LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 05.02.2013 - 11 Sa 2017/12
Fundstelle
openJur 2021, 2013
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Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 06.09.2012 - 50 Ca 19638/11 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten noch über Zinsansprüche des Klägers in rechnerisch unstreitiger Höhe wegen verspäteter Zahlung der Vergütung aus der höchsten tariflichen Lebensaltersstufe durch die Beklagte.

Mit einem am 06. September 2012 verkündeten Urteil, auf dessen Tatbestand Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht Berlin - 50 Ca 19638/11 - der Klage in dem oben beschriebenen Umfang stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Es hat den der Klage stattgebenden Teil seiner Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass die Beklagte bei sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht davon hätte ausgehen dürfen, nicht zur Zahlung der Vergütung nach der höchsten Lebensaltersstufe verpflichtet zu sein. Bereits aufgrund des Urteils des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg 20 Sa 244/07 vom 11. September 2008, das eine ins Einzelne gehende Auseinandersetzung mit Literatur und Rechtsprechung enthalten habe und vor dem Zeitpunkt ergangen sei, ab dem vorliegend Zinsen gefordert würden, habe die Beklagte damit rechnen müssen, dass die Gerichte ihre Rechtsauffassung nicht teilen würden (wegen Einzelheiten der Begründung wird auf Bl. 55 - 57 d. A. verwiesen).

Gegen diese ihr am 27. September 2012 zugestellte Entscheidung hat die Beklagte mit einem am 24.10.2012 beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 27.12.2012 am 20.12.2012 begründet.

Sie hält die angefochtene Entscheidung in ihrem der Klage stattgebenden Teil jedenfalls insoweit für unzutreffend, als sie zur Zahlung von Zinsen auch für die Zeit vor dem 29. Dezember 2011 (Eintritt der Rechtshängigkeit) verpflichtet worden sei. Zugunsten der Beklagten lägen die Vorraussetzungen des § 286 Abs. 4 BGB vor. Es könne ihr nicht angelastet werden, dass sie sich zunächst an die tariflichen Regelungen gehalten hätte. Zu ihren Gunsten müsse beachtet werden, dass der Anwendungstarifvertrag, mit dem die nach Lebensalterstufen differenzierende Vergütungsordnung des BAT von den Tarifvertragsparteien übernommen worden sei, am 31.03.2003 abgeschlossen und erstmals zum 31.03.2010 kündbar gewesen sei. Das AGG sei erst drei Jahre später in Kraft getreten, so dass zum Zeitpunkt des Abschlusses des Tarifvertrages keine ausdrückliche nationale Regelung bestanden hätte, die eine Differenzierung nach dem Lebensalter verboten hätte. Auf die Wirksamkeit der Tarifnorm habe die Beklagte zunächst vertrauen dürfen. Die Frage der Europarechtswidrigkeit der altersabhängigen Vergütung nach dem BAT sei dem EuGH erst mit Beschluss des BAG vom 20.05.2010 zur Entscheidung vorgelegt und von diesem am 08.11.2011 entschieden worden. Die maßgebliche Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, vor der dem Arbeitgeber auch Vertrauensschutz zuzubilligen sei, sei dann erst am 10. November 2011 ergangen. Zudem sei in der Literatur vehement das Gegenteil vertreten worden. Daher könnten frühestens von diesem Zeitpunkt an Zinsen verlangt werden. Allerdings müsse auch insoweit berücksichtigt werden, dass die Mitarbeiter der Beklagten grundsätzlich gehalten seien, keine Einzelfallentscheidungen zu treffen, sondern erst zum Jahresende 2011 eine einheitliche Entscheidung durch die zuständige Verwaltung erfolgt sei.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 06. September 2012 zum Az.: 50 Ca 19638/11 wird das beklagte Land verurteilt, an den Kläger Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 8.756,84 Euro ab dem 29. Dezember 2011 bis zum 31. Juli 2012 zu zahlen; im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er schließt sich den nach seiner Auffassung zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung an, die er mit weiteren Ausführungen unterstützt.

Gründe

Die an sich statthafte, nach dem Beschwerdewert zulässige sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Beklagten (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 2 und 6, 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG) bleibt erfolglos.

I.

Das Arbeitsgericht hat der Klage zu I. zu Recht stattgegeben. Die Kammer schließt sich den zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts an, die lediglich mit Rücksicht auf die mit der Berufung erhobenen Rügen einiger Anmerkungen und Ergänzungen bedürfen.

1.

Grundlage des vom Kläger verfolgten Anspruchs sind die §§ 288 Abs. 1 und 286 Abs. 2 Ziffer 1 BGB. Allerdings kommt der Schuldner nach § 286 Abs. 4 BGB nicht in Verzug, solange die Leistung aus einem Grunde unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat.

2.

Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall, wie das Arbeitsgericht zutreffend näher ausgeführt hat.

a)

Da fehlendes Verschulden den Eintritt des Verzugs ausschließt, kommt grundsätzlich auch ein Rechtsirrtum als verschuldensausschließender Umstand in Betracht (BAG 3 AZR 713/98 vom 14.12.1999, AP Nr. 54 zu § 1 BetrVG Zusatzversorgungskassen; BAG 2 AZR 391/01 vom 13.06.2002, AP Nr. 97 zu § 615 BGB; BAG 4 AZR 167/09 vom 26.01.2011, AP Nr. 34 zu § 91 TVG Tarifverträge: Arzt). Allerdings sind insoweit strenge Anforderungen zu stellen, weil auch schuldhaft handelt, wer seine Interessen trotz zweifelhafter Rechtslage auf Kosten fremder Rechte wahrnimmt (BGH V ZB 4/94 am 21.12.1995, BGHZ 131 S. 346; BGH X ZR 157/05 vom 12.07.2006, NJW 2006 S. 3271; BAG 4 AZR 167/09 vom 26.01.2011, AP Nr. 34 zu § 1 TVG Tarifverträge: Arzt). Unverschuldet ist ein Rechtsirrtum daher nur, wenn der Schuldner nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage, Einholung von Rechtsrat und Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu dem Ergebnis gekommen ist, die Leistung berechtigt zurückhalten zu dürfen (BGH IIX ZR 279/00 vom 04.07.2001, NJW 2001 S. 114). Dies setzt voraus, dass der Schuldner in einem solchen Fall mit einem Unterliegen nicht zu rechnen brauchte, wie dies etwa bei höchstrichterlich ungeklärter Rechtslage der Fall sein kann (BGH IV ZR 34/05 vom 06.12.2006, MDR 2007 S. 588). Entschuldigt ist ein Rechtsirrtum allerdings nur dann, wenn der Irrende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen Beurteilung der Rechtslage durch die Gerichte nicht zu rechnen brauchte (BGH KZR 6/73 vom 18.04.1974, NJW 1974 S. 1903; BGH IV b ZR 351/81 vom 26.01.1983, NJW 1983 S. 2318; BGH I ZR 79/95 vom 18.12.1997, NJW 1998 S. 2144; BGH X ZR 157/06 vom 12.07.2006, NJW 2006 S. 3271). Das Eingehen eines lediglich normalen Prozessrisikos entlastet den Schuldner nicht (BAG 6 AZR 56/09 vom 18.03.2010, AP Nr. 6 zu § 29 BAT-O).

b)

Bei Berücksichtigung dieser Grundsätze erweist sich die Berufung der Beklagten als unbegründet.

aa)

(1)

Dies gilt zunächst insoweit, als die Beklagte darauf verwiesen hat, lediglich geltendes Tarifrecht angewendet zu haben, auf dessen Wirksamkeit sie habe vertrauen dürfen.

(2)

Zwar mag es zutreffen, dass Tarifverträge eine gewisse Richtigkeitsgewehr besitzen und die tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien nicht ohne besondere Anhaltspunkte die Wirksamkeit von Tarifvorschriften in Zweifel ziehen müssen (BAG 3 AZR 79/77 vom 01.06.1978, BB 1979 S. 1403; BAG 3 AZR 713/98 vom 14.12.1999, AP Nr. 54 zu § 1 BetrVG Zusatzversorgungskassen), jedoch reichte nach den besonderen Umständen des Streitfalls das Vertrauen der Beklagten in die Rechtswirksamkeit der Regelung des § 27 A BAT nicht aus, um ihr mehr als das nicht zum Ausschluss des Verschuldens führende Eingehen des normalen Prozessrisikos (vgl. BAG 6 AZR 56/09 vom 18.03.2010, AP Nr. 6 zu § 29 BAT-O) zuzugestehen. Angesichts der das Problem der Altersdiskriminierung im Einzelnen aufarbeitenden Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom 11.09.2008 (20 Sa 2244/07, LAGE § 10 AGG, Nr. 1a) kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen Beurteilung der Rechtslage durch die Gerichte nicht hätte zu rechnen brauchen (vgl. BGH X ZR 157/05 vom 12.07.2006, NJW 2006 S. 3271).

bb)

Aber auch die Berufung der Beklagten auf den ihr nach ihrer Auffassung zustehenden Vertrauensschutz führt zu keiner abweichenden Beurteilung.

Auch auf die fehlende Möglichkeit der Berufung auf einen dem Arbeitgeber möglicherweise zukommenden Vertrauensschutz hatte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg in der zitierten Entscheidung vom 11. September 2008 bereits ausdrücklich unter Bezeichnung der einschlägigen Literatur und Rechtsprechung hingewiesen, so dass auch insoweit bei der Beklagten zumindest so starke Bedenken entstanden sein mussten, dass sie sich nicht auf ein Obsiegen im Vorverfahren hätte einstellen dürfen. Die Berufung auf den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes hatte im Übrigen bereits das Bundesarbeitsgericht in einem Verfahren ähnlichen Zuschnitts (BAG 7 AZR 500/04 vom 26.04.2006, AP Nr. 23 zu § 14 TzBfG, EuGH C-144/04 [Mangold] vom 22.11.2005, AP Richtlinie 2000/78/EG Nr. 1) ausgeschlossen. Soweit die Beklagte darauf verweist, dass sie dies nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 22.03.2007 (6 AZR 499/05, NZA 2007 S. 1101) anders hätte sehen dürfen, vernachlässigt sie, dass nach den Grundsätzen dieser Entscheidung allenfalls die Möglichkeit, nicht jedoch ein deutliches Überwiegen der Wahrscheinlichkeit ihres Obsiegens anzunehmen gewesen wäre, die jedoch nicht zum Wegfall des Verschuldens hätte führen können. Außerdem berücksichtigt sie bei ihren Überlegungen nicht, dass in der von ihr zitierten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts wegen der Ableitung des dortigen Ergebnisses aus einer Richtlinie die Möglichkeit des Entstehens von Vertrauensschutz nach den Maßstäben des nationalen Rechts gesehen wurde, das vorliegend jedoch nicht in Betracht kommt; denn der EuGH hat seine Entscheidung über die Vereinbarkeit von Altersstufen mit dem Europarecht unmittelbar aus § 21 a der Charta, also aus Primärrecht, abgeleitet, so dass die vom Bundesarbeitsgericht in der von der Beklagten herangezogenen Entscheidung angestellten Überlegungen im Streitfall keine Bedeutung haben konnten.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 97 Abs. 1 ZPO.

III.

Die Zulassung der Revision erfolgte wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache.

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