LAG Köln, Urteil vom 24.06.2020 - 11 Sa 678/19
Fundstelle
openJur 2021, 277
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 5 Ca 740/18
Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 27.09.2019 - 5 Ca 740/18 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die am 1954 geborene Klägerin ist seit dem 01.09.2005 bei dem beklagten Kreis als Sachbearbeiterin Projekte/Vermittlerin Brückenjobs beschäftigt. Das Anstellungsverhältnis wurde aufgrund Arbeitsvertrag vom 26.08.2005 (Bl. 44 f. d. A.) zunächst befristet bis zum 31.12.2006 begründet. Dieser Anstellungsvertrag sieht in § 6 eine Eingruppierung in die Vergütungsgruppe (VG) Vc Fg. 1a BAT vor. Hinsichtlich der Einzelheiten der auszuübenden Tätigkeiten wird auf die Arbeitsbeschreibung vom 16.02.2006 (Bl. 49 ff. d. A.) verwiesen, bezüglich der vom Beklagten unter dem 02.03.2006 vorgenommenen Bewertung der Arbeitsstelle wird auf Bl. 50 f. d. A. Bezug genommen. Mit Arbeitsvertrag vom 31.07.2006 (Bl. 46 f. d. A.) wurde das befristete Arbeitsverhältnis bis zum 31.12.2010 verlängert. Dieser Anstellungsvertrag sieht in § 6 eine Eingruppierung in die Entgeltgruppe (EG) 8 TVöD-VKA vor. Schließlich wurde das Arbeitsverhältnis mit Arbeitsvertrag vom 10.02.2010 (Bl. 48 f. d. A.) entfristet, wobei nach § 6 dieses Anstellungsvertrages eine Eingruppierung in die EG 8 TVöD-VKA erfolgt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst für den Bereich Verwaltung und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge in der für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände jeweils geltenden Fassung einschließlich des Tarifvertrages zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts Anwendung.

Zum 01.01.2017 ist die neue Entgeltordnung zum TVöD-VKA in Kraft getreten. Mit Schreiben vom 28.09.2017 teilte der Beklagte den Tarifbeschäftigten u. a. mit, dass nach Einschätzung der Verwaltung Höhergruppierungsanträge von Arbeitnehmern mit übertragenen Tätigkeiten von Arbeitsstellen der "EG 8: Vc Fg. 1b BAT" dem "Grunde nach Aussicht auf Erfolg haben" können. Wegen der Einzelheiten des Schreibens vom 28.09.2017 wird auf Bl. 11 f. d. A. Bezug genommen. Mit Schreiben vom 30.10.2017 beantragte die Klägerin erfolglos die Höhergruppierung in die EG 9a TVöD-VKA (Bl. 13 d. A.).

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 27.09.2019 (Bl. 170 ff. d. A.) die Klage, mit der die Klägerin die Eingruppierung in die EG 9a TVöD-VKA ab dem 01.01.2017 verfolgt, abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe nicht hinreichend dargetan, dass die auszuübende Tätigkeit sich hinsichtlich des Umfangs der selbständigen Tätigkeiten aus der EG 8 TVöD-VKA heraushebe. Die Klägerin habe nicht vorgetragen, in welcher Art und Weise sie welche konkreten Arbeitsanforderungen erledige. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens und der Antragstellung der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand, wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichtes wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Gegen das ihr am 11.11.2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 05.12.2019 Berufung eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 11.02.2020 begründet.

Die Klägerin meint, sie habe ausreichend zum zeitlichen Umfang ihrer selbständigen Tätigkeiten vorgetragen. Sie berufe sich auf das Zeugnis der Arbeitskolleginnen N und M . Beide Zeuginnen seien - unstreitig - in der EG 8 TVöD-VKA eingruppiert gewesen und ohne neuerliche Stellenbeschreibung in die EG 9a TVöD-VKA höhergruppiert worden. Der Fall eines jeden Klienten müsse von der Klägerin individuell und selbständig bearbeitet werden. Zudem sei die EG 9a TVöD-VKA lediglich eine Erweiterung der EG 8 TVöD-VKA, deren Voraussetzungen die Tätigkeit der Klägerin unstreitig erfülle. Der Gleichbehandlungsgrundsatz sei verletzt, wie sich an der Höhergruppierung der vergleichbaren Mitarbeiterinnen N und M zeige.

Die Klägerin beantragt,

festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab dem 01.01.2017 eine Vergütung nach der Vergütungsgruppe EG 9a des Manteltarifvertrages TVöD zu zahlen und etwaige Brutto-Nachzahlungsbeträge beginnend mit dem 31.01.2017 ab dem jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt mit 5 %-Punkten Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB pro Jahr zu verzinsen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Die selbständigen Tätigkeiten der Klägerin machten nicht 50 % ihrer Arbeitszeit aus. Das Schreiben vom 28.09.2017 habe keine Bindungswirkung entfaltet und sei im Übrigen auch nicht auf die Arbeitsstelle der Klägerin bezogen, da die Klägerin nicht in die VG Vc Fg. 1b BAT eingruppiert gewesen sei, sondern in die VG Vc Fg. 1a BAT, welche lediglich selbständige Leistungen von mindestens einem Drittel verlange.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien vom 11.02.2020, 17.03.2020, 20.03.2020, 06.05.2020 und 16.06.2020, die Sitzungsniederschrift vom 24.06.2020 sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.

Gründe

I. Die Berufung der Klägerin ist zulässig, denn sie ist gemäß § 64 Abs. 2b) ArbGG statthaft und wurde ordnungsgemäß innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet.

II. Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat mit in jeder Hinsicht zutreffenden Gründen, auf die zwecks Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen. Die Berufungsbegründung rechtfertigt keine Abänderung der angefochtenen Entscheidung.

1. Die Klägerin vermochte auch mit der Berufungsbegründung nicht schlüssig vorzutragen, dass gemäß § 12 Abs. 2 Satz 2 TVöD-VKA zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderungen des Tatbestandmerkmals "selbständige Leistungen" im Sinne der EG 9a der Anlage 1 Entgeltordnung (VKA) erfüllt.

a) Nach dem Klammerzusatz zur EG 9a TVöD-VKA erfordern selbständige Leistungen ein den vorausgesetzten Fachkenntnissen entsprechendes selbständiges Erarbeiten eines Ergebnisses unter Entwicklung einer eigenen geistigen Initiative. Eine leichte geistige Arbeit kann diese Anforderung nicht erfüllen. Dabei darf das Merkmal "selbständige Leistungen" nicht mit dem Begriff "selbständig arbeiten" verwechselt werden, worunter eine Tätigkeit ohne direkte Aufsicht oder Leitung zu verstehen ist. Eine selbständige Leistung im Tarifsinne ist dann anzunehmen, wenn eine Gedankenarbeit erbracht wird, die im Rahmen der für die Vergütungsgruppe vorausgesetzten Fachkenntnisse hinsichtlich des einzuschlagenden Wegs, insbesondere hinsichtlich des zu findenden Ergebnisses, eine eigene Beurteilung und eine eigene Entschließung erfordert. Kennzeichnend für selbständige Leistungen im tariflichen Sinne ist - ohne Bindung an verwaltungsrechtliche Fachbegriffe - ein wie auch immer gearteter Ermessens-, Entscheidungs-, Gestaltungs- oder Beurteilungsspielraum bei der Erarbeitung eines Arbeitsergebnisses. Es werden Abwägungsprozesse verlangt, in deren Rahmen Anforderungen an das Überlegungsvermögen gestellt werden. Dabei müssen für eine Entscheidung unterschiedliche Informationen verknüpft und untereinander abgewogen werden. Dass diese Abwägungsprozesse bei entsprechender Routine durchaus schnell ablaufen können, ist unerheblich (BAG, Urt. v. 22.02.2017 - 4 AZR 514/16 - m. w. N.). Für einen schlüssigen Vortrag genügt dabei eine genaue Darstellung der eigenen Tätigkeit nicht, wenn ein Heraushebungsmerkmal in Anspruch genommen wird. Es ist ein Tatsachenvortrag erforderlich, der einen wertenden Vergleich zwischen Grundtätigkeit und herausgehobener Tätigkeit ermöglicht (vgl. BAG, Urt. v. 09.12.2015- 4 AZR 11/13 - m. w. N.).

b) Die Klägerin hat nicht konkret vorgetragen, worin die selbständigen Leistungen ihrer auszuübenden Tätigkeit unter Anwendung der im Rahmen der in EG 9a TVöD-VKA vorausgesetzten Fachkenntnisse überhaupt bestehen. Der Beklagte räumt zwar ein, dass im Vermittlungsverfahren (Besetzungsverfahren) mit einem Zeitanteil von 40 % der Arbeitszeit selbständige Leistungen anfallen, was bei pauschaler Überprüfung nicht zu beanstanden ist. Hinsichtlich der weiteren Tätigkeiten des Antrags- und Genehmigungsverfahrens, der Sanktionen nach § 31 SGB II und der Steuerung von Arbeitsmarktprojekten ist nicht ersichtlich, worin im Einzelnen ihr Ermessens-, Entscheidungs-, Gestaltungs- oder Beurteilungsspielraum bestand. Es bleibt offen, welche konkreten Abwägungsprozesse von ihr verlangt werden und welche Anforderungen an das Überlegungsvermögen gestellt werden. Der Vortrag der Klägerin beschränkt sich im Wesentlichen auf den pauschalen, unzureichenden Hinweis der individuellen und selbständigen Bearbeitung der übertragenen Fälle. Welche eigenen Beurteilungskriterien oder Beurteilungskataloge mit welchem Inhalt zur Anwendung gelangen, bleibt unklar. Dass sie nach eigener Darlegung bis auf wenige Ausnahmen ohne Anweisungen selbständig arbeitet, genügt nicht zur Annahme des Tarifmerkmals selbständiger Leistungen, denn sie umschreibt hiermit lediglich, dass sie weitgehend selbständig ohne Aufsicht oder Leitung ihre Tätigkeit verrichtet.

2. Das Klagebegehren lässt sich auch nicht auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz stützen.

a) Der Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet die sachlich ungerechtfertigte Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer gegenüber anderen Arbeitnehmern in vergleichbarer Lage und die sachfremde Gruppenbildung. Sachfremd ist eine Differenzierung, wenn es für die unterschiedliche Behandlung keine billigenswerten Gründe gibt, wenn die Regelung mit anderen Worten für eine am Gleichheitsgedanken orientierte Betrachtung willkürlich ist. Im Bereich der Vergütung gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz nur eingeschränkt. Vorrang hat der Grundsatz der Vertragsfreiheit für individuell ausgehandelte Vergütungen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz findet aber auch im Bereich der Entgeltzahlung Anwendung, wenn der Arbeitgeber die Vergütung nach einem bestimmten erkennbaren und generalisierenden Prinzip gewährt, indem er bestimmte Voraussetzungen oder Zwecke festlegt. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz greift wegen seines Schutzcharakters gegenüber der Gestaltungsmacht des Arbeitgebers nur dort ein, wo der Arbeitgeber durch eigenes gestaltendes Verhalten ein eigenes Regelwerk oder eine eigene Ordnung schafft, nicht aber bei bloßem - auch vermeintlichem - Normvollzug. Darin liegt keine verteilende Entscheidung des Arbeitgebers. Eine solche Entscheidung trifft der Arbeitgeber erst, wenn er in Kenntnis einer fehlenden Rechtsgrundlage Leistungen (weiterhin) erbringt (BAG, Urteil v. 16.05.2013- 6 AZR 619/11 - m. w. N.).

b) Die Klägerin hat weder ein erkennbares, generalisierendes und übertarifliches Vergütungssystem außerhalb der Anwendung des TVöD-VKA seitens des Beklagten vorgetragen noch hat sie eine Gruppenbildung hinreichend dargetan. Sie setzt sich bereits nicht mit dem Inhalt der Tätigkeiten der Arbeitskolleginnen N und M vergleichend auseinander. Sie behauptet auch nicht, die Beklagte vergüte diese Mitarbeiterinnen nach der EG 9a TVöD-VKA in Kenntnis dessen, das sie wie der Klägerin in die EG 8 TVöD-VKA einzugruppieren seien. Nichts anderes folgt aus dem Schreiben vom 28.09.2017. Dieses lässt zum einen keinen Bindungswillen hinsichtlich der Gewährung einer übertariflichen Vergütung erkennen noch gehört die Klägerin mit einer Eingruppierung nach der VG Vc Fg. 1a BAT zum angesprochenen Personenkreis.

3. Für eine automatische Zuordnung bzw. Überleitung einer bisher tarifgerechten Eingruppierung nach der EG 8 TVöD-VKA in die EG 9a TVöD-VKA ist eine Rechtgrundlage nicht ersichtlich. Eine Überleitung in die EG 9a TVöD-VKA ohne Antrag fand nach Maßgabe des § 29c Abs. 3 TVÜ-VKA lediglich hinsichtlich der Beschäftigten der sog. kleinen EG 9 TVöD-VKA statt.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf den § 97 Abs. 1 ZPO.

IV. Die Revision wurde nicht zugelassen, da die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen.

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