VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.12.2020 - 1 S 4028/20
Fundstelle
openJur 2021, 16
  • Rkr:

§ 1c CoronaVO in der Fassung vom 15.12.2020 ist mit der Regelung von bis zum 10.01.2021 geltenden Ausgangsbeschränkungen voraussichtlich mit höherrangigem Recht vereinbar.

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich im vorliegenden Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO - sachdienlich ausgelegt - gegen § 1c der Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 (Corona-Verordnung - CoronaVO) vom 30.11.2020 in der Fassung der Zweiten Verordnung der Landesregierung zur Änderung der Corona-Verordnung vom 15.12.2020, die am 16.12.2020 in Kraft trat.

Die angegriffene Vorschrift regelt Ausgangsbeschränkungen. Sie geht gemäß § 1a CoronaVO bis einschließlich 10.01.2021 den übrigen Regelungen der Corona-Verordnung und den aufgrund dieser Verordnung sowie den aufgrund der Corona-Verordnung vom 23.06.2020 (GBl. S. 483), die zuletzt durch Art. 1 der Verordnung vom 17.11.2020 (GBl. S. 1052) geändert wurde, erlassenen Rechtsverordnungen vor, soweit diese abweichende Vorgaben enthalten. Für den Zeitraum bis zum 10.01.2021 bestimmt § 1c CoronaVO in Absatz 1, dass der Aufenthalt außerhalb der Wohnung oder sonstigen Unterkunft in der Zeit von 5 Uhr bis 20 Uhr nur bei Vorliegen triftiger, in Nr. 1 bis 16 im Einzelnen genannter Gründe oder (Nr. 17) aus sonstigen vergleichbar gewichtigen Gründen gestattet ist. Nach Absatz 2 Satz 1 gilt in der Zeit von 20 Uhr bis 5 Uhr des Folgetags eine erweiterte Ausgangsbeschränkung. Der Aufenthalt außerhalb der Wohnung oder sonstigen Unterkunft ist in dieser Zeit nach Satz 2 nur bei Vorliegen der in Nr. 1 bis 11 im Einzelnen aufgezählten triftigen Gründe oder (Nr. 12) sonstiger vergleichbar gewichtiger Gründe gestattet.

Der Antragsteller macht geltend, die angegriffene Vorschrift hebe in beispielloser Art und Weise die freiheitliche Grundordnung auf. Er bestreite mit Nichtwissen die von dem Antragsgegner in der Begründung der Verordnung genannten Zahlen zu den Neuinfektionen, zu den an oder mit COVID-19 verstorbenen Menschen, zur sog. 7-Tages-Inzidenz und zur Auslastung der intensivmedizinischen Kapazitäten. Die angefochtene Vorschrift stelle das Verlassen der Wohnung unter einen "generellen Erlaubnisvorbehalt" und greife damit unter Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG unverhältnismäßig in seine Freiheitsrechte ein. Es bestehe kein Grund, weshalb er seine Wohnung nachts nicht mehr zu privaten Zwecken wie etwa der Pflege eines Schrebergartens, dem Beobachten von Hirschen, der Wahrnehmung sportlicher Aktivitäten oder dem Aufsuchen eines Zigarettenautomaten verlassen können solle. Durch solche Aktivitäten würden keine Krankheiten übertragen. Es bestünden auch mildere Mittel. Die Vorschrift sei außerdem nicht angemessen (verhältnismäßig i.e.S.). Es bestehe schon keine zweifelsfreie Erkenntnis dazu, dass COVID-19 eine konkrete Gefahr für das Leben einer erheblichen Anzahl der Bevölkerung darstelle. Dass es zu der vom Antragsgegner behaupteten angestiegenen Sterberate keinen wissenschaftlichen Hintergrund im Sinne eines Kausalzusammenhangs gebe, gestehe der Verordnungsgeber selbst ein, wenn er in der Verordnungsbegründung etwa lediglich formuliere, dass Menschen "an bzw. mit" COVID-19 gestorben seien. Die angefochtene Vorschrift sei außerdem im Sinne von Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG zu unbestimmt. Es sei völlig unklar, wie weit der Begriff der Wohnung reichen solle. Die Normadressaten könnten zudem überhaupt nicht abschätzen, welche Handlungen noch erlaubt seien und welche nicht. Die beanstandete Vorschrift hebe außerdem die freiheitliche Grundordnung auf. Die Verordnung verlange für jede Handlung, die außerhalb der eigenen Wohnung vorgenommen werde, eine Rechtfertigung durch den Bürger. Sie verkehre damit den Grundsatz, dass der Staat es begründen müsse, wenn er etwas verbieten wolle, in das Gegenteil. Sie greife damit auch unzulässig in die von Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Würde des Menschen ein.

Der Antragsgegner ist dem Antrag entgegengetreten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO in der Besetzung mit drei Richtern (§ 9 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO). Die Besetzungsregelung in § 4 AGVwGO ist auf Entscheidungen nach § 47 Abs. 6 VwGO nicht anwendbar (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 15.12.2008 - GRS 1/08 - ESVGH 59, 154).

Der von dem Antragsteller auf eine "einstweilige Aussetzung" der "Regelungen der Corona-Verordnung" gerichtete Antrag ist sachdienlich (§ 122 Abs. 1 i.V.m. § 88 VwGO) dahin auszulegen, dass er gemäß § 47 Abs. 6 VwGO beantragt, § 1c CoronaVO in der zum Zeitpunkt der vorliegenden Senatsentscheidung geltenden Fassung vorläufig außer Vollzug zu setzen. Denn der Antragsteller wendet sich ausweislich der Begründung seines Antrags in der Sache gegen diejenigen gegenwärtig geltenden Vorschriften der Corona-Verordnung, in denen der Antragsgegner Ausgangsbeschränkungen normiert hat.

Der Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO hat keinen Erfolg. Er ist zulässig, aber unbegründet.

1. Der Antrag ist zulässig.

Ein Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO ist zulässig, wenn ein in der Hauptsache gestellter oder noch zu stellender Normenkontrollantrag nach § 47 Abs. 1 VwGO voraussichtlich zulässig ist (vgl. zu dieser Voraussetzung Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., § 47 Rn. 387) und die gesonderten Zulässigkeitsvoraussetzungen für den Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO erfüllt sind. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

a) Die Statthaftigkeit eines Antrags in der Hauptsache folgt aus § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO, § 4 AGVwGO. Danach entscheidet der Verwaltungsgerichtshof auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO über die Gültigkeit von im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften. Dazu gehören Verordnungen - wie hier - der Landesregierung.

b) Die Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist gewahrt.

c) Der Antragsteller ist antragsbefugt.

Die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO hat jede natürliche oder juristische Person, die geltend machen kann, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Es genügt dabei, wenn die geltend gemachte Rechtsverletzung möglich erscheint (ausf. dazu Senat, Urt. v. 29.04.2014 - 1 S 1458/12 - VBlBW 2014, 462 m.w.N.). Danach liegt eine Antragsbefugnis vor. Es ist jedenfalls nicht von vornherein nach jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen, dass der Antragsteller in seinem Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) verletzt ist.

d) Für einen Antrag in der Hauptsache und den nach § 47 Abs. 6 VwGO liegt ein Rechtsschutzinteresse vor. Denn der Antragsteller könnte mit einem Erfolg dieser Anträge seine Rechtsstellung jeweils verbessern.

2. Der Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO ist aber nicht begründet.

Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann der Verwaltungsgerichtshof auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind zunächst die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags in der Hauptsache, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Ist danach der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Ergibt diese Prüfung, dass ein Normenkontrollantrag in der Hauptsache voraussichtlich begründet wäre, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug der streitgegenständlichen Satzung oder Rechtsvorschrift zu suspendieren ist. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug der Rechtsvorschrift vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden: Gegenüberzustellen sind die Folgen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, also so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung - trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache - dringend geboten ist (BVerwG, Beschl. v. 25.02.2015 - 4 VR 5.14 -, ZfBR 2015, 381; Beschl. v. 16.09.2015 - 4 VR 2/15 -, juris; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 09.08.2016 - 5 S 437/16 -, juris m.w.N.; Beschl. v. 13.03.2017 - 6 S 309/17 - juris). Mit diesen Voraussetzungen stellt § 47 Abs. 6 VwGO an die Aussetzung des Vollzugs einer untergesetzlichen Norm erheblich strengere Anforderungen, als § 123 VwGO sie sonst an den Erlass einer einstweiligen Anordnung stellt (BVerwG, Beschl. v. 18.05.1998 - 4 VR 2/98 - NVwZ 1998, 1065).

An diesen Maßstäben gemessen ist der Antrag des Antragstellers nicht begründet. Ein gegen § 1c CoronaVO gerichteter Normenkontrollantrag hätte in der Hauptsache aller Voraussicht nach keinen Erfolg (a). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auch nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO dringend geboten (b).

a) Ein gegen § 1c CoronaVO gerichteter Normenkontrollantrag nach § 47 Abs. 1 VwGO würde im Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben. Die Vorschrift ist entgegen dem Vorbringen des Antragstellers voraussichtlich mit höherrangigem Recht vereinbar.

Infektionsschutzrechtliche Maßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus können auf Ermächtigungsgrundlagen aus dem 5. Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes gestützt und auch gegen sog. Nichtstörer gerichtet werden (aa). Die angefochtene Vorschrift des § 1c CoronaVO ist auch auf eine einfachgesetzliche Rechtsgrundlage aus diesem Gesetz gestützt, die den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts genügt (bb). Durchgreifende Bedenken gegen ihre Bestimmtheit bestehen nicht (cc). Sie dürfte auch keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte des Antragstellers auf allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG (dd), auf Freizügigkeit aus Art. 11 GG (ee) und auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG (ff) begründen. Eine Verletzung der in Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Menschenwürde bewirkt sie ebenfalls nicht (gg).

aa) Für die Regelungen in § 1c CoronaVO besteht eine Rechtsgrundlage in § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 und § 28a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 IfSG, die Aufenthaltsbeschränkungen der hier normierten Art grundsätzlich tragen kann.

Wenn - wie im Fall des Coronavirus insoweit auch im vorliegenden Verfahren unstreitig - eine übertragbare Krankheit festgestellt ist, können nach § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 IfSG die notwendigen Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Krankheit durch eine Verordnung der Landesregierung getroffen werden. Mit solchen repressiven Bekämpfungsmaßnahmen gehen zulässigerweise auch stets präventive Wirkungen einher, solche präventiven Folgen sind gerade bezweckt. Daher ist die Landesregierung insbesondere nicht auf Maßnahmen nach § 16 oder § 17 IfSG beschränkt. Dabei ermächtigt § 28 Abs.1 IfSG nach seinem Wortlaut, seinem Sinn und Zweck und dem Willen des Gesetzgebers zu Maßnahmen auch gegenüber Nichtstörern (vgl. ausf. zum Ganzen Senat, Beschl. v. 09.04.2020 - 1 S 925/20 - juris; Beschl. v. 23.04.2020 - 1 S 1003/20 -; je m.w.N.).

bb) Die angefochtene Vorschrift des § 1c CoronaVO ist auf eine einfachgesetzliche Rechtsgrundlage aus dem 5. Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes gestützt, die den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts genügt (vgl. zu den dahingehenden Anforderungen BVerfG, Beschl. v. 14.03.1989 - 1 BvR 1033/82 u.a. - BVerfGE 80, 1, 20; Beschl. v. 21.04.2015 - 2 BvR 1322/12 u.a. - BVerfGE 139, 19; ausf. Senat, Beschl. v. 09.04.2020 - 1 S 925/20 - m.w.N.).

Im Parlamentsvorbehalt wurzelnde Bedenken, die sich in Bezug auf einige der seit März 2020 zur Pandemiebekämpfung durch Rechtsverordnung normierte Maßnahmen wie beispielsweise umfassende Betriebsschließungen ergeben haben (vgl. grdl. dazu Senat, Beschl. v. 09.04.2020, a.a.O.), bestehen in Bezug auf die vom Antragsteller im vorliegenden Verfahren beanstandeten Regelungen in § 1c CoronaVO aller Voraussicht nach nicht. Der Bundesgesetzgeber hatte schon bisher in § 28 IfSG selbst ausdrücklich normiert, dass die zuständige Stelle Personen insbesondere dazu verpflichten kann, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten (§ 28 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 IfSG). In dem am 19.11.2020 in Kraft getretenen § 28a IfSG hat er noch weiter konkretisierend geregelt, dass notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) für die Dauer der - wie derzeit bestehend - Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG durch den Deutschen Bundestag insbesondere Ausgangs- oder Kontaktbeschränkungen im privaten sowie im öffentlichen Raum sein können (Absatz 1 Nr. 3). Er hat weiter geregelt, dass die Anordnung einer Ausgangsbeschränkung, nach der das Verlassen des privaten Wohnbereichs nur zu bestimmten Zeiten oder zu bestimmten Zwecken nur zulässig ist, soweit auch bei Berücksichtigung aller bisher getroffenen anderen Schutzmaßnahmen eine wirksame Eindämmung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) erheblich gefährdet wäre (Absatz 3 Nr. 2).

Jedenfalls mit den in § 28a IfSG nunmehr ergänzend normierten Vorgaben hat der Bundesgesetzgeber seiner sich aus dem Vorbehalt des Gesetzes in seiner Ausprägung als Parlamentsvorbehalt ergebenden, im Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot wurzelnden Verpflichtung, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen im Wesentlichen selbst zu treffen, in Bezug auf die Aufenthaltsbeschränkungen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 voraussichtlich genügt.

cc) Durchreifende Bedenken gegen die Bestimmtheit der in § 1c CoronaVO enthaltenen Regelungen bestehen voraussichtlich ebenfalls nicht.

Das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitete Gebot der Bestimmtheit von Normen verlangt, dass Rechtsvorschriften so gefasst sein müssen, dass der Betroffene seine Normunterworfenheit und die Rechtslage so konkret erkennen kann, dass er sein Verhalten danach auszurichten vermag (vgl. BVerfG, Urt. v. 05.08.1966 - 1 BvF 1/61 - BVerfGE 20, 150; Beschl. v. 12.01.1967 - 1 BvR 169/63 - BVerfGE 21, 73, v. 07.07.1971 - 1 BvR 775/66 - BVerfGE 31, 255, v. 09.04.2003 - 1 BvL 1/01, 1 BvR 1749/01 - BVerfGE 108, 52, und v. 03.03.2004 - 1 BvF 3/92 - BVerfGE 110, 33, jeweils m.w.N.; Senat, Urt. v. 16.08.2018 - 1 S 625/18 - juris; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 22.11.2017 - 9 S 1145/16 - JuS 2018, 402, und v. 22.02.2017 - 5 S 1044/15 - juris).

Dieses Gebot zwingt den Normgeber zwar nicht, jeden Tatbestand mit genau erfassbaren Maßstäben bis ins Einzelne zu umschreiben. Generalklauseln und unbestimmte, der Ausfüllung bedürftige Begriffe sind schon deshalb grundsätzlich zulässig, weil sich die Vielfalt der Verwaltungsaufgaben nicht immer in klar umrissene Begriffe einfangen lässt. Der Normgeber ist aber gehalten, seine Regelungen so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte und mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Die Auslegungsbedürftigkeit nimmt einer Vorschrift dabei noch nicht die rechtsstaatlich gebotene Bestimmtheit; es kann nicht erwartet werden, dass jeder Zweifel ausgeschlossen wird. Es ist Aufgabe der Rechtsanwendungsorgane, Zweifelsfragen zu klären und die Entscheidung des Normgebers - gegebenenfalls mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden - zu konkretisieren (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.06.1977 - 2 BvR 308/77 - BVerfGE 45, 363, v. 03.06.1992 - 2 BvR 1041/88, 78/89 -, BVerfGE 86, 288, und v. 11.07.2013 - 2 BvR 2302/11 - BVerfGE 134, 33; BayVerfGH, Entscheidung v. 22.06.2010 - Vf. 15-VII-09 juris; Senat, Senat, Urt. v. 16.08.2018, a.a.O., und v. 22.04.2002 - 1 S 1667/00 - VBlBW 2002, 423). Verfahren und gerichtliche Kontrolle sind geeignet, mögliche Nachteile der Unbestimmtheit der Rechtsvorschrift bis zu einem gewissen Grade auszugleichen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.01.1967 und v. 07.07.1971, jeweils a.a.O., sowie Urt. v. 18.07.1972 - 1 BvL 32/70, 25/71 - BVerfGE 33, 303; Senat, Urt. v. 16.08.2018, a.a.O.; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 22.11.2017, a.a.O.). In jedem Fall müssen sich aber aus Wortlaut, Zweck und Zusammenhang der Regelung objektive Kriterien gewinnen lassen, die eine willkürliche Handhabung der Norm durch die für die Vollziehung zuständigen Behörden ausschließen (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.07.2006 - 10 C 9.05 - BVerwGE 126, 222; Beschl. v. 10.04.2000 - 11 B 61.99 - juris; Senat, Urt. v. 22.04.2002, a.a.O., v. 16.10.2001 - 1 S 2346/00 - VBlBW 2002, 292, und v. 18.08.1992 - 1 S 2550/91 - VBlBW 1993, 99).

An diesen Maßstäben gemessen ist § 1c CoronaVO aller Voraussicht nach hinreichend bestimmt.

Unbegründet ist insbesondere der Einwand des Antragstellers, es sei völlig unklar, wie weit der in dieser Vorschrift verwendete Begriff der "Wohnung" reichen solle. Dieses Tatbestandsmerkmal kann mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden konkretisiert werden. Der Verordnungsgeber der auf das Infektionsschutzgesetz gestützten Corona-Verordnung hat mit diesem Tatbestandsmerkmal ersichtlich den Begriff der "Wohnung" übernommen, der auch im Infektionsschutzgesetz mehrfach verwendet und dort auf Art. 13 Abs. 1 GG bezogen wird (vgl. nur aus dem 5. Abschnitt des Gesetzes § 25 Abs. 5, § 28 Abs. 1 Satz 4, § 29 Abs. 4, § 30 Abs. 7 und § 32 Satz 3 IfSG). Zu diesen Vorschriften ist anerkannt, dass als "Wohnung" die zu Aufenthalts- oder Arbeitszwecken bestimmten und benutzten Räume einschließlich der Nebenräume und des angrenzenden umschlossenen freien Geländes anzusehen sind (vgl. zu Art. 13 GG nur Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Stand 91. Lfg., Art. 13 Rn. 10 f. m.w.N.; im Ergebnis ebenso zu einer durch Allgemeinverfügung erlassenen und auf "Wohnungen" bezogenen Aufenthaltsbeschränkung VG Karlsruhe, Beschl. v. 10.12.2020 - 2 K 5102/20 - juris: "privates befriedetes Besitztum [...], das nicht durch die Öffentlichkeit oder Dritte ohne Weiteres betreten werden darf"). Der Wortlaut des § 1c CoronaVO und die gesetzessystematische Einbettung der Norm in den Rahmen ihrer Ermächtigungsgrundlage lassen bereits per se den Schluss zu, dass die genannte Begriffsbestimmung auch für sie maßgeblich ist. Die teleologische und historische Auslegung der Vorschrift bestätigt dieses Ergebnis. Denn der Verordnungsgeber hat in der Begründung der Corona-Verordnung - dem oben genannten Auslegungsergebnis der Sache nach entsprechend - unter anderem klargestellt, dass der Begriff der "Wohnung" auch die ihr zugeordneten Bereiche, wie zum Beispiel gegebenenfalls die Terrasse, den Balkon sowie den Garten(-anteil) umfasst (Verordnungsbegründung zu § 1c, abrufbar unter https://www.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/dateien/PDF/Coronainfos/201215_Begruendung_zur_2.AenderungsVO_zur_5.-CoronaVO.pdf). Falls sich bei der Anwendung des § 1c CoronaVO in der Anwendung darüber hinaus noch einzelne Zweifelsfragen ergeben sollten, können diese anhand der genannten Auslegungsmethoden beantwortet werden, ohne dass eine willkürliche Anwendung der Vorschrift durch die Exekutive droht.

Durchgreifenden Bestimmtheitsbedenken begegnet § 1c CoronaVO auch im Übrigen aller Voraussicht nach nicht. Weshalb, wie der Antragsteller pauschal vorträgt, der Normadressat "gar nicht mehr einschätzen" können soll, "welche Handlungen noch erlaubt sind und welche nicht", erschließt sich nicht. Dafür ist schon angesichts der detaillierten Kataloge in Absatz 1 Nr. 1 bis 17 und Absatz 2 Nr. 1 bis 12, die der Verordnungsgeber zudem in der genannten Verordnungsbegründung näher erläutert hat, nichts erkennbar.

dd) Die angefochtene Vorschrift dürfte auch im Übrigen mit Verfassungsrecht in Einklang stehen. Sie begründet insbesondere keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht des Antragstellers auf allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG. Mit den dort für die Zeit bis zum 10.01.2021 geregelten Aufenthaltsbeschränkungen verfolgt der Antragsgegner einen legitimen Zweck (1). Das dazu gewählte Mittel erweist sich entgegen dem Antragsvorbringen als geeignet (2), erforderlich (3) und angemessen (4). Daraus ergibt sich im vorliegenden Fall zugleich, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen aus § 28a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 IfSG aller Voraussicht nach erfüllt wären.

(1) Mit der angefochtenen Bestimmung verfolgt der Verordnungsgeber ein legitimes Ziel.

Die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 ist von der WHO als Pandemie eingestuft worden. Die bisherigen Erfahrungen in der Bundesrepublik und in anderen Staaten zeigen, dass die exponentiell verlaufende Verbreitung des besonders leicht im Wege der Tröpfcheninfektion und über Aerosole von Mensch zu Mensch übertragbaren Virus nur durch eine strikte Minimierung der physischen Kontakte zwischen den Menschen eingedämmt werden kann. Entsprechend der aktuellen Einschätzung des dazu berufenen Robert-Koch-Instituts (vgl. RKI, Lagebericht vom 16.12.2020, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Dez_2020/2020-12-16-de.pdf?__blob=publicationFile), ist weiterhin eine hohe Anzahl an Übertragungen des Coronavirus in der Bevölkerung zu beobachten. Die Inzidenz der letzten 7 Tage liegt deutschlandweit bei 180 Fällen pro 100.000 Einwohner. Seit dem 04.12.2020 ist bei den Fallzahlen wieder ein deutlicher Anstieg zu beobachten, nachdem sich die Neuinfektionsrate im November zunächst auf hohem Niveau stabilisiert hatte. Seit Anfang September nimmt der Anteil älterer Personen unter den COVID-19-Fällen stetig zu. Die 7-Tages-Inzidenz bei Personen über 60 Jahren liegt bei 171 Fällen/100.000 Einwohner. Die Zahl der intensivmedizinisch behandelten COVID-19-Fälle hat sich in den vergangenen 4 Wochen von 3.127 Patienten am 11.11.2020 auf 4.836 am 16.12.2020 kontinuierlich ansteigend stark erhöht. Da ältere Personen häufiger von schweren Krankheitsverläufen betroffen sind, steigt die Anzahl an schweren Fällen und Todesfällen ebenfalls weiter an. Die berichteten R-Werte lagen seit Anfang Oktober stabil deutlich über 1. Im November schwankten die berichteten R-Werte um 1. Seit Anfang Dezember liegt der R-Wert wieder über 1. Dies bedeutet, dass ein Infizierter im Schnitt etwas mehr als eine weitere Person ansteckt. Da die Zahl der infizierten Personen in Deutschland derzeit sehr hoch ist, bedeutet dies weiterhin eine hohe und zunehmende Zahl von Neuerkrankungen. Es steht zu befürchten, dass ab einer bestimmten Schwelle (in aktuellen wissenschaftlichen Einschätzungen wird die Zahl von weniger als 20.000 Neuinfektionen pro Tag in Betracht gezogen) die Kontrolle über das Infektionsgeschehen verlorengeht. Bei Überschreitung des Schwellenwerts sind die Nachverfolgung einzelner Ausbrüche und strikte Isolationsmaßnahmen nicht mehr realisierbar und eine unkontrollierte Ausbreitung in alle Bevölkerungsteile einschließlich vulnerabler Gruppen zu befürchten (Stellungnahme der Gesellschaft für Virologie zu einem wissenschaftlich begründeten Vorgehen gegen die Covid-19 Pandemie, 19.10.2020, https://www.g-f-v.org/sites/default/files/Stellungnahme%20John%20Snow%20Memorandum_Public_3.pdf). Auch in Baden-Württemberg gelingt es derzeit aufgrund der Vielzahl der Neuinfektionen in einer Vielzahl von Fällen nicht mehr, den Ursprung der Infektionen zu ermitteln.

Vor diesem Hintergrund hatte sich der Verordnungsgeber Ende Oktober 2020 - einem Beschluss der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder und der Bundeskanzlerin folgend - dazu entschlossen, weitergehende Maßnahmen zur Beschränkung des öffentlichen Lebens in Deutschland für die Zeit ab dem 02.11.2020 umzusetzen. Ziel dieser Maßnahmen war die Abbremsung des exponentiellen Wachstums sowie die nachhaltige Senkung der Infektionszahlen. Da dieses Ziel nicht bis Ende November erreicht war, wurde zwischen den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten sowie der Bundeskanzlerin am 25.11.2020 vereinbart, die Maßnahmen zu verlängern und teilweise zu verschärfen. Zur Umsetzung dessen wurden mit der ab dem 01.12.2020 geltenden Corona-Verordnung die Schließung zahlreicher Einrichtungen und Betriebe sowie die Begrenzung des Publikumsverkehrs in Einzelhandelsbetrieben angeordnet sowie Bestimmungen zu Kontaktbeschränkungen bei Ansammlungen und privaten Veranstaltungen angeordnet. Ziel dieser Maßnahmen war es, im Rahmen eines sog. "Teil-Lockdowns" oder "Lockdowns light" die Anzahl physischer Kontakte in der Bevölkerung signifikant zu reduzieren, um Infektionsketten zu unterbrechen und die weitere unkontrollierte Ausbreitung des Coronavirus zu stoppen. Der Verordnungsgeber hatte sich in diesem Rahmen dazu entschieden, im Rahmen eines Gesamtkonzepts bestimmte Bereiche des öffentlichen Lebens ("Kinderschutz", "Bildung" sowie "Kernbereiche der (nicht publikumsintensiven) Wirtschaft") von diesen Maßnahmen auszunehmen. Mit den durch die Einschränkungen im Privatbereich sowie den umfassenden Schließungsanordnungen erwartbaren Kontaktreduzierungen sollte die aufgrund des exponentiellen Anstiegs der Neuinfektionen in Gefahr stehende Überlastung des Gesundheitswesens abgewendet werden. Durch die Reduktion der Fallzahlen sollten auch die Gesundheitsämter wieder in die Lage versetzt werden, Infektionsketten nachzuvollziehen, und damit wieder Kontrolle über das Infektionsgeschehen erlangen.

Der Verordnungsgeber ist Ende November 2020 zu der - unter anderem durch die Erhebungen des Robert-Koch-Instituts bestätigten - Einschätzung gelangt, dass mit den seit 01.11.2020 angeordneten Maßnahmen des sog. "Lockdowns light" zwar das exponentielle Wachstum des Infektionsgeschehens zunächst gestoppt, hingegen das Ziel einer Umkehrung der besorgniserregenden Entwicklung des Infektionsgeschehens nicht erreicht werden konnte, sondern dass im Gegenteil ausgehend von einem schon sehr hohen Niveau wieder der Beginn eines erneuten exponentiellen Wachstums der Infektionszahlen festzustellen war. Der Verordnungsgeber hat sich vor diesem Hintergrund dazu entschlossen, das "unmittelbare Ziel" zu verfolgen, "die Anzahl physischer Kontakte in der Bevölkerung umgehend und flächendeckend auf ein absolut erforderliches Mindestmaß zu reduzieren. Nur durch eine umgehende, drastische Beschränkung von Kontakten lässt sich die erneute exponentielle Dynamik des Infektionsgeschehens nicht nur brechen, sondern auch nachhaltig umkehren" (Begründung der Zweiten Änderungsverordnung, a.a.O.). Diesem Ziel dienen die Maßnahmen, die er in der Verordnung zur Änderung der Corona-Verordnung vom 11.12.2020 und der Zweiten Verordnung zur Änderung der Corona-Verordnung vom 15.12.2020 eingeführt hat, darunter der hier streitbefangene § 1c CoronaVO mit den Vorschriften zur Aufenthaltsbeschränkung im öffentlichen Raum.

Mit dem angeordneten Maßnahmenpaket und der angefochtenen Vorschrift verfolgt der Antragsgegner damit insgesamt insbesondere die Ziele einer zielgerichteten und wirksamen Reduzierung von Infektionsgefahren und der Gewährleistung der Nachverfolgbarkeit von Infektionsketten und der Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgungskapazitäten im Land (vgl. Begründung der Zweiten Änderungsverordnung vom 15.12.2020, a.a.O., und der Änderungsverordnung vom 11.12.2020, abrufbar unter https://www.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/dateien/PDF/Coronainfos/201211_Begruendung_zur_1.AenderungsVO_zur_5.CoronaVO.pdf). Diese Ziele sind im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes legitim. Ziel der Regelung ist im Kern der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit jedes Einzelnen wie auch der Bevölkerung insgesamt, wofür den Staat gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG eine umfassende Schutzpflicht trifft (BVerfG, Beschluss vom 16.10.1977 - 1 BvQ 5/77 - juris Rn. 13 f.).

(2) Die angefochtene Vorschrift stellt ein geeignetes Mittel dar, um die genannten legitimen Ziele zu erreichen.

Ein Gesetz ist geeignet, wenn mit seiner Hilfe der erstrebte Erfolg gefördert werden kann (vgl. nur Senat, Beschl. v. 09.04.2020, a.a.O., m.w.N.). Diese Voraussetzung erfüllt die angefochtene Vorschrift. Sie ist insbesondere dazu geeignet, Infektionsketten zu unterbrechen, das exponentielle Wachstum zu stoppen und die Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus zu verlangsamen. Denn sie führt dazu, dass die Normadressaten für die Zeit bis zum 10.01.2021 ihre Wohnungen wegen der bestehenden Beschränkungen nur noch in einem deutlich reduzierten Umfang verlassen werden, was in der gebotenen Gesamtschau zu einer Verringerung der Sozialkontakte führen wird.

Mit dieser Prognose hat der Verordnungsgeber den ihm bei der Beurteilung der Eignung einer Maßnahme zustehenden Beurteilungsspielraum (st. Rspr., vgl. BVerfG, Beschl. v. 09.03.1994 - 2 BvL 43/92 u.a. - BVerfGE 90, 145, 172 f., und Senat, Beschl. v. 09.04.2020, a.a.O., jeweils m.w.N.) aller Voraussicht nach nicht überschritten. Die im Frühjahr 2020 in Deutschland während des sog. ersten Lockdowns sowie im Herbst in anderen europäischen Staaten gesammelten Erfahrungen belegen im Gegenteil, dass der Verordnungsgeber ohne Rechtsfehler davon ausgehen konnte, dass insbesondere umfassende Maßnahmen zur Beschränkung von Sozialkontakten zur Eindämmung des Pandemiegeschehens beitragen (vgl. in diesem Sinne bereits zum sog. ersten Lockdown und zu schon damals teils normierten Ausgangsbeschränkungen BayVerfGH, Entsch. v. 26.03.2020 - Vf. 6-VII-20 -, NVwZ 2020; BayVGH, Beschl. v. 30.03.2020 - 20 NE 20.632 -, NVwZ 2020, 635; zu im Herbst 2020 ergriffenen Maßnahmen dieser Art auch VG Karlsruhe, Beschl. v. 10.12.2020, a.a.O.; VG München, Beschl. v. 29.10.2020 - M 26a S 20.5372 - juris).

Der Antragsteller kann dem nicht mit Erfolg seinen Einwand entgegenhalten, insbesondere nächtliche Ausgangsbeschränkungen seien "völlig sinnlos", weil sich Krankheiten nicht übertrügen, wenn Menschen außerhalb ihrer Wohnung "individuellen Leidenschaften" wie dem Spaziergehen oder der Erkundung der Natur nachgingen. Der Antragsteller erfasst bei diesem Einwand das von dem Verordnungsgeber mit § 1a CoronaVO konkret verfolgte - wie gezeigt, legitime - Ziel, die Anzahl physischer Kontakte in der Bevölkerung in der Zeit bis zum 10.01.2021 umgehend und flächendeckend auf ein absolut erforderliches Mindestmaß zu reduzieren, nicht vollständig. Zur Erreichung dieses Ziels kann eine nächtliche Ausgangssperre - was, wie gezeigt, genügt - schon deshalb zweifelsfrei beitragen, weil damit zum einen unbeabsichtigte Kontakte von Menschen, die auch bei einem nächtlichen Spaziergang und dergleichen stattfinden können, verhindert werden. Hinzu kommt, dass mit solchen Ausgangsbeschränkungen andernfalls bestehende Anreize stark vermindert werden, soziale und gesellige Kontakte im privaten Bereich insbesondere in den Abendstunden zu pflegen, die sich in der Vergangenheit in infektionsbezogener Hinsicht vielfach besonders gefahrträchtig erwiesen haben. Auch insoweit trägt die Vorschrift offensichtlich dazu bei, Sozialkontakte zu reduzieren und damit dem Pandemiegeschehen entgegenzuwirken.

(3) Die Regelungen in § 1c CoronaVO sind zur Erreichung der von dem Verordnungsgeber verfolgten legitimen Ziele auch aller Voraussicht nach im Rechtssinne erforderlich.

Ein Gesetz ist erforderlich, wenn der Gesetzgeber nicht ein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht nicht oder weniger stark einschränkendes Mittel hätte wählen können, wobei dem Gesetzgeber auch insoweit ein Beurteilungsspielraum zusteht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.06.1984 - 1 BvR 1494/78 - juris Rn. 54 ff., und v. 09.03.1994 - 2 BvL 43/92 - juris Rn. 122, jeweils m.w.N.).

Diesen Spielraum hat der Verordnungsgeber aller Voraussicht nach nicht überschritten. Mittel, die den Antragsteller weniger beeinträchtigen würden, aber zur Erreichung der genannten Ziele wenigstens ebenso wirksam wären, hat der Antragsteller mit seinem auch insoweit pauschalen Vorbringen nicht aufgezeigt und sind auch sonst nicht erkennbar. Insbesondere würde eine Regelung, die auf Ausgangsbeschränkungen generell oder in den Nachtstunden verzichten oder weitere Ausnahmetatbestände enthalten würde, offensichtlich nicht in gleichem Maße zu einer Reduzierung der Sozialkontakte und damit des Infektionsgeschehens beitragen, wie die vom Antragsgegner in § 1c CoronaVO normierte Vorschrift.

(4) Die in § 1c CoronaVO getroffenen Regelungen zur Ausgangsbeschränkung sind derzeit auch aller Voraussicht nach verhältnismäßig im engeren Sinne (angemessen).

Der Antragsgegner verfolgt mit den oben beschriebenen Zielen den Schutz von hochrangigen, ihrerseits den Schutz der Verfassung genießenden wichtigen Rechtsgütern. Die Vorschrift dient, wie gezeigt, dazu, - auch konkrete - Gefahren für das Leben und die körperliche Unversehrtheit einer potenziell großen Zahl von Menschen abzuwehren. Die angefochtene Norm bezweckt zugleich, die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems in Deutschland durch die Verlangsamung des Infektionsgeschehens sicherzustellen. Der Antragsgegner kommt damit der ihn aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG grundsätzlich treffenden Schutzpflicht nach.

Der Senat misst den von dem Antragsgegner verfolgten Eingriffszwecken ein sehr hohes Gewicht bei. Er geht insbesondere davon aus, dass die Gefahren, deren Abwehr die angefochtene Vorschrift dient, derzeit in hohem Maße bestehen und das derzeit bereits bestehende exponentielle Wachstum in kurzer Zeit weiter ansteigen kann. Das RKI führt in seiner aktuellen "Risikobewertung zu COVID-19" (Stand 11.12.2020) unter anderem aus:

"Es handelt sich weltweit, in Europa und in Deutschland um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation. Weltweit nimmt die Anzahl der Fälle weiter zu. Der im Oktober sehr steile Anstieg der Fallzahlen in Deutschland konnte durch den Teil-Lockdown ab dem 1. November zunächst in ein Plateau überführt werden. Die Anzahl neuer Fälle blieb aber auf sehr hohem Niveau und steigt seit Anfang Dezember inzwischen wieder stark an. Darüber hinaus ist die Zahl der auf Intensivstationen behandelten Personen und die Anzahl der Todesfälle stark angestiegen.

Das Infektionsgeschehen ist zurzeit diffus, in vielen Fällen kann das Infektionsumfeld nicht mehr ermittelt werden. COVID-19-bedingte Ausbrüche betreffen private Haushalte, das berufliche Umfeld sowie insbesondere auch Alten- und Pflegeheime. Die aktuelle Entwicklung weist darauf hin, dass neben der Fallfindung und der Kontaktpersonennachverfolgung auch der Schutz der Risikogruppen, den das RKI seit Beginn der Pandemie betont hat, noch konsequenter umgesetzt werden muss. Dies betrifft insbesondere den Schutz von Bewohnerinnen und Bewohnern von Alten- und Pflegeheimen. Nur wenn die Zahl der neu Infizierten insgesamt deutlich sinkt, können auch Risikogruppen zuverlässig geschützt werden.

Impfstoffe sind noch nicht flächendeckend verfügbar und die Therapie schwerer Krankheitsverläufe ist komplex und langwierig.

Das Robert Koch-Institut schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch ein. Diese Einschätzung kann sich kurzfristig durch neue Erkenntnisse ändern."

(https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html, zuletzt abgerufen am 17.12.2020, Hervorhebung im Original).

Diese Einschätzung des RKI beruht auf einer Auswertung der zurzeit vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse und ist - anders als die unter Verkennung von verwaltungsprozessrechtlichen Maßstäben auf ein "Bestreiten mit Nichtwissen" beschränkte und an dem vorstehenden Stand der wissenschaftlichen Einschätzungen vorbeigehende pauschale Behauptung des Antragstellers, es gebe keinen "wissenschaftlichen Hintergrund" für einen Kausalzusammenhang zwischen COVID-19 und einem Anstieg der davon verursachten oder mitverursachten Todesfälle - inhaltlich nachvollziehbar. Sie gibt dem Senat Anlass, die vom Antragsgegner mit § 1c CoronaVO verfolgten Zwecke mit einem sehr hohen Gewicht in die gebotene Abwägung einzustellen.

Die dem entgegenstehenden - grundrechtlich geschützten - Belange des Antragstellers, die für die Beurteilung der Zumutbarkeit der angefochtenen Bestimmung und des mit ihr bewirkten Grundrechtseingriffs zu berücksichtigen sind, sind zwar von einigem Gewicht. Diese Beeinträchtigungen - wie beispielsweise der von ihm hervorgehobene Verzicht auf nächtliche Spaziergänge und Tierbeobachtungen oder die Unannehmlichkeit, den eigenen Tabakbedarf vorausschauend tagsüber decken zu müssen - sind ihm aber bei der gebotenen Abwägung zum gegenwärtigen Zeitpunkt zumutbar. Seinen Belangen gegenüber stehen die gravierenden Folgen für Leib und Leben einer Vielzahl vom Coronavirus Betroffener, für die der Staat nach Art. 2 Abs. 2 GG eine Schutzpflicht hat, und die damit verbundene Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems Deutschlands. Diese Ziele überwiegen in der gebotenen Abwägung gegenwärtig die beeinträchtigten Interessen des Antragstellers.

Letzteres gilt umso mehr, als § 1c CoronaVO für zahlreiche wichtige Bereiche des sozialen und wirtschaftlichen Lebens Ausnahmebestimmungen trifft. Der Verordnungsgeber hat zudem in § 1c Abs. 1 Nr. 17 und Abs. 2 Nr. 12 CoronaVO Auffangtatbestände geschaffen ("sonstige vergleichbar gewichtige Gründe"), die einer Auslegung im Lichte der Grundrechte zugänglich sind. Diese Vorschriften gewährleisten zusätzlich, dass die Anwendung der Norm keine unzumutbaren Ergebnisse im Einzelfall bewirkt.

Hinzu kommt weiter, dass die angefochtene Vorschrift mit Ablauf des 10.01.2021 ipso iure außer Kraft tritt und der Verordnungsgeber bei der Entscheidung, ob er danach ähnliche Regelungen trifft, der von Verfassungs wegen bestehenden Verpflichtung zur fortlaufenden Überprüfung unterliegt, die sich insbesondere darauf erstreckt, wie wirksam die Maßnahmen im Hinblick auf eine Verlangsamung der Verbreitung des Coronavirus sind und wie sie sich auf die Normadressaten auswirken. Dass der Antragsgegner dieser Verpflichtung, die er seit Beginn der Corona-Pandemie ganz überwiegend erfüllt hat, in Bezug auf die in § 1c CoronaVO enthaltenen Regelungen nicht nachkommen wird, ist nicht erkennbar.

In der gebotenen Zusammenschau dieser Gesichtspunkte erweist sich der durch die angefochtene Vorschrift bewirkte Eingriff in die in Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit des Antragstellers und der übrigen Normadressaten derzeit aller Voraussicht nach als angemessen (verhältnismäßig i.e.S.).

ee) Ob die in § 1c CoronaVO enthaltenen Regelungen einen Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts des Antragstellers auf Freizügigkeit aus Art. 11 GG bewirken (vgl. dazu Senat, Beschl. v. 05.11.2020 - 1 S 3405/20 - und v. 15.10.2020 - 1 S 3156/20 - juris), bedarf im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes keiner Entscheidung. Ein solcher Eingriff ist gegebenenfalls jedenfalls voraussichtlich verfassungsrechtlich gerechtfertigt, insbesondere aus den dazu oben (unter dd)) genannten Gründen, die auch unter Berücksichtigung der Bedeutung des Grundrechts auf Freizügigkeit insoweit im Wesentlichen entsprechend gelten, verhältnismäßig.

ff) Überwiegende Erfolgsaussichten gewinnt der Normenkontrollantrag in der Hauptsache auch nicht im Lichte des Grundrechts auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Auch dieses wird durch die angefochtene Vorschrift aller Voraussicht nach nicht verletzt.

Das in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistete Grundrecht schützt die körperliche Bewegungsfreiheit. Es bedarf im vorliegenden Eilrechtsverfahren keiner Entscheidung der im Einzelnen - wegen des Hintergrunds der Norm im Habeas-Corpus-Recht und des Normzusammenhangs mit Art. 104 Abs. 2 GG - umstrittenen Fragen, ob damit ohne weitere Voraussetzungen die Freiheit erfasst ist, sich an beliebige Orte zu bewegen (vgl. zum Meinungsstand, Murswiek/Rixen, in: Sachs, GG, 8. Aufl., Art. 2 Rn. 228 ff.; Lang, in: Epping/Hillgruber, BeckOK Grundgesetz, 42. Ed., Art. 2 Rn. 84; jeweils m.w.N.), und unter welchen Voraussetzungen Beeinträchtigungen der Bewegungsfreiheit als Eingriffe anzusehen sind (vgl. dazu Lang, a.a.O., Art. 2 Rn. 86 ff.). Auch, wenn die in § 1c CoronaVO normierten Ausgangsbeschränkungen als Eingriffe in das Grundrecht des Antragstellers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG einzuordnen sein sollten, würden sich diese Eingriffe aller Voraussicht nach als gerechtfertigt, insbesondere aus den dazu oben genannten und auch hier entsprechend geltenden Gründen als verhältnismäßig erweisen (vgl. zu grundsätzlichen Beherbergungsverboten für private Reisende während der Corona-Pandemie Senat, Beschl. v. 05.11.2020, a.a.O.; s. auch Senat, Beschl. v. 18.05.2020 - 1 S 1357/20 - juris).

gg) Eine Verletzung der in Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Menschenwürde bewirkt § 1c CoronaVO ebenfalls nicht.

Von der Vorstellung ausgehend, dass der Mensch in Freiheit sich selbst bestimmt und entfaltet (vgl. BVerfG, Urt. v. 30.06.1999 - 2 BvE 2/08 u.a. - BVerf-GE 123, 267 <413> m.w.N.), umfasst die Garantie der Menschenwürde insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität (vgl. BVerfG, Urt. v. 17.01.2017 - 2 BvB 1/13 - BVerfGE 144, 20 <207>). Damit ist ein sozialer Wert- und Achtungsanspruch verbunden, der es verbietet, den Menschen zum "bloßen Objekt" staatlichen Handelns zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt (vgl. BVerfG, Urt. v. 17.01.2017, a.a.O., m.w.N.; Senat, Beschl. v. 18.05.2020 - 1 S 1357/20 - juris zur sog. Maskenpflicht). Einer solchen ihn zum Objekt degradierenden Behandlung wird der Antragsteller durch die in § 1c CoronaVO für gut drei Wochen geregelten und durch zahlreiche Ausnahmen relativierten Aufenthaltsbeschränkungen nicht ansatzweise unterworfen. Daran ändert auch der von dem Antragsteller hervorgehobene Umstand nichts, dass er aufgrund der Regelung unter Umständen gehalten sein kann, den Grund für das Verlassen seiner Wohnung anzugeben.

b) Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist in Bezug auf die von dem Antragsteller angegriffene Vorschrift aus § 1c CoronaVO auch nicht im vorstehenden Sinn geboten.

Dies folgt bereits daraus, dass ein Normenkontrollantrag, wie gezeigt (a)), voraussichtlich unbegründet ist. In einem solchen Fall ist - wie oben dargelegt - der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Unbeschadet dessen ist eine erhebliche, die von dem Antragsgegner vorgebrachten Interessen des Schutzes von Leib und Leben überwiegende Beeinträchtigung der Belange des Antragstellers auch in dieser Hinsicht nicht ersichtlich. Die Einschränkungen, die er aufgrund von § 1c CoronaVO derzeit und bis zum 10.01.2021 hinnehmen muss, sind ihm im Rahmen der gebotenen Abwägung zumutbar.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG. Für eine Halbierung des Auffangstreitwerts bestand im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wegen der weitgehend begehrten Vorwegnahme der Hauptsache kein Anlass.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.