OLG Stuttgart, Urteil vom 22.09.2020 - 16a U 55/19
Fundstelle
openJur 2020, 81461
  • Rkr:

1. Bietet der Kläger wiederholt die Einholung eines Sachverständigengutachtens als Beweismittel an, unterlässt dann jedoch die Einzahlung des angeforderten Kostenvorschusses und teilt mit, es komme auf die Einholung eines Gutachtens nicht an und ihm sei die Klageforderung ohne Beweiserhebung zuzusprechen, ist weder ein Hinweis auf die Notwendigkeit eines (erneuten) Beweisantrags erforderlich, noch ist gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO von Amts wegen ein Sachverständigengutachten zu beauftragen.

2. Es kann keine in der Temperaturabhängigkeit einer Abgasrückführung liegende unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 i. V. m. Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) 715/2007 festgestellt werden, wenn im Rahmen des Typgenehmigungsantrags dem KBA gegenüber die Temperaturabhängigkeit der Abgasrückführung angegeben worden ist. Die für das streitgegenständliche Fahrzeug erteilte Typgenehmigung entfaltet dann Tatbestandswirkung dahingehend, dass die Kontrolle der Zulässigkeit des so genannten Thermofensters der zivilgerichtlichen Überprüfung entzogen ist.

3. Deliktische Ansprüche wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung sind gleichwohl denkbar, wenn feststeht, dass eine objektiv rechtswidrige Genehmigung durch den Fahrzeughersteller aufgrund einer Täuschung erschlichen worden ist, wie dies beim Einsatz einer sogenannten "Schummelsoftware" (Prüfstanderkennungssoftware) angenommen werden muss.

4. Das Erschleichen einer objektiv rechtswidrigen Genehmigung durch den Fahrzeughersteller ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn dieser wissentlich ein gänzlich unvertretbares Thermofenster dergestalt programmiert hat, dass eine Abgasrückführung nur innerhalb des NEFZ stattfindet und das KBA über dieses vorsätzlich im Unklaren gelassen hat.

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 01.02.2019, Az. 26 O 92/18, wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Dieses Urteil sowie das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Stuttgart sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 25.867,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz in Höhe von 25.867,00 EUR nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des am 22.12.2015 von der Beklagten als Gebrauchtwagen erworbenen streitgegenständlichen Fahrzeugs Mercedes GLK 250 CDI mit der Abgasnorm Euro 5. Zur Begründung macht er geltend, das Fahrzeug sei von der Beklagten mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen worden.

Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen,

die Abschalteinrichtung bestehe aus einer Software, die für die Abgaskontrollanlage zuständig sei. Die Software sei so konzipiert, dass sie "Prüfungssituationen" [...] bestehe, da sie "unnatürliches Fahrverhalten" erkenne und in einem solchen Fall den Motor anweise, die Abgasaufbereitung derart zu optimieren, dass möglichst wenig Stickoxide entstünden. Unnatürliches Fahrverhalten erkenne die Software je nach Programmierung dadurch, dass entweder im Stillstand hohe Drehzahlen vom Motor ausgingen oder eine untere Kilometerschwelle festgelegt werde, wobei die Abgasoptimierung erst dann beginne, wenn eine bestimmte Schnelligkeit unterschritten werde. Dies werde unter Sachverständigenbeweis gestellt. Hinzu begünstige diese Abschalteinrichtung auch die von der Beklagten gewünschte zu niedrige Dosierung des Zusatzstoffes AdBlue.

Die Abgasreinigung laufe nur in einem so genannten Thermofenster zwischen 20 °C und 30 °C normal und werde bei Unter- oder Überschreitung dieser Temperaturen abgeschaltet. Das Zusammenspiel der Programmierungen der Funktionen Bit 13, Bit 14, Bit 15 und "Slipguard" und des zugestandenen Thermofensters wirke so, dass das Fahrzeug erkenne, wann es sich auf dem Prüfstand befinde und entsprechend die Emissionen positiv beeinflusse, was im Realbetrieb nicht der Fall sei.

Im Verlauf des Rechtsstreits hat er weiter argumentiert, ein Sachverständigengutachten sei – der 23. Kammer des Landgerichts Stuttgart folgend – vorliegend nicht erforderlich, da die Beklagte selbst eine Abschalteinrichtung eingestanden habe, wenn sie vortrage, die Reduzierung der Abgasmenge bei niedrigen Temperaturen sei mit dem Begriff Thermofenster belegt und die Abgasrückführung [im Folgenden: AGR] bleibe im streitgegenständlichen Fahrzeug bis zu zweistelligen Minusgraden aktiv.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt,

der Kläger habe nicht nachzuweisen vermocht, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug eine Einrichtung verbaut worden sei, die dazu führe, dass das Fahrzeug das Durchfahren des Neuen Europäischen Fahrzyklus [im Folgenden: NEFZ] erkennt und abhängig davon die Abgasaufbereitung derart regelt, dass der Ausstoß an Stickoxiden nur beim Durchfahren des NEFZ optimiert wird. Ebenso wenig habe der Kläger nachzuweisen vermocht, dass verfassungsgemäß berufene Vertreter oder Verrichtungsgehilfen der Beklagten ein Fahrzeug auf den Markt gebracht hätten, das wegen Verstoßes gegen die VO (EG) 715/2007 die Voraussetzungen für seine Zulassung nicht erfüllt habe und nicht auf den Markt hätte gebracht werden dürfen. Der Kläger habe den angeforderten Auslagenvorschuss für das von ihm beantragte Sachverständigengutachten nicht eingezahlt, so dass weder ein schriftliches Sachverständigengutachten eingeholt noch ein Sachverständiger zum Verhandlungstermin habe geladen werden können. Ohne sachverständige Beratung könne das Gericht jedoch nicht feststellen, ob ein Verstoß gegen die VO (EG) 715/2007 und die hierzu erlassene Durchführungsverordnung vorliege.

Hiergegen richtet sich der Kläger mit seiner Berufung, zu deren Begründung er vorträgt,

das Landgericht übersehe, dass ein Sachverständigengutachten wegen des unstreitig vorliegenden Thermofensters schon gar nicht notwendig gewesen und die Beklagte auch im Übrigen dem klägerischen Vortrag nicht erheblich entgegengetreten sei, so dass der Vortrag als unbestritten zu behandeln gewesen wäre und die Beklagte daher gemäß §§ 826, 31 BGB zu verurteilen (gewesen) wäre.

Die Beklagte habe eingestanden, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug die AGR bei niedrigen Temperaturen reduziert werde und mithin eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliege. Wie die 23. Kammer des Landgerichts Stuttgart zutreffend ausführe, seien Thermofenster, die zur dauerhaften Abschaltung oder auch nur Reduzierung der Abgasreinigung unter bestimmten Bedingungen führten, auch nicht unter dem Argument des Motorschutzes zulässig.

Wie bereits vorgetragen, überschritten die Fahrzeuge der Beklagten außerhalb der NEFZ-Zyklen die Werte deutlich. Anders als mit dem Einsatz entsprechender Abschalteinrichtungen außerhalb des NEFZ sei dies nicht zu erklären.

Letztlich sei es wegen des unstreitigen Vorliegens des Thermofensters auf die Feststellung der einen Prüfzyklus erkennenden Software gar nicht angekommen. Dieses Thermofenster sei so gestaltet, dass die Abgasreinigung im Temperaturbereich zwischen 20 °C und 30 °C, der für den NEFZ-Zyklus vorgeschrieben sei, zu 100 % arbeite. Bei niedrigeren Temperaturen fahre die Abgasreinigung jedoch herunter bzw. schalte sich irgendwann gänzlich ab.

Die Beklagte sei ihrer "sekundären Darlegungs- und Beweislast" in keiner Weise nachgekommen, so dass sein Vortrag als unbestritten hätte behandelt werden müssen. Es sei noch nicht einmal ausreichend bestritten, dass das streitgegenständliche Fahrzeug im Realbetrieb einen enorm erhöhten NOx-Ausstoß aufweise.

Die Beklagte habe zudem seinen Vortrag zur Manipulation des streitgegenständlichen Fahrzeugs lediglich pauschal bestritten, ohne näher zur technischen Ausgestaltung der Abgasregulierung im streitgegenständlichen Fahrzeugtyp vorzutragen und sei somit ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen.

Hätte das Landgericht seinen Vortrag richtigerweise als unbestritten zu Grunde gelegt, hätte es eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB bzw. § 831 Abs. 1 S. 1 BGB feststellen müssen, wobei diesbezüglich die Möglichkeit einer Wahlfeststellung bestehe.

Insbesondere sei die Ausnahmeregelung des Art. 5 Abs. 2 S. 2 lit. a VO (EG) 715/2007 sehr eng auszulegen. Wer als Hersteller von dem Verbot der Verwendung einer Abschalteinrichtung abweichen wolle, müsse dies besonders rechtfertigen. Eine Notwendigkeit entsprechend der Ausnahmevorschrift liege insbesondere dann nicht vor, wenn sich die Abschalteinrichtung durch Konzeption, Konstruktion oder Werkstoffwahl vermeiden lasse. Die auf den Motorschutz abstellende Privilegierung nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 lit. a VO (EG) 715/2007 biete deshalb keine taugliche Rechtsgrundlage dafür, eine Abschalteinrichtung regelmäßig auch bei solchen Betriebsbedingungen, die bei normalem, bestimmungsgemäßem Gebrauch eines Personenkraftwagens typischerweise einträten, legal greifen zu lassen. Dies gelte insbesondere auch für den Betrieb bei niedrigen Umgebungstemperaturen.

Selbst das von der Beklagten herangezogene Argument der Versottungsgefahr führe nicht zu einer Zulässigkeit der Abschalteinrichtung. Die Beklagte müsste im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast diesbezüglich vortragen und beweisen, dass die Versottungsgefahr nicht durch andere technische Maßnahmen verhindert werden könne. Entsprechende Mittel hätten der Beklagten bereits seit 2005 – unter anderem in Form der Verwendung von AdBlue oder von Motoren mit geringerer Leistung – zur Verfügung gestanden.

Unerheblich sei insoweit, ob das Kraftfahrtbundesamt [im Folgenden: KBA] und das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur [im Folgenden: BMVI] die Zulässigkeit von Abschalteinrichtungen durch sogenannte Thermofenster (zum Teil) fälschlicherweise bejahten.

Die Beklagte habe sich auch sittenwidrig verhalten. Die Beweggründe der Beklagten zur Vornahme der Manipulationen am Motor bzw. der Systeme der Abgassteuerung und Reinigung und zur entsprechenden Täuschung darüber seien entweder die Erzielung eines höheren Gewinns durch die Ersparnis weiterer Entwicklungskosten oder aber die Unfähigkeit der Entwickler der Motoren, zu marktgerechten Preisen einen Motor zu entwickeln, der über keine unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters verfügt, gewesen. Es sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte in großem Umfang und mit erheblichem technischem Aufwand zentrale Zulassungsvorschriften ausgehebelt und zugleich ihre Kunden konkludent getäuscht habe. Es habe ein System zur planmäßigen Verschleierung ihres Vorgehens gegenüber den Aufsichtsbehörden einerseits und den Verbrauchern andererseits gegeben.

Der Kläger beantragt daher:

unter Abänderung des am 01.02.2019 verkündeten Urteils

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klagepartei 25.867,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen, Zug um Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des Pkw Daimler Typ Mercedes GLK FIN: ....

2. die Beklagte zu verurteilen, die Klagepartei von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.564,26 EUR freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt zur Verteidigung des angegriffenen Urteils vor,

das Landgericht habe die Klage zutreffenderweise abgewiesen, da der Kläger hinsichtlich einer behaupteten Manipulation des Fahrzeugs sowie den weiteren Voraussetzungen der geltend gemachten Anspruchsgrundlagen beweisfällig geblieben sei.

Sie, die Beklagte, habe zu keinem Zeitpunkt eine Abschalteinrichtung, geschweige denn eine unzulässige Abschalteinrichtung, unstreitig gestellt. Ihr Vortrag sei auch nicht unerheblich. Sie habe ausdrücklich bestritten, dass eine Software-Programmierung vorliege, die zwischen Prüfbedingungen und dem normalen Straßenverkehr unterscheide und zu einem entsprechenden Emissionsverhalten führe. Die Berufungsbegründung verkenne, dass sich die gesetzlichen Emissionswerte und der Kraftstoffverbrauch zwischen den genormten Prüfbedingungen und den tatsächlichen Alltagsbedingungen oftmals legal unterschieden, da bei den gesetzlichen Prüfbedingungen beispielsweise relativ niedriglastig gefahren werde.

Der vorliegende Fall lasse sich mangels Prüfstanderkennung, die die Abgasreinigung intensiviere, nicht mit den Sachverhalten vergleichen, die den "VW-Urteilen" zu Grunde lägen.

Der Kläger habe vorliegend lediglich pauschal Manipulationsvorwürfe erhoben. Zudem habe er in seiner Klageschrift eine zu geringe AdBlue-Dosierung behauptet, obwohl sein Fahrzeug vertragsgemäß über eine solche Technologie nicht verfüge.

Obgleich sie im Rahmen des Typgenehmigungsprozesses die Parameter ausweise, die für die Steuerung des Emissionskontrollsystems (einschließlich Abgasreinigung) relevant seien, sehe das KBA als allein zuständige Fachbehörde hierin keine rechtfertigungsbedürftige Abschalteinrichtung und habe im vorliegenden wie auch in allen anderen Fällen die beantragte EG-Typgenehmigung erteilt. Insbesondere ergebe sich aus dem vorgelegten Typgenehmigungsantrag mitsamt der Anlage DOK-A-AGR 651, dass die AGR-Menge unter anderem durch die Lufttemperatur gesteuert werde.

Auch im Rahmen seiner laufenden Marktüberwachungstätigkeit sei das KBA nicht zu einer abweichenden Einschätzung gelangt und habe insbesondere für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp unstreitig keine Maßnahme nach § 25 EG-FGV ergriffen. Das KBA erkenne vielmehr an, dass die Rate der AGR bei niedrigen Außentemperaturen reduziert werden dürfe. So lasse die Behörde selbst bei aktuellen Software-Updates, die von Herstellern als freiwillige Maßnahme zur Verbesserung des Emissionsverhaltens von Fahrzeugen neu entwickelt und angeboten würden, eine Reduzierung der AGR-Rate in vergleichbaren Temperaturbereichen zu. Aus dem KBA-Bericht "Wirksamkeit von Software-Updates zur Reduzierung von Stickoxiden bei Dieselmotoren" vom 10.01.2020 ergebe sich, dass die temperaturgesteuerte AGR vom KBA heute noch als zulässig angesehen werde.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH hätten Zivilgerichte die durch einen Verwaltungsakt getroffene Regelung und Feststellung grundsätzlich als verbindlich zu beachten.

Der Kläger habe die objektiven und subjektiven Voraussetzungen eines konkretisierbaren deliktischen Verhaltens nicht ansatzweise einlassungsfähig dargetan. So fehlten etwa Angaben zu einer vorsätzlichen Täuschung und einer sittenwidrigen Schädigung. Daher treffe sie auch keine sekundäre Darlegungslast.

Folge man der von der 23. Kammer des Landgerichts Stuttgart vertretenen Auslegung des Art. 5 Abs. 2 S. 2 lit. a VO (EG) 715/2007 führe dies zu einem faktischen Verbot von Dieselfahrzeugen. Dies finde weder in der Verordnung eine Stütze noch in der Verwaltungspraxis irgendeiner Fachbehörde europaweit.

Zur weitergehenden Begründung des Urteils und dem weiteren Parteivortrag wird verwiesen auf das angegriffene Urteil sowie die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen.

II.

Die zulässige Berufung erweist sich als unbegründet.

A.

Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags aus §§ 433, 434 Abs. 1, 437 Nr. 2 Alt. 1, 323 Abs. 1, 440, 346 Abs. 1, 348 BGB noch einen Anspruch auf Schadensersatz aus § 826 BGB.

Voraussetzung für einen solchen Anspruch ist jeweils das Vorliegen eines Mangels in Form einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Denn auch für den Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung müsste die Beklagte, die unstreitig sowohl das streitgegenständliche Fahrzeug als auch den im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Motor produziert hat, aufgrund einer für ihren Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des KBAs systematisch, langjährig und in großem Umfang Fahrzeuge mit Motoren mit unzulässiger Abschalteinrichtung in den Verkehr gebracht haben, für welche eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung drohte (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20 –, Rn. 33, juris).

Im Hinblick auf die Funktionen Bit 13, Bit 14, Bit 15 und Slipguard sowie eine zu niedrigen Dosierung von AdBlue ist der Kläger bereits für das Vorliegen entsprechender unzulässiger Abschalteinrichtungen beweisfällig geblieben (dazu unter 1.). Gleiches gilt für das Vorliegen eines so genannten Thermofensters, das zur vollständigen Abschaltung der Abgasrückführung außerhalb des Temperaturbereichs von 20 °C bis 30 °C führt (dazu unter 2.). Das unstreitige Vorliegen eines so genannten Thermofensters kann vorliegend weder einen Sittenwidrigkeitsvorwurf begründen, noch führt es zur Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs (dazu unter 3.). Auch die Tatsache, dass im normalen Fahrbetrieb höhere Emissionen als im NEFZ auftreten, stellt keinen Mangel des Fahrzeugs dar, noch kann daraus auf das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung geschlossen werden (dazu unter 4.).

1.

Der Kläger hat konkret zu diversen Abschalteinrichtungen vorgetragen, welche im streitgegenständlichen Fahrzeug vorliegen sollen. Namentlich hat der Kläger behauptet, im Fahrzeug seien die Funktionen Bit 13, Bit 14, Bit 15 und "Slipguard" verbaut und diese Abschalteinrichtungen begünstigten auch die von der Beklagten gewünschte zu niedrige Dosierung des Zusatzstoffes AdBlue.

Obwohl die Beklagte das Vorliegen dieser Abschalteinrichtungen in Abrede gestellt hat, hat der für eine Täuschung über das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung bzw. das Vorhandensein einer solchen Abschalteinrichtung beweisbelastete Kläger den vom Gericht angeforderten Kostenvorschuss nicht einbezahlt und ist daher beweisfällig geblieben. Offen bleiben kann daher, ob der Kläger diese Behauptungen nicht ohnehin ohne konkrete Anhaltspunkte "ins Blaue hinein" aufgestellt hat.

a) Das Gericht darf zwar den Kläger nicht allein wegen der nach Nichtzahlung des Auslagenvorschusses (§ 379 ZPO) oder nach Versäumung einer Ausschlussfrist (§ 356 ZPO) fehlenden Möglichkeit des Sachverständigenbeweises als beweisfällig ansehen, sondern muss vielmehr grundsätzlich versuchen, den Sachverhalt in anderer Weise auf Grund des bereits vorhandenen oder anzuregenden Parteivortrags und der verfügbaren Beweismittel zu klären (BGH, Urteil vom 20.03.2007 – VI ZR 254/05 –, Rn. 15, juris). Andere Möglichkeiten als die Einholung eines Sachverständigengutachtens sind vorliegend jedoch nicht ersichtlich, um den komplexen technischen Sachverhalt zu klären.

b) Es begegnet keinen Bedenken, dass das Landgericht einen Sachverständigen nicht von Amts wegen herangezogen hat.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann zwar das Gericht auch ohne Antrag des Beweispflichtigen die Begutachtung durch Sachverständige anordnen. Die Anordnung steht dabei im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Durch die Möglichkeit, ein Gutachten von Amts wegen einzuholen, sind die Parteien aber nicht von ihrer Darlegungs- und Beweislast befreit. Dementsprechend ist ein Tatrichter, dem die erforderliche Sachkunde zur Beurteilung einer Fachwissen voraussetzenden Frage fehlt und der davon absehen will, von Amts wegen gemäß § 144 ZPO sachverständige Hilfe in Anspruch zu nehmen, grundsätzlich nur gehalten, die beweisbelastete Partei auf die Notwendigkeit eines Beweisantrags nach § 403 ZPO hinzuweisen (BGH, Urteil vom 27.02.2019 – VIII ZR 255/17 –, Rn. 18, juris).

Vorliegend hatte der Kläger erstinstanzlich wiederholt die Einholung eines Sachverständigengutachtens als Beweismittel angeboten, dann jedoch sowohl die Einzahlung des angeforderten Kostenvorschusses unterlassen als auch mitgeteilt, es komme auf die Einholung eines Gutachtens nicht an und ihm sei die Klageforderung ohne Beweiserhebung zuzusprechen. Daher war ein Hinweis auf die Notwendigkeit eines Beweisantrags nicht erforderlich. Es begegnet weiterhin keinen Bedenken, dass das Landgericht nicht gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO von Amts wegen ein Sachverständigengutachten beauftragt hat. Zwar ist die Heranziehung eines Sachverständigen von Amts wegen in den Fällen geboten, in denen sich der technische Sachverhalt als so schwierig darstellt, dass er ohne Hilfe eines Sachverständigen nicht erfasst und beurteilt werden kann (BGH, Urteil vom 27.11.1975 – X ZR 29/75 –, Rn. 47, juris). Zulässig ist in diesen Fällen die amtswegige Anordnung, wenn das Gutachten nicht ausschließlich dem Interesse der beweisführenden Partei dient oder diese offenbar nicht in der Lage ist, den Vorschuss aufzubringen (Musielak/Voit/Stadler, 16. Aufl. 2019, ZPO § 144 Rn. 6).

Allerdings muss das Gericht nicht nur deshalb von Amts wegen tätig werden, weil der Beweisführer den Kostenvorschuss für den von ihm beantragten Gutachter nicht erbringt (Musielak/Voit/Stadler, 16. Aufl. 2019, ZPO § 144 Rn. 6). Denn es liegt hier vornehmlich im Verantwortungsbereich des Beweisführers, das Hindernis zu beseitigen. Beruht seine Passivität nicht auf Nachlässigkeit, sondern auf einem wohlüberlegten Grunde, so nimmt die Partei in Kauf, beweisfällig zu bleiben; also liegt für den Richter erst recht kein Grund vor, sich einzuschalten (MüKoZPO/Fritsche, 5. Aufl. 2016, ZPO § 144 Rn. 4; vgl. dazu auch BeckOK ZPO/von Selle, 35. Ed. 1.1.2020, ZPO § 144 Rn. 8 und Ahrens in: Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, 1. Aufl. 2015, Kapitel 42: Rechtsgrundlagen des Sachverständigenbeweises, Rn. 35).

Vorliegend hat der Kläger ausdrücklich ausgeführt, es komme auf einen Sachverständigenbeweis nicht an und hat damit – in Verbindung mit der Tatsache, dass er den angeforderten Kostenvorschuss nicht einbezahlt hat – sehenden Auges in Kauf genommen, beweisfällig zu bleiben. Darüber hinaus würde das Gutachten vorliegend ausschließlich dem Interesse des Klägers als beweisführender Partei dienen, das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung nachzuweisen.

2.

Bezüglich des so genannten Thermofensters hat der Kläger unter anderem behauptet, dass die Abgasreinigung nur zwischen 20 °C und 30 °C normal laufe und bei Unter- oder Überschreitung dieser Temperaturen abgeschaltet werde. Das Zusammenspiel der Funktionen Bit 13, Bit 14, Bit 15 und "Slipguard" und des zugestandenen Thermofensters wirke so, dass das Fahrzeug erkenne, wann es sich auf dem Prüfstand befinde und entsprechend die Emissionen positiv beeinflusse, was im Realbetrieb nicht der Fall sei.

Dies hat die Beklagte ausdrücklich bestritten und ausgeführt, es treffe nicht zu, dass die Abgasreinigung nur zwischen 20 °C und 30 °C normal laufe.

Wenn man insoweit außer Betracht lässt, dass der Kläger in der Berufungsinstanz selbst vorgetragen hat, die AGR werde bei niedrigen Temperaturen (nur) reduziert und sich zu seinem eigenen Vortrag insoweit in Widerspruch gesetzt hat, ist er im Hinblick auf das – insoweit streitige – Thermofenster zwischen 20 °C und 30 °C mangels Einzahlung eines Kostenvorschusses jedenfalls beweisfällig geblieben (s.o.).

3.

Der vom Kläger erstmals in zweiter Instanz vorgetragene – insoweit unbestrittene und daher noch in der Berufung zu berücksichtigende – Gesichtspunkt, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug die AGR bei niedrigen Temperaturen reduziert wird, begründet weder einen Sittenwidrigkeitsvorwurf noch eine Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs.

a) Der Senat kann keine in der Temperaturabhängigkeit der AGR liegende unzulässige Abschalteinrichtung feststellen, da die für das streitgegenständliche Fahrzeug erteilte bestandskräftige Typgenehmigung Tatbestandswirkung (dazu unter aa) dahingehend entfaltet, dass die Kontrolle der Zulässigkeit des so genannten Thermofensters der zivilgerichtlichen Überprüfung entzogen ist. Denn dem KBA gegenüber ist im Rahmen des Typgenehmigungsantrags die Temperaturabhängigkeit der AGR angegeben worden (dazu unter bb), so dass diese von der die Typgenehmigung umfasst wird (dazu unter cc).

aa) Eine durch Verwaltungsakt ausgesprochene Genehmigung ist, solange sie nicht durch die zuständige Behörde oder durch ein Verwaltungsgericht aufgehoben worden oder nichtig ist, der Nachprüfung durch die Zivilgerichte entzogen. Es genügt, wenn der betreffende Bescheid durch Bekanntgabe an einen Betroffenen wirksam geworden ist (BGH, Urteil vom 14.06.2007 – I ZR 125/04 –, Rn. 14, juris; BGH, Urteil vom 30.04.2015 - I ZR 13/14, BGHZ 205, 195, Rn. 31 m.w.N.).

Verwaltungsakte binden in den Grenzen ihrer Bestandskraft andere Gerichte und Behörden. Die Gerichte haben Verwaltungsakte, auch wenn sie fehlerhaft sind, grundsätzlich zu beachten, solange sie nicht durch die zuständige Behörde oder durch ein zuständiges Gericht aufgehoben worden sind. Sie haben die durch den Verwaltungsakt getroffene Regelung oder Feststellung unbesehen, ohne eigene Nachprüfung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes, zugrunde zu legen (BGH, Urteil vom 21.09.2006 – IX ZR 89/05 –, Rn. 14, juris). Dabei ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist, § 35 Satz 1 VwVfG (BGH, Urteil vom 14.06.2007 – I ZR 125/04 –, Rn. 16, juris).

Der Regelungsgehalt eines Verwaltungsakts ist in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB nach den Grundsätzen zu bestimmen, die auch für die Auslegung von Willenserklärungen gelten. Danach ist der erklärte Wille der erlassenden Behörde maßgebend, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte (BGH, Urteil vom 02.12.2015 – I ZR 239/14 –, Rn. 25, juris). Auch bei einer nicht ausdrücklichen Anordnung kann darin, dass die zuständige Behörde in Kenntnis eines Umstands einen Zulassungsbescheid erteilt, geschlossen werden, dass sich dieser auch auf die dieser bekannten Bestandteile bezieht (vgl. BGH a.a.O.).

Durch die Tatbestandswirkung sind der Erlass des Bescheids als solcher und sein Ausspruch von den Zivilgerichten hinzunehmen. Die Begründung eines Verwaltungsakts nimmt dagegen an der Tatbestandswirkung nicht teil (BGH, Urteil vom 12.01.2007 – V ZR 268/05 –, Rn. 11, juris).

Nichtig und damit unbeachtlich ist ein Verwaltungsakt, wenn nicht einer der in § 44 Abs. 2 und 3 VwVfG besonders geregelten Fälle vorliegt – was vorliegend unzweifelhaft nicht der Fall ist – nach den Grundsätzen des § 44 Abs. 1 VwVfG. Danach ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stellt sich die Rechtsfolge der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts als Ausnahme von dem Grundsatz dar, dass ein Akt staatlicher Gewalt die Vermutung seiner Gültigkeit in sich trägt. Der dem Verwaltungsakt anhaftende Fehler muss diesen schlechterdings als unerträglich, d.h. mit tragenden Verfassungsprinzipien oder der Rechtsordnung immanenten wesentlichen Wertvorstellungen unvereinbar erscheinen lassen. Der Fehler muss zudem für einen verständigen Bürger offensichtlich sein. Die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts ist daher nur dann anzunehmen, wenn die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen in so erheblichem Maße verletzt werden, dass von niemandem erwartet werden kann, den Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen. Ein Verwaltungsakt ist daher insbesondere nicht schon deshalb als nichtig anzusehen, weil er einer gesetzlichen Grundlage entbehrt (BGH, Urteil vom 14.06.2007 – I ZR 125/04 –, Rn. 20, juris). Es kommt auch nicht auf die Frage an, ob durch den Erlass des Verwaltungsaktes gegen eine europäische Richtlinie verstoßen wurde. Denn bei der Durchführung des Gemeinschaftsrechts kommen - soweit ihm nicht spezielle Regelungen zu entnehmen sind - die formellen und materiellen Bestimmungen des nationalen Rechts zur Anwendung. Insofern ist auch die Frage, ob ein auf nationales Recht gestützter Verwaltungsakt infolge des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts nichtig ist, nach § 44 Abs. 1 VwVfG zu beantworten. Ein Verstoß gegen das Recht der Europäischen Gemeinschaft stellt nicht allein wegen des Rangs oder der Bedeutung der verletzten Bestimmung einen besonders schwerwiegenden Fehler i.S. von § 44 Abs. 1 VwVfG dar. Dem Grundsatz der Effektivität des Gemeinschaftsrechts wird grundsätzlich dadurch ausreichend Rechnung getragen, wenn hinreichende Anfechtungsmöglichkeiten bestehen (BGH, Urteil vom 14.06.2007 – I ZR 125/04 –, Rn. 23, juris m.w.N.).

bb) Die Beklagte hat im Rahmen des Typgenehmigungsantrags dem KBA gegenüber die Temperaturabhängigkeit der AGR angegeben.

Ihren diesbezüglichen Vortrag hat sie belegt durch die Vorlage der – insoweit – ungeschwärzten Antragsunterlagen, aus denen sich ergibt, dass die AGR-Menge unter anderem durch die Lufttemperatur gesteuert wird.

Dies bestreitet auch der Kläger nicht, der es vielmehr als unerheblich ansieht, ob das KBA und das BMVI die Zulässigkeit von Abschalteinrichtungen durch sogenannte Thermofenster (zum Teil) – aus seiner Sicht fälschlicherweise – bejahten.

Anhaltspunkte für die Nichtigkeit des Bescheids sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

cc) Die Temperaturabhängigkeit der AGR ist von der Typgenehmigung umfasst.

Maßgebliche Rechtsgrundlage für die Anforderungen an das Verfahren der Typprüfung und die Voraussetzungen der Erteilung der EG-Typgenehmigung durch das KBA ist § 4 EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung (EG-FGV). Danach gelten für das Antragsverfahren die Artikel 6 und 7 der Richtlinie 2007/46/EG. Die EG-Typgenehmigung darf nur erteilt werden, wenn die Voraussetzungen für den zu genehmigenden Fahrzeugtyp oder die zu genehmigenden Systeme, Bauteile oder selbstständigen technischen Einheiten nach Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie 2007/46/EG vorliegen und nach Artikel 8 Absatz 2 der Richtlinie 2007/46/EG die Erfüllung der spezifischen Bestimmungen der Artikel 9 und 10 sichergestellt ist und die erforderlichen Prüfverfahren ordnungsgemäß und mit zufriedenstellendem Ergebnis durchgeführt wurden.

Durch die Bezugnahme auf Art. 8 bis 10 der Rahmenrichtlinie in § 4 EG-FGV für die Kfz-Typgenehmigung wird klargestellt, dass das KBA bei der untersuchungsgegenständlichen Prüfung der Abgasemissionen die unmittelbar geltenden Rechtsvorschriften des EU-Rechts anzuwenden hat. Im Falle von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen ist dies die VO (EG) Nr. 715/2007 in Verbindung mit der Ausführungsverordnung VO (EG) Nr. 692/2008.

Vorliegend hat die Beklagte dem KBA gegenüber die Temperaturabhängigkeit der AGR angegeben und dargelegt, dass die AGR bei Volllast nicht aktiv ist. Das KBA hat daraufhin - ohne Nachfragen - die Typgenehmigung erteilt. Die Beklagte als Empfängerin dieses Bescheids konnte daher bei dessen objektiver Würdigung davon ausgehen, dass das so genannte Thermofenster von der Genehmigung umfasst war. Anhaltspunkte dafür, dass das vorliegend programmierte Thermofenster offensichtlich zu eng ist und daher vom KBA nicht genehmigt worden wäre, wenn es hiervon detaillierte Kenntnis gehabt hätte, sind vorliegend weder ersichtlich noch vorgetragen. Solche ergeben sich insbesondere auch nicht aus dem Umstand, dass die Beklagte zwar grundsätzlich die Temperaturabhängigkeit der AGR in ihrem Antrag aufführte, über das konkrete Ausmaß des so genannten Thermofensters jedoch keine Angaben machte. Denn bereits aus der Tatsache, dass das KBA die Typgenehmigung unstreitig erteilt hat, ohne diese von detaillierteren Angaben zur Temperatursteuerung der AGR abhängig zu machen, lässt sich entnehmen, dass das KBA diese Angabe offensichtlich nicht für erforderlich hielt. Zudem hat die Beklagte unbestritten vorgetragen, detaillierte Angaben hätten nicht dem Verständnis des Typengenehmigungsverfahrens durch das KBA entsprochen und seien daher von ihr nicht vorgenommen worden.

Schließlich hat die Beklagte – insoweit ebenfalls unbestritten, da der Kläger von der Unbeachtlichkeit der Einschätzung des KBA ausgeht – vorgetragen, dass das KBA als allein zuständige Fachbehörde selbst bei freiwilligen Software-Updates der Hersteller eine Reduzierung der AGR-Rate in vergleichbaren Temperaturbereichen zulasse.

b) Dem Kläger ist zwar insoweit zu folgen, als dass trotz der Tatbestandswirkung der Typgenehmigung deliktische Ansprüche wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung grundsätzlich denkbar sind, wenn feststeht, dass eine objektiv rechtswidrige Genehmigung durch den Fahrzeughersteller aufgrund einer Täuschung erschlichen worden ist, wie dies beim Einsatz einer sogenannten "Schummelsoftware" (Prüfstanderkennungssoftware) angenommen werden muss. Denn eine solche hat zur Folge, dass mit einer Betriebsuntersagung oder gar dem Widerruf der mithilfe der Software erschlichenen Typgenehmigung gerechnet werden muss (vgl. für Letzteres BGH, Beschluss vom 08.01.2019 - VIII ZR 225/17, juris, Rn. 20, 21).

Vorliegend ist jedoch gerade nicht festzustellen, dass eine objektiv rechtswidrige Genehmigung durch den Fahrzeughersteller erschlichen worden ist. Solches wäre – aufgrund des Umstands, dass dem KBA die Temperaturabhängigkeit der AGR grundsätzlich angegeben wurde – nur dann der Fall, wenn die Beklagte wissentlich ein gänzlich unvertretbares Thermofenster dergestalt programmiert hätte, dass eine AGR nur innerhalb des NEFZ stattgefunden hätte und das KBA über dieses vorsätzlich im Unklaren gelassen hätte. Dies hat der Kläger zwar bereits erstinstanzlich behauptet, ist für diese Behauptung jedoch beweisfällig geblieben (s.o.).

4.

Nicht ausreichend ist, aus publizierten Messergebnissen von Umweltverbänden oder anderen Prüfinstituten betreffend andere Fahrzeuge desselben Motortyps zu schlussfolgern, es müsse eine unzulässige Abschaltvorrichtung vorhanden sein (so auch OLG Celle, Urteil vom 13.11.2019 - 7 U 367/18, BeckRS 2019, 29587 Rn. 36).

Denn die Tatsache, dass ein Fahrzeug im normalen Fahrbetrieb auf der Straße höhere Emissionen aufweist, als im – für die Überprüfung der Einhaltung der Werte der Euro 5 - Norm maßgeblichen – NEFZ, ist allgemein bekannt und führt daher weder zur Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs noch erlaubt sie den Rückschluss auf das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung.

Die für die Einhaltung der Euro 5 - Norm relevanten, im sog. NEFZ-Verfahren gemessenen Werte entsprechen grundsätzlich auch ohne unzulässige Beeinflussung des Messverfahrens nicht den im Rahmen des tatsächlichen Gebrauchs des Fahrzeugs anfallenden Emissionswerten (so auch OLG München, Endurteil vom 05.09.2019 - 14 U 416/19, BeckRS 2019, 26072 Rn. 168). Es ist allgemein bekannt, dass der Straßenbetrieb mit der Prüfstandsituation nicht vergleichbar ist. Dies gilt ganz allgemein, sowohl hinsichtlich der angegebenen Kraftstoffverbräuche als auch der Grenzwerte für Emissionen. Auf dem Prüfstand wird eine bestimmte "ideale", nicht der Praxis entsprechende Situation vorgegeben, etwa hinsichtlich der Umgebungstemperatur, der Kraftentfaltung (Beschleunigung und Geschwindigkeit), Abschaltung von Klimaanlage usw., sodass der erzielte Wert zwar zu einer relativen Vergleichbarkeit unter den verschiedenen Fahrzeugfabrikaten und -modellen führen mag, absolut genommen aber jeweils nicht mit dem Straßenbetrieb übereinstimmt. Im Straßenbetrieb liegen sowohl der Kraftstoffverbrauch als auch der Schadstoffausstoß erheblich höher, wie schon seit Jahren aufgrund entsprechender Tests etwa von Automobilclubs und der dadurch ausgelösten öffentlichen Diskussion öffentlich bekannt ist. Gerade deshalb hat der europäische Gesetzgeber auf Druck der Umweltverbände und Umweltparteien zwischenzeitlich den früher geltenden gesetzlichen Prüfzyklus NEFZ durch den sogenannten RDE-Test ersetzt (OLG Celle, Urteil vom 13.11.2019 - 7 U 367/18, BeckRS 2019, 29587 Rn. 28 f.).

Auch der fünfte parlamentarische Untersuchungsausschuss ("Abgas-Untersuchungsausschuss") verweist in seinem Abschlussbericht darauf, dass schon früh bekannt war, dass der NEFZ, der seine heutige Gestalt in den 1990er Jahren erhalten hatte, das reale emissionsrelevante Fahrverhalten nur (noch) zum Teil widerspiegelte. So liege beispielsweise die Maximalgeschwindigkeit im NEFZ bei 120 km/h. Die Unzulänglichkeiten des NEFZ im Vergleich zum normalen Fahrbetrieb lieferten nach Ansicht der Experten und nationalen und europäischen Behörden eine Erklärung für das im Untersuchungszeitraum insbesondere bei Stickoxidemissionen zu beobachtende Phänomen, dass Fahrzeuge, die bei den o. g. Kontrollverfahren die Grenzwerte einhielten, diese im realen Fahrbetrieb auf der Straße regelmäßig überschritten (Untersuchungsausschuss Drs. 18/2900 S. 87; vgl. auch die im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie im November 2017 erstellten "Studie zur Vorbereitung der Novellierung der Pkw-EnVKV, anlässlich der Umstellung des Fahrzyklus von NEFZ auf WLTP" und die dortigen Ausführungen zu den Vorteilen des deutlich dynamischeren WLTP mit mehr Beschleunigungs- und Bremsvorgängen, einer längeren Zykluszeit und -länge mit einem geringeren Standanteil und der Berücksichtigung von Sonderausstattung, Aerodynamik und Bordnetzbedarf).

5.

Der – zur Stellungnahme auf den letzten Schriftsatz der Beklagten nachgelassene – klägerische Schriftsatz vom 14.08.2020 gibt keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, § 156 ZPO.

Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist das Gericht zur Wiedereröffnung einer bereits geschlossenen Verhandlung nur verpflichtet, wenn sich aus dem neuen Vorbringen ergibt, dass die bisherige Verhandlung lückenhaft war und in der letzten mündlichen Verhandlung bei sachgemäßem Vorgehen Veranlassung zur Ausübung des Fragerechts bestanden hätte. Darüber hinaus wird eine Pflicht zur Wiedereröffnung angenommen, wenn durch Versäumnisse oder Ungeschicklichkeiten des Gerichts oder durch andere Umstände im Verfahren bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung eine vollständige und sachgerechte Erklärung der Parteien unterblieb. Dagegen ist die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht geboten, wenn diese ohne Verfahrensfehler geschlossen wurde und eine Partei entgegen § 296 a ZPO - selbst aufklärungsbedürftige - neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel unzulässig nachreicht oder wenn in einem gemäß § 283 ZPO nachgelassenen Schriftsatz neues Vorbringen enthalten ist, das über eine Erwiderung auf den verspäteten Schriftsatz des Gegners hinausgeht. In letzterem Fall beruht der neue Vortrag nicht auf einer Verletzung der richterlichen Aufklärungspflicht oder des rechtlichen Gehörs, sondern auf einer eigenen prozessualen Sorgfaltspflichtverletzung der Partei. Sie hat keinen Anspruch darauf, deren Folgen durch Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung und Nachholung ihres Vorbringens auszugleichen (BGH, Urteil vom 07.10.1992 – VIII ZR 199/91 –, Rn. 9, juris).

Der Kläger hat vorliegend in seinem Schriftsatz vom 14.08.2020 ein vom 03.03.2020 datierendes Gutachten von Prof. Dr. Ing. Eißler vorgelegt, aus dem sich ergeben soll, dass die Stickoxidwerte zunähmen, wenn die Kühlwassertemperatur bei ansonsten unveränderten Umgebungsbedingungen (Temperatur, NEFZ-Fahrt usw.) zu Beginn des Tests erhöht sei und leistet damit neues Vorbringen, das über eine Erwiderung auf den verspäteten Schriftsatz des Gegners hinausgeht. Damit hat er seine eigene prozessuale Sorgfaltspflicht verletzt und daher keinen Anspruch darauf, deren Folgen durch Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung auszugleichen.

B.

Der Anspruch auf Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten folgt dem Schicksal des Hauptanspruchs und ist aus denselben rechtlichen Gesichtspunkten abzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision wird gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO zugelassen. Die höchstrichterlich noch nicht entschiedene Rechtsfrage einer Haftung der Beklagten gemäß § 826 BGB aufgrund der Implementierung eines so genannten Thermofensters – konkret die Frage, ob eine solche Haftung bereits aufgrund der von den Zivilgerichten zu beachtenden Tatbestandswirkung der Typgenehmigung ausscheidet – hat im Hinblick auf die enorme Anzahl der bundesweit gegen die Beklagte anhängigen Klagen grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwertes des Berufungsverfahrens folgt aus § 63 Abs. 2 GKG, § 43 Abs. 1 GKG, § 47 Abs. 1 GKG und § 48 Abs. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO.