OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 03.12.2020 - 7 A 10652/19
Fundstelle
openJur 2020, 79673
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 11. März 2019 wird abgelehnt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor bzw. wurden nicht ausreichend i.S.v. § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt.

I. Die Berufung ist nicht wegen Divergenz nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG zuzulassen.

1. Die Berufung ist aus diesem Grund zuzulassen, wenn das angegriffene Urteil von einer Entscheidung der in der Vorschrift genannten Gerichte abweicht und auf dieser Abweichung beruht.

Eine Abweichung liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem durch das andere Gericht aufgestellten Rechtssatz in Anwendung derselben oder einer inhaltsgleichen Rechtsvorschrift ausdrücklich oder konkludent abrückt. Mit anderen Worten muss zwischen den Gerichten ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen. Im Zulassungsantrag muss ein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet werden und dem Rechtssatz des anderen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenübergestellt werden. Diesen Anforderungen wird ein Zulassungsvorbringen nicht gerecht, wenn kein abstrakter Rechtssatz herausgearbeitet wird, zu dem die Auffassungen der beiden Gerichte divergieren (vgl. BayVGH, Beschluss vom 17. Dezember 2019 - 9 ZB 19.34094 -, juris, Rn. 7; Beschluss des Senats vom 2. Juli 2020 - 7 A 10315/20.OVG, n.v.). Eine Zulassung wegen Divergenz kommt nicht in Betracht, wenn die Abweichung von einer inzwischen überholten Rechtsprechung geltend gemacht wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. März 1976 - VII B 22.76 -, juris, Rn. 2). Übertragen auf Tatsachenfragen scheidet eine Berufungszulassung wegen Divergenz aus, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse wesentlich geändert haben (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 29. März 2017 - 3 L 249/16 -, juris, Rn. 8).

2. Das Vorbringen der Beklagten genügt nicht, um den vorstehenden Anforderungen entsprechend von einer die Zulassung rechtfertigenden Divergenz auszugehen.

a) Zum einen hat sie keinen abstrakten Rechtssatz benannt, den das Verwaltungsgericht anders als eines der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten Gerichte angewandt hätte. Auf die zitierten Entscheidungen von Obergerichten anderer Bundesländer kann die Beklagte nicht Bezug nehmen. Sie gehören nicht zu den in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten Gerichten. Der Gesetzgeber hat mit den Wörtern "des Oberverwaltungsgerichts" klargestellt, dass nur die Abweichung von einer Entscheidung des für das betroffene Verwaltungsgericht zuständigen Rechtsmittelgerichts die Zulassung der Berufung rechtfertigen soll. Deshalb kommen von den zitierten Entscheidungen nur das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 21. Februar 2014 (- 10 A 10656/13.OVG -, juris) und dessen daran anknüpfenden Beschlüsse als Bezugspunkt für eine die Zulassung der Berufung rechtfertigende Divergenz in Betracht. Ausgehend von der Begründung der Beklagten ist das Verwaltungsgericht jedoch nicht von diesem Bezugspunkt abgewichen.

Die Beklagte stellt heraus, im Urteil vom 21. Februar 2014 sei entschieden worden, das italienische Asylsystem leide nicht an systemischen Mängeln, auf Grund derer Rückkehrer nach einer Rückführung eine menschenunwürdige Behandlung zu erwarten hätten. Das Asylsystem in Italien leide zwar an Mängeln, diese könnten indessen nicht als systemisch angesehen werden. Damit schließt es das Oberverwaltungsgericht jedoch nicht aus, dass in einzelnen Fällen zurückgeführte Schutzberechtigte gleichwohl eine konventionswidrige Behandlung befürchten müssen.

Das Verwaltungsgericht geht von keinem anderen Ansatz aus. Maßgeblich ist, dass es durch den Verweis auf seinen Eilbeschluss vom 31. Januar 2019 (7 L 181/19.TR) auf das Tarakhel-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 4. November 2014 (- 29217/12 -, beck-online) Bezug nimmt. Der Gerichtshof hatte dort festgestellt, dass Struktur und allgemeine Lage der Aufnahme in Italien nicht jegliches Überstellen von Asylbewerbern verhinderten. Bestimmte Tatsachen und Informationen begründeten aber ernstliche Zweifel an der Kapazität des Systems. Danach könne die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden, dass eine erhebliche Zahl von Asylbewerbern keine adäquate Unterkunft finden könne (a.a.O., Rn. 115). Vor diesem Hintergrund hat der Gerichtshof beanstandet, dass für eine konkrete Unterkunft keine Informationen dazu vorlagen, ob der Erhalt der Familieneinheit gewährleistet sei (a.a.O., Rn. 121). Der Gerichtshof und damit das Verwaltungsgericht stellen folglich nicht systemische Mängel in Italien in Bezug auf die Behandlung von Asylbewerbern bzw. Schutzberechtigten in den Vordergrund, sondern fordern nur in bestimmten Konstellationen zusätzliche Sicherungen zur Gewährleistung einer adäquaten Unterbringung.

b) Zum anderen kann das Urteil des hiesigen Oberverwaltungsgerichts vom 21. Februar 2014 nicht mehr als Bezugspunkt für eine Zulassung wegen Divergenz herangezogen werden kann. Es konnte naturgemäß nicht die zwischenzeitlichen wesentlichen Veränderungen betreffend die Behandlung von Asylantragstellern und anerkannten Schutzberechtigten in Italien berücksichtigen. Während der Amtszeit des früheren italienischen Innenministers Salvini (Juni 2018 bis September 2019) ergingen politische Entscheidungen, die sich in der Praxis zumindest teilweise negativ auf die Aufnahme- bzw. Lebensbedingungen von Asylbewerbern und Schutzberechtigten auswirkten. Diese Phase konnte in dem Urteil aus dem Jahr 2014 ebenso wenig bewertet werden wie die anschließenden Bemühungen der italienischen Regierung, die sogenannten Salvini-Beschlüsse zu revidieren (s. Human Rights Watch, "Finally, Good News for Asylum Seekers in Italy", 7. Oktober 2020, Informationsverbund Asyl & Migration).

II. Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).

Eine Rechtssache ist grundsätzlich bedeutsam, wenn der Streitfall die Entscheidung einer klärungsbedürftigen und -fähigen Rechts- oder Tatsachenfrage erfordert, die sich in einer Vielzahl weiterer Fälle stellen kann und deshalb das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. November 2008 - 1 BvR 2587/06 -, juris, Rn. 19). Ausreichend dargelegt ist die grundsätzliche Bedeutung nur, wenn eine konkrete Frage zur Rechtslage oder zur Tatsachenfeststellung formuliert und aufgezeigt wird, weshalb sie bislang nicht geklärte Probleme aufwirft, die über den Einzelfall hinaus bedeutsam sind und im Interesse der Einheitlichkeit und Fortentwicklung der Rechtsprechung in einem Berufungsverfahren geklärt werden müssen (vgl. Beschluss des Senats vom 31. August 2020 - 7 A 11602/19.OVG -, juris, Rn. 3).

1. Die erste Frage der Beklagten,

ob die Asylverfahrens-und Aufnahmebedingungen in Italien für vulnerable Personen wie Schwangere und ihre ungeborenen Kinder von Mängeln im Sinne des Art. 3 Abs. 2 UA 2 Dublin III-VO gekennzeichnet sind,

ist je nach Auslegung nicht klärungsfähig oder ihre grundsätzliche Bedeutung wurde nicht ausreichend im Sinne von § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt.

a) Hält man am Wortlaut der Frage fest, so ist sie nicht klärungsfähig.

Diese Eigenschaft fehlt einer Rechts- oder Tatsachenfrage unter anderem, wenn sie für das Berufungsurteil nicht entscheidungserheblich wäre (vgl. Beschluss des Senats vom 30. September 2019 - 7 A 11012/19.OVG -, ESOVGRP, Rn. 10). Nach ihrem Wortlaut stellt die Frage auf die Situation von Schwangeren ab. Eine Bewertung der Lage dieser Personengruppe würde der Senat nicht vornehmen, da die Klägerin am 20. Mai 2019 Mutter einer Tochter wurde.

Nichts anderes ergibt sich, wenn man zu Gunsten der Beklagten die Frage so interpretiert, dass Mütter mit Kleinstkindern mitumfasst sein sollen, sofern diese während des Gerichtsverfahrens geboren werden. Eine Bewertung der Lage dieser Personengruppe insgesamt würde der Senat ebenfalls nicht vornehmen. Nach ihrem Wortlaut (keine Spezifizierung, "gekennzeichnet") bezieht sich die Frage dann auf die Lage aller asylsuchenden Mütter mit Kleinstkindern in Italien. Darauf käme es hier jedoch nicht an, da bei der Klägerin ein Merkmal vorliegt, dass sie aus dieser Personengruppe hervorhebt. Bei ihr wäre zu prüfen, wie sich ihre Situation nach einer Rückführung darstellt. Für die Bewertung der Aufnahme- und Unterbringungssituation in Italien ist es von maßgeblicher Bedeutung, ob die Betroffenen sich ununterbrochen in Italien aufhalten oder nach dort zurückgeführt werden. Davon hängt es etwa ab, wo und unter welchen Bedingungen sie untergebracht werden (s. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aufnahmebedingungen in Italien 1. Januar 2020, MILo, S. 37).

b) Selbst wenn man annimmt, die Beklagte habe mit ihrer Frage die Situation der nach Italien zurückgeführten Mütter mit Kleinstkindern in den Blick nehmen wollen, ist die grundsätzliche Bedeutung der so verstandenen Frage nicht dargelegt.

Da sich die Frage auf die dem angegriffenen Urteil zu Grunde gelegte Bewertung der tatsächlichen Verhältnisse bezieht, sind im Rahmen der Darlegungspflicht besondere Anforderungen zu erfüllen. Der Rechtsmittelführer muss Erkenntnisquellen zum Beleg dafür angeben, dass die Tatsachenbewertung des Verwaltungsgerichts unzutreffend oder zumindest zweifelhaft ist. Es reicht nicht, wenn lediglich Zweifel an der Tatsachengrundlage geäußert werden oder behauptet wird, dass sie sich anders darstellt. Es muss sich eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür ergeben, dass die Einschätzungen des Rechtsmittelführers zutreffend sind, so dass es zur Klärung eines Berufungsverfahrens bedarf (vgl. Beschluss des Senats vom 20. Mai 2020 - 7 A 10228/20.OVG -, juris, Rn. 9). Die dem angegriffenen Urteil zu Grunde liegende Sachverhaltsbewertung hat die Beklagte nicht erschüttert.

Das Verwaltungsgericht ging unter Bezugnahme auf das bekannte Tarakhel-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte davon aus, dass (noch) Unsicherheiten bestehen, ob unter anderem für asylsuchende Mütter mit Kleinstkindern in Italien adäquate Unterkünfte zur Verfügung stehen. Auch nach dem Vorbringen der Beklagten im Zulassungsantrag lassen sich solche Unsicherheiten jedoch nicht verlässlich ausschließen. Sie führt zwar aus, dass nach Auskunft des italienischen Innenministeriums Plätze für Familien sowie allein reisende Frauen mit Kinder vorhanden seien. Sie räumt indes die Möglichkeit von im Einzelfall auftretenden temporären Schwierigkeiten bei der staatlichen Unterbringung ein, denen dadurch begegnet werden könne, dass auf private Unterbringungsmöglichkeiten zurückgegriffen werde (Antragsschrift, S. 12). Ferner räumt die Beklagte ein, dass unter Umständen ein Zeitverzug eintrete, bis Dublin-Rückkehrer (wie die Klägerin) tatsächlich einen Unterbringungsplatz finden könnten (Antragsschrift, S. 16). Solche Unwägbarkeiten sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Anlass, sich im Einzelfall Gewissheit über die Unterbringungsmöglichkeiten zu verschaffen.

2. Die zweite Frage der Beklagten,

ob es in Bezug auf Italien - den Zielstaat der Überstellung - vor Erlass eines auf § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gestützten Ablehnungsbescheids bei Schwangeren und ihren ungeborenen Kindern noch einer individuellen Zusicherung zu adäquaten Aufnahmebedingungen, insbesondere einer angemessenen Unterbringung, wie sie nach der sog. Tarakhel-Entscheidung des EGMR gefordert war, bedarf,

rechtfertigt die Zulassung der Berufung ebenfalls nicht.

Der Senat geht auch bei dieser Frage davon aus, dass sie Mütter mit Kleinstkinder mitumfassen soll. Sie hat eine rechtliche und eine tatsächliche Komponente. Rechtlich wäre zu klären, welche Voraussetzungen vorliegen müssen, damit eine individuelle Zusicherung erforderlich ist. In tatsächlicher Hinsicht wäre zu bewerten, ob diese Voraussetzungen im entscheidungserheblichen Zeitpunkt vorliegen.

a) Die rechtliche Teilfrage ist nicht klärungsbedürftig.

Diese Eigenschaft ist einer als grundsätzlich bezeichneten Frage abzusprechen, wenn sie sich auf der Grundlage des Gesetzes und bereits vorliegender Rechtsprechung ohne weiteres beantworten lässt (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 13. Dezember 2004 - VGH B 7/04 -, AS 35, 184). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (vgl. Tarakhel-Urteil, a.a.O.) und ihm folgend das Bundesverfassungsgericht haben geklärt, unter welchen Voraussetzungen eine individuelle Erklärung des Zielstaates der Rückführung dazu, dass Unterbringung und Versorgung nicht gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC verstoßen, benötigt wird. Eine solche Zusicherung kann nur in einer Situation erforderlich werden, in der nicht ohne weiteres von konventionskonformen Aufnahmebedingungen nach einer Rückführung ausgegangen werden kann. Dies ist etwa der Fall, wenn das Risiko einer vorübergehenden Obdachlosigkeit, zum Beispiel wegen Hürden im Verwaltungsverfahren, schlüssig dargelegt ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2019 - 2 BvR 1380/19 -, juris, Rn. 23). Nur dann ist der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens der Mitgliedsstaaten darauf, dass die nationalen Rechtsordnungen den wirksamen Schutz der Grundrechte in Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC gewährleisten (vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a., Ibrahim -, juris, Rn. 84 f.), erschüttert. Selbst in einer solchen Situation ist eine individuelle Zusicherung nicht zwangsläufig erforderlich. Hinzukommen muss, dass die Behörde oder das Gericht nicht über ausreichende Erkenntnisse verfügt, um im konkreten Fall ausschließen zu können, dass sich das Risiko verwirklicht; eine Entscheidung dieses Inhalts würde auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage beruhen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2019 - 2 BvR 1380/19 -, juris, Rn. 16, 24).

b) Die grundsätzliche Bedeutung der Teilfrage zu den tatsächlichen Gegebenheiten ist nicht ausreichend dargelegt.

Wie in Abschnitt II.1.b) dargelegt muss sich auf Grund der Begründung des Zulassungsantrags eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür ergeben, dass die Einschätzungen des Rechtsmittelführers zur tatsächlichen Situation zutreffend sind, so dass es zur Klärung eines Berufungsverfahrens bedarf. Die Beklagte müsste also auf der Grundlage stichhaltiger Erkenntnismittel dartun, weshalb die dem angegriffenen Urteil zu Grunde liegende Feststellung unzutreffend ist, dass Schwangere bzw. alleinerziehende Mütter mit Kleinstkindern ohne eine individuelle Zusicherung der italienischen Behörden Gefahr laufen, nicht unverzüglich eine angemessenen Unterkunft erhalten und ihre elementarsten Bedürfnisse befriedigen zu können (vgl. OVG Nds, Beschluss vom 20. Dezember 2019 - 10 LA 192/19 -, juris, Rn. 22). Mit anderen Worten müsste die Beklagte darlegen, dass homogene und kindgerechte Bedingungen in den Aufnahmeeinrichtungen für Dublin-Rückkehrer herrschen und dass verfahrensmäßige Sicherungen bestehen, die eine Unterbringung in Einrichtungen ausschließen, die diese Bedingungen nicht erfüllen (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 15. September 2020 - 3 L 143/20 - juris, Rn. 15). Diese Anforderungen erfüllt die Begründung des Zulassungsantrags nicht. Denn die Beklagte räumt - wie bereits dargelegt - ein, dass das Risiko einer nicht adäquaten Unterbringung weiterbesteht.

c) Die zweite Teilfrage ist ferner deshalb nicht grundsätzlich bedeutend, weil sie sich einer fallübergreifenden Klärung entzieht.

Der Senat hat mit Beschluss vom 31. August 2020 (- 7 A 11602/19.OVG -, juris, Rn. 11 ff.) die grundsätzliche Bedeutung einer Tatsachenfrage verneint, die zu allgemein gehalten ist, um für das Berufungs- oder ähnlich gelagerte Verfahren maßgeblich zu sein, weil es auf von der Frage nicht umfasste individuelle Faktoren ankommt. Er hat dazu ausgeführt:

Diese Bewertung kann nur für jeden einzelnen Fall individuell getroffen werden. Die Schwelle für die Annahme einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung, also das "Mindestmaß an Schwere" der Rechtsbeeinträchtigung, ist relativ und nach allen Umständen des jeweiligen Falls zu bestimmen (vgl. BayVGH, Beschluss vom 9. Januar 2020 - 20 ZB 18.32705 -, juris, Rn. 7). Denn es hängt von einer Vielzahl von Einzelumständen ab, wie sich die Situation bei einer Rückkehr in den anderen Mitgliedstaat darstellt. Dies gilt vor allem in Bezug auf die Erwerbsmöglichkeiten und den Umfang der Angewiesenheit auf staatliche Unterstützung. Dabei sind individuelle Faktoren wie die folgenden ausschlaggebend: Vorhandensein und Anzahl betreuungsbedürftiger Kinder, Unterstützungsmöglichkeiten durch Familie oder Freunde, Vermögen, Geschlecht, Ethnie, Alter, Ausbildung, Berufserfahrungen, Sprachkenntnisse, Gesundheitszustand (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. Juli 2020 - 19 A 1553/19.A -, Rn. 6; SaarlOVG, Beschluss vom 16. März 2020 - 2 A 324/19 -, Rn. 12; beide juris).

Die Bewertung der individuellen Rückkehrsituation ist vorrangig gegenüber einer Prüfung der allgemeinen Lebenssituation. Art. 3 EMRK verpflichtet die Vertragsstaaten nicht, jeden Schutzberechtigten mit einer Wohnung zu versorgen oder finanziell zu unterstützen. Schlechte Lebensbedingungen führen nur dann zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK, wenn der Betroffene in einem völlig fremden Umfeld vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. August 2018 - 1 B 25/18 -, juris, Rn. 10 f.). <...> Dieses Prüfprogramm folgt der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. <...>

Diese Überlegungen lassen sich auf die vorliegende Frage übertragen. Dabei kann unterstellt werden, es läge tatsächlich eine Situation vor, in der nicht ohne weiteres von konventionskonformen Aufnahmebedingungen nach einer Rückführung ausgegangen werden kann. Dann sind gleichwohl eine Reihe von Umständen in den Blick zu nehmen, die auch ohne individuelle Zusicherung des italienischen Staates das Risiko ausschließen, dass die betroffene Mutter mit ihrem Kleinstkind nicht unverzüglich eine adäquate Unterkunft erhalten kann. Auch bei Angehörigen vulnerabler Personengruppen wie Eltern mit Kindern bedarf es stets einer Würdigung des Einzelfalls (vgl. SaarlOVG, Beschluss vom 2. September 2020 - 2 A 74/20 -, juris, Rn. 14). Von den im Beschluss des Senats vom 31. August 2020 genannten Faktoren sind bei der Rückführung von Müttern mit Kleinstkindern insbesondere die Unterstützung durch Familie und Bekannte sowie das vorhandene Vermögen von Bedeutung. Bei Vorhandensein dieser Möglichkeiten kann die Betroffene selbst dafür sorgen, dass ihr in Italien für eine Übergangszeit eine adäquate Unterkunft zur Verfügung steht. In Bezug auf die Erforderlichkeit einer individuellen Zusicherung kommt es ferner auf die angedachte Unterkunft und die aktuelle Auskunftslage dazu im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an. Aus dem Tarakhel-Urteil lässt sich ableiten, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte es für ausreichend erachtet, wenn das allgemeine Risiko einer unzureichenden Unterbringung auf Grund vorhandener Informationen jedenfalls für die tatsächlich vorgesehene Unterkunft auszuschließen ist (a.a.O., Rn. 121).

d) Die zweite Frage rechtfertigt die Zulassung der Berufung ferner deshalb nicht, weil die Beklagte sich der Sache nach auf einen nicht statthaften Zulassungsgrund beruft. Sie macht letztlich ernstliche Zweifel an der erstinstanzlichen Entscheidung geltend. Denn im Kern wird eingewandt, das Verwaltungsgericht habe im Fall der Klägerin keine individuelle Zusicherung des italienischen Staates fordern dürfen. Im Asylverfahren rechtfertigt die Frage nach der Ergebnisrichtigkeit des angegriffenen Urteils keine Zulassung der Berufung; sie findet sich unter den in § 78 Abs. 3 AsylG abschließend aufgezählten Zulassungsgründen nicht (vgl. SaarlOVG, Beschluss vom 2. September 2020 - 2 A 74/20 -, juris, Rn. 16).

e) Nach den vorstehenden Ausführungen kommt es nicht mehr darauf an, ob die zweite Frage durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Oktober 2019 (- 2 BvR 1380/19 -, juris) bereits geklärt ist (so BayVGH, Beschluss vom 19. Oktober 2020 - 13a ZB 18.30891 -, juris, Rn. 4).

Der Senat versteht den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts jedoch nicht so, dass die Erforderlichkeit einer individuellen Zusicherung des italienischen Staates zur adäquaten Unterbringung rückgeführter Mütter mit Kleinkindern mit bindender Wirkung für die Fachgerichte ohne zeitliche Beschränkung festgestellt werden sollte. Dem steht zum einen die Überlegung entgegen, dass das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich den Wertungsrahmen der Fachgerichte beachtet und ihnen die Ermittlung des Sachverhalts und seine rechtliche Bewertung überlässt; es beanstandet jedoch dabei vorkommende verfassungsrechtliche Verstöße (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 3. März 2000 - 2 BvR 39/98 -, juris, OS 2, 4, 5). Zum anderen lässt sich eine Bindung der Fachgerichte in punkto Erforderlichkeit einer individuellen Zusicherung durch italienische Stellen aus dem Beschluss vom 10. Oktober 2019 nicht ableiten. Zwar enthält er eine Bewertung der Umstände in Italien. Danach könne seit dem Erlass des Salvini-Dekrets nicht mehr ohne weiteres von der Gewährleistung einer kind- und familiengerechten Unterbringung ausgegangen werden (a.a.O., Rn. 23). Diese Passage darf jedoch nicht losgelöst von dem Obersatz gesehen werden, dessen Begründung sie dient. Die Verfassungsbeschwerde hatte nicht deshalb Erfolg, weil das Bundesverfassungsgericht positiv festgestellt hätte, dass Rechte aus Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC verletzt seien. Es hat vielmehr einen Verstoß gegen die sich aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ergebenden Anforderungen an die Aufklärung und Beurteilung der Aufnahmebedingungen in Italien moniert (a.a.O., Rn. 13). Ein solcher Verstoß wäre nicht anzunehmen gewesen, wenn sich ohne weiteres hätte ersehen lassen, dass die Aufnahmebedingungen konventionskonform waren. Insoweit war die Sachverhaltsbewertung zwar Ausgangspunkt für die Feststellung eines Verstoßes gegen die Aufklärungspflicht, nicht jedoch für eine Feststellung der Verletzung von Konventionsrechten.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; gemäß § 83b AsylG ist das Verfahren gerichtskostenfrei.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar; damit wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).