SG Wiesbaden, Urteil vom 16.02.2016 - S 19 U 17/15
Fundstelle
openJur 2021, 424
  • Rkr:
Tenor

Die Klagen werden abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Weitergewährung einer Rente wegen der Folgen ihres Arbeitsunfalls über den 31.1.2009 hinaus sowie die Übernahme von Fahrt- und Übernachtungskosten wegen einer Behandlung wegen behaupteter Unfallfolgen im August und Oktober 2009.

Die Klägerin erlitt am 15.1.1999 einen Arbeitsunfall. Bei einem Wegeunfall zog sie sich eine Fraktur des Kahnbeins der rechten Hand zu. Später bildete sich ein Karpaltunnelsyndrom rechts, welches am 27.5.2002 durch Retinakulumspaltung behandelt und im Mai 2004 entfernt wurde. Am 7.10.2009 wurde die Exzision eines weiteren Ganglions rechts durchgeführt. Mit Bescheid vom 14.8.2002, geändert durch Bescheid vom 6.11.2002 nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X), hatte die Beklagte der Klägerin wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 15.1.1999 eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 % ab 10.5.1999 gewährt. Als Folgen des Versicherungsfalls hatte sie anerkannt: Posttraumatisches Karpaltunnelsyndrom rechts, flächiges, kleines handrückenseitiges Ganglion nach Bruch der rechten Handwurzel.

Auf Veranlassung der Beklagten hatte Prof. C. ein Gutachten vom 28.3.2003 über die Klägerin erstattet. Die MdE habe nur noch 10 % betragen; das Ganglion sei wahrscheinlich unfallunabhängig gewesen. Ferner hatte Dr. D. ein neurologisches Gutachten vom 15.3.2004 verfaßt. Die MdE habe auch aus seiner Sicht 10 % betragen. Eine Haushaltshilfe wegen Unfallfolgen sei aus neurologischer Sicht nicht begründbar. Aufgrund der durchgeführten Ermittlungen hatte die Beklagte mit Bescheid vom 27.5.2003 der Klägerin die gewährte Rente ab Juni 2003 entzogen, da die MdE unter 20 % und somit nicht mehr im rentenberechtigenden Bereich gelegen habe. Die dem Bescheid vom 6.11.2002 zugrundliegenden Verhältnisse hätten sich geändert. Hier gegen hatte die Klägerin Widerspruch vom 4.6.2003 eingelegt. Im Widerspruchsbescheid vom 17.6.2004 hatte die Beklagte nicht abgeholfen mit Verweis auf die Begründung in den Gutachten des Prof. C. vom 28.3.2003 und des Dr. D. vom 15.3.2004. Mit der dagegen erhobenen Klage vor dem Sozialgericht Mainz (zunächst Aktenzeichen S 5 U 130/04, dann S 5 U 5/10, später LSG L 4 U 144/11) hatte die Klägerin die Weitergewährung ihrer Rente begehrt. Auf Veranlassung des Sozialgericht Mainz hatte Dr. E. ein unfallchirurgisches Gutachten vom 11.8.2005 erstellt. Seiner Einschätzung nach hätte die MdE 10 % ab 30.11.2002 betragen. Ferner hatte Dr. F. auf Veranlassung des Sozialgerichts ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten vom 8.2.2008 verfasst. Er gelangte zu einer Gesamt-MdE von 20 %. Mit Bescheid vom 2.1.2009 hatte die Beklagte in Abänderung des Bescheides vom 27.5.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.6.2004 die Rente wegen der Jahresfrist des § 74 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) bis Ende August 2003 gewährt. Das Sozialgericht Mainz hob mit Urteil vom 15.3.2011 den Bescheid vom 27.5.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.6.2004, abgeändert durch Bescheid vom 2.1.2009 aus formellen Gründen auf, ohne die medizinisch durchgeführten Ermittlungen zu verwerten. Die dagegen eingelegte Berufung bei dem Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (L 4 U 144/11) war durch einen Vergleich geendet. Darin hatten sich die Beteiligten auf folgenden Vergleich geeinigt: "Die Beklagte erklärt sich bereit, der Klägerin über den Monat August 2003 hinaus bis zum 31.1.2009 Verletztenrente nach einer MdE von 20 v. H. zu bezahlen. Die Klägerin nimmt das Vergleichsangebot an. Der Beklagte erstattet der Klägerin ¾ der außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits. Die Beteiligten erklären sodann den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt." Zuvor hatte auch das LSG medizinisch ermittelt und ein Gutachten des Prof. G. vom 7.12.2012 eingeholt. Danach habe keine rentenberechtigende MdE mehr vorgelegen. Der Gutachter hatte sogar bezweifelt, dass es im Rahmen des Unfalls überhaut zu einer Kahnbeinfraktur, welche anerkannte Unfallfolge war, gekommen sei. Prof. G. hatte ausgeführt, am 27.5.2002 sei das Karpaltunnelsyndrom gespalten, am 6.5.2004 das Ganglion entfernt worden. Es hätte sich ein weiteres Ganglion entwickelt, welches im Oktober 2009 entfernt worden sei. Nach seiner Auffassung könnte die Kahnbeinfraktur nicht unfallbedingt sein; jedenfalls seien es die danach aufgetretenen Gesundheitsstörungen nicht gewesen. Die Klägerin hätte an unterschiedlichen Stellen Engpasssyndrome entwickelt, nicht nur am geschädigten rechten Handgelenk, die teilweise auch schon vor dem Unfall vorgelegen hätten. Unfallbedingt hätte keine MdE vorgelegen.

Vor dem Sozialgericht in Mainz wurde am 13.6.2008 im ersten Kammertermin ein Verschlimmerungs-/Überprüfungsantrag gestellt. Die Beklagte leitete darauf neue Ermittlungen ein.

Nach einem weiteren Gutachten des Prof. C. vom 21.10.2008 bestehe kein Zusammenhang zwischen dem Handgelenksganglion und der Kahnbeinfraktur, da der Unfall zu keiner Kapsel-Band-Verletzung geführt habe. Die MdE betrage weiter 10 %. In einer erneuten Stellungnahme des Prof. C. vom 21.10.2008 führte dieser aus, auf unfallchirurgischem Gebiet verblieben keine objektivierbaren Unfallfolgen mehr; die MdE betrage 0 %.

Dr. F. verfasste ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten vom 24.3.2009. Dazu nahm der Beratungsarzt Dr. H. am 17.4.2003 und am 31.7.2003 Stellung.

Am 6.6.2009 nahm der Beratungsarzt Dr. H. vom 6.6.2009 Stellung zu dem Gutachten des Prof. C. und des Dr. F. Die Stellungnahme des Beratungsarztes Dr. J. datierte vom 28.9.2009.

Der Überprüfungsantrag aus dem Kammertermin des SG Mainz vom 13.6.2008 wurde mit hier streitgegenständlichen Bescheid vom 8.7.2009 beschieden. Danach wurde keine Verletztenrente mehr im Hinblick auf die Überprüfung der Unfallfolgen gewährt. Diese seien folgenlos ausgeheilt, was sich aus dem Gutachten des Prof. C. v. 21.10.2008 ergebe. Der dagegen erhobene Widerspruchsbescheid wurde mit Widerspruchsbescheid vom 9.12.2009 zurückgewiesen, da keine Unfallfolgen mehr feststellbar seien. Dagegen hat die Klägerin am 4.1.2010 Klage vor dem Sozialgericht Mainz erhoben, die mit Beschluss vom 18.2.2010 an das örtlich zuständige Sozialgericht Wiesbaden verwiesen worden ist (S 1 U 22/10). Mit Beschluss vom 7.9.2010 wurde dieses Verfahren zum Ruhen gebracht, am 17.2.2015 wieder aufgerufen und unter dem Aktenzeichen S 19 U 17/15 fortgeführt.

Am 18.8.2009 stellte sich die Klägerin der Universitätsklinik in Heidelberg vor. Nach dem Bericht vom 9.9.2009 könne ein Zusammenhang zwischen der Kahnbeinfraktur 1999 und dem jetzigen Ganglion nicht bewiesen werden. Eine MdE bestehe nicht. Am 7.10.2009 ließ die Klägerin eine Exzision des Ganglions an der Universität Heidelberg durchführen. Die Nachsorge erfolgte durch die niedergelassene Ärztin Dr. I. in I-Stadt. Einen ersten Antrag auf Erstattung der Fahrtkosten für die Behandlung/Untersuchung am 18.8.2009 stellte die Klägerin am 4.9.2009. Der zweite Antrag datierte vom 21.10.2009 auf Übernahme der Fahrt- und Übernachtungskosten für die Behandlung ab dem 6.10.2009. Mit weiterem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 2.10.2009 lehnte die Beklagte die Erstattung der Fahrtkosten für die Untersuchung am 18.8.2009 in Heidelberg ab, da es sich ausweislich des Gutachtens des Prof. C. bei dem Ganglion nicht um eine Folge des Arbeitsunfalls vom 15.1.1999 handele. Aus einem fachärztlicher Bericht der Uniklinik Heidelberg vom 9.9.2009 ergab sich, es bestehe kein Zusammenhang zwischen der Kahnbeinfraktur und dem jetzigem Ganglion, eine MdE bestehe überdies nicht. Dagegen legte die Klägerin Widerspruch vom 20.10.2009 ein. Mit einem weiteren streitgegenständlichen Bescheid vom 26.10.2010 wurde die Erstattung von Fahrt- und Übernachtungskosten für Untersuchungen/Behandlungen in Heidelberg abgelehnt, da diese wegen unfallfremder Erkrankungen erforderlich geworden waren. Hier gegen legte die Klägerin Widerspruch vom 10.11.2009 ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.4.2010 wies die Beklagte die Widersprüche gegen beide Bescheide vom 2.10.2009 und 26.10.2009 zurück unter Bezugnahme auf das Gutachten zur Zusammenhangsfrage des Prof. C. vom 21.10.2008. Hier gegen hat die Klägerin am 10.5.2010 Klage erhoben (S 1 U 47/10). Diese wurde mit Beschluss vom 17.6.2010 zu dem Rechtsstreit S 1 U 22/10 verbunden.

Die Klägerin ist unter Bezugnahme auf die beiden Gutachten des Dr. F. der Ansicht, bei Ihr läge weiterhin eine MdE von 20 % vor. Außerdem seien die Untersuchungen in Heidelberg wegen Unfallfolgen erforderlich gewesen, weshalb ihr die Fahrt- und Übernachtungskosten zu ersetzen seien.

Die Klägerin beantragt sinngemäß

1. unter Aufhebung des Bescheides vom 8.7.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9.12.2009 die Beklagte zu verurteilen, ihr über den 31.1.2009 hinaus Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach einer MdE von 20 % zu gewähren und

2. unter Aufhebung der Bescheide vom 2.10.2009 und vom 26.10.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.4.2010 die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die Fahrtkosten vom Wohnort der Klägerin bis Heidelberg für den Untersuchungstermin am 18.8.2009 nebst 4,50 € und ab dem 6.10.2009 die Fahrt- und Übernachtungskosten nach Heidelberg und zurück nebst 72,50 € sowie sechsmalige Fahrtkosten vom Wohnort der Klägerin zum Kontrollarzt nach I-Stadt in der Zeit vom 10.10.2009 bis 21.10.2009 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klagen abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, vor dem Landessozialgericht Rheinland-Pfalz sollte aufgrund der durchgeführten medizinischen Ermittlungen der Rechtsstreit insgesamt erledigt werden. Unabhängig davon liege die MdE bei der Klägerin nicht mehr im rentenberechtigenden Bereich. Zudem sei die Behandlung in Heidelberg wegen unfallfremder Gesundheitsbeeinträchtigungen erfolgt.

Das Gericht hat zunächst versucht zu ermitteln, was die Beteiligten in dem Vergleich vor dem Landessozialgericht Rheinland-Pfalz regeln wollten. Sodann hat das Gericht einen Erörterungstermin am 7.7.2015 durchgeführt. Danach hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung von Sachverständigengutachten bei der Neurologin und Psychiaterin K. und dem Orthopäden und Unfallchirurgen Dr. L.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf deren Gutachten vom 22.10.2015 bzw. vom 23.10.2015 inhaltlich verwiesen und Bezug genommen. Das Gericht hat ferner die Akten des Sozialgericht Mainz/Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (L 4 U 144/11) und die des Versorgungsamtes Wiesbaden, aus denen sich die unfallunabhängigen Erkrankungen der Klägerin ergeben, beigezogen. Die Beteiligten haben beide ihr Einverständnis zum Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt. Wegen des übrigen Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und die Verwaltungsakten Bezug genommen.

Gründe

Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da beide Beteiligten ihr Einverständnis hierzu erklärt haben, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die zulässigen Klagen sind unbegründet. Die streitgegenständlichen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen demzufolge die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Kammer sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, da es den streitgegenständlichen Bescheiden folgt, was hiermit festgestellt wird, § 136 Abs. 3 SGG.

Lediglich ergänzend wird ausgeführt, daß die Klägerin weder einen Anspruch auf die Weitergewährung einer Unfallrente noch auf Erstattung der Fahrt- und Übernachtungskosten im Jahr 2009 hat. Beide durch das Gericht beauftragten Gutachter Frau K. und Dr. L. erläutern nachvollziehbar in ihren aktuellen Gutachten, daß eine rentenberechtigende MdE bei der Klägerin nicht vorliegt bzw. bezweifeln sogar, ob diese jemals vorlag. Unfallfolgen seien jedenfalls nicht (mehr) feststellbar. Die Gutachter Frau K. und Dr. L. stellen keine Einschränkung der Beweglichkeit des betroffenen Handgelenks fest, was anhand der durchgeführten Messungen dokumentiert ist. Die Klägerin hat insofern bereits großzügig Unfallrente bis 31.1.2009 nach einer MdE von 20 % erhalten. Insofern bestätigen die Gutachter die bis dahin eingeholten medizinischen Auffassungen. Der Verweis der Klägerin auf die Gutachten des Dr. F. ist insoweit ohne Bedeutung. Zum einen datieren diese Gutachten aus den Jahren 2008 bzw. 2009. Nur in dem Gutachten vom 8.2.2008 gelangte Dr. F. zu einer MdE von 15 % auf neurologischem Gebiet und damit zu einer Gesamt-MdE von 20 % unter Berücksichtigung der damaligen Beeinträchtigungen auf orthopädisch-unfallchirurgischem Gebiet, die der Klägerin durch den vor dem LSG Rheinland-Pfalz geschlossenen Vergleich auch bis 31.1.2009 gewährt wurde. Im Gutachten vom 24.3.2009 von Dr. F. ist dieser zwar weiterhin der Auffassung, auf neurologischem Gebiet liege eine MdE von 15 % vor. Die Gesamt-MdE erreichte aber nicht mehr 20 %, da nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Prof. C. in dessen Gutachten vom 21.10.2008 eine MdE auf orthopädisch-unfallchirurgischem Gebiet nicht mehr erreicht wird.

Die Feststellungen der nunmehr beauftragten Gutachter decken sich im übrigen mit den Vorgaben der unfallrechtlichen Literatur (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., S. 544, 548, 573).

Ferner erläutern die Sachverständigen in Übereinstimmung mit dem Arztbrief der Uniklinik Heidelberg und den Einschätzungen der Beratungsärzte, daß die Fahrt- und Übernachtungskosten im August und Oktober 2009 nicht unfallbedingt entstanden sind, da das seinerzeit behandelte Ganglion nicht Unfallfolge war.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.