VG Trier, Urteil vom 28.10.2020 - 9 K 2026/20.TR
Fundstelle
openJur 2020, 80214
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid des Beklagten, mit welchem dieser die Entscheidung über das Wiederaufgreifen des Verfahrens zur Festsetzung immissionsschutzrechtlicher Gebühren zurückgenommen hat.

Mit Schreiben vom 8. Februar 2018 erhielt die Klägerin einen immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheid. Im Rahmen dessen wurden u.a. Gebühren nach dem Landesgebührengesetz für Rheinland-Pfalz - LGebG - i.V.m. Nummer 4.1.1.1 der Anlage zu § 2 Abs. 1 der Landesverordnung über Gebühren im Geschäftsbereich des Ministeriums für Umwelt, Forsten und Verbraucherschutz Rheinland-Pfalz - Besonderes Gebührenverzeichnis - vom 20. April 2006 in der Fassung vom 1. Dezember 2010 i.H.v. 370.000 € festgesetzt. Die Gebühr wurde von der Klägerin vollständig beglichen.

Mit Beschluss vom 30. Mai 2018 - 1 BvR 45/15 - erklärte das Bundesverfassungsgericht die Nummer 4.1.1.1 des besonderen Gebührenverzeichnisses vom 20. April 2016 in der Fassung vom 1. Dezember 2010 mangels hinreichender Bestimmtheit des Gebührenrahmens für unvereinbar mit Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 des Grundgesetzes - GG -. Nach dem Beschluss führt die Unvereinbarkeitserklärung zur Unanwendbarkeit der Norm. Laufende Gerichts- und Verwaltungsverfahren, in denen Nummer 4.1.1.1 des besonderen Gebührenverzeichnisses entscheidungserheblich ist, bleiben bis zu einer gesetzlichen Neuregelung ausgesetzt oder sind auszusetzen. Erfolgt nicht bis zum 31. Dezember 2018 eine verfassungsgemäße Neuregelung, tritt Nichtigkeit ein.

Am 26. Oktober 2018 stellte die Klägerin einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 51 VwVfG hinsichtlich der auf Nummer 4.1.1.1 des besonderen Gebührenverzeichnisses beruhenden Gebühr. Zur Begründung des Antrags stützte sich die Klägerin auf § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG. In Folge des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Mai 2018 habe sich die Rechtslage geändert. Durch die Unvereinbarkeitserklärung sei Nummer 4.1.1.1 des besonderen Gebührenverzeichnisses unanwendbar und damit funktionslos geworden, was einer Rechtsänderung gleichstehe.

Mit Bescheid vom 7. November 2018 wurde das Verfahren von dem Beklagten wiederaufgegriffen. Die Entscheidung in der Sache wurde bis zum Erlass einer neuen Gebührenordnung durch den Landesgesetzgeber ausgesetzt. Eine Begründung enthielt der Bescheid nicht.

Mit Rundschreiben vom 16. November 2018 erteilte das Ministerium für Umwelt, Energie, Ernährung und Forsten allgemeine Hinweise zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Mai 2018 - 1 BvR 45/15 - und zu § 51 VwVfG an die Immissionsschutzbehörden. Bestandskräftig abgeschlossene Kosten-/Gebührenverfahren sollten hiernach von dem Beschluss unberührt bleiben, da die Nichtigkeit der angegriffenen Gebührenregelung nicht rückwirkend, sondern erst ab dem 31. Dezember 2018 eintrete, sofern bis dahin keine verfassungskonforme Neuregelung in Kraft getreten ist. Ein Wiederaufgreifen des Verfahrens könne insbesondere nicht auf § 51 Abs. 1 Ziff. 1 VwVfG gestützt werden. Die Nichtigerklärung einer Rechtsnorm durch das Bundesverfassungsgericht stelle keine Änderung der Rechtslage dar.

Durch die Landesverordnung zur Änderung der Landesverordnung über Gebühren im Geschäftsbereich des Ministeriums für Umwelt, Forsten und Verbraucherschutz Rheinland-Pfalz vom 28. November 2018 (GVBl. S. 405) wurde Nr. 4.1.1.1 des besonderen Gebührenverzeichnisses neu gefasst, wonach sich die Gebühr nunmehr nach der Höhe der Errichtungskosten bemisst. Nach Art. 2 der Änderungsverordnung tritt die Neufassung zum 13. Mai 2006 in Kraft. Bei Anwendung der neuen Gebührenverordnung beliefe sich die von der Klägerin zu zahlende Gebühr nunmehr auf 157.150,00 €.

