LG Bielefeld, Urteil vom 31.01.2020 - 04 KLs 39/19
Fundstelle
openJur 2021, 3105
  • Rkr:
Tenor

Der Angeklagte wird wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit versuchtem sexuellen Missbrauch eines Kindes, zu einer Gesamtfreiheitstrafe von

drei Jahren und sechs Monaten

verurteilt.

Er hat die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Nebenklägers zu tragen.

Gründe

I.

Der heute 33 Jahre alte Angeklagte ist in G. geboren und ohne Geschwister bei seinen Eltern aufgewachsen. Nach dem Kindergarten besuchte er die Grund- und anschließend die Gesamtschule, die er mit dem Hauptschulabschluss verließ. Danach erlangte er am Berufskolleg im Bereich Wirtschaft und Verwaltung den Realschulabschluss. Im Anschluss leistete er ein freiwilliges soziales Jahr in O. ab. Von 2006 bis 2009 absolvierte er erfolgreich eine Ausbildung zum Bürokaufmann. In den darauffolgenden Jahren war er - unterbrochen nur durch zwei kurze Phasen der Arbeitslosigkeit - für verschiedene Arbeitgeber überwiegend als Lagermitarbeiter tätig, zuletzt seit Mai 2018 bis zu seiner Festnahme für die Firma P. in G..

Der Angeklagte ist wie folgt vorbestraft:

Am 22.08.2011 verurteilte ihn das Amtsgericht G. wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung. Das Urteil ist rechtskräftig seit dem 22.08.2011. Der Angeklagte hatte am 17.07.2010 im Grünzug im Bereich des Hallenbades an der Q. in G. vor drei 1998, 1999 und 2004 geborenen Mädchen sein Glied entblößt und daran manipuliert. Der Entschluss dazu war ihm in Anbetracht der sich im Grünzug aufhaltenden Kinder spontan beim "Austreten" gekommen.

Am 14.05.2014 verurteilte das Amtsgericht G. den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit der Vornahme exhibitionistischer Handlungen zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten. Der Angeklagte hatte am 21.10.2013 in einem Gebüsch auf dem Spielplatz "R." stehend, jedoch den Blicken dreier 1998, 1999 und 2002 geborener Mädchen ausgesetzt, an seinem aus der Hose gezogenen Penis manipuliert und diesen kreisförmig herumgeschwenkt. Dabei war ihm bewusst gewesen, dass die Mädchen ihn und insbesondere seinen Penis sehen konnten. Zudem hatte er billigend in Kauf genommen, dass zumindest eines der Mädchen noch nicht 14 Jahre alt sein könnte. Auf die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung des Angeklagten hin setzte das Landgericht G. durch Urteil vom 07.11.2014, rechtskräftig seit dem 15.11.2014, die Vollstreckung der Strafe für vier Jahre zur Bewährung aus. Im Rahmen der Bewährungsentscheidung erteilte das Landgericht dem Angeklagten unter anderem die Weisung, eine längerfristige Psychotherapie zur Bekämpfung seiner sexuellen Devianz (Exhibitionismus vor Kindern) aufzunehmen. Weisungsgemäß nahm der Angeklagte in der Zeit vom 04.03.2015 bis zum 13.06.2017 52 Termine bei einem psychologischen Psychotherapeuten wahr. Die Strafe wurde inzwischen erlassen.

In dieser Sache wurde der Angeklagte am 07.08.2019 vorläufig festgenommen und befindet sich seitdem aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts G. vom 06.08.2019 in Untersuchungshaft in der JVA G.-S..

II.

1.

An einem nicht mehr näher feststellbaren Tag in den ersten beiden Wochen der Sommerferien 2018 (14.07.2018 bis 28.08.2018) traf der Angeklagte am Spielplatz an der T. in G. auf den am 16.02.2011 geborenen U.. Er forderte das Kind auf, mit ihm in ein angrenzendes Gebüsch zu gehen. Dort öffnete er seine Hose, schob diese bis zu den Oberschenkeln herunter, holte seinen Penis heraus und begann zu masturbieren. Währenddessen verlangte er von U., seinen Penis anzufassen und auf diesen zu schlagen, was der Junge jedoch ablehnte. U. verließ das Gebüsch, ohne dass es zuvor zum Samenerguss bei dem Angeklagten gekommen war.

2.

Am 02.08.2019 gegen 16 Uhr traf der Angeklagte erneut auf den Zeugen U., diesmal am Bolzplatz, der sich hinter dem Haus mit der Anschrift V. in G. befindet. Er forderte den Jungen erneut auf, mit ihm ins Gebüsch zu gehen. U. erkannte ihn wieder, lehnte zunächst ab, ging auf wiederholtes Drängen des Angeklagten dann aber doch mit. Die beiden überquerten den Bolzplatz und begaben sich in das Gebüsch, welches sich zwischen dem Bolzplatz und dem Haus mit der Anschrift W. in G. befindet. Der Angeklagte half U., indem er die Sträucher des Gebüsches zur Seite schob. In dem Gebüsch öffnete der Angeklagte seine Hose, schob diese bis zu den Oberschenkeln herunter, holte seinen Penis heraus und masturbierte bis zum Samenerguss. Währenddessen forderte er das Kind auf, auf seinen Penis zu schlagen, 40 Mal müsse er - der Angeklagte - das aushalten. U. trat daraufhin mehrfach leicht mit dem Fuß nach dem Angeklagten und traf ihn auch. Dass er ihn am Penis traf, konnte die Kammer jedoch nicht feststellen. Als der Angeklagte während des Geschehens bemerkte, dass sich der Zeuge X., der durch seine Frau auf das Geschehen aufmerksam gemacht worden war, den beiden näherte und rief, er habe ihn gesehen und werde die Polizei rufen, ergriff er die Flucht. Ihm war zu diesem Zeitpunkt klar, dass er aufgrund der Unterbrechung durch den Zeugen X. sein Ziel, von U. am Penis getroffen zu werden, nicht mehr würde erreichen können.

U. empfand den ersten Vorfall noch nicht als besonders schlimm. Den zweiten Vorfall hingegen empfand er als ekelig. Er hat seitdem Angst im Dunkeln, leidet an Schlafproblemen und hat sich insgesamt zurückgezogen. Er befindet sich daher in psychotherapeutischer Behandlung.

Die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten war zu den Tatzeitpunkten weder aufgehoben noch erheblich vermindert.

III.

1.

Der Angeklagte hat sich nicht zur Sache eingelassen.

2.

Der Zeuge U. hat das ihn betreffende Geschehen so, wie festgestellt, überzeugend geschildert.

Die Kammer hatte keinen Zweifel an der Aussagetüchtigkeit des noch jungen Zeugen. Denn dieser wirkte sehr aufgeweckt, altersentsprechend entwickelt und in der Lage, Erlebnisse richtig einzuordnen und verständlich zu schildern. Er war während der gesamten Vernehmung konzentriert, allen Verfahrensbeteiligten gegenüber aufgeschlossen und auch in der Lage anzugeben, wenn er eine Frage nicht verstand. Auch der Vater des Nebenklägers, der Zeuge Y., sowie der polizeiliche Vernehmungsbeamte, der Zeuge KHK Z., haben U. als einen altersgerecht entwickelten Jungen beschrieben. Dabei hat die Kammer auch in die Bewertung eingestellt, dass der Zeuge KHK Z. aufgrund der von ihm benannten 20-jährigen Erfahrung mit der Vernehmung von Kindern ebenso wie die Kammer als Jugendschutzkammer auf einen hohen Erfahrungswert zurückgreifen kann.

Die Aussage des Zeugen U. ist glaubhaft. Der Zeuge hat das selbst erlebte Geschehen anschaulich und widerspruchsfrei beschrieben. Er ist auf Fragen eingegangen und hat stets logisch nachvollziehbar geantwortet.

Seine Aussage enthält viele Details, auch hinsichtlich der eigenen Empfindungen, was für einen Erlebnisbezug der Aussage spricht. So hat der Zeuge angegeben, er sei beim zweiten Mal nur mit dem Mann mitgegangen, weil der so "genervt" habe. Er habe auch deswegen nicht in das Gebüsch gewollt, weil dort so viele Zecken gewesen seien. Der Mann habe dann jedoch die Sträucher zur Seite geschoben. Sehr anschaulich hat der Zeuge sowohl die Masturbationshandlung des Angeklagten durch Zeigen mit seinen Händen als auch seine eigenen Tritte vorgemacht. Wie für einen Jungen seines Alters typisch hat er davon berichtet, dass aus dem Penis, der "groß" und "ekelig" gewesen sei, "etwas weißes" wie "Pipi" oder "Apfelschorle" herausgekommen sei. Auch war der Zeuge in der Lage, die beiden Taten auseinanderzuhalten. So hat er klar zwischen den verschiedenen Tatorten differenziert und bekundet, lediglich beim zweiten Mal sei "etwas Weißes" aus dem Penis des Mannes herausgekommen. Auch sei er lediglich beim zweiten Mal der entsprechenden Aufforderung des Mannes gefolgt und habe selbst zugetreten. Beim ersten Mal sei er einfach weggegangen, beim zweiten Mal sei ein anderer Mann dazu gekommen, der etwas gerufen habe. Daraufhin sei der Täter weggelaufen und der andere Mann hinterher.

Anzeichen für eine übermäßige Belastungstendenz waren nicht zu erkennen. Vielmehr hat der Zeuge bekundet, dass er das erste Mal gar nicht als besonders schlimm empfunden habe und dass er sich dem Geschehen ohne Widerstand des Angeklagten habe entziehen können. Lediglich der zweite Vorfall sei "ekelig" gewesen. Er sei jedoch auch da nicht gezwungen worden, mit in das Gebüsch zu gehen.

Für die Richtigkeit der Angaben des Zeugen spricht die Konstanz seiner Aussage. Der Zeuge hat im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung, deren Inhalt durch Vernehmung des Zeugen KHK Z. in die Hauptverhandlung eingeführt wurde, und der Vernehmung in der Hauptverhandlung sehr konstante Angaben zu dem Geschehen gemacht. So hat KHK Z. glaubhaft angegeben, dass der Zeuge auch bei der Polizei kurz nach dem zweiten Geschehen angegeben habe, dass er zwei Mal mit demselben Mann in ein Gebüsch gegangen sei, wobei es jeweils ein anderer Spielplatz nahe seiner Wohnanschrift gewesen sei. Der Mann habe seine Hose bis zu den Knien herabgelassen und seinen Penis gezeigt, an dem er mit der Hand "geschlackert" habe. Beim zweiten Mal sei da was Weißes und Schaumiges rausgekommen. Der Mann habe ihn auch aufgefordert, auf seinen Penis zuschlagen. Den Penis habe der Zeuge als lang beschrieben, im Gegensatz zu seinem eigenen Penis, der klein sei und herunterhänge. Sein eigener Penis sei zudem beschnitten, der Penis von dem Mann sei nicht beschnitten gewesen und darüber sei der Zeuge erstaunt gewesen. Die Masturbationshandlungen habe der Zeuge mit einer Handbewegung und den Lauten "tsch tsch tsch" umschrieben. Dass es zwei Taten gewesen seien, habe er von sich aus gesagt und angegeben, dass die erste Tat in den Sommerferien stattgefunden habe, bevor er in die 1. Klasse gekommen sei.

Soweit der Zeuge U. im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung - anders als in der Hauptverhandlung - noch bekundet hatte, den Mann auch im Rahmen des zweiten Vorfalles nicht geschlagen oder getreten zu haben, stellt dies die Glaubhaftigkeit seiner Aussage nicht in Frage. Denn im Rahmen der Hauptverhandlung wurde deutlich, dass er diesen Umstand bei der Polizei zunächst verschwiegen hatte, weil er wegen der Tritte Schuldgefühle hatte. So hat er der Kammer gegenüber geäußert, er wolle sich dafür noch entschuldigen, weil das ja wehgetan habe. Ebenso steht der Glaubhaftigkeit nicht entgegen, dass der Zeuge angegeben hat, dass er seinem Vater, dem Zeugen Y., nach dem ersten Vorfall von diesem berichtet habe, der Zeuge Y. sich hieran aber nicht mehr zu erinnern vermochte. Denn insoweit ist schon nicht sicher, ob der Zeuge U. sich für einen Erwachsenen unmissverständlich ausgedrückt hat, insbesondere da er selber angegeben hat, dass sein Vater ihn nach seinem Eindruck nicht verstanden habe.

Auch die weitere Aussageentstehung spricht für einen Erlebnisbezug der Angaben des Zeugen. Denn auch gegenüber seinem erwachsenen Bruder, dem in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen AA., der von Nachbarn zum Tatort gerufen worden war, hat er das Geschehen unmittelbar nach der Tat im Kern wie festgestellt geschildert, nämlich dahingehend, dass der Mann, den er schon gekannt habe, ihm "sein Ding" gezeigt habe und ihn aufgefordert habe, "das Ding" anzufassen, was er nicht gemacht habe. Außerdem sei aus dem Penis "was Weißes" gekommen und das Geschehen habe sich bei dem Bolzplatz zugetragen. Da U. nicht habe über das Geschehen reden wollen, habe er ihm auch kaum Nachfragen dazu gestellt. Gleiches gilt für die Zeugin BB. X., die als Erste noch vor dem Eintreffen der Polizei mit dem Zeugen U. gesprochen hat und der er berichtet hat, der Mann habe das nicht das erste Mal gemacht. Die Zeugin PKin CC. , die ebenfalls kurz nach der Tat noch am Tatort mit dem Zeugen gesprochen hat, hat angegeben, dass sie als einzige Polizistin mit dem Kind vor Ort gesprochen habe. Es habe ihr berichtet, dass er sich vor dem Haus befunden habe, als plötzlich ein Mann gekommen sei. Den habe er schon öfter gesehen und der habe ihn aufgefordert mitzukommen. Er habe das erst abgelehnt, sei dann aber doch mitgegangen, und zwar über den Spielplatz in das Gebüsch. Der Mann habe dann seinen Penis rausgeholt und daran rumgespielt. Der Penis sei auch steif gewesen, wobei die Zeugin nicht mehr zu erinnern vermochte, welche genauen Worte U. verwendet habe. U. habe weiter berichtet, dass der Mann ihn aufgefordert habe, ihn zu schlagen. Er habe das aber nicht machen wollen, da das doch weh tun würde. Er habe sich aber ein bisschen gezwungen gefühlt und den Penis dann kurz angefasst, wobei er nicht gesagt habe, wie diese Berührung ausgesehen habe. Auf Nachfrage hat die Zeugin angegeben, dass sie U. nach den Berührungen nicht weiter befragt habe.

Die Angaben des Zeugen U. stehen ferner im Einklang mit den Angaben der Eheleute X. über ihre Wahrnehmung des zweiten Vorfalls. Die Zeugin BB. X. hat bekundet, dass sie sich im Schlafzimmer ihrer Wohnung im ersten Obergeschoss in der W. in G. aufgehalten habe, als sie aus dem Fenster geschaut und im dortigen Gebüsch einen erwachsenen Mann mit Brille und Rucksack sowie einen Jungen wahrgenommen habe. Sie habe daraufhin ihren Ehemann geweckt und heruntergeschickt, während sie selbst das Geschehen von oben mit ihrem Handy gefilmt habe. Sie habe noch gehört, dass über Schlagen gesprochen worden sei. Ihr Mann, der Zeuge X., hat dies bestätigt und zudem beschrieben, wie er auf das Gebüsch zugelaufen sei und versucht habe, mit seinem Handy ein Foto von dem Geschehen zu machen. Versehentlich habe er jedoch die Taste für die Videoaufnahme gedrückt und so drei Videos gefertigt. Er habe gesehen, dass der Mann mit dem Jungen im Gebüsch gestanden habe und die Hose des Mannes geöffnet gewesen sei. Als er den Mann angesprochen habe, sei dieser geflüchtet. Er sei ihm gefolgt, habe ihn aber nicht einholen können.

2.

Dass es sich bei dem Angeklagten um den Täter handelt, steht zur Überzeugung der Kammer fest aufgrund der Aussage der Zeugin KKin DD. . Diese hat bekundet, sie habe mit dem Jungen eine Wahllichtbildvorlage durchgeführt. Dabei habe dieser sofort den Angeklagten erkannt. Während der Durchführung der Wahllichtbildvorlage habe der Junge neben ihr gestanden und die Bilder nacheinander auf dem PC angeschaut. Ihm seien alle acht Bilder gezeigt worden. Bei dem Bild des Angeklagten (Nr. 4) habe er spontan mit dem Finger auf den Bildschirm gezeigt und gesagt, der sei es. Bei allen anderen Bildern habe er "nein" gesagt. Auf die Frage, ob er sich sicher sei, habe er noch entgegnet, dass er doch nicht lügen würde. Die Kammer hat die Lichtbilder der Wahllichtbildvorlage im Rahmen der Hauptverhandlung in Augenschein genommen und sich von der hinreichenden Vergleichbarkeit der abgebildeten Personen - männlich, helle Haut, Brille, kurze Haare - überzeugt. Dass das Bild der Wahllichtbildvorlage, welches den Angeklagten abbildet, ausweislich der Angaben der KKin DD. zu dem Zeitpunkt etwa drei bis vier Jahre alt war, steht dem nicht entgegen. Denn das Äußere des Angeklagten hat sich hinsichtlich seines Gesichts ausweislich des unten benannten Lichtbildes von der Einweisung in die JVA nicht verändert. Der Zeuge U. war sich zudem ganz sicher, dass es sich bei beiden Taten um den gleichen Täter gehandelt habe. Er habe ihn, als er ihn beim zweiten Mal angesprochen habe, sofort wiedererkannt. Der Mann habe auch dieselbe Brille getragen und denselben Pullover, jedoch eine andere Hose. In diesem Punkt hat der Zeuge seine Angaben sehr entschieden getätigt und auch auf mehrfache Nachfrage der Verteidiger bekräftigt, sich da ganz sicher zu sein.

Für die Täterschaft des Angeklagten spricht zudem, dass zwischen ihm und dem Täter, den der Zeuge X. mit seinem Handy aufgenommen hat, hinsichtlich des Haaransatzes, der Form des Kinnes und der Wangen eine große Ähnlichkeit besteht. Die Kammer hat insoweit einen Screenshot, den der Zeuge X. anhand eines seiner Videos gemacht und der Polizei zur Verfügung gestellt hat, mit einem Lichtbild des Angeklagten am Tag seiner Einlieferung in die JVA am 07.08.2019 verglichen. Der Screenshot zeigt - stark verpixelt - frontal das Gesicht eines hellhäutigen Mannes, bekleidet mit einem hellblauen Oberteil, mit kurzen Haaren und einer Brille. Das in der JVA gefertigte Portraitbild des Angeklagten vom 07.08.2019 zeigt ebenfalls frontal dessen Gesicht mit Hals sowie Schulteransatz. Wegen der Einzelheiten wird auf die Lichtbilder auf Bl. 471 der Akte (oben links - Screenshot) sowie auf Bl. 326 der Akte (Portrait JVA) verwiesen.

Als weiteres Indiz für die Täterschaft des Angeklagten hat die Kammer berücksichtigt, dass der Zeuge KHK Z. berichtet hat, dass der Angeklagte ausweislich einer Auswertung seines Mobiltelefons in der Zeit vom 02.08.2019 bis zum 05.08.2019 im Internet nach folgenden Begriffen gesucht habe: "hsutschuppen auf penis", "kind missbraucht G.", "wie lange dna nachweisba", haftbefehl wann kommt die polizei", "wie lange dauert haftbefehl", "pimmel anfassen dna" und "dna nachweiss".

Der Überzeugung der Kammer von der Täterschaft des Angeklagten steht nicht entgegen, dass der Zeuge X. im Rahmen der Hauptverhandlung bei der Inaugenscheinnahme der mit ihm bei der Polizei durchgeführten Wahllichtbildvorlage bekundet hat, dass er bei der Polizei den auf Bild Nr. 1 abgebildeten Mann - eine virtuelle Person - mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % als den Täter erkannt habe. Bei der Polizei, so der Zeuge X. weiter, sei diese Person aber nicht auf dem ersten Bild gewesen, sondern "irgendwo in der Mitte" der ihm gezeigten Bilder. Insgesamt habe man ihm etwa 20 Fotos gezeigt. Die Angaben des Zeugen sind insoweit nicht überzeugend. Denn die Zeugin KKin DD. hat glaubhaft bekundet, sie habe auch die Wahllichtbildvorlage mit dem Zeugen X. durchgeführt. Dieser habe jedoch auf den ihm gezeigten acht Bildern niemanden erkannt. Sie habe sich noch gewundert, da er bei keinem der Bilder eine Reaktion gezeigt habe. Auch sei die Reihenfolge der Bilder nicht verändert worden - das sei am PC auch gar nicht möglich. Hinzu kommt, dass der Zeuge X. angegeben hat, dass er dem Täter zwar einmal ins Gesicht geschaut habe, dies jedoch nur sehr kurz und aus ca. drei bis vier Metern Entfernung, da dieser dann sofort geflohen sei und sich auf der Flucht auch nicht noch einmal umgedreht habe. Vor diesem Hintergrund wäre eine sichere Identifizierung des Täters durch den Zeugen aus Sicht der Kammer ohnehin nicht zu erwarten gewesen. Die Kammer geht nicht davon aus, dass der Zeuge hinsichtlich seiner Angaben zu der Wahllichtbildvorlage bewusst die Unwahrheit gesagt hat. Sie ist vielmehr davon überzeugt, dass sie seine Erinnerung in diesem Punkt schlicht im Laufe der Zeit verfälscht hat - beeinflusst möglicherweise durch den Wunsch, zur Überführung des Täters beitragen zu können.

Das Gutachten der anthropologischen Sachverständigen Frau EE. , welches auf Antrag der Verteidigung eingeholt wurde, war im Ergebnis nicht ergiebig. Denn diese hat ausgeführt, dass das ihr zur Verfügung gestellte Bildmaterial - die beste Qualität hatte insoweit der bereits angesprochene Screenshot - aufgrund der starken Verpixelung für einen sachverständigen Merkmalsvergleich ungeeignet sei. Für eine sichere Identifizierung sei eine Vielzahl übereinstimmender Merkmale erforderlich. Daran fehle es jedoch aufgrund der Qualität des Screenshots. Für einen Ausschluss des Angeklagten als Täter reiche theoretisch ein Widerspruch zwischen dem Bild des Täters und dem des Angeklagten aus, ein solcher sei jedoch nicht zu erkennen.

Soweit die Zeugin FF. kurz nach der Tat den fliehenden Täter abweichend von dem Angeklagten mit langen schwarzen Haaren beschrieben hat, konnte sie sich hieran im Rahmen der Hauptverhandlung nicht mehr erinnern. Der sodann vernommene Zeuge KHK GG. hat angegeben, dass die damals kindliche Zeugin FF. ihn zwar angesprochen und erklärt habe, dass sie den gesehen habe, den die Polizei suchen würde, und dass sie auch eine Person beschrieben habe. Dass sie aber tatsächlich den Täter gesehen habe, habe nicht verifiziert werden können, da sie schon das Geschehen in dem Gebüsch nicht wahrgenommen habe. Sie habe lediglich eine Person gesehen, die gelaufen sei, ohne dass ein sicherer Zusammenhang zur Tat hätte festgestellt werden können.

3.

Die Feststellungen zu den Folgen der Tat für den Nebenkläger beruhen auf dessen eigenen glaubhaften Angaben sowie denen seines Vaters, des Zeugen Y..

4.

Die Feststellungen zur Person des Angeklagten beruhen auf seinen eigenen glaubhaften Angaben, denen die Kammer gefolgt ist. Seine Vorstrafen hat die Kammer durch Verlesung des Bundeszentralregisterauszuges vom 07.01.2020 sowie auszugsweise Verlesung der schriftlichen Urteilsgründe der Vorverurteilungen festgestellt.

5.

Die Feststellungen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten beruhen auf dem Gutachten des sachverständigen Facharztes für Neurologie und Psychiatrie, Psychiatrie und Psychotherapie sowie Forensische Psychiatrie HH. , an dessen Sachkunde und forensischer Erfahrung die Kammer keinerlei Zweifel hat.

Ausgehend von dem Inhalt der Verfahrensakte nebst Beiakten sowie den während der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnissen hat der Sachverständige umfassend und überzeugend zu den Voraussetzungen der Schuldfähigkeit aus ärztlicher Sicht Stellung genommen.

Er hat ausgeführt, bei dem Angeklagten sei ein Exhibitionismus (ICD 10: F 65.2) bzw. eine exhibitionistische Störung (DSM 5: F 65.2) zu diagnostizieren. Kriterien hierfür seien das wiederholte Auftreten intensiver sexueller Impulse und Fantasien, die sich auf ungewöhnliche Gegenstände oder Aktivitäten beziehen, das Handeln nach den Impulsen oder zumindest eine deutliche Beeinträchtigung durch die Impulse, ein Bestehen dieser Präferenz seit mindestens sechs Monaten, eine Neigung, die eigenen Geschlechtsteile unerwartet Fremden zu zeigen, was fast immer mit sexueller Erregung und Masturbation verbunden sei, sowie kein Wunsch und keine Aufforderung zum Geschlechtsverkehr mit bzw. an den Fremden. Alle diese Kriterien seien bei dem Angeklagten erfüllt. Er sei in den vergangenen Jahren wiederholt wegen sexueller, insbesondere exhibitionistischer Handlungen vor Kindern verurteilt worden, eine Aufforderung zum Geschlechtsverkehr habe es nie gegeben.

Der diagnostizierte Exhibitionismus sei eine andere seelische Abartigkeit. Dass diese schwer im Sinne der §§ 20, 21 StGB sei, könne jedoch nicht festgestellt werden. Das sei nämlich nur dann der Fall, wenn die genannten Symptome die Persönlichkeit prägen würden. Dafür könne sprechen, wenn die Sexualstruktur weitgehend durch die Paraphilie bestimmt werde, wenn eine ichdystone Verarbeitung zur Ausblendung der Paraphilie führe, wenn eine progrediente Zunahme und "Überflutung" durch dranghafte paraphile Impulse bei ausbleibender Befriedigung zunehmend das Erleben beherrsche und zur Umsetzung auf Verhaltensebene dränge und wenn andere Formen soziosexueller Befriedigung aufgrund von Persönlichkeitsfaktoren und/oder sexueller Funktionsstörungen erkennbar nicht zur Verfügung stünden. Keines dieser Kriterien, so der Sachverständige, sei bei dem Angeklagten positiv feststellbar. Dadurch, dass er sich nicht habe explorieren lassen, seien seine Motive und seelischen Befindlichkeiten unbekannt geblieben. Dass der Angeklagte die Taten trotz einer abgeschlossenen Psychotherapie begangen habe, könne darauf beruhen, dass die dort erarbeiteten Kontrollmechanismen wirkungslos seien, das sei jedoch nicht zwingend. Genauso sei es möglich, dass er schlicht nicht willens sei, nach in der Therapie eingebübten Verhaltensmustern zu handeln.

Daneben, so der Sachverständige, sei bei dem Angeklagten ein Masochismus (ICD 10: F 65.5) bzw. eine sexuell masochistische Störung (DSM 5: F 65.51) möglich, jedoch nicht sicher feststellbar. Voraussetzung nach der ICD 10 sei, dass die masochistische Aktivität die wichtigste Quelle sexueller Erregung oder zumindest notwendig für die sexuelle Befriedigung sei. Nach dem Diagnosesystem DSM 5 werde gefordert, dass über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten wiederkehrende intensive sexuelle Erregung aufgrund von Handlungen, die Gedemütigt-, Geschlagen- oder Gefesseltwerden umfassen oder auf andere Weise Leiden hervorrufen, auftritt und diese Erregung sich in Fantasien, dranghaften Bedürfnissen oder Verhaltensweisen äußere. Es sei, so der Sachverständige, zumindest naheliegend, dieses Kriterium angesichts der Anlasstaten als erfüllt anzusehen, auch wenn der Angeklagte keine Angaben über sein psychisches Befinden, seine Fantasien, Bedürfnisse und Verhaltensweisen mache. Voraussetzung sei jedoch weiter, dass diese Fantasien, dranghaften Bedürfnisse oder Verhaltensweisen in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen verursachen. Hierfür gebe es keinerlei Anhaltspunkte.

Hinweise für eine tatzeitbezogene Aufhebung der Einsichtsfähigkeit seien nicht erkennbar. Hinweise für eine Aufhebung oder erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit seien ebenfalls nicht vorhanden. Dagegen spreche vielmehr, dass der Angeklagte planmäßig vorgegangen sei, dass er die Fähigkeit gehabt habe zu warten, dass es sich jeweils um einen komplexen Tatablauf gehandelt habe und dass der Angeklagte durch die Tatausführung im Gebüsch Vorsorge gegen Entdeckung getroffen habe.

Die Kammer schließt sich den Ausführungen des Sachverständigen aus eigener Überzeugung an. Zweifel an der Richtigkeit der gutachterlichen Feststellungen bestehen nicht. Der Gutachter ist von zutreffenden Tatsachen ausgegangen und hat die durch die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnisse berücksichtigt. Widersprüche sind in seinem Gutachten nicht hervorgetreten. Aus Sicht der Kammer spricht zudem die niedrige Tatfrequenz gegen eine durch die Paraphilie bereits geprägte Persönlichkeit des Angeklagten. Dessen innere Einstellung zu seinen Taten ist völlig offen geblieben. Mangels konkreter Anhaltspunkte in die eine oder andere Richtung sah die Kammer sich auch nicht gehalten, von der für den Angeklagten günstigsten Möglichkeit auszugehen.

IV.

Der Angeklagte hat sich, indem er zwei Mal vor dem Nebenkläger masturbiert hat, wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes gemäß § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB in zwei Fällen strafbar gemacht. Jeweils tateinheitlich hat er, indem er den Nebenkläger aufgefordert hat, auf seinen Penis zu schlagen, den Tatbestand des versuchten sexuellen Missbrauchs eines Kindes gemäß den §§ 176 Abs. 1, 22, 23 StGB verwirklicht. Im ersten Fall ist er jedoch gemäß § 24 Abs. 1 StGB strafbefreiend vom Versuch zurückgetreten, indem er die entsprechende Ablehnung des Nebenklägers ohne weiteres akzeptiert hat. In Fall 2 scheidet ein strafbefreiender Rücktritt aus, da der Versuch des Angeklagten fehlgeschlagen ist. Er wurde, ohne dass der Nebenkläger ihn bereits an der gewünschten Stelle getroffen hatte, von dem Zeugen X. unterbrochen, und konnte dieses Ziel daher nicht mehr erreichen. Ein weiteres Auffordern des Zeugen U. zu treten, war auch nicht erforderlich, da er dieser Aufforderung bereits nachgekommen war.

V.

Im Rahmen der Strafzumessung ist die Kammer für die erste Tat vom Strafrahmen des § 176 Abs. 4 StGB ausgegangen. Für die zweite Tat hat sie den Strafrahmen des § 176 Abs. 1 StGB zugrunde gelegt und eine Strafrahmenverschiebung gemäß den §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB vorgenommen. Im Rahmen des sich daraus ergebenden Strafrahmens hat sie die Untergrenze des tateinheitlich verwirklichten § 176 Abs. 4 StGB beachtet.

Zugunsten des Angeklagten hat die Kammer berücksichtigt, dass seit der ersten Tat bereits fast zwei Jahre vergangen sind. Außerdem handelte es sich im ersten Fall um ein sehr kurzes Geschehen, welches für den Nebenkläger keine besonderen Folgen hatte und aus dem er sich leicht lösen konnte.

Zu Lasten des Angeklagten fielen demgegenüber seine einschlägigen Vorstrafen ins Gewicht. Bei Begehung der ersten Tat stand er unter laufender Bewährung. Den zweiten Vorfall empfand der Nebenkläger als besonders belastend. Auch heute steht er noch unter dem Eindruck des Erlebten, wovon sich die Kammer im Rahmen seiner Vernehmung selbst ein Bild machen konnte. Bei der zweiten Tat hat der Angeklagte tateinheitlich zwei Delikte verwirklicht. Schließlich war der Nebenkläger bei beiden Taten mit sieben bzw. acht Jahren relativ weit von der Schutzaltersgrenze des § 176 StGB entfernt.

Unter Abwägung dieser Umstände hat die Kammer für die erste Tat eine Einzelstrafe von einem Jahr und neun Monaten und für die zweite Tat eine Einzelstrafe von zwei Jahren und neun Monaten für tat- und schuldangemessen erachtet.

Aus diesen Einzelstrafen hat die Kammer unter nochmaliger Würdigung der Person des Angeklagten und der für und gegen ihn sprechenden Umstände eine Gesamtstrafe von

drei Jahren und sechs Monaten

gebildet. Hierbei hat sie neben den bereits genannten Strafzumessungserwägungen mildernd den engen sachlichen Zusammenhang berücksichtigt.

VI.

Da bereits ein Eingangsmerkmal des § 20 StGB nicht festgestellt werden konnte, war auch eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB nicht anzuordnen.

VII.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 465, 472 StPO.

Zitate0
Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte