VG Sigmaringen, Urteil vom 08.10.2020 - A 4 K 4596/18
Fundstelle
openJur 2021, 3038
  • Rkr:

1. Die Dublin III-VO sieht eine Verlängerung der darin geregelten Überstellungsfristen nur aus zwei Gründen vor, nämlich zum einen, um die Durchführung von Rechtsschutzverfahren zu ermöglichen und zum anderen, um individuellen Mitwirkungspflichtverletzungen der betroffenen Personen sowie Störungen der Überstellung durch Inhaftierungen entgegenzuwirken.

2. Die mit Corona-Epidemie-Folgen begründete Aussetzung des Vollzugs der Abschiebungsanordnung unterbricht die Überstellungsfrist nicht.

Tenor

Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 26. Juli 2018 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

Die Klägerin setzt sich gegen einen Dublin-Bescheid zur Wehr, mit dem ihr Asylantrag als unzulässig abgelehnt und ihre Abschiebung nach Portugal angeordnet wird.

Die nicht zur Person ausgewiesene Klägerin ist nach eigenen Angaben am ... in I., Nigeria, geboren, nigerianische Staatsangehörige, Yoruba und Christin. Für sie wurde am 30.5.2018 vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, unten Bundesamt, ein Asylantrag registriert. Beim persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats und zur Klärung der Zulässigkeit des Asylantrags gab die Klägerin an, sie habe Nigeria Ende April 2018 verlassen und sei von dort per Direktflug nach Portugal eingereist. Sie habe in Portugal, wo sie zur Prostitution gezwungen worden sei, keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Am 20.5.2018 sei sie mit dem Zug in die Bundesrepublik Deutschland eingereist.

Am 22.5.2018 lag für die Klägerin eine Eurodac-Nullauskunft vor. Am 30.5.2018 erbrachte ein Auszug aus dem Visainformationssystem VIS den Nachweis einer Visum-Erteilung durch Portugal am 26.4.2018, gültig für die Zeit vom 6.5.2018 bis 28.5.2018. Dem mit dieser Visum-Erteilung begründeten Aufnahmegesuch des Bundesamts vom 5.6.2018 gab die portugiesische Dublin-Stelle am 25.7.2018 unter Verweis auf Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO statt. In die Bundesamtsakte wurde für den 25.7.2018 der Zuständigkeitsübergang auf Portugal und für den 25.1.2019 das Ende der Überstellungsfrist vermerkt.

Mit hier streitgegenständlichem Bescheid vom 26.7.2018, der Klägerin bekanntgegeben am 3.8.2018, lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung nach Portugal an (Ziffer 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4). Zur Begründung führte das Bundesamt aus, der Asylantrag sei nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig, Portugal sei aufgrund des ausgestellten Visums gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO für die Behandlung des Asylgesuchs zuständig.

Am 6.8.2018 stellte die Klägerin den Eilantrag A 4 K 4597/18 auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer am 6.8.2018 erhobenen Klage A 4 K 4596/18.

Am 22.2.2019 lehnte das Gericht den Eilantrag A 4 K 4597/18 mit Verweis auf die Zuständigkeit Portugals ab.

Am 18.4.2019 stellte die Klägerin den Abänderungsantrag A 4 K 1816/19, zu dem sie ausführte, sie sei depressiv und suizidal. Mit gerichtlichem Schreiben vom 25.4.2019 wurde das Bundesamt gebeten, der mit dem Vollzug der Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass bis zur Entscheidung über den Abänderungsantrag von Vollzugsmaßnahmen abgesehen werden soll.

Am 24.5.2019 lehnte das Gericht den Abänderungsantrag A 4 K 1816/19 ab.

Mit Schreiben vom 19.7.2019, der Klägerin zugestellt am 23.7.2019, forderte das Regierungspräsidium Karlsruhe, Abteilung 8, Rückführungsmanagement, die Klägerin auf, vom 19.8. bis 23.8.2019, zwischen 2:30 Uhr und 4:30 Uhr, ihr zugewiesenes Zimmer in der Unterkunft B., N., nicht zu verlassen, damit sie dort zur Abschiebung abgeholt werden könne. Am 21.8.2019 wurde die Klägerin beim Abschiebungsversuch nicht in der Unterkunft angetroffen. Ihre Abschiebung wurde daraufhin storniert. Das Bundesamt teilte der portugiesischen Dublin-Stelle mit Schreiben vom 21.8.2019 mit, die Klägerin sei flüchtig, die Überstellungsfrist verlängere sich gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin-III VO auf 18 Monate und laufe daher am 22.8.2020 ab.

Mit Rundschreiben vom 18.3.2020 teilte das Bundesamt den Präsidenten der Verwaltungsgerichte und Oberverwaltungsgerichte mit, dass die Behörde in allen anhängigen Dublin-Verfahren die Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO in Verbindung mit Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO aussetzen werde. Es seien angesichts der Corona-Krise in Europa die meisten Grenzen geschlossen und Reiseverbote ausgesprochen worden. Daher sei der Vollzug von Dublin-Überstellungen vorübergehend nicht möglich.

Mit Schreiben vom 22.4.2020 teilte das Bundesamt der Klägerin mit, dass in ihrem Verfahren die Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO in Verbindung mit Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO unter Vorbehalt des Widerrufs "bis auf weiteres" angeordnet werde. Zur Begründung wurde auf die Corona-Krise und danach nicht zu vertretende Dublin-Überstellungen verwiesen und zur Rechtslage ausgeführt, nach der Rechtsprechung (BVerwG, Urteil vom 8.1.2019 - 1 C 16.18 -, juris) könne das Bundesamt die Durchsetzung der Überstellungsentscheidung aus sachlich vertretbaren, willkürfreien und nicht rechtsmissbräuchlichen Erwägungen aussetzen mit der Folge, dass die laufende Überstellungsfrist unterbrochen werde. Am 23.4.2020 informierte das Bundesamt im vorliegenden Klageverfahren das Gericht und merkte dazu an, dass sie das Überstellungsverfahren wegen der Corona-Krise bis auf weiteres aussetze, besage nicht, dass der zuständige Dublin-Staat nicht mehr zur Übernahme bereit und verpflichtet sei. Die Aussetzung gelte unter dem Vorbehalt des Widerrufs.

Mit Schreiben vom 9.7.2020 teilte das Bundesamt der portugiesischen Dublin-Stelle mit, dass die Aussetzung zum 9.7.2020 widerrufen werde und dass die Überstellungsfrist nunmehr am 9.1.2021 ende.

Mit Schreiben vom 13.7.2020 teilte das Bundesamt dem Gericht und den Klägervertretern mit, dass es nunmehr die Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung wegen veränderter Sachlage widerrufe und die Durchführung der Überstellung der Klägerin wiederaufgenommen werde. Die Reisebeschränkungen bezüglich Portugal seien aufgehoben.

Zur Begründung der am 6.8.2018 erhobenen Klage wird zuletzt vorgetragen, die Überstellungsfrist sei am 22.8.2020 abgelaufen. Die zeitweise Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung habe die Frist weder gehemmt noch unterbrochen. Die Bundesrepublik Deutschland sei für das Asylverfahren der Klägerin zuständig geworden. Das Vorgehen des Bundesamts finde in Art. 29 Abs. 1 Dublin-III VO, der nur auf Art. 27 Abs. 3 und nicht auf Art. 27 Abs. 4 Dublin-III VO verweise, keine Grundlage. Das Vorgehen des Bundesamts lasse die subjektiv-rechtliche Schutzwirkung der Überstellungsfrist leerlaufen, wenn es die Behörde letztlich in der Hand habe, eine Hemmung herbeizuführen. Auf die entgegenstehende Spruchpraxis der Verwaltungsgerichte, auf die einschlägigen Äußerungen der EU-Kommission zur Durchführung der Dublin III-VO und auf die Äußerungen der österreichischen Asylbehörde werde verwiesen.

Die Klägerin beantragt, schriftlich und sachdienlich gefasst,

den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 26. Juli 2018 aufzuheben, hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass bei der Klägerin ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG bezüglich Portugal besteht.

Die Beklagte beantragt, schriftlich,

die Klage abzulehnen.

Zur Begründung wird ausgeführt, die Überstellungsfrist von 6 Monaten sei durch die Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung vom 22.4.2020 unterbrochen und durch Widerruf der Aussetzungsentscheidung am 13.7.2020 neu in Lauf gesetzt worden. In der EuGH-Rechtsprechung sei geklärt, dass den Behörden auch in Fällen, in denen eine Überstellung kraft Gesetzes oder kraft wirksamer Einzelfallentscheidung lediglich zeitweise ausgeschlossen war, eine zusammenhängende Frist von 6 Monaten zur Bewerkstelligung der Überstellung verbleiben müsse (EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 -, juris).

Dem Gericht liegen Auszüge aus der elektronisch geführten Bundesamtsakte und der DUAO-Mappe sowie die Gerichtsakten zu den genannten Eilverfahren vor. Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Unterlagen und auf die Ausführungen der Beteiligten in ihren Schriftsätzen verwiesen.

Gründe

Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten erklärt haben, dass sie mit dieser Verfahrensweise einverstanden sind (§ 101 Abs. 2 VwGO).

I.

Von der Möglichkeit der Aussetzung des vorliegenden Klageverfahrens und Vorlage an den EuGH gemäß § 94 VwGO in Verbindung mit Art. 267 Abs. 2 AEUV macht das Gericht keinen Gebrauch. Die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfragen ergibt sich nach Einschätzung der Kammer bei Beachtung des Effizienzgebots hinreichend klar und eindeutig aus der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, unten Dublin III-VO. Die Verzögerungen bei der Einführung des von der Dublin III-VO vorausgesetzten, funktionierenden, gemeinsamen europäischen Asylsystems der Mitgliedstaaten (GEAS, siehe 2. Erwägungsgrund zur Dublin III-VO) und die Vollzugsdefizite bei der Anwendung der Dublin III-VO durch die Mitgliedsstaaten (siehe dazu Bundestagdrucksache 19/14079 vom 16.10.2019) stehen der Wirksamkeit der Regelung im Ganzen nicht entgegen. Einer Befassung des Europäischen Gerichtshofs im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens bedarf es daher nicht.

II.

Die mit Hauptantrag zur Entscheidung gestellte statthafte und auch ansonsten zulässige Anfechtungsklage ist begründet. Die Bundesrepublik Deutschland wurde spätestens mit Ablauf der Überstellungsfrist am 22.8.2020 für die Durchführung des Asylverfahrens der Klägerin zuständig. Der streitgegenständliche Dublin-Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 26.7.2018 ist seit dem Zuständigkeitsübergang rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Bescheid unterliegt daher im vollen Umfang der Aufhebung.

Maßgeblich für die Beurteilung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 8.10.2020 (§ 77 Abs. 1 1. Halbsatz AsylG).

Die Rechtsgrundlagen für den Dublin-Bescheid ergeben sich im nationalen Recht aus den §§ 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a), 31 Abs. 3 Satz 1, Abs. 6, 34a AsylG. Danach hat das Bundesamt einen Asylantrag als unzulässig abzulehnen, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Mit der Entscheidung ist dem Ausländer mitzuteilen, welcher andere Staat für die Durchführung seines Asylverfahrens zuständig ist und festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG hinsichtlich des zuständigen Mitgliedsstaats vorliegen. Sobald feststeht, dass die Abschiebung in den zuständigen Staat durchgeführt werden kann, hat das Bundesamt die Abschiebung anzuordnen. Steht nicht fest, ob die Abschiebung in den zuständigen Staat durchgeführt werden kann, ist die Abschiebung anzudrohen (§ 34a Abs. 1 Satz 4 AsylG). Bei rechtzeitiger Stellung eines Eilantrags nach § 80 Abs. 5 VwGO ist die Abschiebung vor der gerichtlichen Entscheidung unzulässig.

Als weitere Rechtsgrundlagen sind, nachdem das nationale Recht an die Regelungen der Dublin III-VO anknüpft, die Art. 12 Abs. 2 und 4, 18 Abs. 1 Buchstabe a, 21, 22, 26, 27 und 29 Dublin III-VO zu beachten. Nach Art. 12 Abs. 2 und 4 Dublin III-VO ist grundsätzlich der das Visum ausstellende Mitgliedsstaat für die Prüfung des Antrags auf Gewährung internationalen Schutzes zuständig, wenn der Ausländer ein gültiges Visum besitzt, das seit weniger als sechs Monaten abgelaufen ist. Nach Art. 18 Abs. 1 Buchstabe a Dublin III-VO ist der zuständige Mitgliedsstaat verpflichtet, einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedsstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Art. 21, 22 und 29 Dublin III-VO aufzunehmen. Nach Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO kann der Mitgliedsstaat, wenn bei ihm ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, den zuständigen Staat innerhalb von drei Monaten nach Antragstellung um Aufnahme ersuchen. Der ersuchte Mitgliedsstaat hat gemäß Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO über das Aufnahmegesuch innerhalb von 2 Monaten nach Erhalt zu entscheiden. Die Überstellung des Antragstellers aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgt gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats nach Abstimmung der beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Artikel 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufschiebende Wirkung hat (Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO).

Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über. Die Frist kann auf höchstens ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder auf höchstens achtzehn Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist (Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO). Die in Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO geregelten Fristen dienen nach dem 19. Erwägungsgrund zur Verordnung sowohl dem Interesse des Betroffenen als auch dem reibungslosen Funktionieren des Systems, so dass sich der Betroffene auf den Ablauf der Fristen berufen kann (vgl. zur subjektiven Rechtstellung: EuGH, Urteil vom 25.10.2017 - C-201/16 -, juris; so wohl auch BVerwG, Urteil vom 9.8.2016 - 1 C 6/16 -, juris;).

1. Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 und 2 Dublin III-VO

Nach diesen Bestimmungen bestand, wie bereits in den Eilbeschlüssen vom 22.2.2019 und vom 24.5.2019 zutreffend ausgeführt wurde, im vorliegenden Fall zunächst eine Zuständigkeit Portugals für die Durchführung des Asylverfahrens der Klägerin. Diese war mit einem von Portugal am 26.4.2018 ausgestellten, für die Zeit vom 6.5.2018 bis 28.5.2018 gültigen Visum am 20.5.2018 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, so dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 12 Abs. 2 und 4 Dublin III-VO für eine Zuständigkeit Portugals erfüllt waren. Die Zuständigkeit Portugals war auch nicht deshalb entfallen, weil der Klägerin dort eine Verletzung von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union drohte (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 - juris; Urteil vom 16.2.2017 - C-578/16 - juris). Dafür bestanden weder Anhaltspunkte noch hat die Klägerin dies geltend gemacht. Das Aufnahmegesuch nach Art. 18 Abs. 1 Buchstabe a, Art. 21 Dublin III-VO, § 2 Abs. 1 Nr. 1 AsylZBV wurde vom Bundesamt fristgemäß gestellt und von der portugiesischen Dublin-Stelle positiv beschieden. Mit der Annahme des Aufnahmegesuchs durch die portugiesische Dublin-Stelle wurde die vom Bundesamt gemäß Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO zu beachtende Überstellungsfrist von 6 Monaten erstmals in Lauf gesetzt. Sie wäre danach am 25.1.2019 abgelaufen.

Die Überstellungsfrist wurde durch Stellung des Eilantrags A 4 K 4597/18 unterbrochen, nachdem der Eilantrag aufschiebende Wirkung im Sinne des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO entfaltet. Bei dem Tatbestandsmerkmal der "aufschiebenden Wirkung" in Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO handelt es sich um einen unionsrechtlichen Begriff, der alle Fälle erfasst, in denen eine Überstellungsentscheidung im Rahmen der den Mitgliedstaaten in Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO eingeräumten Möglichkeiten zur Ausgestaltung eines wirksamen Rechtsbehelfs nicht vollzogen werden darf. Denn wie sich aus der zu Art. 20 Abs. 1 Buchstabe d Dublin II-VO ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ergibt, ist bei der Auslegung der Dublin-Bestimmungen zum einen die Effektivität des von den Mitgliedstaaten gewährleisteten gerichtlichen Rechtsschutzes zu wahren und der Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten zu respektieren. Zum anderen ist sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten auch bei der zweiten Variante die volle Frist zur Bewerkstelligung der Überstellung nutzen können. Die Frist beginnt bei der zweiten Variante daher erst zu laufen, wenn sichergestellt ist, dass die Überstellung in Zukunft erfolgen wird und lediglich deren Modalitäten zu regeln bleiben, d. h. ab der gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden wird und die der Durchführung nicht mehr entgegenstehen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Januar 2019 - BVerwG 1 C 16.18 -, juris; Beschluss vom 27. April 2016 - BVerwG 1 C 22.15 -, juris; jeweils unter Bezugnahme auf: EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08, juris).

Bei Berücksichtigung dieser Grundsätze trat durch die Ablehnung des Eilantrags mit Beschluss vom 22.2.2019 die Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung wieder ein und wurde die Überstellungsfrist damit neu in Lauf gesetzt (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.5.2016 - 1 C 15/15 -, juris). Wäre es dabeigeblieben, wäre die Überstellungsfrist am 22.8.2019 abgelaufen.

Die Stellung des Abänderungsantrags A 4 K 1816/19 am 18.4.2019 und dessen Ablehnung mit Beschluss vom 24.5.2019 führten zu keiner weiteren Unterbrechung der Überstellungsfrist. Die Anhängigkeit eines Abänderungsantrags nach § 80 Abs. 7 VwGO steht, anders als ein rechtzeitig gestellter Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, nach den oben dargelegten Grundsätzen und den gesetzlichen Regelungen in § 34a Abs. 2 Satz 1 und 2 AsylG, Art. 27 Abs. 3 Buchstabe b Dublin III-VO dem Vollzug der Abschiebungsanordnung nicht entgegen. Er vermittelt damit keine aufschiebende Wirkung. Gleiches gilt für das Ersuchen des Gerichts, das Bundesamt möge der für die Abschiebung zuständigen Stelle mitteilen, dass die Abschiebung bis zur Entscheidung über den Abänderungsantrag nicht durchgeführt werden soll. Anders als im Fall einer stattgebenden Entscheidung im Abänderungsantragsverfahren oder im Fall des Erlasses eines Stoppbeschlusses zeitigen die erfolglose Durchführung eines Abänderungsverfahrens und das Ersuchen des Gerichts um Aufschub keine Vollzugshindernisse im Sinne der Art. 27 Abs. 3, 29 Abs. 1 Dublin III-VO. Das verdeutlicht nicht zuletzt der Umstand, dass das Gericht eine vom Bundesamt und den Abschiebestellen zwingend zu beachtende Vollzugsaussetzung nur durch Stattgabe oder Erlass eines Stoppbeschlusses erreichen kann (so auch VG Berlin, Beschluss vom 18.3.2020 - 28 L 194.19 A -, juris).

Ob die Überstellungsfrist bereits am 22.8.2019 abgelaufen ist oder ob tatsächlich die Verlängerung der Überstellungsfrist bis zum 22.8.2020 eingetreten ist, kann dahinstehen, nachdem dies auf das Ergebnis der hier zu treffenden Entscheidung keinen Einfluss hat. Nach Ansicht der Kammer spricht aber einiges dafür, dass sich die Überstellungsfrist im vorliegenden Fall um 12 Monate auf 18 Monate verlängert hat. Hiervon gehen auch die Beteiligten aus. Nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO kann die Frist von 6 Monaten auf höchstens achtzehn Monate verlängert werden, wenn die betreffende Person flüchtig ist. Flüchtigkeit im Sinne dieser Regelung ist zu bejahen, wenn sich ein Asylbewerber den für die Durchführung seiner Überstellung zuständigen Behörden gezielt entzieht, um die Überstellung zu vereiteln (vgl. EuGH, Urteil vom 19.3.2019 - C-163/17 - juris). Die Flucht muss kausal dafür sein, dass es den zuständigen Behörden tatsächlich unmöglich ist, die Überstellung durchzuführen (EuGH, Urteil vom 19.3.2019 - C-163/17 - juris). Diese Voraussetzungen dürften vorgelegen haben. Die Klägerin hat die vollziehbare Anordnung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 19.7.2019 zur Aufenthaltsbeschränkung nicht befolgt und damit wohl ihre Abschiebung am 21.8.2019 gezielt vereitelt. Es dürfte wohl auch das weitere Vorgehen des Bundesamts in diesem Zusammenhang den Anforderungen der Dublin III-VO genügen. Nach der mit Hinweis auf das Effizienzgebot ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lässt sich aus der Formulierung der Dublin III-VO "kann die Frist von 6 Monaten höchstens auf achtzehn Monate verlängert werden" entgegen des Wortlauts nur ein "Kompetenz-Kann" herleiten und verpflichtet die Vorschrift die normanwendende Behörde nicht zum Erlass einer Ermessensentscheidung. Es bedarf danach zum "ob" und "wie" der Verlängerung der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO keiner behördlichen Entscheidung und es tritt die Verlängerung sozusagen automatisch ein, wobei die Überstellungsfrist unterschiedslos auf die maximal zulässigen 18 Monate erfolgt. Dass sich das Bundesamt auf den Eintritt der Verlängerung aufgrund "Flüchtig-Seins" beruft, stellt keinen Verwaltungsakt im Sinne des § 35 Abs. 1 VwVfG dar. Es bedarf nach dieser Rechtsprechung für die Verlängerung auch keiner Vereinbarung zwischen den Mitgliedstaaten, sondern lediglich einer Information des ersuchenden Mitgliedstaates darüber, dass der betreffende Ausländer flüchtig ist, sowie zugleich einer Mitteilung der neuen Überstellungsfrist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Dezember 2019 - 1 B 75.19 - juris; EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-163/17 - juris). Wird der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gefolgt, hat das Bundesamt im vorliegenden Fall durch die Mitteilung an die portugiesischen Behörden vom 21.8.2019 die Voraussetzungen für die Verlängerung der Überstellungsfrist auf 18 Monate erfüllt und ist der Ablauf der Überstellungsfrist am 22.8.2020 eingetreten.

Nachdem die Klage jedenfalls auch bei Annahme einer Verlängerung der Überstellungsfrist wegen "Flüchtig-Seins" am 22.8.2020 Erfolg hat, wird im Folgenden davon ausgegangen.

Denn die Überstellungsfrist ist im vorliegenden Fall jedenfalls am 22.8.2020 abgelaufen.

Dem steht die Anordnung des Bundesamts vom 22.4.2020 nicht entgegen. Die damit erfolgte Aussetzung der Durchführung der Überstellungsentscheidung konnte ebenso wie der Widerruf der Aussetzung am 13.7.2020 die Überstellungsfrist nicht unterbrechen. Dabei verstößt das Vorgehen des Bundesamts nicht bereits gegen nationales Recht.

2. Unterbrechung der Überstellungsfrist nach nationalem Recht

Die Behörde kann nach § 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO die Vollziehung eines von ihr erlassenen Verwaltungsakts aussetzen. Eine Aussetzung hat praktisch wie rechtlich die gleichen Wirkungen wie die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung (Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL Juli 2019, § 80 Rn. 275). Sie kann von Amts wegen erfolgen und steht grundsätzlich im Ermessen der Behörde. Sie unterliegt keinen Formvorschriften. Für ihre Wirksamkeit ist jedoch aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit eine Mitteilung an den Betroffenen erforderlich. Zweifel an der streitgegenständlichen Aussetzung ergeben sich insofern nicht.

Problematisch wäre es, wenn das Bundesamt bei Erlass der Aussetzungsentscheidung am 22.4.2020 davon ausgegangen wäre, dass die Durchführung der Abschiebung unmöglich war. In diesem Fall hätte wegen der tatbestandlichen Anforderungen des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG spätestens am 22.4.2020 geprüft werden müssen, ob das Bundesamt die Abschiebungsanordnung aufheben muss, weil gegen die Klägerin damit in einer vom Gesetz nicht vorgesehenen Art und Weise eine Vollstreckungsmaßnahme verhängt wäre.

Ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass der Abschiebungsanordnung entfallen sind, ergibt sich aus der objektiv im März und April 2020 gegebenen Infektionslage und den gegebenen Reisemöglichkeiten. Bezüglich der objektiven Gefahrenlage im Hinblick auf die Pandemie liegen dem Gericht keine überzeugenden Anhaltspunkte für eine Unmöglichkeit der Abschiebung ab dem 18.3.2020 bzw. ab dem 22.4.2020 vor. Nach dem täglichen Lagebericht des RKI zu Covid-19 gab es am 18.3.2020 in Deutschland 8.198 bestätigte Fälle und waren 12 Personen verstorben. Am 22.4.2020 berichtete das RKI 145.694 Infektionsfälle, bei 99.400 Genesenen und 4.879 Verstorbenen. Am 13.7.2020, also zum Zeitpunkt der Mitteilung des Bundesamts, dass nunmehr Dublin-Überstellungen nach Portugal wieder zu vertreten seien, berichtete das RKI 198.963 Fälle bei 185.100 Genesenen und 9.064 Verstorbenen. In Portugal wurden nach der in Wikipedia veröffentlichten Chronologie Covid-19-Pandemie_in_Portugal bis zum 15.3.2020 245 Infizierte registriert, am 20.3.2020 waren es 1020, am 29.4.2020 24.505 Infizierte und 973 Tote. Die Infektionslage hielt sich damit bezüglich der Covid-19-Epidemie in der Bundesrepublik Deutschland und in Portugal im Rahmen (vgl. Zusammenstellung des Gesundheitsdiensts des Auswärtigen Amts vom 25.3.2020, Covid-19, Informationen für Beschäftigte und Reisende). Beide Länder hatten die Infektionsbekämpfung im Griff und ihnen drohte, anders als Frankreich, Italien und Spanien, kein Kontrollverlust. Reiseeinschränkungen gab es nach dem täglichen Lagebericht des RKI vom 18.3.2020 lediglich bezüglich des Grenzverkehrs aus Frankreich, Österreich, Luxemburg, der Schweiz und Dänemark. Die im Zeitraum 18.3.2020 bis 22.4.2020 ergangenen Reisewarnungen des Auswärtigen Amts betrafen touristische Reisen und nahmen unter anderem Reisen und Grenzverkehr zu beruflichen Zwecken aus. Reiseverbote bestanden ohnehin nicht (vgl. Corona-Chronik-Pandemie in tagesschau.de). Die Einreise nach Portugal war zulässig, die Flughäfen waren offen und in Betrieb. Lediglich touristische Flüge wurden ausgesetzt (vgl. www.magdeburger.news.de Reise-News: Coronavirus / Portugal, Reise- und Sicherheitshinweise; https://www.trvlcounter.de/aktuell/viele-einschraenkungen-fuer-reisende-aus-deutschland-2627113/ Stand 3.4.2020). Es gab weder im März noch im April 2020 Reiseverbote, die der Überstellung zwingend entgegenstanden (MDR aktuell corona-chronik-chronologie-coronavirus-100.html). Nach der Ankündigung des Bundesinnenministeriums vom 23.3.2020 sollten ja auch Abschiebungen in Drittstaaten weiterhin stattfinden können (vgl. tagesschau.de, Seehofer stoppt Dublin-Abschiebungen, vom 23.3.2020). Bei der so umschriebenen Sachlage vermag das Gericht zum 18.3.2020, 22.4.2020 und 13.7.2020 keine überzeugenden Anhaltspunkte für die Unmöglichkeit der Durchführung von Dublin-Überstellungen nach Portugal zu erkennen.

Das Gericht ist daher davon überzeugt, dass der Anlass für die Aussetzung der Vollziehung der Überstellung der Klägerin nach Portugal nicht darin begründet war, dass das Bundesamt von einer Unmöglichkeit der Durchführung von Dublin-Überstellungen ausging. Dies ergibt sich auch aus den dazu ergangenen Erklärungen der Behörde. Im Einzelnen teilte das Bundesamt der Klägerin am 22.4.2020 schriftlich mit, die Vollziehung der Abschiebungsanordnung werde gemäß § 80 Abs. 4 VwGO in Verbindung mit Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO ausgesetzt. Die Aussetzung der Dublin-Überstellung erfolge "bis auf weiteres" und gelte "unter dem Vorbehalt des Widerrufs", weil im Hinblick auf die Corona-Krise derzeit Dublin-Überstellungen "nicht zu vertreten" seien. In der Mitteilung des Bundesamts vom 18.3.2020 an die Präsidenten der Verwaltungsgerichte und Oberverwaltungsgerichte wurde ausgeführt, angesichts der Corona-Krise seien in Europa inzwischen die meisten Grenzen geschlossen und Reiseverbote ausgesprochen worden. Da vor diesem Hintergrund derzeit Dublin-Überstellungen nicht zu vertreten seien, setze das Bundesamt alle Dublin-Überstellungen bis auf weiteres aus. Die zeitweise Aussetzung impliziere nicht, dass die Dublin-Staaten nicht mehr zur Übernahme bereit und verpflichtet seien. Vielmehr sei "der Vollzug vorübergehend nicht möglich." Mit dem Widerruf der Aussetzung am 13.7.2020 teilte das Bundesamt zur Begründung mit, im Hinblick auf die Entwicklung der Corona-Krise seien Dublin-Überstellungen nach Portugal "wieder zu vertreten". Die "Reisebeschränkungen nach Portugal" seien weitestgehend aufgehoben. Die Ausbreitung des Virus "habe man eindämmen können", so dass der Grund für die Aussetzung weggefallen sei.

Damit begründet das Bundesamt seine Aussetzungsentscheidung unterschiedlich. Seine Begründungen sind widersprüchlich und entsprechen nicht den festgestellten Zuständen. Nach der am 18.3.2020 vom Bundesamt behaupteten "Unmöglichkeit" wäre die Abschiebung bereits nicht durchführbar. Nach der am 22.4.2020 angegebenen "Unvertretbarkeit" wäre es zwar möglich gewesen, die vom Gesetz vorgesehene Überstellung nach Portugal durchzuführen, beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hätte aber die Bereitschaft gefehlt, die vom Gesetz vorgesehenen Dublin-Überstellungen, für deren Vollzug Landesbehörden zuständig sind, zu verantworten (zu vertreten). Nach der weiteren Begründung vom 13.7.2020 sollen nun "Reisebeschränkungen nach Portugal" und das "Bemühen des Bundesamts, die Ausbreitung des Virus einzudämmen", der Überstellung entgegengestanden haben.

In der Zusammenschau überzeugen die Begründungsversuche des Bundesamts nicht. Sie kaschieren den eigentlichen Zweck der Aussetzung. Das Bundesamt wollte wegen massiver Vollzugsdefizite bei einer möglichst hohen Anzahl von Dublin-Verfahren die Überstellungsverfahren in die Länge ziehen, um so Zeit für weitere Überstellungen zu gewinnen.

Hiervon ausgehend, lag keine Unmöglichkeit der Überstellung der Klägerin vor und diente die Maßnahme des Bundesamts vom 22.4.2020 nach Einschätzung des Gerichts ausschließlich der Unterbrechung der Überstellungsfrist. Nationales Recht steht daher der Rechtmäßigkeit der Aussetzung nicht entgegen.

Würde das anders gesehen und von einer Unmöglichkeit der Durchführung der Überstellung nach Portugal ausgegangen, wäre zweifelhaft, ob die Aussetzungsentscheidung im nationalen Recht eine hinreichende Grundlage finden könnte. Problematisch erschiene dann, dass das Bundesamt, wenn es eine "bis auf weiteres" bestehende Unmöglichkeit der Vollziehung der Abschiebungsanordnung konstatiert, eigentlich prüfen müsste, ob die rechtswidrig gewordene Abschiebungsanordnung aufzuheben ist, weil andernfalls gegen die Klägerin Verwaltungszwang in einer vom Gesetz nicht vorgesehenen Art und Weise und bis auf weiteres verhängt würde. Die Vorgehensweise des Bundesamts widerspräche, die Unmöglichkeit der Vollziehung der Dublin-Überstellung auf nicht absehbare Zeit unterstellt, voraussichtlich nationalem Recht. Einer Entscheidung zu der hieran anknüpfenden Frage, ob die Aussetzungsentscheidung vom 22.4.2020 dennoch wirksam und daher in der Lage war, die Überstellungsfrist zu unterbrechen, bedarf es nicht.

3. Unterbrechung der Überstellungsfrist nach der Dublin III-VO

Denn das Gericht stellt für die vorliegende Entscheidung ausschließlich darauf ab, dass bei der gegebenen Konstellation, die sich dadurch auszeichnet, dass der Eilantrag abgelehnt, das Klageverfahren aber weiterhin anhängig ist, die Dublin III-VO keine rechtliche Möglichkeit für eine erneute Verlängerung und/oder Unterbrechung der Überstellungsfrist eröffnet. Nachdem im vorliegenden Fall die Eilverfahren negativ abgeschlossen wurden und die Überstellungsfrist (zugunsten der Beklagten unterstellt) bereits auf das Maximum von 18 Monaten verlängert war, scheiden als Rechtsgrundlage für eine Unterbrechung oder Verlängerung der Überstellungsfrist Art. 29 Abs. 1 Satz 1, 27 Abs. 3 Buchstabe c) Dublin III-VO ebenso aus wie Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO.

Mangels anderer Optionen kommt es für die Wirksamkeit der von der Beklagtenseite geltend gemachten Unterbrechung allein darauf an, ob die streitgegenständliche Aussetzungsentscheidung in Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO eine europarechtliche Grundlage findet (1.) und, ggf., ob mit einer den europarechtlichen Voraussetzungen entsprechenden Aussetzung der Abschiebungsanordnung eine Unterbrechung der Überstellungsfrist bewirkt werden kann (2.).

Beides ist nicht der Fall.

a. Nach Systematik und Zweck der Bestimmung findet Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO auf den vorliegenden Fall keine Anwendung.

Art. 27 der Dublin III-VO sieht Rechtsschutz vor und ordnet an, dass Antragstellern das Recht auf ein wirksames Rechtsmittel gegen eine Überstellungsentscheidung in Form einer auf Sach- und Rechtsfragen gerichteten Überprüfung durch ein Gericht zukommt (Absatz 1). Damit die betreffenden Personen ihr Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Absatz 1 wahrnehmen können, müssen die Fristen hierfür angemessen sein (Absatz 2). Um den Rechtsbehelf gegen die Überstellungsentscheidung oder einer Überprüfung einer Überstellungsentscheidung zu ermöglichen, wird das Aufenthaltsrecht im Mitgliedsstaat bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs angeordnet und die Möglichkeit, ein Eilverfahren durchzuführen, eröffnet (Absatz 3).

In diesem systematischen Zusammenhang ordnet Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO an:

Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass die zuständigen Behörden beschließen können, von Amts wegen tätig zu werden, um die Durchführung der Überstellungsentscheidung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung auszusetzen.

Nach dem dargestellten Regelungszusammenhang, dem Regelungszweck und dem Wortlaut ergibt sich, dass auf der Grundlage des Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO eine Aussetzungsentscheidung nur dann erlassen werden kann, wenn diese der Ermöglichung und dem Schutz eines Rechtsbehelfs gegen die Überstellungsentscheidung oder einer Überprüfung dient. Beides ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Die am 22.4.2020 angeordnete Aussetzung der Abschiebungsandrohung diente nicht der Absicherung eines gerichtlichen Verfahrens. Vom Bundesamt wurde weder in inhaltlicher noch in zeitlicher Hinsicht ein Bezug zum Klageverfahren A 4 K 4596/18 hergestellt. Die Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung erfolgte auch "bis auf weiteres", also nicht bis zum Abschluss des Klageverfahren. Die Aussetzung wurde "unter Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs" erklärt und vor Abschluss des Klageverfahrens widerrufen. Sie erfolgte nicht mit Hinweis auf das Klageverfahren, sondern wegen angeblicher Unmöglichkeit der Überstellung, wegen angeblicher Unvertretbarkeit der Überstellung, wegen angeblich fehlenden Reisemöglichkeiten und angeblich zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus.

Die Aussetzung erfolgte auch nicht bis zum Abschluss einer "Überprüfung". Gemeint ist gemäß Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO eine Überprüfung durch ein Gericht auf Verlangen der betroffenen Person, was sich aus den französischen, spanischen und niederländischen Sprachfassungen der Norm (französisch: "demande de revision", spanisch: "recurso o revisión", niederländisch: "bezwaar") ergibt.

Damit findet die Aussetzungsentscheidung des Bundesamts vom 22.4.2020 in der Dublin III-VO keine rechtliche Grundlage. Sie kann schon deswegen die behauptete Unterbrechung der Überstellungsfrist und Verlängerung über den 22.8.2020 hinaus nicht auslösen.

b. Unabhängig von den Ausführungen zu a. wäre eine Verlängerung der Überstellungsfrist aus Gründen, die weder dem Rechtsschutz geschuldet noch von der betroffenen Person zu vertreten sind, unzulässig. Eine im Rahmen der Pandemiebekämpfung erlassene Aussetzung der Abschiebungsanordnung steht im Widerspruch zu den Grundsätzen der Dublin III-VO und kann daher keine Unterbrechung der Überstellungsfrist bewirken.

Nach dem 4. und 5. Erwägungsgrund zur Dublin III-VO soll das GEAS auf kurze Sicht eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats umfassen. Eine solche Formel soll auf objektiven und für die Mitgliedstaaten und die Betroffenen gerechten Kriterien basieren. Sie soll insbesondere eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ermöglichen, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Gewährung des internationalen Schutzes zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz nicht zu gefährden.

Dem aus diesen Erwägungen abgeleiteten Beschleunigungsgrundsatz entsprechend regelt die Dublin III-VO für die Überstellung durch Mitgliedsstaaten verbindliche Fristen, um sowohl für die Mitgliedstaaten als auch aus humanitären Gründen für die Asylsuchenden einen schnellen und sicheren Weg zur Durchführung der Asylverfahren zu ermöglichen. Eine Verlängerung dieser Fristen sieht die Dublin III-VO ausdrücklich nur aus zwei Gründen vor, nämlich zum einen, um die Durchführung von Rechtsschutzverfahren zu ermöglichen und zum anderen, um individuellen Mitwirkungspflichtverletzungen der betroffenen Personen sowie Störungen der Überstellung durch Inhaftierungen entgegenzuwirken.

Die Aussetzungsentscheidung vom 22.4.2020 diente weder dem einen noch dem anderen. Sie erging nach der vom Gericht gewonnenen Überzeugung zur Entschleunigung der Überstellungsverfahren. Damit missachtet die Aussetzungsentscheidung vom 22.4.2020 den individualrechtsschützend zu verstehenden Beschleunigungsgrundsatz und vermag daher keine Unterbrechung oder Verlängerung der Überstellungsfrist zu bewirken.

c. Unabhängig von den Ausführungen zu a. und b. ist die im vorliegenden Fall zur Unterbrechung der Überstellungsfrist getroffene Maßnahme, weil ein nachvollziehbarer sachlicher Grund fehlt, missbräuchlich und willkürlich. Sie kann auch deswegen keine Unterbrechung der Überstellungsfrist bewirken. Das Vorgehen verstößt gegen elementare Grundsätze der Dublin III-VO. Das Gericht versteht das Effektivitätsgebot dahin, dass dieses auch bei der Auslegung der jeweiligen Reichweite des Beschleunigungsgrundsatzes zur Anwendung kommen muss, weil dieser Grundsatz wesentlich zum Funktionieren der Dublin III-VO beiträgt. Mit der Dublin III-VO wird nicht zuletzt aus humanitären Gründen kein Zustand hingenommen oder gar angestrebt, in dem Asylgesuche wegen Verfahrensabläufen jahrelang ungeprüft bleiben. Wird dies berücksichtigt, überzeugt eine Auslegung der Art. 27 Abs. 4, 29 Abs. 1 und 2 Dublin III-VO nicht, die die Unterbrechung der Überstellungsfristen in das Belieben der Mitgliedstaaten stellt.

Danach ist am 22.4.2020 keine Unterbrechung der Überstellungsfrist eingetreten und ist die Frist daher am 22.8.2020 abgelaufen.

c. Die Beklagte kann hiergegen nicht mit Erfolg einwenden, dass das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 8.1.2019 entschieden hätte, dass jede aus sachlichen Gründen vertretbare Aussetzungsentscheidung die Überstellungsfrist von 6 Monaten gemäß Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO unterbreche (BVerwG, Urteil vom 8. Januar 2019 - 1 C 16/18 -, BVerwGE 164, 165-179 und juris). Entgegen den dazu veröffentlichten, wohl zu weit geratenen Leitsätzen befasst sich das Bundesverwaltungsgericht in der herangezogenen Entscheidung nicht mit einem vergleichbaren Fall, sondern mit einer Aussetzung einer Überstellungsentscheidung zum Schutz einer zum Bundesverfassungsgericht geführten Verfassungsbeschwerde, also mit einer Konstellation, die gemäß den obigen Ausführungen der Regelung in Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO unterfällt. Soweit die Beklagte das Bundesverwaltungsgericht dahin missinterpretieren will, dass dieses, solange gegen die Überstellungsentscheidung ein Klageverfahren anhängig ist, jede sachlich gerechtfertigte behördliche Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung für eine Unterbrechung der Überstellungsfrist ausreichen lasse, ist dem nicht zu folgen. Der Ausdruck "sachlich rechtfertigend" ist zu unscharf, um damit willkürliche und missbräuchliche Unterbrechungen ausschließen zu können. Ein sachlich rechtfertigender Grund kann aus Sicht einer Bundesbehörde bereits in ihrer defizitären Vollzugsquote bei Dublin-Überstellungen von unter 10 Prozent gesehen werden, in ihrer Organisationsstruktur, in ihrer Finanz- und Personalausstattung, in politischen Vorgaben, in der Leistungsfähigkeit der Abschiebebehörden der Länder, in konkreten oder allgemeinen Störungen des Reiseverkehrs und in rechtlichen Unsicherheiten. Würde ein so weit verstandener sachlich rechtfertigender Grund, entgegen den Regelungen der Dublin III-VO, als dritte Ausnahme von den zwingend zu beachtenden Überstellungsfristen in Art. 29 Dublin III-VO, akzeptiert, würde damit die individualrechtsschützende Überstellungsfrist (vgl. EuGH, Urteil vom 25.10.2016 - C-201/16 -, juris) aufgegeben und unter Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz die Einhaltung von Fristen in das Belieben der Dublin-Behörden der Mitgliedstaaten gestellt. Das Gericht versteht das Bundesverwaltungsgericht daher einschränkend dahin, dass von Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO ausschließlich die Möglichkeit eröffnet wird, bei Bedarf durch Aussetzung anhängige Rechtsbehelfsverfahren des Betroffenen zu schützen, wenn sachliche Gründe dies erfordern.

Damit bleibt der Einwand der Beklagten ohne Erfolg.

Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg auf die Entscheidung des EuGH vom 29.1.2009 berufen (EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 -, juris). Nach der Entscheidung ist Art. 20 Abs. 1 Buchstabe d Dublin II-VO dahin auszulegen, dass die Frist für die Durchführung der Überstellung, wenn die Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats vorsehen, dass ein Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, nicht bereits ab der vorläufigen gerichtlichen Entscheidung läuft, mit der die Durchführung des Überstellungsverfahrens ausgesetzt wird, sondern erst ab der gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden wird und die dieser Durchführung nicht mehr entgegenstehen kann. Denn angesichts des Ziels, das damit verfolgt wird, dass den Mitgliedstaaten eine Frist gesetzt wird, sei der Beginn dieser Frist so zu bestimmen, dass die Mitgliedstaaten über eine Frist von sechs Monaten verfügen, die sie in vollem Umfang zur Regelung der technischen Probleme für die Bewerkstelligung der Überstellung nutzen sollen.

Die damit vom EuGH konstatierte Schlussfolgerung, dass bei stattgebender Eilentscheidung die Vollziehung der Dublin-Überstellung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens ausgesetzt ist, hat mit dem vorliegenden Fall nichts zu tun. Im vorliegenden Fall wurde der Eilantrag der Klägerin abgelehnt und war die gegen sie erlassene Abschiebungsanordnung seit dem 22.2.2019 vollziehbar. Dem Bundesamt und den mit dem Vollzug betrauten Landesbehörden verblieb im Fall der Klägerin zwischen dem 22.2.2019 und dem 22.8.2020 genug Zeit, um die Dublin-Überstellung der Klägerin nach Portugal durchzuführen.

Damit ist der streitgegenständliche Dublin-Bescheid des Bundesamts vom 26.7.2018 rechtswidrig. Auf die Frage, ob der Klägerin gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO wegen gesundheitlicher Probleme und einem Zeitablauf von 2,5 Jahren seit Antragstellung ein Anspruch auf Durchführung ihres Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland zukommt, kommt es dabei nicht an. Einer Entscheidung des Gerichts hierzu bedarf es daher nicht.

Die Anfechtungsklage ist nach alldem mit dem Hauptantrag begründet. Ihr ist stattzugeben.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahren, weil sie unterliegt. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.

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