Mit Schriftsatz vom 17. Januar 2019 beantragte die Klägerin, das Verfahren fortzusetzen, über den am 8. Februar 2018 erteilten Gebührenbescheid nach der aktuellen Rechtslage erneut zu entscheiden und die überzahlten Gebühren i.H.v. 212.850 € zurückzuzahlen.

Mit Bescheid vom 22. Januar 2019 nahm der Beklagte die Entscheidung vom 7. November 2018 bzgl. des Wiederaufgreifens des Verfahrens zurück. Zum einen sei die "veränderte Rechtslage" - wie sie durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Mai 2018 festgestellt wurde - nur auf laufende Verfahren bezogen. Eine Rückwirkung lasse sich der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht entnehmen. Darüber hinaus sei die "veränderte Rechtslage" auf den vorliegenden Fall per se nicht anwendbar. Grundlage der Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts sei die fehlende Vorhersehbarkeit der Höhe der Gebührenlast für die Betroffenen. Vorliegend träfen diese Erwägungen nicht zu, da der in Rede stehende Bescheid vom 8. Februar 2018 bestandskräftig und die Gebührenlast bereits vollständig beglichen sei. Im Übrigen sei anerkannt, dass gerichtliche Entscheidungen, welche die Unwirksamkeit oder Nichtigkeit von Rechtsvorschriften feststellen, keine Änderung der Rechtslage i.S. des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG herbeiführen. Insbesondere sei Nr. 4.1.1.1 des besonderen Gebührenverzeichnisses auch nicht funktionslos. Die gleiche Rechtsauffassung vertrete auch das Ministerium für Umwelt, Energie, Ernährung und Forsten in seinem Rundschreiben vom 16. November 2018. Auf den Bestand der Entscheidung vom 7. November 2018 habe die Klägerin nicht vertrauen können.

Gegen den Bescheid vom 22. Januar 2019 legte die Klägerin Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie - in Ergänzung ihres Vortrags im Wiederaufgreifensverfahren - aus, eine ausdrückliche Regelung der Rückwirkung sei nicht erforderlich, da § 51 VwVfG gerade den Sinn habe, unanfechtbar gewordene Verwaltungsakte durch die Wiederaufnahme anzugreifen. Der Grund für die Unvereinbarkeit einer Rechtsvorschrift sei zudem irrelevant. Bei dem Schreiben des zuständigen Ministeriums handele es sich nur um einen Hinweis, welcher den Widerspruchsgegner nicht von einer Einzelfallprüfung freistelle. Überdies handele es sich bei dem Bescheid über das Wiederaufgreifen des Verfahrens um einen begünstigenden Verwaltungsakt, der eine Geldleistung gewähre, sodass die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S.1 VwVfG maßgeblich seien. Diese seien nicht gegeben. Die Klägerin habe auf den Bestand des Bescheides vertraut und das Vertrauen sei auch schutzwürdig. Zudem sei ein Widerruf gemäß § 49 Abs. 2 VwVfG ebenfalls rechtswidrig.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 2020 wies der Kreisrechtsausschuss des Beklagten den Widerspruch der Klägerin zurück. Ergänzend zur Begründung im Rücknahmebescheid führte er aus, dass sich die Rechtslage nicht i.S.v. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG geändert habe. Für eine Nichtigerklärung zeige § 79 Abs. 2 BVerfGG, dass gerade nicht alle auf der Grundlage des nichtigen Gesetzes ergangenen Entscheidungen ungültig würden. Dies gelte nach herrschender Rechtsprechung auch nach einer Unvereinbarkeitserklärung, bei welcher § 79 BVerfGG analog anzuwenden sei. Im Übrigen handele es sich bei dem Wiederaufgreifen des Verfahrens zwar um einen begünstigenden Verwaltungsakt. Ein schutzwürdiges Vertrauen im Hinblick auf die Erstattung von Gebühren sei aber nicht zuzugestehen. Hierfür habe im Zeitpunkt der Entscheidung auch keine Rechtsgrundlage bestanden. Leistungen, die die Klägerin i.S. des § 48 Abs. 2 VwVfG hätte verbrauchen können, habe sie nicht erhalten. Unumkehrbare Vermögensdispositionen habe sie ebenfalls nicht getroffen. Der Kreisrechtsausschuss führte in diesem Zusammenhang insbesondere aus:

"Ein schutzwürdiges Vertrauen im Hinblick auf eine Erstattung von Gebühren ist aber nicht zuzugestehen. Die Gebühren waren bereits beglichen. Zudem wurde lediglich über ein Wiederaufgreifen entschieden, nicht aber über eine bezifferte geminderte Gebührenlast. [...] Die Widerspruchsführerin hatte lediglich nachträglich zeitweise die Chance, im Rahmen einer Neuregelung durch den Verordnungsgeber einen Teil der Gebühren wieder erstattet zu bekommen.

