OLG Naumburg, Beschluss vom 09.04.2020 - 2 VA 1/20
Fundstelle
openJur 2021, 527
  • Rkr:

1. Die Berichtigung der Aussage des Posteingangsstempels eines Gerichts kann im Wege des Verfahrens auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 Abs. 2 EGGVG erreicht werden.

2. Wird ein Antrag auf Erlass eines Mahnbescheides bei der Post aufgegeben und von dort in ein zentrales Postfach des angerufenen Mahngerichts gesandt, um einmal werktäglich von den Postmitarbeitern geleert und an das Mahngericht ausgeliefert zu werden, so gerät der Antrag bereits zu demjenigen Zeitpunkt in den Herrschaftsbereich des Gerichts, in dem er in das Postfach gelangt ist, und nicht erst zu dem Zeitpunkt, zu dem er an einen Mitarbeiter des Gerichts übergeben wird (hier: für eine Postsendung zum Jahreswechsel).

Tenor

Auf den Antrag der Antragstellerin vom 5. Februar 2020 wird festgestellt, dass das Eingangsdatum des Antrages auf Erlass eines Mahnbescheides zu den Mahnverfahren des Antragsgegners ...9 und ...7 auf den 31. Dezember 2019 zu korrigieren ist.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; die außergerichtlichen Auslagen der Antragstellerin sind aus der Staatskasse zu erstatten.

Der Geschäftswert des Antragsverfahrens wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

Die Antragstellerin hat unter dem 27.12.2019 beim Antragsgegner im elektronischen Rechtsverkehr einen Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids gegen die A. UBG I. GmbH und die A. UBG I. als Gesamtschuldner wegen einer Hauptforderung i.H.v. 46.410,00 € aus ungerechtfertigter Bereicherung gestellt. Sie hat vorgetragen, dass sie am 27.12.2019 einen Barcode generiert und den Antrag ausgedruckt habe. Nach Unterschriftsleistung durch einen Rechtsanwalt habe sie den Antrag am selben Tage per Post an den Antragsgegner abgesandt.

Auf dem Mahnbescheidsantrag hat der Antragsgegner den Eingang bei ihm durch einen Poststempel vom 02.01.2020 vermerkt. Er hat am 03.01.2020 antragsgemäß zwei Mahnbescheide (Az.: ...9 und ...7) erlassen. Inzwischen ist die Rechtssache nach dem Eingang von Gesamtwidersprüchen an das Prozessgericht, das Landgericht Berlin (Az. 6 O 61/20), abgegeben worden.

Auf telefonische Anfrage hat der Antragsgegner mitgeteilt, dass er sich eines sog. "BringServices" der ... bediene, bei dem die für ihn bestimmte Post zunächst in einem ihm zugeordneten Postfach eingelegt und gesammelt und am nächsten Werktag in das Gericht gebracht werde. Da das Gericht am 31.12.2019 nicht besetzt gewesen sei, sei die in der Zeit vom 30.12.2019 bis zum 02.01.2020 eingegangene Post insgesamt erst am 02.01.2020 gebracht worden. Es lasse sich nicht feststellen, zu welchem Zeitpunkt die Post in das Postfach des Antragsgegners eingelegt worden sei.

Mit Schriftsatz vom 05.02.2020, beim Oberlandesgericht vorab per Fax eingegangen am selben Tage, hat die Antragstellerin beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, den Posteingangsstempel auf dem Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids der Antragstellerin vom 27.12.2019 dahin zu korrigieren, dass der Antrag auf Erlass des Mahnbescheids am 31.12.2019 zugegangen sei.

Der Senat hat die Akten des Landgerichts Berlin beigezogen.

B.

Der Antrag ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

I. Der Antrag ist als Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 Abs. 2 EGGVG - Verpflichtung zum Ausspruch einer Leistungspflicht der Justiz - statthaft. Die Antragstellerin begehrt mit der Berichtigung des Posteingangsstempels eine Handlung, welche als Justizverwaltungsakt zu qualifizieren ist (vgl. BGH, Beschluss v. 10.02.2016, IV AR (VZ) 8/15, NJWRR 2016, 445, in juris Tz. 7 m.w.N.). Die Antragstellerin ist durch die unterlassene Berichtigung des Eingangsstempels formell und materiell beschwert i.S.v. § 24 Abs. 1 EGGVG (vgl. BGH, a.a.O., in juris Tz. 8). Der Antrag ist auch form- und fristgerecht nach § 26 Abs. 1 EGGVG eingereicht worden. Der Rechtsweg ist i.S.v. § 24 Abs. 2 EGGVG ausgeschöpft worden, weil das Rechtsschutzziel der Antragstellerin allein im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG erreicht werden kann (vgl. BGH, a.a.O., in juris Tz. 11). Schließlich steht der Zulässigkeit des Antrags auch § 23 Abs. 3 EGGVG entgegen, weil diese Subsidiaritätsregelung hier nicht einschlägig ist (vgl. BGH, a.a.O., in juris Tz. 13).

II. Der Antrag ist auch begründet. Statt einer Verpflichtung zur Berichtigung, wie beantragt, hat der Senat das zutreffende Eingangsdatum selbst festgestellt.

1. Der auf dem o.g. Mahnbescheidsantrag der Antragstellerin aufgebrachte Posteingangsstempel des Antragsgegners gibt das Datum des Posteingangs unzutreffend wieder und ist deswegen zu korrigieren.

a) Der Stempel weist einen nach dem Jahreswechsel liegenden Posteingang aus. Tatsächlich bezieht sich der Stempel jedoch nicht auf den Zugang des Schriftstücks beim Antragsgegner, sondern auf den Zeitpunkt der Auslieferung des Schriftstücks durch den Postdienstleister beim Gericht.

b) Wird ein Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids bei der Post aufgegeben und von dort in ein zentrales Postfach des angerufenen Mahngerichts gesandt, um einmal werktäglich von den Postmitarbeitern geleert und an das Mahngericht ausgeliefert zu werden, so gerät der Antrag bereits zu demjenigen Zeitpunkt in den Herrschaftsbereich des Gerichts, in dem es in das Postfach gelangt ist, und nicht erst zu dem Zeitpunkt, in dem es an einen Mitarbeiter des Gerichts übergeben wird (vgl. OLG Celle, Beschluss v. 22.04.2013, 16 VA 1/13, NJW 2013, 1971, in juris Tz. 9; vgl. auch Greger in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 167 Rn. 5). Ob das gerichtliche Postfach am Tag der Einlegung des Schriftstücks geleert wird oder nicht, ist für den Eingang bei Gericht unerheblich.

2. Der Senat geht von einem Eingang des Mahnbescheidsantrags vom 27.12.2019 beim Antragsgegner spätestens am 31.12.2019 aus.

a) Allerdings ist hierfür nicht die von der Antragstellerin zitierte Rechtsprechung maßgeblich, dass eine Prozesspartei grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass im Bundesgebiet ein werktags aufgegebener Brief am folgenden Werktag beim Empfänger ausgeliefert wird (vgl. nur BGH, Beschluss v. 21.10.2010, IX ZB 73/10, NJW 2011, 458, in juris Tz. 15). Für die objektive Feststellung des Zeitpunkts des Eingangs eines Schriftstücks beim Gericht i.S.v. § 167 ZPO kommt es auf die subjektive Vorstellung des Absenders nicht an; diese Erwägungen erlangen erst im Verfahren auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter dem Aspekt einer unverschuldeten Fristversäumnis rechtliche Bedeutung.

b) Die Antragstellerin hat aber durch eidesstattliche Versicherungen von zwei Mitarbeiterinnen ihrer Verfahrensbevollmächtigten glaubhaft gemacht, dass sie die entsprechende Postsendung am Nachmittag des 27.12.2019 an die ... als Universaldienstleister übergeben hat. Nach der für den Universaldienstleister bestehenden Verpflichtung in § 2 Nr. 3 Satz 1 Postuniversaldienstleistungsverordnung (PUDLV) ist im hier betroffenen Inlandsbriefverkehr ein Postzugang an dem auf den Einlieferungstag folgenden Werktag (E+1) in 80 % und ein Postzugang E+2 in 95 % der Fälle zu gewährleisten. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die ... dieser Verpflichtung nicht gerecht wird, bestehen nicht. In einer Reihe von gesetzlichen Regelungen wird ein Postzugang in einer Zeit E+3 gesetzlich vermutet, d.h. bis zum Vollbeweis des Gegenteils unterstellt (vgl. z.B. § 41 Abs. 2 Satz 1 BVwVfG zur Bekanntgabe eines Verwaltungsakts). Nach diesen Maßstäben ist von einem Posteingang beim Postfach des Antragsgegners spätestens am 30.12.2019 auszugehen.

c) Hilfsweise ist auf Folgendes zu verweisen: Nach der Auskunft des Antragsgegners ist es nachträglich nicht möglich, den Zugang eines Schriftstücks im gerichtlichen Postfach zwischen dem Zeitpunkt der letzten Leerung im Jahr 2019 am 30.12.2019 und dem Zeitpunkt der ersten Leerung im Jahr 2020 am 02.01.2020 näher zu bestimmen bzw. einzugrenzen. Angesichts der gewichtigen Rechtswirkungen der Feststellung des Zeitpunkts des Eingangs einer Postsendung beim Gericht kann es dem Rechtsverkehr nicht zugemutet werden, dass Unsicherheiten aus dem internen Bereich des Gerichts zu Lasten des Absenders gehen. Hat das Gericht, wie hier, keine organisatorischen Vorkehrungen getroffen, um den genauen Zeitpunkt des Posteingangs zu ermitteln, so genügt bereits eine hohe Wahrscheinlichkeit eines rechtzeitigen - in dem Sinne eines vor dem Jahresende bewirkten - Eingangs der Postsendung beim Gericht, um eine entsprechende Feststellung zu treffen.

C.

Die Kostenentscheidung für das Antragsverfahren beruht auf § 22 Abs. 1 GNotKG und § 30 Satz 1 EGGVG.

Die Festsetzung des Geschäftswerts ergibt sich aus § 36 Abs. 3 GNotKG.

Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde folgt aus § 29 Abs. 2 EGGVG.

Manshausen             Weiß-Ehm              Wiedemann

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