SG Würzburg, Beschluss vom 17.08.2020 - S 4 KR 342/20 ER
Fundstelle
openJur 2020, 80215
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung wird abgelehnt.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Antragsgegnerin vom 22.06.2020, mit dem sie aufgrund rückständiger Beitragszahlungen des Antragstellers für die Zeit vom 01.03.2020 bis zum 31.05.2020 das Ruhen des Anspruchs des Antragstellers auf Leistungen aus der Krankenversicherung bei ihr feststellt.

Der Antragsteller bezog in der Zeit vom 01.01.2011 bis 29.02.2020 vom Jobcenter im Landkreis B Arbeitslosengeld II nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Er war bis 01.03.2020 bei der Antragsgegnerin nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) krankenversichert. Aufgrund eines laufenden Rentenverfahrens - der Antragsteller hat am 19.09.2017 einen Antrag bei der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern auf Erwerbsminderungsrente gestellt - ist er seit 01.03.2020 als Rentenantragsteller nach §§ 5 Abs. 1 Nr. 11, 189 SGB V bei der Antragsgegnerin krankenversichert.

Zur Klärung der Frage, ob die Versicherung ab 01.03.2020 beitragsfrei bzw. in welcher Höhe die Beiträge zu berechnen sind, versandte die Antragsgegnerin am 04.03.2020 einen Einkommensfragebogen an den Antragsteller. Aufgrund ausstehender Rückantwort erinnerte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 28.04.2020 an die Rücksendung des Einkommensfragebogens. Der Antragsteller übersandte am 06.05.2020 den Einkommensfragebogen an die Antragsgegnerin und erklärt insoweit, er verfüge seit dem 01.03.2020 über keine Einnahmen.

Mit Bescheid vom 12.05.2020 setzte die Antragsgegnerin die monatlichen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für den Antragsteller auf insgesamt 195,35 EUR fest. Gleichzeitig wies sie den Antragsteller darauf hin, dass die monatlichen Beiträge jeweils bis zum 15. des Monats für den Vormonat zu zahlen sind und zum 12.05.2020 Beitragsrückstände in Höhe von 397,20 EUR (Beitrag 03/2020: 195,35 EUR, Säumniszuschlag 03/2020: 1,50 EUR, Mahngebühr 03/2020: 5 EUR, Beitrag 04/2020: 195,35 EUR) bestehen.

Gegen den Bescheid vom 12.05.2020 hat der Antragsteller am 18.05.2020 Klage beim Sozialgericht Würzburg erhoben. Das Verfahren wird unter dem Aktenzeichen S 4 KR 222/20 geführt. Das Gericht informierte den Antragsteller mit Schreiben vom 04.06.2020 darüber, dass die gegen den Bescheid vom 12.05.2020 erhobene Klage unzulässig ist, da kein Vorverfahren stattgefunden hat. Gleichzeitig erfolgte der Hinweis, dass die Klage vom 18.05.2020 als Widerspruch gegen den Bescheid vom 12.05.2020 auszulegen ist.

Mit Beitragsbescheiden vom 22.05.2020 und vom 19.06.2020 forderte die Antragsgegnerin vom Antragsteller die fälligen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung mit Säumniszuschlägen und Mahngebühren für die Zeit vom 01.03.2020 bis 30.04.2020 bzw. bis 31.05.2020. Sie forderte in beiden Bescheiden zur Zahlung des jeweiligen Gesamtbetrages innerhalb einer Woche auf und wies darauf hin, dass für Beiträge, die nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt sind, monatlich Säumniszuschläge in Höhe von 1 Prozent des rückständigen, auf 50 EUR nach unten abgerundeten Beitrages erhoben und zusätzlich Mahngebühren berechnet werden. Außerdem wies sie den Antragsteller in beiden Bescheiden darauf hin, dass im Fall von Beitragsrückständen die Leistungsansprüche in der Krankenversicherung ruhen, sofern der Rückstand zwei Wochen nach Zugang der Mahnung höher ist als der Beitragsanteil für einen Monat. Zudem wies die Antragsgegnerin darauf hin, dass unter den Voraussetzungen des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch (SGB XII) die Übernahme von Krankenversicherungsbeiträgen durch den Sozialhilfeträger möglich ist.

Die Antragsgegnerin erließ im Hinblick auf den Widerspruch gegen den Bescheid vom 12.05.2020 am 17.06.2020 einen Widerspruchsbescheid.

Mit Bescheid vom 22.06.2020 stellte die Antragsgegnerin fest, dass der Anspruch des Antragstellers auf Leistungen aus der Krankenversicherung drei Tage nach Zugang des Bescheides, d.h. ab 29.06.2020 ruht.

Das Gericht hat den Antragsteller im Verfahren S 4 KR 222/20 mit Schreiben vom 17.07.2020 zu einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid nach § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört.

Mit Schreiben vom 22.07.2020, bei Gericht eingegangen am 24.07.2020, hat der Antragsteller im Verfahren S 4 KR 222/20 Folgendes erklärt: "Ich stelle sofort den Antrag auf - Versicherungs AOK Schutz - seit 1. März 2020 Antrag ER-Rechtsschutz." Der Antragsteller übersandte insoweit die erste Seite eines Schreibens der Antragsgegnerin vom 21.07.2020, das im Betreff die Angabe "Rückständige Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung - Leistungsbescheid" enthält, und mit dem der Antragsteller darauf hingewiesen wurde, dass sein Anspruch auf Leistungen aus der Krankenversicherung bei der Antragsgegnerin ruhe, da die Zahlung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 819,40 EUR ausstünde.

Auf die im hiesigen Verfahren eingeholte Stellungnahme der Antragsgegnerin zum Eilrechtsantrag, die dem Antragsteller zur Stellungnahme übersandt wurde, äußert sich der Antragsteller auf mehreren handschriftlich verfassten Seiten bezüglich des hiesigen Verfahrens nur dergestalt, dass es - mit Verweis auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. November 2019 (1 BvL 7/16) "zu keinem Totalausfall nach Urteil - im gesamten Versicherungsschutz kommen" dürfe.

Das Gericht bat daraufhin die Antragsgegnerin um Übersendung des Schreibens vom 21.07.2020. Es hat außerdem die Verwaltungsakte, die die Antragsgegnerin im Verfahren S 4 KR 222/20 zur Verfügung gestellt hat, zum hiesigen Verfahren zugezogen.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

das Ruhen der Leistungsansprüche im Eilrechtsschutzverfahren (vorläufig) aufzuheben.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie führt aus, dass für den Antragsteller ab 01.03.2020 eine Versicherung als Rentenantragsteller und somit Versicherungsschutz bestehe. Dass der Antragsteller derzeit nur sofort notwendige Leistungen in Anspruch nehmen könne, begründe sich in der Nichtzahlung der Rentenantragstellerbeiträge in der Zeit vom 01.03.2020 bis zum 31.05.2020. Die Antragsgegnerin verweist insoweit auf den Ruhensbescheid vom 22.06.2020. Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II oder Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) sei durch den Antragsteller trotz Hinweises nicht vorgetragen worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin sowie der Gerichtsakte Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Eilrechtsschutz ist bereits unzulässig.

Die Erklärung des Antragsstellers in seinem Schreiben vom 22.07.2020: "Ich stelle sofort den Antrag auf - Versicherungs AOK Schutz - seit 1. März 2020 Antrag ER-Rechtsschutz" ist an das Sozialgericht Würzburg gerichtet und lautet ausdrücklich auf "ER-Rechtsschutz". Vor dem Hintergrund der Erfahrungen und Kenntnisse des Antragstellers, der bereits zahlreiche gerichtliche Verfahren, unter anderem auch Eilrechtsschutzverfahren, vor dem Sozialgericht Würzburg geführt hat, kann seine ausdrückliche Erklärung nur als Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz, nicht aber als Widerspruch ausgelegt werden.

Ziel des Antragstellers ist es im vorliegenden Eilrechtsverfahren, "vollen" Versicherungsschutz bei der Antragsgegnerin ab 01.03.2020 zu erhalten. Seine Erklärung im Schreiben vom 22.07.2020 ist, zusammen mit der Vorlage der ersten Seite des Schreibens der Antragsgegnerin vom 21.07.2020, dahingehend auszulegen, dass er sich im Wege des Eilrechtsschutzes gegen den Ruhensbescheid der Antragsgegnerin vom 22.06.2020 zur Wehr setzen möchte, um weiterhin "vollen" Anspruch auf Leistungen nach dem SGB V zu haben. Auch wenn der Antragsteller seinem Antrag die erste Seite des Schreibens der Antragsgegnerin vom 21.07.2020, nicht aber den eigentlichen Ruhensbescheid vom 22.06.2020 beigefügt hat, ist sein Antrag dahingehend auszulegen, dass er gegen den Ruhensbescheid vom 22.06.2020 gerichtet ist. Dies gründet sich darin, dass das Schreiben vom 21.07.2020 rein wiederholender und deklaratorischer Natur ist und im Vergleich zum Bescheid vom 22.06.2020 keine eigenständigen Regelungen aufweist. Es wird lediglich die "neue" Gesamtsumme der rückständigen Beiträge genannt. Da dem Schreiben vom 21.07.2020 somit kein eigenständiger Regelungscharakter für den Einzelfall zukommt, handelt es sich dabei nicht um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X).

Der Antrag auf Eilrechtsschutz gegen den Ruhensbescheid vom 22.06.2020 ist unzulässig. Der Antragsteller hätte gegen diesen Bescheid rechtzeitig Widerspruch einlegen müssen. Darauf ist der Antragsteller auch mit entsprechender Rechtsbehelfsbelehrung:im Bescheid vom 22.06.2020 durch die Antragsgegnerin hingewiesen worden. Nur in diesem Fall hätte die Möglichkeit eines zulässigen Eilrechtsantrages bestanden, der darauf gerichtet gewesen wäre, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen. Der Ruhensbescheid vom 22.06.2020 ist aber durch den zwischenzeitlichen Ablauf der Widerspruchsfrist von einem Monat nach Bekanntgabe bestandskräftig geworden.

Da Eilrechtsschutz nach § 86b Abs. 2 SGG nach dem Wortlaut von Abs. 2 Satz 1 nur Anwendung findet, soweit kein Fall des Absatzes 1 vorliegt, d.h. nur soweit keine Anfechtungssache vorliegt (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13. Auflage 2020, § 86b Rn. 24), käme vorliegend überhaupt nur Eilrechtsschutz nach § 86b Abs. 1 SGG in Betracht, da sich der Antragsteller gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 22.06.2020 zur Wehr setzen möchte.

Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.

Vorliegend ist ein Fall von § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG gegeben, da einem Widerspruch gegen den Ruhensbescheid nach § 16 Abs. 3a Satz 2 SGB V i.V.m. § 16 Abs. 2 Satz 4 Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) keine aufschiebende Wirkung zukommt (vgl. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24. September 2008, L 16 B 36/08 KR ER; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13. Auflage 2020, § 86a Rn. 16d). Dies folgt aus § 16 Abs. 3a Satz 2 SGB V, der für Versicherte nach dem SGB V - wie den Antragsteller - strukturell unterschiedliche Teilregelungen enthält. Maßgebend für den hier beantragten Eilrechtsschutz ist der 1. Satzteil dieser Vorschrift ("Satz 1 gilt entsprechend ..."). Danach überträgt der Gesetzgeber die Folgen eines Beitragsrückstandes auch für Versicherte nach dem SGB V einer entsprechenden Anwendung des § 16 Abs. 2 KSVG (BT-Drs. 16/4247, S. 63). Widerspruch und Anfechtungsklage gegen den Ruhensbescheid haben nach Satz 4 dieser Vorschrift keine aufschiebende Wirkung, d.h., sie hindern nicht, aus der Entscheidung rechtliche und tatsächliche Folgen zu ziehen. Hierbei handelt es sich um eine nach § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG entsprechende Ausnahmeregelung von dem in § 86a Abs. 1 Satz 2 SGG enthaltenen Grundsatz der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen bzw. Rechtsmitteln auch bei feststellenden Verwaltungsakten. Diese Regelung soll dem Zweck der Ruhensregelung Rechnung tragen und der Nichtzahlung von Beiträgen "spürbare Konsequenzen" (BT-Drs. 16/427, S. 31) zuordnen.

Der Antragsteller hat vorliegend weder Widerspruch gegen den Bescheid vom 22.06.2020 eingelegt, noch Anfechtungsklage erhoben. Widerspruch bzw. Anfechtungsklage hat der Antragsteller lediglich gegen den Kostenbescheid vom 12.05.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.06.2020 im Verfahren S 4 KR 222/20 erhoben. Auch Eilrechtsschutz nach den anderen Regelungen in § 86b Abs. 1 SGG scheidet im vorliegenden Fall aus.

Der Bestandskraft des Ruhensbescheides vom 22.06.2020 und einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung:steht vorliegend nicht entgegen, dass in den Beitragsbescheiden vom 22.05.2020 und vom 19.06.2020 darauf hingewiesen wurde, dass im Fall von Beitragsrückständen die Leistungsansprüche in der Krankenversicherung ruhen, sofern der Rückstand zwei Wochen nach Zugang der Mahnung höher ist als der Beitragsanteil für einen Monat, § 16 Abs. 3a Satz 2 SGB V aber einen Rückstand in Höhe von Beitragsanteilen für zwei Monate verlangt, da diese Voraussetzung zum Zeitpunkt des Erlasses der Beitragsbescheide jedenfalls erfüllt war.

Der Antragsteller hat die Möglichkeit, einen Antrag auf Überprüfung des Ruhensbescheides nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) bei der Antragsgegnerin zu stellen. Insoweit wird die Antragsgegnerin aufgrund der Äußerungen des Antragstellers im vorliegenden Verfahren prüfen müssen, ob der Antragsteller hilfebedürftig im Sinne des SGB II oder SGB XII ist. Der Antragsteller äußert sich in seinem Schreiben vom 03.08.2020 (Bl. 20 der Gerichtsakte, Vorder- und Rückseite) dahingehend, dass er in Geldnot und es ihm nicht möglich sei, Forderungen selbst zu zahlen. Zusätzlich äußert er in den beigefügten Unterlagen (Bl. 23) "weil man vor Ort verhungert".

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

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