Dadurch kann der Widerspruchsgegner aber nicht daran gehindert sein, seine infolge von nachträglichen Hinweisen des Ministeriums als rechtswidrig erkannte Entscheidung wieder zur korrigieren. Insoweit hat die Rechtmäßigkeit der Verwaltung Vorrang vor der Hoffnung auf eine nachträgliche Gebührenerstattung. Auch ergibt die Einzelfallprüfung, dass hier keine Besonderheiten vorliegen, die eine abweichende Behandlung von der grundsätzlichen Rechtsauffassung des Ministeriums rechtfertigen."

Ebenso wenig sei ein Fall des § 49 VwVfG gegeben. Das Wiederaufgreifen des Verfahrens sei von Anfang an - wenn auch zunächst unerkannt - rechtswidrig gewesen.

Der Widerspruchsbescheid wurde der Klägerin am 25. Mai 2020 zugestellt.

Am 24. Juni 2020 hat die Klägerin Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren aus dem Verwaltungsverfahren weiterverfolgt.

Sie ist der Auffassung, der Bescheid vom 7. November 2018 habe nicht zurückgenommen werden dürfen. Das Wiederaufgreifen des Verfahrens sei rechtmäßig gewesen. Als Rechtsgrundlage für das Wiederaufgreifen komme sowohl § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG, als auch § 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 VwVfG in Betracht. Da sich dem Wiederaufgreifensbescheid keine Rechtsgrundlage entnehmen lasse, könne der Beklagte sich nicht nachträglich - im Rahmen der Rücknahme - eine Rechtsgrundlage aussuchen, die für ihn günstig sei. Außerdem sei spätestens mit der Gebührenänderungsverordnung vom 28. November 2018 eine Rechtsänderung eingetreten. Die Gebührenänderungsverordnung sei rückwirkend in Kraft gesetzt worden. Dass sie nur für noch nicht abgeschlossene Gebührenverfahren gelten soll, sei ihrem Wortlaut nicht zu entnehmen. Eine verbindliche Begründung des Verordnungsgebers sei nicht ersichtlich. Darüber hinaus sei die Rücknahme auch deshalb rechtswidrig, weil der Beklagte weder im Rücknahme-, noch im Widerspruchsbescheid das ihm eingeräumte Ermessen erkannt und deshalb auch nicht entsprechend den Vorgaben des Gesetzes ausgeübt und erst recht nicht ordnungsgemäß begründet habe. Es sei 1:1 das Rundschreiben des Ministeriums umgesetzt worden. Der Wiederaufgreifensbescheid sei außerdem Voraussetzung für die Rückzahlung rechtswidrig erhobener Verwaltungsgebühren, sodass § 48 Abs. 2 VwVfG Anwendung finde. Eine entsprechende Abwägung habe weder im Rücknahmebescheid, noch im Widerspruchsverfahren stattgefunden. Eine Umdeutung des angefochtenen Rücknahmebescheides in einen Widerrufsbescheid sei wegen Ermessensfehlern nach § 47 VwVfG nicht zulässig.

Die Klägerin beantragt

die Aufhebung des Rücknahmebescheides vom 22. Januar 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2020.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung beruft er sich im Wesentlichen auf den Inhalt des angegriffenen Bescheides vom 22. Januar 2019 und des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2020. Insbesondere sei Ermessen ausgeübt worden. Es sei eine Einzelfallprüfung erfolgt. Sie habe zu dem Ergebnis geführt, dass auf Seiten der Klägerin lediglich die Aussicht auf eine nachträgliche Gebührenermäßigung abwägungserheblich sei, während auf Seiten der Genehmigungsbehörde dem Aspekt der Rechtmäßigkeit der Verwaltung der Vorrang einzuräumen sei. Die ursprüngliche Gebührenfestsetzung sei rechtmäßig und auch aufrecht zu erhalten. Unter Haushaltsgesichtspunkten sei die Verwaltung nicht befugt, auf ihr zustehende Gebühren zu verzichten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Unterlagen Bezug genommen. Diese lagen vor und waren Gegenstand der Urteilsfindung. Außerdem wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 1. Alt. der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - statthaft und auch im Übrigen zulässig, führt jedoch in der Sache nicht zum Erfolg.

Der Bescheid des Beklagten vom 22. Januar 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Kreisrechtsausschusses des Beklagten vom 19. Mai 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO. Der Bescheid vom 7. November 2018 über das Wiederaufgreifen des Verfahrens durfte gemäß § 1 Abs. 1 des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes - LVwVfG - i.V.m. § 48 des Verwaltungsverfahrensgesetzes - VwVfG - zurückgenommen werden.

Nach § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes setzt nach Satz 2 das Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 bis 4 VwVfG voraus.

1. Die Entscheidung über das Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 VwVfG ist ein Verwaltungsakt i.S. des § 35 S. 1 VwVfG (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10. Dezember 2008 - 9 S 1099/08 -, juris m.w.N.; Hufen/Siegel, Fehler im Verwaltungsverfahren, Teil 3: Besondere Verfahrensarten, beck-online). Eine Regelung enthält diese Entscheidung dahingehend, ob die Behörde eine erneute Sachentscheidung zu treffen hat oder ob es bei der Bestandskraft des unanfechtbar gewordenen Ablehnungsbescheids verbleibt (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 23.02.2004 - 5 B 104/03 -; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl. 2006, § 11 Rn. 55).

Dieser Verwaltungsakt, also die Entscheidung über das Wiederaufgreifen, war rechtswidrig, da die Voraussetzungen der Rechtsgrundlage nicht vorlagen. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit ist insoweit der Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes (BVerwG, Beschluss vom 19. November 1953 - I B 95.53 -, BVerwGE 1, 35-39 -, juris).

Das Wiederaufgreifen in dem Bescheid des Beklagten vom 7. November 2018 wurde auf § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG gestützt, wonach ein Verfahren wiederaufzugreifen ist, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen ändert. Zwar enthält der Bescheid vom 7. November 2018 nur die Regelung über das Wiederaufgreifen, aber keine Begründung, mithin auch keine Angabe, von welcher Rechtsgrundlage der Beklagte ausging. Das Gesetz sieht ein Wiederaufgreifen im engeren Sinne unter den Voraussetzungen der § 51 Abs. 1 bis 4 VwVfG sowie ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne nach § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG vor. Indes ergibt sich bei Auslegung des Bescheides vom 7. November 2018, dass es sich bei der maßgeblichen Entscheidung um ein Wiederaufgreifen i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG handelte und nicht - wie von der Klägerin geltend gemacht - auch ein Wiederaufgreifen nach § 51 Abs. 5 VwVfG in Betracht kommt.

Maßgeblich für die Auslegung eines Verwaltungsaktes ist der Empfängerhorizont. Ihre Grenze findet die Auslegung darin, dass ein Verwaltungsakt für die Beteiligten und insbesondere für seine Adressaten so vollständig, klar und unzweideutig sein muss, dass diese ihr Verhalten danach ausrichten können, wobei Unklarheiten und Mehrdeutigkeiten zu Lasten der Behörde gehen. Im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigen sind neben den im Bescheid aufgeführten Gründen - an denen es vorliegend fehlt - auch die sonstigen bekannten oder ohne weiteres erkennbaren Umstände (vgl. Kopp/Ramsauer, 26. Aufl. 2020, § 37 Rn. 5, § 43 Rn. 15a).

Vorliegend konnte der Beklagte gemäß § 39 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG auf eine Begründung der Wiederaufgreifensentscheidung verzichten, da er dem Antrag der Klägerin auf Wiederaufgreifen des Verfahrens entsprochen hat. Vor diesem Hintergrund maßgeblich zu berücksichtigen ist der Umstand, dass der Wiederaufgreifensantrag der Klägerin ausweislich seiner Begründung allein auf § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG und eine (angenommene) veränderte Rechtslage infolge der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts gestützt war. Hieraus ergibt sich ersichtlich, dass der Beklagte dem Antrag auch aus diesem Grund folgen wollte und lediglich ein Wiederaufgreifen aufgrund Änderung der Rechtslage nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG im Sinn hatte. Nicht ausschlaggebend ist indes, dass der Antrag für sich betrachtet pauschal als Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 VwVfG formuliert war, da dieser Antrag in Zusammenschau mit der Antragsbegründung allein als Antrag auf Wiederaufgreifen nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG verstanden werden konnte, zumal insbesondere § 51 Abs. 1 VwVfG ein Antragserfordernis formuliert, während das Wiederaufgreifen in weiterem Sinne als Wiederaufgreifen von Amts wegen ausgestaltet ist.

Unter Berücksichtigung des Antrags und dessen Begründung konnte das Wiederaufgreifen im Bescheid vom 7. November 2018 somit vom Empfängerhorizont allein als Wiederaufgreifen im engeren Sinne nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG verstanden werden.

Indes lagen die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG nicht vor, sodass dieses rechtswidrig war. Eine Ungültigkeitserklärung durch das Bundesverfassungsgericht bewirkt keine Änderung der Rechtslage i.S. des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG (vgl. hierzu BeckOK BVerfGG/Karpenstein, § 79, Rn. 30).

Nach allgemeiner Ansicht in Rechtsprechung und Literatur - der sich auch die Kammer anschließt - stellt es keine Änderung der Rechtslage dar, wenn eine Rechtsnorm durch das Bundesverfassungsgericht für nichtig, mit dem Grundgesetz für unvereinbar oder für unwirksam erklärt wird, selbst wenn diese Entscheidungen Gesetzeskraft (§ 31 Abs. 2 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes - BVerfGG -) entfalten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Oktober 1966 - 1 BvR 178/64, 1 BvR 164/64 -, juris Rn. 13; BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 2012 - 2 C 59/11 -, juris Rn. 10; Beschluss vom 4. Oktober 1993 - 6 B 35/93 -, juris Rn. 4; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 51 Rn. 100; Kopp/Ramsauer, a.a.O. § 51 Rn. 3).

Soweit die Klägerin vorträgt, Rechtsprechung und Literatur würden sich nur auf Nichtigerklärungen und gerade nicht auf Unvereinbarkeitserklärungen beziehen, kann dem nicht gefolgt werden, da für eine Unvereinbarkeitserklärung insoweit nichts anderes als für eine Nichtigerklärung gelten kann. Hintergrund, dass eine Nichtigerklärung nicht zur Änderung der Rechtslage führt, ist, dass diese Entscheidungen nicht konstitutiv auf das materielle Recht einwirken. Gleiches gilt für die Unvereinbarkeitserklärung. Auch in diesem Fall war die Rechtsgrundlage von Anfang an verfassungswidrig und damit unwirksam.

Auch ist - entgegen der Auffassung der Klägerin - keine Änderung der Rechtslage aufgrund Funktionslosigkeit der Nummer 4.1.1.1 des besonderen Gebührenverzeichnisses eingetreten. Vielmehr ist die Rechtsprechung zur Funktionslosigkeit auf den vorliegenden Fall von vornherein nicht anwendbar. Funktionslos ist eine Rechtsnorm, wenn ausgeschlossen ist, dass das in ihr gesetzte Recht verwirklicht werden kann, etwa wenn das Recht keinen sinnvollen Gegenstand oder keinen denkbaren Adressaten hat oder eine schlechthin unmögliche Regelung darstellt (BVerwG, Urteil vom 29. April 1977 - IV C 39.75 -, juris). So liegt der Fall hier nicht. Nummer 4.1.1.1 des besonderen Gebührenverzeichnisses ist ausweislich des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts zwar mangels hinreichender Bestimmtheit nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, indes macht dies seinen Regelungsinhalt weder sinnlos, noch unmöglich.

Ob sich die Rechtslage durch die Neufassung der Nr. 4.1.1.1 des besonderen Gebührenverzeichnisses durch die Landesverordnung vom 28. November 2018 geändert hat, ist insoweit nicht relevant, da maßgeblich der Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes, also der 7. November 2018 ist.

Im Übrigen kommt auch ein Wiederaufgreifen aus anderen Gründen des § 51 Abs. 1 VwVfG nicht in Betracht.

Schließlich ist ein Umdeuten des Wiederaufgreifens im engeren Sinne in ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne nicht möglich. Einem solchen steht entgegen, dass es sich bei einem Wiederaufgreifen nach § 51 Abs. 1 bis 4 VwVfG um eine gebundene Entscheidung handelt, sprich die Behörde bei Vorliegen der Voraussetzungen zum Wiederaufgreifen des Verfahrens verpflichtet ist, während das Wiederaufgreifen im weiteren Sinne auch bei Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 48 und 49 VwVfG im Ermessen der Behörde steht (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 1962 - III C 75.59 -, BeckRS 1962, 00316). Auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG kommt es damit nicht an.

Das Wiederaufgreifen des Verfahrens war nach alledem rechtswidrig.

2. Auch die weiteren Voraussetzungen des § 48 VwVfG für die Rücknahme der Wiederaufgreifensentscheidung lagen vor, insbesondere steht § 48 Abs. 2 VwVfG einer Rücknahme nicht entgegen.

Insoweit hat die Kammer bereits Zweifel daran, dass es sich bei der Entscheidung über das Wiederaufgreifen des Verfahrens um einen begünstigenden Verwaltungsakt i.S. des § 48 Abs. 1 S. 2 VwVfG handelt, jedenfalls aber handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt i.S. des § 48 Abs. 2 VwVfG, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, sodass die Voraussetzungen dieses Absatzes auch nicht anwendbar sind.

Gegenstand der Entscheidung über das Wiederaufgreifen des Verfahrens ist, wie dargestellt, lediglich die Frage, ob die Behörde eine erneute Sachentscheidung zu treffen hat, oder ob es bei der Bestandskraft des unanfechtbar gewordenen Ablehnungsbescheides verbleibt. Eine erneute Sachentscheidung ist in der Entscheidung über das Wiederaufgreifen gerade nicht enthalten. Der Klägerin wurde lediglich pauschal eine neue Gebührenfestsetzung in Aussicht gestellt, die aber in keiner Weise beziffert war. Insbesondere, dass diese Gebühr niedriger ausfallen und die Entscheidung über das Wiederaufgreifen für die Klägerin vorteilhaft sein würde, war in der Entscheidung über das Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht enthalten und zum Zeitpunkt der Entscheidung auch nicht absehbar, da eine Änderung des besonderen Gebührenverzeichnisses erst mit Landesverordnung vom 28. November 2018, mithin nach der Entscheidung über das Wiederaufgreifen erfolgte. Im Zeitpunkt der Entscheidung über das Wiederaufgreifen war somit offen, ob sich die Gebühr für die Klägerin nach einer neuen gesetzlichen Regelung überhaupt reduzieren würde.

3. Da die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 48 VwVfG nach alledem vorlagen, stand die Entscheidung über die Rücknahme im Ermessen des Beklagten, der sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat.

Das Ermessen ist gemäß § 40 VwVfG entsprechend dem Zweck der genannten Regelungen und unter Einhaltung der gesetzlichen Grenzen auszuüben, wobei das Gericht die Ermessensentscheidung des Beklagten nach § 114 S. 1 VwGO nur darauf zu überprüfen hat, ob er diesen rechtlichen Rahmen eingehalten hat. Nach diesen Maßstäben ist die Entscheidung des Beklagten nicht zu beanstanden.

Zunächst hat der Beklagte sein Ermessen nicht gänzlich verkannt. Zwar ist der Klägerin insoweit zuzustimmen, als der Rücknahmebescheid vom 22. Januar 2019 keine Ermessenserwägungen erkennen lässt. Gegenstand der Anfechtungsklage ist jedoch gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat. Daher konnte der Beklagte zulässigerweise seine Ermessensausübung im Widerspruchsbescheid nachholen (vgl. BVerwG, B.v. 26.4.2011 - 7 B 34/11 - juris Rn. 7). Dies hat er auch getan.

Insoweit kann nicht allein daraus, dass auch im Widerspruchsbescheid nicht ausdrücklich Ermessen ausgeübt wird, darauf geschlossen werden, dass der Beklagte sein Ermessen verkannt hat. Ob eine Behörde tatsächlich einen bestehenden Ermessensspielraum verkannt hat, muss vielmehr anhand einer Auslegung ihres Bescheides ermittelt werden. Auch wenn sie in dessen Begründung keine Ermessenserwägungen mitgeteilt oder angegeben hat, die getroffene Entscheidung habe ergehen "müssen", so kann sich aus dem Gesamtzusammenhang dennoch ergeben, dass sie eine Ermessensentscheidung getroffen und welche Ermessenserwägungen sie angestellt hat (BVerwG, NVwZ 1988, 525, 526).

Vorliegend wird durch Auslegung des Widerspruchsbescheides deutlich, dass der Beklagte seinen Ermessensspielraum erkannt hat. Der Beklagte setzt sich ausdrücklich damit auseinander, ob ein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin entstanden ist. Aus der Formulierung "Insoweit hat die Rechtmäßigkeit der Verwaltung Vorrang vor der Hoffnung auf eine nachträgliche Gebührenerstattung." auf S. 7 des Widerspruchsbescheides wird in diesem Zusammenhang ersichtlich, dass der Beklagte sich nicht zur Rücknahme des Wideraufgreifensbescheides verpflichtet fühlte, sondern der Entscheidung über die Rücknahme eine Abwägung des Vertrauensschutzes gegen das Prinzip der Rechtmäßigkeit der Verwaltung vorgeschaltet war, da sich nur aus einer Abwägung auch ein Vorrang ergeben kann. Wenn der Beklagte weiter ausführt "Auch ergibt die Einzelfallprüfung, dass hier keine Besonderheiten vorliegen, die eine abweichende Behandlung von der grundsätzlichen Rechtsauffassung des Ministeriums rechtfertigen", so ist darin nicht - wie der Kläger meint - die strikte Befolgung der Rechtsauffassung der Behörde zu sehen. Vielmehr macht der Beklagte deutlich, dass in dem Einzelfall keine Belange vorliegen, die gegenüber der Rechtmäßigkeit der Verwaltung - welche in dem Rundschreiben des Ministeriums lediglich konkretisiert wird - überwiegen.

Der Beklagte hat sein danach erkanntes Ermessen auch ansonsten nicht fehlerhaft ausgeübt.

Zunächst war das Ermessen des Beklagten nicht dahingehend reduziert, dass nur die Entscheidung gegen die Rücknahme des Wiederaufgreifensbescheides rechtmäßig gewesen wäre, weil derselbe Verwaltungsakt nunmehr erneut erlassen werden müsste. Die Klägerin hat nach wie vor keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens. Auch durch Neufassung der Nummer 4.1.1.1 des besonderen Gebührenverzeichnisses durch die Landesverordnung vom 28. November 2018 hat sich die Rechtslage nicht i.S. von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG nachträglich zugunsten der Klägerin geändert. Eine Änderung der Rechtslage in diesem Sinne setzt nämlich voraus, dass auch abgeschlossene Verfahren von dieser Änderung erfasst werden. Lässt eine Rechtsänderung abgeschlossene Verfahren indes gezielt unberührt, ist für die Anwendung des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG kein Raum (vgl. OVG Nordrhein-Westfahlen, Urteil vom 14. Juli 2017 - 11 A 155/17, - juris Rn. 41; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG 9. Auflage 2018, § 51 Rn. 100). Das Gericht schließt sich insoweit der Rechtsauffassung des VG Mainz in seinem Urteil vom 24. Juni 2020 - 3 K 896/19.MZ - an, dass dem Willen des Verordnungsgebers zweifelsfrei zu entnehmen ist, dass abgeschlossene Verwaltungsverfahren von der Neuregelung des Gebührenrahmens unberührt bleiben sollen, und die Neufassung entsprechend auszulegen ist, sodass für die Anwendung des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG kein Raum bleibt. So heißt es auf Seite 5 der Begründung zu Art. 2 des Verordnungsentwurfs, dass sich die Neuregelung des Gebührenrahmens der gesetzlichen Regelung des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG folgend nicht auf bereits bestandskräftige Verwaltungsakte und rechtskräftige Urteile bezieht. Soweit die Klägerin vorbringt, von der Begründung des Entwurfes könne nicht auf die Begründung der Verordnung selbst geschlossen werden, verkennt die Klägerin, dass es nicht allein auf die Begründung der Verordnung an sich ankommt, sondern auf den Willen des Verordnungsgebers wie er sich aus sämtlichen zur Verfügung stehenden Umständen ergibt. Auch die Begründung (lediglich) des Verordnungsentwurfs ist insoweit jedenfalls ein aussagekräftiges Indiz für den Willen des Verordnungsgebers. Anhaltspunkte, die dieses entkräften könnten, sind dagegen nicht ersichtlich. In diesem Zusammenhang zu berücksichtigen ist auch, dass § 93 Abs. 3 i.V.m. § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG für den Regelfall statuiert, dass nicht mehr anfechtbare Entscheidungen, die auf einer für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt bleiben, wobei § 79 BVerfGG für Unvereinbarkeitserklärungen nach ständiger Rechtsprechung analog anzuwenden ist (vgl. statt vieler BVerfG, Beschluss vom 21. Mai 1974 - 1 BvL 22/71 -, juris, Rn. 130 ff.). Dies gilt gemäß § 79 Abs. 2 S. 1 zwar vorbehaltlich einer besonderen gesetzlichen Regelung. Indes genügt die Neufassung des Gebührenrahmens nicht den Anforderungen an eine solche Sonderregelung. Insoweit folgt aus dem Wortlaut des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG, dass eine Ausnahme von dem Regelfall nur durch eine besondere normative Regelung begründet werden kann, bei der sich der Gesetzgeber der Abweichung bewusst ist und diese bezweckt (vgl. VG Mainz, a.a.O.; Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Bethge, 60. EL Juli 2020, BVerfGG § 79). Allein in der rückwirkenden Inkraftsetzung der Verordnung zur Änderung des Gebührenverzeichnisses zum 13. Mai 2006 kommt ein solcher Wille bzw. eine solche Zielsetzung des Gesetzgebers - gerade unter Berücksichtigung der Entwurfsbegründung - nicht zum Ausdruck.

Im Übrigen lässt der Widerspruchsbescheid erkennen, dass der Beklagte zutreffend davon ausging, dass § 48 VwVfG dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung dient. Zwar intendiert allein die Rechtswidrigkeit des zurückgenommenen Bescheides nicht die Rücknahme desselben, da die Rechtswidrigkeit lediglich eine notwendige, nicht aber hinreichende Voraussetzung für die Rücknahme eines Verwaltungsaktes ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. März 2008 - 1 C 33.07 -, juris). Insoweit ist der Beklagte aber zutreffend davon ausgegangen, dass dem Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung kein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin gegenübersteht. Insoweit hat der Beklagte im Rahmen der Klageerwiderung zudem näher präzisiert, dass auch aus Haushaltsgesichtspunkten eine Rücknahme geboten war. Der Zweck des § 48 VwVfG schließt die Einbeziehung fiskalischer Interessen nicht aus (BVerwG, Urteil vom 31. August 2006 - 7 C 16/05 -, juris). Danach ist es nicht zu beanstanden, dass der Beklagte sich von dem Gedanken leiten ließ, unter Haushaltsgesichtspunkten könne er nicht auf ihm zustehende Gebühren verzichten (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Februar 2009 - 8 C 4/08 -, juris). Dass der Beklagte diese Ermessenserwägung erst im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens konkretisierte, war als sog. Nachschieben von Gründen entsprechend § 114 S. 2 VwGO zulässig, da dieser Aspekt bereits bei Erlass des Verwaltungsaktes bzw. des Widerspruchsbescheides vorlag, die Heranziehung von Haushaltsgesichtspunkten keine Wesensveränderung des angefochtenen Verwaltungsaktes bewirkt und die Klägerin nicht unzumutbar in ihrer Rechtsverteidigung beeinträchtigt wurde (BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 2008 - 1 WB 19/08 -, juris). Im Übrigen kann aus der Formulierung "Unter Haushaltsgesichtspunkten ist die Verwaltung nicht befugt, auf ihr zustehende Gebühren zu verzichten." nicht geschlossen werden, der Beklagte habe sich in seiner Entscheidung gebunden gefühlt, da der Gesamtzusammenhang deutlich macht, dass der Beklagte sehr wohl eine Ermessensentscheidung getroffen hat (vgl. BVerwG, BVerwG, Beschluss vom 15. Januar 1988 - 7 B 182/87 -, juris).

Im Übrigen konnte die Klägerin auch in der mündlichen Verhandlung keine Punkte benennen, die von der Beklagten noch in die Abwägung hätten eingestellt werden können.

Nach alledem war die Rücknahme der Entscheidung über das Wiederaufgreifen rechtmäßig, die Klage mithin unbegründet.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da der Antrag nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig zu erklären, eine für den Kläger positive Kostenentscheidung voraussetzt, kann diesem Antrag unter Verweis auf die vorstehenden Ausführungen von vornherein kein Erfolg beschieden sein.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2, Abs. 1 S. 1 VwGO in Verbindung mit § 709 der Zivilprozessordnung - ZPO -. Regelungen zu einer Sicherheitsleistung für den Beklagten waren nicht zu treffen, da § 169 VwGO insoweit eine Sonderregelung hinsichtlich des Vollstreckungsschutzes enthält (hierzu umfassend: VG Koblenz, Urteil vom 30. April 2020 - 4 K 406/19.KO - ESOVGRP).

Die Berufung war durch die Kammer nicht gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO zuzulassen, da der Rechtsstreit weder grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat noch ein Fall der Divergenz im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO vorliegt.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 212.850,- € festgesetzt (§§ 52 Abs. 1, Abs. 3, 63 Abs. 2 GKG, in Verbindung mit Nr. 3.1 des von Richtern der Verwaltungsgerichtsbarkeit erarbeiteten Streitwertkatalogs 2013, LKRZ 2014, 169).

In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des OVG Münster (Beschluss vom 09. März 2016 - 3 E 123/15 -, Beschluss vom 21.08.2013 - 11 E 645/13 - KStZ 2013, 219, Beschluss vom 25.09.2013 - 11 B 798/13 - und Beschluss vom 24.10.2014 - 11 B 1065/14 -) scheint es sachgerecht, im Fall von nicht vorliegenden belastbaren Angaben zum erwarteten Jahresgewinn den Streitwert für eine Klage auf Verpflichtung zur Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis für das Aufstellen eines Alttextilcontainers im Regelfall gemäß § 52 Abs. 1 GKG auf 5.000,- € zu schätzen.

Gegen die Festsetzung des Streitwertes steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,00 € übersteigt.

Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung zur Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, eingelegt wird.

Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht Trier, Egbertstraße 20a, 54295 Trier, schriftlich, nach Maßgabe des § 55a VwGO als elektronisches Dokumentoder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen.