angemessen im Sinne des § 6 Absatz 5 ArbZG. Die Frage der Angemessenheit sei dabei im Licht der Pressefreiheit nach Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 GG zu beantworten. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die dem Kläger obliegende Zeitungszustellung eine leichte Tätigkeit darstelle, die auch gemäß dem Jugendarbeitsschutzgesetz von Kindern durchaus leistbar ist. Auch die Teilhabe am sozialen Leben sei nicht gravierend tangiert. Die tägliche Arbeitszeitdauer sei gering und führe daher zu einer geringeren Belastung als bei sonstiger Dauernachtarbeit, was auch entsprechend der Regeln für die Steuerfreiheit in § 3 b) Absatz 1 Nr. 1 EStG geregelt sei. Zudem liege die vom Kläger zu verrichtende Zustelltätigkeit im frühmorgendlichen Randbereich der Nachtarbeit. Hinsichtlich der Einteilung der Arbeitszeit habe der Kläger weitreichende Freiheiten, da nur die Vorgabe existiere, bis ca. 06:00 Uhr /06:30 Uhr die Zustelltätigkeit abgeschlossen zu haben. Die Wohnadressen der Zusteller lägen in der Regel einsatzortnah, was zu einem kurzen Arbeitsweg führe. Zu berücksichtigen sei, dass die Tätigkeit zwingend bis 06:00 Uhr wegen der Kundenanforderung zu erledigen sei. Zudem sei in Rechnung zu stellen, dass die wirtschaftliche Lage von Tageszeitungen dramatisch sei, was sich bei den Umsatzrückgängen, die sich auch auf den Anzeigenbereich erstreckten, zeige. Weiterhin habe die Einführung des Mindestlohns nach dem MiLoG zu einer deutlichen Erhöhung der Zustellkosten geführt. Insbesondere in ländlichen Regionen sei eine weitere Kostenbelastung durch einen höheren - 30%igen - Nachtzuschlag wirtschaftlich nicht darstellbar. Entgegen der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25.04.2018 - 5 AZR 25/17 - sei bei der Bestimmung der Angemessenheit des Nachtarbeitszuschlages kein zusätzliches Kriterium in Gestalt der überragenden Gründe des Gemeinwohls zu berücksichtigen. Ohnehin stelle die von der Beklagten in Anspruch genommene Pressefreiheit einen solchen Gemeinwohlgrund dar. Der Pressefreiheit sei nicht ausreichend durch die Übergangsregelung in § 24 Absatz 2 MiLoG Rechnung getragen. Für eine Sonderregelung bei Nachtarbeitszuschlägen sei vor Einführung des MiLoGs im Jahr 2014 wegen der gefestigten Rechtsprechung der Arbeitsgerichte zu einem angemessenen Nachtarbeitszuschlag von 10 % für Zeitungssteller keine Veranlassung gewesen.

Das Arbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 19.02.2020 - 3 Ca 4478/19 - die Klage - soweit berufungsrelevant für begründet gehalten, da dem Kläger ein Anspruch auf Differenzzahlung für den Zeitraum ab Oktober 2018 zustehe. Dem Kläger stehe ein Nachtarbeitszuschlag von 30 % ab diesem Zeitpunkt zu, da bei der vom Kläger zu verrichtenden Dauernachtarbeit ein solcher Prozentsatz angemessen sei. Umstände, die eine Verminderung des bei Dauernachtarbeit regelmäßig anzusetzenden Nachtarbeitszuschlags von 30 % des geleisteten Lohns rechtfertigen würden, lägen nicht vor. Die Frage der Schwere der Tätigkeit als Zeitungszusteller als solche sei irrelevant, da der Nachtarbeitszuschlag die Belastung durch die Nachtarbeit abgelten solle. Dies treffe auch auf die von der Beklagtenseite zuschlagsmindernd angeführte Wohnortnähe des Einsatzbereiches des Klägers als Zeitungszusteller zu. Ebenso sei die Randstundenlage der vom Kläger zu verrichtenden Tätigkeit innerhalb des Nachtarbeitszeitraums unerheblich, da auch diese Randstunden von der Definition der Nachtarbeit gemäß § 2 Absatz 4, 3 ArbZG umfasst seien. Die von der Beklagten in Anspruch genommene Pressefreiheit stehe der Festsetzung eines angemessenen Nachtarbeitszuschlags von 30 % des üblichen Lohns nicht entgegen. Die von der Beklagtenseite angeführten wirtschaftlichen Aspekte seien von ihr zu pauschal dargestellt worden, um berücksichtigt werden zu können.

Gegen das ihr am 05.03.2020 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte am 09.03.2020 Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 28.05.2020 - am 27.05.2020 begründet.

Die Beklagte wendet gegenüber der erstinstanzlichen Entscheidung ein, die Bestimmung des angemessenen Nachtarbeitszuschlages nach § 6 Absatz 5 ArbZG sei maßgeblich durch die von der Beklagten in Anspruch zu nehmende Pressefreiheit gemäß Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 GG geprägt. Hierbei sei auch die schlechte wirtschaftliche Lage des M D S , dem die Beklagte als Zustellbetrieb angehöre, zu berücksichtigen. Zu der Zwecksetzung des § 6 Absatz 5 ArbZG gehöre entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts auch die Einschränkung der Nachtarbeit, was sich zum einen aus der Systematik des § 6 ArbZG ergebe und zudem in dem grundsätzlichen Anliegen des Gesundheitsschutzes gemäß § 1 ArbZG dokumentiert sei. Die Verrichtung von Nachtarbeit sei daher bei der Zeitungszustellung als praktisch unvermeidbar und damit hinsichtlich des angemessenen Nachtarbeitszuschlages als anspruchsmindernd zu berücksichtigen. Die Zeitungszustellung stelle eine leichte Tätigkeit dar, die ebenfalls zuschlagsmindernd zu berücksichtigen sei. Die spiegele sich auch wider in der Möglichkeit, weniger anstrengende Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienste in Tarifverträgen nach § 7 Absatz 1 Nr. 4 ArbZG auf mehr als 10 Stunden werktäglich auszudehnen. Auch der geringe Umfang und die Randzeiten der vom Kläger zu verrichtenden Nachtarbeit seien zuschlagsmindernd zu berücksichtigen. Auch der gesundheitsrelevante Entzug von Schlaf hänge von den aufzuwendenden zusätzlichen Pendelzeiten ab. Weiterhin sei es dem Kläger gestattet, sich die Pausen frei einzuteilen, was ebenfalls die Arbeitsbelastung vermindere. Die Festlegung der Betriebsparteien in der Betriebsvereinbarung vom 23.12.2016 auf einen angemessenen Nachtarbeitszuschlag von 20 % für Mitarbeiter mit einem Einstellungsdatum vor dem 01.01.2017 und von 10 % für später eingestellte Mitarbeiter stelle ebenfalls einen maßgeblichen Fingerzeig auf die Angemessenheit eines Nachtzuschlages im Betrieb der Beklagten dar. Hinsichtlich der Ausschlussfrist sei jedenfalls zu berücksichtigen, dass ein Verzicht auf die Geltung der Ausschlussfristen in der Betriebsvereinbarung vom 29.03.2016 nicht zu erkennen sei, was sich aus dem Zusammenhang mit der nachfolgenden Betriebsvereinbarung vom 23.12.2016 ergebe. Die Regelung in der Betriebsvereinbarung vom 29.03.2016, die Ausschlussfristen zunächst nicht zur Geltung zu bringen, habe sich mit der konkreten Regelung der angemessenen Nachtarbeitszuschläge in der Betriebsvereinbarung vom 23.12.2016 erledigt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 19.02.2020,Az. 3 Ca 4478/19, abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung unter Vertiefung seines Sachvortrags. Die Bestimmung eines angemessenen Nachtarbeitszuschlages in Höhe von 30 % des üblichen Lohns sei im Sinne des § 6 Absatz 5 ArbZG als angemessen anzusehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst den zu den Akten gereichten Anlagen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, ergänzend verwiesen.

Gründe

I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, weil sie statthaft und fristgerecht eingelegt wie auch begründet worden ist (vgl. §§ 64, 66 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II. Die Berufung ist jedoch unbegründet, da das Arbeitsgericht zu Recht den Anspruch des Klägers auf Zahlung der Entgeltdifferenzbeträge für den Zeitraum ab Oktober 2018 zugesprochen bzw. für den Zeitraum ab Juli 2019 festgestellt hat. Der Kläger kann für die von ihm als Zeitungszusteller verrichtete Nachtarbeit Nachtarbeitszuschläge in Höhe von 30 % des ihm für die Nachtarbeit zustehenden Bruttoarbeitsentgelts verlangen.

1. Zunächst hat das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt, dass der Kläger im prüfungsrelevanten Zeitraum seit Oktober 2018 Nachtarbeit im Sinne von § 6 Absatz 5 ArbZG geleistet hat, da er an den von ihm im Einzelnen benannten Arbeitstagen unstreitig zwischen 03:00 Uhr und 06:00 Uhr morgens (vgl. § 2 Nr. 3 erster Halbsatz ArbZG) und hierbei jeweils mehr als zwei Stunden im Sinne von § 2 Absatz 4 ArbZG an mehr als 48 Tagen pro Kalenderjahr gearbeitet hat.

2. Durch die Zahlung von Nachtarbeitszuschlägen für den streitrelevanten Zeitraum hat die Beklagtenseite zum einen das ihr nach § 6 Absatz 5 ArbZG zustehende Wahlrecht hinsichtlich der Art der Ausgleichsleistung - alternativ kommen auch bezahlte Freistellung oder eine Kombination von bezahlter Freistellung und Geldleistung in Betracht - ausgeübt. Zudem liegt eine Abbedingung dieses Wahlrechtes und die Festlegung auf die Zahlungsmodalität des Nachtarbeitszuschlages jedenfalls für den Zeitraum ab Abschluss der Betriebsvereinbarung vom 23.12.2016 vor, in der unter Ziffer I.3. der angemessene Nachtzuschlag als Lohnbestandteil geregelt ist.

3. Die Regelung in Ziffer I.3. der Betriebsvereinbarung vom 23.12.2016 hinsichtlich eines angemessenen Nachtzuschlags für bis zum 31.12.2016 - wie dem Kläger - eingestellte Arbeitnehmer in Höhe von mindestens 20 % steht dem Differenzanspruch des Klägers zu den von ihm geltend gemachten 30 % nicht entgegen, da die vorgenannte betriebsvereinbarungsrechtliche Regelung lediglich eine Mindestregelung darstellt, die die Geltendmachung des Mehrprozentsatzes nicht ausschließt. Zudem stellt § 6 Absatz 5 ArbZG eine zwingende Norm hinsichtlich der Verpflichtung zur Zahlung eines angemessenen Nachtarbeitszuschlages dar, für den lediglich tarifliche Ausgleichsregelungen eine Ausnahme darstellen. Die vorliegende betriebsvereinbarungsrechtliche Regelung fällt nicht unter diesen Ausnahmefall.

4. § 6 Absatz 5 ArbZG regelt einen angemessenen Zuschlag auf das dem Arbeitnehmer für die Nachtarbeit zustehende Bruttoarbeitsentgelt.

a. Die Regelungen in § 6 ArbZG dienen in erster Linie dem Schutz des Arbeitnehmers vor den für ihn schädlichen Folgen der Nacht- und Schichtarbeit (BT-Drucksache 12/5888, Seite 21). Dabei ist der Gesetzgeber von der Erkenntnis ausgegangen, dass auf Nachtarbeit in der modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft nicht völlig verzichtet werden kann (BT-Drucksache 12/5888, Seite 25). § 6 Absatz 5 ArbZG setzt hier an und soll für diejenigen Arbeitnehmer, die Nachtarbeit leisten, zumindest einen angemessenen Ausgleich für die mit der Nachtarbeit verbundenen Beeinträchtigungen gewähren (BT-Drucksache 12/5888, Seite 26). Die gesetzlich vorgeschriebenen Ausgleichsleistungen nehmen der Nachtarbeit dabei nicht ihre spezifische Gesundheitsgefährdung, dienen aber unmittelbar oder mittelbar dem Gesundheitsschutz. Soweit ein Nachtarbeitszuschlag vorgesehen ist, wirkt sich dieser auf die Gesundheit des betroffenen Arbeitnehmers nicht unmittelbar aus, sondern dient dem Gesundheitsschutz mittelbar. Die Arbeitsleistung wird verteuert, um auf diesem Weg Nachtarbeit einzudämmen; Nachtarbeit soll für den Arbeitgeber weniger attraktiv sein. Dieser Druck besteht auch dann, wenn der Arbeitgeber verpflichtet ist, den Arbeitnehmer zu einem nicht zeitnah zur Nachtarbeit liegenden Zeitpunkt von der Arbeit bezahlt freizustellen. Außerdem soll der Nachtarbeitszuschlag in einem gewissen Umfang den Arbeitnehmer für die erschwerte Teilhabe am sozialen Leben entschädigen (vgl. BAG, Urteil vom 09.12.2015 - 10 AZR 423/14 -, Randziffer 18 m. w. N.).

b. Ein Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 25 % des Bruttoentgelts bzw. alternativ eine entsprechende Anzahl bezahlter freier Tage ist regelmäßig als angemessen im Sinne des § 6 Absatz 5 ArbZG anzusehen. Ausgangspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit des geforderten Ausgleichs ist nach § 6 Absatz 5 ArbZG dessen wertmäßiges Verhältnis zu dem Bruttoarbeitsentgelt, das dem Arbeitnehmer für die während der gesetzlichen Nachtzeit geleisteten Arbeitsstunden zusteht. Das Gesetz gibt allerdings nicht vor, was als angemessener Ausgleich anzusehen ist. Deshalb ist es nicht möglich, unabhängig von den Umständen der Erbringung der Arbeitsleistung im konkreten Einzelfall einen für alle Arbeitsverhältnisse geltenden festen Wert zu bestimmen. Unter Berücksichtigung der - über alle Branchen gesehen - bestehenden Üblichkeiten im Arbeitsleben wird allerdings ein Nachtarbeitszuschlag in Höhe von25 % des Bruttostundenlohns bzw. eine entsprechende Anzahl bezahlter freier Tage regelmäßig als angemessen im Sinne des § 6 Absatz 5 ArbZG angesehen (vgl. BAG, Urteil vom 09.12.2015 - 10 AZR 423/14 -, Randziffer 23 m. w. N.).

c. Eine Erhöhung oder Verminderung des Umfangs des von § 6 Absatz 5 ArbZG geforderten Ausgleichs für Nachtarbeit kommt in Betracht, wenn Umstände im Zusammenhang mit der Erbringung der Arbeitsleistung vorliegen, die den regelmäßig angemessenen Wert von 25 % wegen der im Vergleich zum Üblichen niedrigeren oder höheren Belastung als zu gering oder zu hoch erscheinen lassen. Die Höhe des angemessenen Nachtarbeitszuschlags richtet sich nach der Gegenleistung, für die sie bestimmt ist.

Die Höhe des Zuschlags auf den Bruttolohn für geleistete Nachtarbeit oder die Anzahl bezahlter freier Tage kann sich erhöhen, wenn die Belastung durch die Nachtarbeit unter qualitativen (Art der Tätigkeit) oder quantitativen (Umfang der Nachtarbeit) Aspekten die normalerweise mit der Nachtarbeit verbundene Belastung übersteigt. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn ein Arbeitnehmer nach seinem Arbeitsvertrag bzw. nach entsprechender Ausübung des Direktionsrechts durch den Arbeitgeber dauerhaft in Nachtarbeit tätig wird ("Dauernachtarbeit"). Bei der Erbringung der regulären Arbeitsleistung in Dauernachtarbeit ist deshalb regelmäßig ein Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 30 % auf den Bruttostundenlohn bzw. die Gewährung einer entsprechenden Anzahl freier Tage als angemessen anzusehen. Nach gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen erhöht sich die Belastung mit dem Umfang der geleisteten Nachtarbeit. Hiervon geht erkennbar auch das Arbeitszeitgesetz aus, da der Schutz für Nachtarbeitnehmer nach § 2 Absatz 5 ArbZG bereits einsetzt, wenn diese an 48 Tagen im Kalenderjahr Nachtarbeit leisten oder normalerweise Nachtarbeit in Wechselschicht leisten. Es liegt auf der Hand, dass der Arbeitnehmer, der ununterbrochen Nachtarbeit leistet, im Vergleich dazu einer deutlich höheren Belastung durch die Nachtarbeit unterliegt.

Hingegen kann nach § 6 Absatz 5 ArbZG ein geringerer Ausgleich angemessen sein, wenn die Belastung durch die Nachtarbeit im Vergleich zum üblichen geringer ist, weil z. B. in diese Zeit in nicht unerheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft fällt oder es sich um nächtlichen Bereitschaftsdienst handelt, bei dem von vornherein von einer geringeren Arbeitsbelastung auszugehen ist. Nach der Art der Arbeitsleistung ist auch zu beurteilen, ob der vom Gesetzgeber mit dem Lohnzuschlag verfolgte Zweck, im Interesse der Gesundheit des Arbeitnehmers Nachtarbeit zu verteuern und auf diesem Weg einzuschränken, zum Tragen kommen kann oder in einem solchen Fall nur die mit der Nachtarbeit verbundene Erschwernis ausgeglichen werden kann. Relevanz kann die letztgenannte Erwägung aber nur in den Fällen haben, in denen die Nachtarbeit aus zwingenden technischen Gründenoder aus zwingend mit der Art der Tätigkeit verbundenen Gründen bei wertender Betrachtung vor dem Hintergrund des Schutzzwecks des § 6 Absatz 5 ArbZG unvermeidbar ist. Hierbei sind rein wirtschaftliche Erwägungen nicht geeignet, eine Abweichung vom Regelwert nach unten zu begründen (vgl. BAG, Urteil vom 25.04.2018- 5 AZR 25/17 -, Randziffer 48; Urteil vom 09.12.2015 - 10 AZR 423/14 -,Randziffer 27 ff.). Hierzu ergänzend hat das Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 25.04.2018 (Az. 5 AZR 25/17) darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber aus Rücksicht auf die durch Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 GG geschützte Pressefreiheit die mit der Einführung des Mindestlohns einhergehenden Mehrkosten für den Vertrieb von Zeitungen und Zeitschriften mit der Übergangsregelung des § 24 Absatz 2 MiLoG Rechnung getragen hat, hingegen in Kenntnis der üblichen frühmorgendlichen Zustellzeiten die Angemessenheit des Zuschlags für Nachtarbeit von Zeitungszustellerinnen und Zeitungszustellern nicht selbst bestimmt oder die Branche von der Zuschlagspflicht des § 6 Absatz 5 ArbZG ausgenommen hat (vgl. BAG, Urteil vom 25.04.2018- 5 AZR 25/17 -, Randziffer 48).

d. Zu Recht ist das Arbeitsgericht in der erstinstanzlichen Entscheidung davon ausgegangen, dass die Umstände der Arbeitsverrichtung im Arbeitsverhältnis des Klägers eine Abweichung des Regelsatzes für Dauernachtarbeit von 30 % des Bruttoentgelts nicht rechtfertigen.

aa. Nicht relevant ist, ob es sich bei der Zeitungszustelltätigkeit des Klägers um eine leichte Arbeit handelt. § 6 Absatz 5 ArbZG knüpft hinsichtlich der Angemessenheit des Nachtarbeitszuschlages nicht an die Schwere der Tätigkeit als solche an, sondern an die besondere Belastung der jeweils geschuldeten Tätigkeit während der Nachtzeit (vgl. BAG, Urteil vom 25.04.2018 - 5 AZR 25/17 -, Randziffer 54).

bb. Eine Minderung des Regelsatzes von 30 % bei Dauernachtarbeit ist nicht geboten durch die von der Beklagtenseite angeführte sogenannte Randlage der Arbeitszeit des Klägers, da grundsätzlich jede Stunde in der Nachtzeit gemäß § 2 Absatz 3 ArbZG erfasst ist (vgl. BAG, Urteil vom 25.04.2018 - 5 AZR 25/17 -, Randziffer 55).

cc. Die Kammer schließt sich vorliegend auch der Annahme des Bundesarbeitsgerichts im Urteil vom 25.04.2018 (5 AZR 25/17, Randziffer 56) an, wonach der Aspekt, die Zustelltätigkeit des Klägers sei zwingend in der Nachtzeit erforderlich, sodass der mit dem Zuschlag verbundene Zweck, im Interesse der Gesundheit des Arbeitnehmers Nachtarbeit zu verteuern und auf diesem Weg einzuschränken, nicht erreichbar sei, kein abweichendes, den Zuschlag minderndes Ergebnis rechtfertigt.

Kann bei Dauernachtarbeit mit dem Zuschlag nach § 6 Absatz 5 ArbZG nur die mit der Nachtarbeit verbundene Erschwernis ausgeglichen werden, kommt ein Abweichen nach unten nur dann in Betracht, wenn - wie etwa im Rettungswesen - überragende Gründe des Gemeinwohls die Nachtarbeit zwingend erforderlich machen (BAG, Urteil vom 25.04.2018 - 5 AZR 25/17 -, Randziffer 56). Hierbei ist, wie das Landesarbeitsgericht Hamm (vgl. Urteil vom 27.11.2019 - 6 Sa 911/19 -, Randziffer 48) zuterffend ausführt, zu berücksichtigen, dass der Umstand, dass Nachtarbeit gegebenenfalls nicht vermieden werden könne, dies nichts daran ändere, dass die Gesundheit der Arbeitnehmer mit gleicher Intensität zu schützen bleibe. Die Verteuerung der Nachtarbeit, um diese einzuschränken, stelle lediglich eines von zwei "Mitteln" dar, mit dem der tatsächliche gesetzliche "Zweck" des Gesundheitsschutzes erreicht werden solle. Falle ein Mittel weg, erlange das andere - die finanzielle Kompensation auf Seiten der Arbeitnehmer - nicht per se eine geringere Bedeutung. Dies ist lediglich bei überragenden Gemeinwohl, das Nachtarbeit unvermeidbar sein lässt, der Fall. Während beispielsweise bei Rettungsdiensteinsätzen, die der öffentlichen Sicherheit und dem Gesundheitsschutz der Bevölkerung dienen, ein Verzicht auf Nachtarbeit ausgeschlossen ist, auch weil die gebotenen Leistungen nicht nachholbar sind (vgl. BAG, Urteil vom 31.08.2005 - 5 AZR 545/04 -, Randziffer 17; LAG Hamm, Urteil vom 29.11.2019 - 6 Sa 911/19 -, Randziffer 48), ist diese Unvermeidbarkeit bei der flächendeckenden Versorgung mit Zeitungen und Zeitschriften durch den Zeitungszustellbetrieb der Beklagten nicht der Fall. Zwar ist die flächendeckende Versorgung von Zeitungsprodukten von der Pressefreiheit des Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 GG gedeckt, besitzt aber nach Auffassung der Kammer nicht das Gewicht und die zeitlich unbedingte Fixierung auf den Nachtarbeitszeitraum wie bei der lebensbewahrenden Rettungsdiensttätigkeit (vgl. hierzu LAG Hamm, Urteil vom 29.11.2019 - 6 Sa 911/19 -, Randziffer 49). Dies gilt auch im Rahmen einer Abwägung des Grundrechtschutzes der Pressefreiheit nach Art. 5 Absatz 1 Satz 2 GG im Rahmen von praktischer Konkordanz mit dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer, der durch § 6 Absatz 5 ArbZG und die dort geforderte Angemessenheit des Nachtarbeitszuschlags bewirkt werden soll (vgl. LAG Hamm, Urteil vom 29.11.2019 - 6 Sa 911/19 -, Randziffer 56 ff.). Zum einen ist zu berücksichtigen, dass den wirtschaftlichen Belangen der Zeitungszustellbranche durch die Übergangsregelung in § 24 MiLoG entsprochen worden ist. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Zeitungszustelltätigkeit nicht die alleinige Äußerungsmöglichkeit von Presseorgangen darstellt, sondern zunehmend die Verbreitung von Presseerzeugnissen in digitaler Form zu berücksichtigen ist, wobei auch kostenpflichtige Inhalte dieser digitalen Veröffentlichungen Raum greifen, was neben den dortigen Werbeeinnahmen wirtschaftlich in Rechnung zu stellen ist.

dd. Auch die Festlegung der Betriebsparteien in der Betriebsvereinbarung vom 23.12.2016 auf einen Mindestbetrag des angemessenen Nachtarbeitszuschlages für bis zum 31.12.2016 eingestellte Arbeitnehmer in Höhe von 20 % stellt keinen verbindlichen Fingerzeig für die Bestimmung des angemessenen Nachtarbeitszuschlages im Sinne des § 6 Absatz 5 ArbZG dar. Zum einen ist wiederum darauf zu verweisen, dass die vorgenannte Regelung in Ziffer I.3. der Betriebsvereinbarung vom 23.12.2016 eine Mindestregelung darstellt, bei der zudem davon auszugehen ist, dass sie bewusst als solche gefasst worden ist, da § 6 Absatz 5 ArbZG eine zwingende Regelung beinhaltet, die lediglich durch tarifliche und nicht durch betriebsvereinbarungsmäßige Ausgleichsregelungen abdingbar ist.

5. Auch der Feststellungsantrag zu 2) ist zulässig und begründet.

Der Feststellungsantrag ist grundsätzlich zulässig, da auf diesem Weg eine sachgemäße einfache Erledigung der Streitpunkte zu erreichen ist und prozesswirtschaftliche Erwägungen gegen einen Zwang zur Leistungsklage sprechen. Der Antrag ist geeignet, die zwischen den Parteien mit jeder Abrechnung neu entstehenden Streitpunkte über die Höhe der Vergütungspflicht bzgl. der anfallenden Nachtarbeitszuschläge zu klären (vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.03.2008 - 4 AZR 616/06 , Rz. 16 ).

Zu Recht hat das Arbeitsgericht aus den oben ausgeführten Gründen dem Feststellungsbegehren entsprochen.

III. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die unterlegene Beklagte nach § 97 ZPO.

Die Kammer hat die Revision gemäß § 72 ArbGG zugelassen. Die Kammer ist dabei von der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage der Bestimmung der Angemessenheit des Nachtzuschlages im Zeitungszustellgewerbe ausgegangen. In diesem Zusammenhang hat das Bundesarbeitsgericht durch Beschluss vom 21.04.2020- 10 AZN 4/20 - die Revision bezüglich des Urteils des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 27.11.2019 - 6 Sa 911/19 - zugelassen. Das diesbezügliche Revisionsverfahren ist nunmehr anhängig beim Bundesarbeitsgericht unter dem Aktenzeichen10 AZR 277/20.

Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte