VG Berlin, Beschluss vom 29.05.2020 - 72 K 7.19 PVB
Fundstelle
openJur 2021, 732
  • Rkr:

Die Einführung und Anwendung der Kommentarfunktion auf "sozialen Medien" wie Facebook, Instagram und Twitter unterliegt der Mitbestimmung nach § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG.

Tenor

Es wird festgestellt, dass der Antragsteller aus Anlass der Bereitstellung der Kommentarfunktion auf der bzw. dem vom Beteiligten betriebenen

1. Facebook-Seite www.facebook.com/DeutscheRentenversicherungBund/;

2. lnstagram-Kanal "drvbunt" (www.instagram.com/drvbunt/);

3. Twitter-Kanal @die_rente(https://twitter.com/die rente) und

4. Facebook-Seite https://www.facebook.com/DeutscheRentenversicherung/

jeweils nach § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG zu beteiligen ist.

Gründe

I.

Es geht um die Mitbestimmung in Bezug auf die Kommentarfunktion bei Internetseiten.

Der Beteiligte betreibt bei Facebook die Seite @DeutscheRentenversicherungBund, womit er auf die Gewinnung von Nachwuchskräften sowie Fachkräften zielt. Mit dem Instagram-Kanal @drvbunt wendet sich der Beteiligte an potentielle Auszubildende und potentielle Studenten. Unter @DeutscheRentenversicherung bei Facebook betreibt der Beteiligte gemeinsam mit allen Rentenversicherungsträgern im Rahmen seiner Presse- und Öffentlichkeitsarbeit einen allgemeinen Kanal. Stellvertretend für alle Träger der deutschen Rentenversicherung betreibt die Deutsche Rentenversicherung Rheinland den Twitterkanal @die_rente. Die Seiten ermöglichen es Nutzern, von den Betreibern eingestellte Beiträge zu kommentieren. Eigene Beiträge können (auswärtige) Nutzer nicht einstellen.

Unter Berufung auf den Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 13. Dezember 2016 - 1 ABR 7/15 - wandte sich der Antragsteller an den Beteiligten und begehrte in Bezug auf die Facebook-Seite beteiligt zu werden. Der Beteiligte lehnte dies ab.

In seiner Sitzung vom 9. bis 11. April 2019 beschloss der Antragsteller, das Mitbestimmungsrecht nach § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG mittels seiner Bevollmächtigten verwaltungsgerichtlich durchzusetzen. Unter dem 16. April 2019 wandte er sich an den Beteiligten und bat um Bestätigung der Kostenübernahme, wobei er seinem Beschluss entsprechend erklärte, das gelte "nicht nur bezüglich der Kommentierungsfunktion in Facebook, sondern auch ähnliche Funktionalitäten in anderen von der DRV betriebenen Auftritten in sozialen Medien, beispielsweise Instagram und Twitter". Der Beteiligte bestätigte die Kostenübernahme.

Der Antragsteller macht geltend: Ihm gehe es vorrangig um die Sicherung der Persönlichkeitsrechte und des Selbstbestimmungsrechts der Beschäftigten nach Maßgabe des Bundesdatenschutzgesetzes und der Datenschutzgrundverordnung und um den Abschluss einer Dienstvereinbarung, in der der Umgang mit den sozialen Medien auch unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten geregelt werde. Kommentare und Bilder von Nutzern sollen verborgen oder gelöscht werden, wenn sich in ihnen das Persönlichkeitsrecht oder das Selbstbestimmungsrecht der Mitarbeiter beeinträchtigende bzw. verletzende Äußerungen ergeben.

Der Antragsteller beantragt,

festzustellen, dass der Antragsteller aus Anlass der Bereitstellung der Kommentarfunktion auf der bzw. dem vom Beteiligten betriebenen

1. Facebook-Seite www.facebook.com/DeutscheRentenversicherungBund/;

2. lnstagram-Kanal "drvbunt" (www.instagram.com/drvbunt/);

3. Twitter-Kanal @die_rente(https://twitter.com/die rente) und

4. Facebook-Seite https://www.facebook.com/DeutscheRentenversicherung/

jeweils nach § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG zu beteiligen ist.

Der Beteiligte beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Er macht geltend: Der außergerichtliche Schriftwechsel habe sich nur auf die Nutzung von Facebook bezogen. § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG werde anders ausgelegt als § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Jedenfalls beziehe sich die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nur auf Besucherbeiträge, nicht aber auf Kommentare.

Eventuell unangemessene Kommentierungen, die bisher allerdings noch nicht vorgekommen seien, würden durch die Administratoren sofort gelöscht werden. Eine statistische Auswertung der Kommentierungen durch Facebook selbst könne nicht erfolgen oder anderweitig vorgenommen werden. Es sei ihm auch sonst nicht möglich, das Verhalten oder die Leistung seiner Beschäftigten betreffende Kommentare auszuwerten.

II.

Die Anträge nach § 83 Abs. 1 Nr. 3 BPersVG sind zulässig. Insbesondere mangelt es nicht an einem nach § 66 Abs. 3 BPersVG erforderlichen vorherigen Einigungsversuch. Zwar trifft es zu, dass sich der Schriftwechsel der Beteiligten ursprünglich nur auf die Facebook-Seiten bezog. Doch schloss die Kostenanfrage vom 16. April 2019 auch die jetzigen Anträge zu 2 und 3 mit ein. Da für sie im Kern die gleichen Maßstäbe anzulegen sind wie für die anderen beiden Anträge, zu denen sich der Beteiligte abschließend äußert, und er bei der Deckungszusage keine Einschränkung machte, sieht die Fachkammer § 66 Abs. 3 BPersVG als erfüllt an.

Die Anträge sind begründet.

Nach § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG hat der Personalrat, soweit - wie hier - eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, gegebenenfalls durch Abschluss von Dienstvereinbarungen mitzubestimmen über Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Beschäftigten zu überwachen.

Der Beteiligte meint, diese mit § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG nahezu wortgleiche Bestimmung werde von der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung anders als von der arbeitsrechtlichen ausgelegt. Nachweise dafür führt er nicht an. Der Hinweis in der Eingangsverfügung, dass die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 87 BetrVG nicht auf das Bundespersonalvertretungsrecht übertragbar sein dürfte, hat sich nur auf den ursprünglich erhobenen Unterlassungsanspruch und darauf bezogen, dass in der personalvertretungsrechtlichen Rechtsprechung anders als in der arbeitsgerichtlichen aus einem Mitbestimmungstatbestand kein Unterlassungsanspruch abgeleitet wird. Im Übrigen aber ist eine Abweichung nicht bekannt. Vielmehr verwies das Bundesverwaltungsgericht im Beschluss vom 29. August 2001 - BVerwG 6 P 10.00 -, Abdruck Seite 9, auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Beschluss vom 14. September 1984 - 1 ABR 23/82 -, BAGE 46, 367 = NJW 1985, 450).

Nicht zu erörtern ist, dass die hier in Rede stehenden, rechnergestützten Seiten/Kanäle technische Einrichtungen sind. Durch die Eröffnung dieser Seiten/Kanäle führte der Beteiligte sie ein und nutzt sie seither (vgl. Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 13. Dezember 2016 - 1 ABR 7/15 -, Juris Rn. 37 für eine Facebook-Seite; Landesarbeitsgericht Hamburg, Beschluss vom 13. September 2018 - 2 TaBV 5/18 -, Juris Rn. 64 für einen Twitter-Account). Das gilt auch für die mit allen Rentenversicherungsträgern betriebene Facebook-Seite. Auch insoweit handelt es sich auch um eine Maßnahme des Beteiligten im Sinne des § 69 Abs. 1 BPersVG. Nicht anders liegt es schließlich bei dem von der Deutschen Rentenversicherung Rheinland stellvertretend für alle Träger der deutschen Rentenversicherung betriebenen Twitterkanal. Denn ein Vertretener behält bestimmenden Einfluss auf die Entscheidung des Vertreters (vgl. § 164 Abs. 1 BGB). Das genügt, wenn ein anderer nach außen auftritt (vgl. Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29. Juni 2012 - 20 A 632/10.PVL -, Juris Rn. 40).

Unerheblich ist, dass der Beteiligte mit den Auftritten Interessenten für sich gewinnen bzw. über seine Tätigkeit informieren, nicht aber seine Beschäftigten überwachen will. Denn es ist anerkannt, dass eine technische Einrichtung schon dann zur Überwachung bestimmt ist, wenn eine Kontrolle objektiv möglich ist (vgl. Rehak in Lorenzen u.a., BPersVG, § 75 Rn. 676; Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 14. Juni 2011 - BVerwG 6 P 10.10 -, Rn. 16).

Im Kern geht es darum, ob mit den Seiten/Kanälen eine Überwachung der Leistung oder des Verhaltens der Beschäftigten überhaupt möglich ist. Bislang dachte man bei Einrichtungen im Sinne des § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG oder gleichlautender Mitbestimmungstatbestände an solche, die Daten erheben und speichern wie etwa Zugangseinrichtungen. Das können Einrichtungen sein, die den Zugang zu einem Dienstgebäude oder Dienstraum durch eine mit einem entsprechenden Schlüssel befugte Person registrieren oder den Zugang zu den technischen Einrichtungen (Arbeitsplatzrechner, Fahrtenschreiber) selbst oder zu mit ihnen verarbeitete Dateien. Kameras, die ihre Aufnahmen speichern, fallen ebenfalls darunter. Dazu zählen die hier thematisierten Einrichtungen nicht.

Seit dem bezeichneten Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 14. September 1984 ist aber geklärt, dass auch solche technischen Einrichtungen unter den Mitbestimmungstatbestand fallen, in die die Daten, die eine Aussage über die Leistung oder das Verhalten der Beschäftigten ermöglichen, erst eingegeben werden müssen und von der Einrichtung nur verarbeitet/ausgewertet werden. Wer die Daten in eine von der Dienststelle eingerichtete und angewendete technische Einrichtung eingibt (die Beschäftigten selbst, damit gesonderte beauftragte Beschäftigte oder - wie hier - außenstehende Nutzer), ist unerheblich (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 29. August 2001, a.a.O., Seite 9). Unerheblich ist auch, ob die Daten noch gesondert ausgewertet (hier etwa nach jeweils betroffenen Beschäftigten) oder nur technisch gespeichert werden.

In den zumeist behandelten Fällen ging es jeweils um objektive Daten wie Bewegungsdaten, Erledigungs- oder Fallzahlen, Anwesenheits- oder Bearbeitungszeiten o.ä. Derartige Daten ermöglichen auch dann eine Überwachung, wenn sie nur einen Ausschnitt des Verhaltens oder der Leistung der Beschäftigten betreffen (vgl. Rehak, a.a.O., Rn. 671).

Die hier in Betracht kommenden Daten sind nicht von sich aus bzw. ihrer Entstehung nach objektive Daten der dargestellten Art. Besucher/Nutzer der Seiten/Kanäle können sich in eigenen Worten äußern. Zwar sind sie darin nicht gleichermaßen frei wie sie es mit der hier nicht eröffneten Funktion "Besucher-Beiträge" wären. Doch ist es technisch möglich, sich in einem Kommentar zu einem Beschäftigten zu äußern. Jedoch taugen nicht alle denkbaren Äußerungen zur Überwachung von Leistung oder Verhalten der Beschäftigten. Teilt etwa jemand in einem Kommentar mit, Sachbearbeiter Mustermann habe seinen Antrag vom Januar 2015 mit Bescheid vom Januar 2020 abgelehnt, dann liegt darin eine Leistungs- oder Verhaltensbeschreibung. Teilt er mit, Sachbearbeiter Mustermann habe seinen Antrag nach jahrelanger Untätigkeit rechtswidrig abgelehnt, überwiegt die wertende Meinungsäußerung zur Leistung bzw. zum Verhalten des Beschäftigten. Schreibt er - gegebenenfalls verbunden mit wertschätzenden/herabsetzenden Adjektiven/Ausdrücken/Zeichen -, Sachbearbeiter Mustermann gehöre befördert/entlassen, ist kein Tatsachenkern zu Leistung oder Verhalten des Beschäftigten erkennbar.

Mag man damit annehmen, dass Kommentare überwiegend keine zur Überwachung von Leistung oder Verhalten der Beschäftigten geeigneten Daten enthalten, ist es gleichwohl möglich, solche Daten in die technischen Einrichtungen einzugeben, die sie speichern. Unerheblich ist, dass die etwa 20.000 bzw. 34.000 Personen, die pro Woche über die Seiten/Kanäle erreicht werden, bislang in kaum einem Fall derartige Daten einstellten. An der für den Mitbestimmungstatbestand ausreichenden Möglichkeit dazu ändert es nichts.

Sammelt/Speichert aber - wie hier - eine technische Einrichtung Daten zur Leistung oder dem Verhalten der Beschäftigten, dann setzt der Mitbestimmungstatbestand weder ein bestimmtes Mindestmaß der Überwachung voraus noch die Ermittlung eines von den Beschäftigten empfundenen Überwachungsdrucks. Damit ist auch unerheblich, dass Behördenmitarbeiter eine Überwachung durch Betroffene gewohnt sind, da diese grundrechtlich geschützte Rechtsschutzmöglichkeiten haben und unter Berufung auf Art. 17 GG Dienstaufsichtsbeschwerden gegen Beschäftigte erheben können. Art. 19 Abs. 4 GG sichert Rechtsschutz in der Sache, §§ 78, 83 SGG in Form von Widersprüchen.

Mit der hier vorgenommenen Wertung der möglichen Kommentare als zur Überwachung der Leistung oder des Verhaltens der Beschäftigten geeignet setzt sich die Fachkammer nicht in Widerspruch zum Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. August 2001 - BVerwG 6 P 10.00 -. Das Gericht schied die Auswertung von Fragebögen zu subjektiven Wahrnehmungen einzelner Unterrichtsaspekte durch jüngere Schüler im Rahmen einer einmaligen, sich auf ein Schuljahr erstreckenden Befragungsaktion von vornherein als Grundlage für die Beurteilung der pädagogischen Arbeit im Unterricht aus. Es verneinte, dass die Fragen auf eine objektive Verhaltens- oder Leistungsbeschreibung ausgerichtet waren. Gleiches wird zwar auch auf einige Kommentare auf den streitgegenständlichen Seiten/Kanälen zutreffen. Doch kann es eben auch andere, für eine "objektive Verhaltens- oder Leistungsbeschreibung" geeignete Kommentare geben.

Dahinstehen kann, ob sich das Bundesarbeitsgericht, dem die Fachkammer im Ergebnis folgt, im Beschluss vom 13. Dezember 2016 - 1 ABR 7/15 -, Juris Rn. 39 von dem durch den Normwortlaut gesetzten Maßstab löst, wenn es nur darauf abstellt, dass Besucher-Beiträge in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beschäftigten eingreifen können. Möglicherweise betreffen alle Daten zu Leistung oder Verhalten der Beschäftigten (als Beschäftigte) deren allgemeines Persönlichkeitsrecht. Aber nicht alle davon geschützten Daten betreffen ihre Leistung oder ihr Verhalten als Beschäftigte bzw. im Arbeitsverhältnis (vgl. Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 19. Dezember 2017 - 1 ABR 32/16-, Juris Rn. 20). Der Mitbestimmungstatbestand des § 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG dient dem Schutz der Beschäftigten vor ungerechtfertigter/unverhältnismäßiger, in ihrem Ausmaß nicht durchschaubarer Überwachung ihres Verhaltens oder ihrer Leistung im Beschäftigungsverhältnis (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 14. Juni 2011 - BVerwG 6 P 10.10 -, Rn. 18) und schützt so gegebenenfalls auch ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht. Er dient aber nicht dem (umfassenden) Schutz des Persönlichkeitsrechts vor (jedweden) Beeinträchtigungen durch technische Einrichtungen (a.A. Landesarbeitsgericht Hamburg, a.a.O., Rn. 71).

Ebenfalls unerheblich für die Frage, ob Daten zur Überwachung der Leistung oder des Verhaltens der Beschäftigten geeignet sind, ist, ob sie nur dem Arbeitgeber oder einer unbestimmten Anzahl von Personen, die die Seiten aufrufen, offenbart werden (a. A. wohl Bundesarbeitsgericht, a.a.O., Rn. 39). Wären alle möglichen Daten zur Überwachung ungeeignet, wäre der Mitbestimmungstatbestand nicht eröffnet. Sind aber Daten überwachungsgeeignet, dann ist die Mitbestimmung zur Einführung und Anwendung der technischen Einrichtung davon unabhängig, wer sie zur Kenntnis nehmen darf.

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