VG Regensburg, Urteil vom 03.09.2020 - RN 5 K 18.59
Fundstelle
openJur 2020, 78863
  • Rkr:
Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Das Urteil ist in Ziffer II vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen eine erweiterte Gewerbeuntersagung. Er war Geschäftsführer der ... GmbH. Die Klage gegen die gegen die GmbH gerichtete Gewerbeuntersagung (RN 5 K 18.60) hat der Kläger zurückgenommen. Mit Beschluss vom 25.3.2020 wurde das Verfahren eingestellt.

Am 16.1.2015 meldete der Kläger für die ... GmbH das Gewerbe "Projektierung und Erbringung handwerklicher Dienstleistungen, die als zulassungsfreie Handwerke betrieben werden können: Fliesen-, Platten-, und Mosaikleger, Estrichleger, Parkettleger, Rollladen und Sonnenschutztechniker, Gebäudereiniger, Eisenflechter, Bautrocknungsgewerbe, Bodenleger, Holz- und Bautenschutz, Betonbohrer und -schneider, Rohr- und Kanalreiniger, Kabelverleger im Hochbau, Einbau von genormten Baufertigteilen, Garten- und Landschaftsbau, Trockenbau" mit Tätigkeitsbeginn am gleichen Tag an.

Am 11.2.2015 wurde die ... GmbH, Geschäftsanschrift ...straße ...,  auf Grundlage des Gesellschaftsvertrages vom 16.1.2015 in das Handelsregister eingetragen. Als Geschäftsführer wurde der Kläger bestellt.

Am 19.2.2015 meldete der Kläger bei der Gemeinde ... das Gewerbe "Vermittlung von Versicherungen und Bausparverträgen, Holz und Bautenschutz, Einbau von genormten Baufertigteilen, Montageservice" mit Tätigkeitsbeginn am 1.2.2015 an.

Mit Schreiben vom 13.6.2017 regte das Finanzamt P. gegenüber dem Landratsamt P. eine erweiterte Gewerbeuntersagung gegenüber dem Kläger sowie deren sofortigen Vollzug an. Die gewerbliche Unzuverlässigkeit des Klägers ergebe sich daraus, dass dieser Betriebssteuern bzw. Personensteuern, die aus dem Betrieb resultierten, von insgesamt 48.405,06 EUR (Umsatzsteuer 2014, Säumniszuschläge aus Einkommenssteuer und Umsatzsteuer aus 2016) schulde. Durch die Nichtentrichtung dieser Steuern habe sich der Kläger gegenüber anderen, pünktlich zahlenden Steuerpflichtigen einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil verschafft. Die Vollstreckung sei im Wesentlichen erfolglos verlaufen: Forderungspfändungen hätten nicht zum Erfolg geführt, die Eintragung des Klägers in das Schuldnerverzeichnis nach § 882h Abs. 1 ZPO sei am 2.3.2017 angeordnet worden, das Amtsgericht Passau habe am 10.3.2017 Haft zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft angeordnet. Die letzte freiwillige Zahlung sei am 3.5.2017 in Höhe von 3.962,00 EUR erfolgt, Ratenzahlungen würden nicht eingehalten. Der Kläger sei auch seinen sonstigen Verpflichtungen nicht ordnungsgemäß nachgekommen, die Umsatzsteuervoranmeldung für den Monat 5/17 sei nicht eingereicht worden. Es sei davon auszugehen, dass die Steuerrückstände weiter ansteigen würden.

Die Industrie- und Handelskammer (IHK) ... teilte mit Schreiben vom 12.7.2017 mit, dass der Kläger seit 1.2.2015 mit seinem Einzelgewerbe zu dieser Kammer zugehörig sei. Des Weiteren sei er seit 11.2.2015 Geschäftsführer der ... GmbH. Beitragsforderungen oder Zahlungsrückstände bestünden derzeit nicht. Allerdings seien weder der Kläger noch die ... GmbH bisher zu Beiträgen veranlagt worden. Sonstige Informationen, die auf eine gewerbliche Unzuverlässigkeit des Klägers schließen ließen, seien ihr bisher nicht bekannt. Dasselbe gelte für die ... GmbH.

Die AOK ..., Direktion P., teilte mit Schreiben vom 12.7.2017 mit, dass der Kläger keine Arbeitnehmer gemeldet habe und keine Rückstände an Beiträgen zur Sozial- und Pflegeversicherung bestünden. Die ... GmbH habe derzeit Beitragsrückstände in Höhe von 4.883,01 EUR. Die vorhergehenden Zahlungen seien größtenteils über Kontopfändungen erfolgt. Meldungen und Beitragsnachweise seien vollständig und würden vom Steuerberater erstellt und eingereicht.

Das Amtsgericht Passau, Insolvenzgericht, teilte mit Schreiben vom 17.7.2017 mit, dass kein Insolvenzverfahren anhängig sei und keine Einträge im Insolvenzverzeichnis bestünden.

Mit Schreiben vom 21.7.2017 teilte das Finanzamt P. dem Landratsamt mit, dass der Kläger momentan seinen steuerlichen Pflichten nachkomme. Eine Weiterverfolgung des Verfahrens zur Gewerbeuntersagung erscheine derzeit nicht notwendig.

Zum 25.7.2017 enthielt das Schuldnerverzeichnis des Vollstreckungsportals keine Eintragung des Klägers. Die Handwerkskammer ... teilte mit Schreiben vom 26.7.2017 mit, dass der Kläger alle Beiträge bezahlt habe. Der Markt ... teilte mit Schreiben vom 27.7.2017 mit, dass der Kläger erst in 2017 gewerbesteuerpflichtig geworden sei. Die Vorauszahlung mit Fälligkeit am 15.5.2017 sei noch nicht bezahlt worden.

Zum 3.8.2017 bestanden Steuerrückstände der ... GmbH in Höhe von 2.416,64 EUR (Steuerrückstände Lohnsteuer 2.393,14 EUR, Säumniszuschläge in Höhe von 23,50 EUR). Das Finanzamt P. teilte mit Schreiben vom 3.8.2017 mit, dass diese Rückstände seit Mai 2016 nur aus Kontenpfändungen geleistet würden.

Die S.-Bau teilte mit Schreiben vom 8.8.2017 mit, dass der Kläger als Einzelunternehmen durch sie nicht erfasst sei. Für die ... GmbH werde seit dem 1.2.2015 ein Beitragskonto zur Entgegennahme der monatlich anfallenden Sozialkassenbeiträge geführt. Die GmbH sei ihren tarifvertraglichen Pflichten nicht nachgekommen, sodass per 31.7.2017 ein Rückstand von 53.119,09 EUR bestünde.

Laut telefonischer Rückfrage waren zum 10.8.2017 für die ... GmbH gegenüber dem Markt ... 408,00 EUR Gewerbesteuer offen. Die Zwangsvollstreckung laufe.

Im Zeitraum zwischen dem 19.8.2017 und dem 7.9.2017 wurde der Kläger stationär im Klinikum ... behandelt, vom 17.8.2017 bis (voraussichtlich) 17.11.2017 war der Kläger arbeitsunfähig krankgeschrieben.

Mit Schreiben vom 15.9.2017 wurden der Kläger und die ... GmbH zu der beabsichtigten Gewerbeuntersagung angehört.

Der IHK ... wurde mit Schreiben vom 15.9.2017 mitgeteilt, dass der Kläger und die GmbH zu der beabsichtigten Gewerbeuntersagung angehört würden. Die Unzuverlässigkeit werde durch die Steuerrückstände und die Beitragsrückstände bei AOK und S. Bau belegt. Die IHK teilte mit Schreiben vom 5.10.2017 mit, dass sie sich mit dem Kläger in Verbindung gesetzt habe, dieser habe auf ihr Schreiben bisher nicht reagiert.

Mit Schreiben vom 13.10.2017 wurden der Kläger und die ... GmbH erneut zu der beabsichtigten Gewerbeuntersagung angehört.

Mit Schreiben vom 10.11.2017 wurden der Kläger und die ... GmbH zu den aktuellen Entwicklungen bei den Rückständen angehört. Laut telefonischer Nachfrage am 10.11.2017 habe sich ergeben, dass bei dem Finanzamt P. am 10.11.2017 für die ... GmbH Lohnsteuerrückstände in Höhe von 3.246,48 EUR bestünden. Bezüglich der Umsatzsteuer sei der Rückstand aufgrund eines Vollstreckungsaufschubes deutlich reduziert worden, die weitere Vorgehensweise müsse mit dem Finanzamt abgestimmt werden.

Bei der AOK hätten am 10.11.2017 für die ... GmbH Beitragsrückstände von 21.366,28 EUR bestanden. Es seien immer wieder Kontopfändungen erforderlich gewesen, ferner sei die Meldung für Oktober nicht erfolgt, sodass geschätzt werden musste. Die Beitragsrückstände gegenüber der S.-Bau hätten zum 10.11.2017 (Meldungen bis August) 52.252,42 EUR betragen. Freiwillige Zahlungen seien nicht erfolgt, die letzten Zahlungen erfolgten aus Zwangsvollstreckungen. Beim Markt ... seien keine Zahlungen mehr offen gewesen, die nächsten Fälligkeiten seien zum 15./16.11.2017.

Das Finanzamt P. teilte am 1.12.2017 Einkommens- und Umsatzsteuerrückstände des Klägers in Höhe von 34.873,56 EUR (Steuerrückstände 24.533,56 EUR, Säumniszuschläge 10.340,00 EUR) sowie ferner mit, dass der Kläger seinen steuerlichen Pflichten nicht mehr nachkomme. Die gewährten Raten zur Tilgung der Umsatzsteuernachzahlung 2014 seien entrichtet worden und ein weiterer Vollstreckungsaufschub beantragt worden, mangels Vorliegen der notwendigen Voraussetzungen jedoch abgelehnt worden. Obwohl die Umsatzsteuer für August 2017 am 30.10.2017 sowie die Verpflichtung zur Einreichung der Umsatzsteuervoranmeldung für Oktober 2017 am 10.11.2017 fällig gewesen seien, seien trotz diverser Mahnungen weder die Erklärung noch die Zahlung eingegangen.

Für die ... GmbH bestanden laut Kontostand vom 7.12.2017 Rückstände bzgl. Lohn- (August bis Oktober 2017) und Körperschaftssteuer (2016, 3. Quartal 2017) in Höhe von 11.230,52 EUR (Steuerrückstände 11.085,02 EUR, Säumniszuschläge 145,50 EUR).

Für die ... GmbH gingen bei der AOK am 6.12.2017 aus einer Kontopfändung über 20.000 EUR ein; am 7.12.2017 war somit nur der Beitrag für November offen.

Mit Bescheid des Landratsamtes P. vom 8.12.2017, dem Kläger und der ... GmbH zugestellt am 12.12.2017, untersagte das Landratsamt P. der ... GmbH in Ziffer 1 und dem Kläger in Ziffer 2 die Ausübung der jeweils angemeldeten (Ziffer 2a) sowie sämtlicher sonstiger Gewerbe sowie die Tätigkeit als Vertretungsberechtigte eines Gewerbetreibenden (Ziffer 2b) und setzte für die Abwicklung der Betriebseinstellung nach Ziffer 2a) eine Frist bis zum 28.2.2018, im Falle der Klage eine Frist von vier Wochen nach Bestandskraft des Bescheides (Ziffer 3). Für den Fall der weiteren oder erneuten Ausübung gewerblicher Tätigkeiten nach der Frist in Ziffer 3 wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 2.500,00 EUR fällig gestellt und dem Kläger sowie der ... GmbH jeweils die Verfahrenskosten auferlegt (jeweils Gebühr von 400,00 EUR und Auslagen von 3,09 EUR - Ziffer 5a), b)).

Zur Begründung legte das Landratsamt dar, dass der Kläger nicht zuverlässig im Sinne der Gewerbeordnung sei. Dafür stützte es sich im Wesentlichen auf die Rückstände der ... GmbH bei den Beiträgen der AOK und der S.-Bau sowie gegenüber dem Finanzamt. Die steuerlichen Pflichten würden ferner nicht zuverlässig erfüllt. Die Untersagung könne auch gegen Vertretungsberechtigte oder mit der Leitung des Gewerbebetriebs beauftragte Personen ausgesprochen werden sowie die jegliche Gewerbeausübung und die genannte Funktion betreffen. Als Geschäftsführer der ... GmbH sei der Kläger für deren Zuverlässigkeit verantwortlich. Bezüglich der erweiterten Gewerbeuntersagung führte das Landratsamt aus, dass die Tatsachen, die die Unzuverlässigkeit begründeten, tätigkeitsübergreifend seien. Die Höhe des Zwangsgeldes entspreche dem wirtschaftlichen Interesse des Betroffenen und sei pflichtgemäß geschätzt worden. Auf den Bescheid wird im Übrigen Bezug genommen.

Zum 11.12.2017 befand sich bei der S.-Bau das Sozialkassen-Beitragskonto der ... GmbH über 63.777,89 EUR im Soll, das Winterbeschäftigungs-Umlagekonto über 2.762,85 EUR im Soll. Der Erstattungsanspruch (Urlaubsvergütung) belief sich auf 47.158,85 EUR.

Zum 11.5.2018 bestanden fünf Einträge des Klägers im Schuldnerverzeichnis des Vollstreckungsportales von März und April 2018 wegen Nichtabgabe der Vermögensauskunft.

Laut Rückfrage des Landratsamtes P. am 9.5.2018 bestanden für den Kläger Steuerrückstände in Höhe von etwa 21.916,92 EUR (Hauptforderung 10.631 EUR, im Übrigen Säumniszuschläge). Für die GmbH bestanden seit dem 27.2.2018 Rückstände von 4.950,09 EUR, die im Untersagungsverfahren mitgeteilten Rückstände seien wohl beglichen. Die Rückstände gegenüber der S.-Bau beliefen sich auf etwa 72.537,15 EUR, zu denen noch in Kürze Forderungen für Mai und April kämen; Ansprüche der ... GmbH bestanden in Höhe von 60.581,95 EUR.

Die ... GmbH wurde zum 5.2.2019 aufgelöst und am 15.1.2020 gem. § 395 FamFG von Amts wegen aus dem Handelsregister gelöscht.

Am 20.1.2020 ordnete das Landratsamt den Sofortvollzug der Gewerbeuntersagung an. Zur Begründung wurde angeführt, dass die Steuerrückstände während des Klageverfahrens wieder angestiegen wären, auch wäre die Anzahl der Eintragungen im Schuldnerverzeichnis auf 18 (8 x Nichtabgabe der Vermögensauskunft, 10 x Gläubigerbefriedigung ausgeschlossen) angestiegen. Ferner sei der Kläger mit Beschluss vom 14.11.2019 wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 15,00 EUR verurteilt worden.

Laut Kontenstand vom 24.3.2020 betrugen die Steuerrückstände des Klägers insgesamt 24.837,51 EUR (Lohn-, Einkommens- und Umsatzsteuern sowie Vollstreckungskosten in Höhe von 11.283,51 EUR, Säumniszuschläge in Höhe von 13.554,00 EUR).

Am 27.3.2020 bestanden für den Kläger 18 Einträge im Schuldnerverzeichnis.

Mit Schriftsätzen vom 11.1.2018, bei Gericht eingegangen am selben Tag, haben der Kläger und die ... GmbH Klage gegen den Bescheid vom 8.12.2017 erheben lassen.

Der Kläger lässt zunächst vortragen, dass die Verbindlichkeiten gegenüber der AOK zwischenzeitlich vollständig beglichen worden seien, die aktuellen Forderungen würden bezahlt. Die Forderungen des Marktes ... seien beglichen worden. Bei dem Finanzamt P., mit dem die ... GmbH eine Vereinbarung getroffen habe, die auch eingehalten werde, bestünden keine Rückstände mehr. Den Forderungen der S.-Bau in Höhe von 75.618,25 EUR stünden Erstattungsansprüche in Höhe von 60.581,95 EUR gegenüber, wonach dieser effektiv nur 15.036,30 EUR geschuldet würden. Die Auftragslage des Unternehmens sei günstig, es habe 2018 Aufträge in einem Gesamtwert von 360.000,00 EUR in ganz Deutschland akquiriert. Das Finanzamt P., das Anlass für die Einleitung des Gewerbeuntersagungsverfahrens gegeben habe, habe sich zwischenzeitlich mit der ... GmbH verständigt und lege auf die Fortführung des Gewerbeuntersagungsverfahrens keinen Wert. Bisher habe die ... GmbH ordnungsgemäß und ohne Beanstandung gewirtschaftet, sie habe lediglich ein temporäres Liquiditätsproblem aufgrund einer dreimonatigen krankheitsbedingten Abwesenheit des Klägers und Forderungsausfällen gehabt.

Er ist der Auffassung, dass die derzeitige Lage der ... GmbH aussagekräftige Rückschlüsse auf die Lage bei Bescheidserlass erlaube. Bezüglich der Ansprüche der S. Bau seien in der Gesamtbetrachtung die erheblichen Erstattungsansprüche der ... GmbH zu berücksichtigen. Ferner sei die Rechtslage undurchsichtig; durch die Abführungen an diese würden der ... GmbH erhebliche Liquiditätsmittel entzogen. Die Untersagung gegen den Kläger als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als einer mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragte Person werde akzeptiert.

Die Untersagung sämtlicher Gewerbetätigkeiten sei unverhältnismäßig. Sie nehme dem Kläger, der 54 Jahre alt sei, die Möglichkeit, sich am Wirtschaftsleben zu beteiligen, seine Schulden zu begleichen und einen Lebensunterhalt für sich und seine Familie verdienen. Eine abhängige Arbeit werde er auf dem Arbeitsmarkt aufgrund seines Alters wohl nicht finden. Der Gerichtsbescheid verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der Kläger sei seit über 30 Jahren selbständiger Gewerbetreibender und habe über Jahrzehnte sein Gewerbe beanstandungsfrei geführt.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 8.12.2017 (Az: 41-14/8221) in Ziffern 2a, 2b, 3, 4 und 5b aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Auffassung, dass entscheidend der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung sei, zu diesem hätten Steuerrückstände des Einzelunternehmens des Klägers in Höhe von 34.873,56 EUR bestanden. Der Kläger sei für die Rückstände bei S. Bau und Finanzamt verantwortlich gewesen. In der Klage würden die Rückstände nicht bestritten, sondern nur eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation seit der Untersagung geltend gemacht. Dies sei für die Rechtmäßigkeit der Gewerbeuntersagung nicht relevant. Ferner sei die Zuverlässigkeit des Klägers noch nicht wiederhergestellt. Die Steuerrückstände für GmbH und Kläger, sowie die Rückstände der GmbH gegenüber der S.-Bau sowie die Eintragungen im Schuldnerverzeichnis würden die weitere Zahlungsunfähigkeit des Klägers, sowie dessen fehlende Bereitschaft, seinen Verpflichtungen gegenüber seinen Gläubigern nachzukommen, belegen.

Das Gericht hat mit Gerichtsbescheid vom 15.5.2020, zugestellt am 28.5.2020, die Klage abgewiesen. Der Kläger ließ dagegen am 28.6.2020 mündliche Verhandlung beantragen. Der Gerichtsbescheid verstoße gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

Auf die Schriftsätze der Parteien sowie die Gerichtsakten und die Behördenakten und das Protokoll der mündlichen Verhandlung wird Bezug genommen. Ferner wird auf die Gerichtakte im Verfahren der ... GmbH, RN 5 K 18.60 Bezug genommen.

Gründe

I.

1. Die Klage ist zulässig. Der Klägervertreter hat in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass seinen Klageantrag nur auf die Teile des Bescheides bezieht, die den Kläger betreffen. Dabei handelt es sich um die Ziffern 2a, 2b, 3, 4 sowie 5b.

2. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid ist, soweit er den Kläger betrifft, rechtmäßig und verletzt ihn nicht in seinen Rechten.

a) Die Untersagung der angemeldeten Tätigkeit des Klägers nach Ziffer 2 lit. a) des Bescheides vom 8.12.2017 nach § 35 Abs. 1 S. 1 GewO ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

aa) Der Bescheid ist insoweit formell rechtmäßig.

(1) Das Landratsamt P. ist gem. § 155 Abs. 2 GewO, § 37 Zuständigkeitsverordnung (ZustV) i.V.m. § 35 Abs. 7 GewO für den Erlass der Gewerbeuntersagung zuständig.

(2) Der Kläger wurde mit Schreiben des Landratsamtes vom 15.9.2017 und weiterem Schreiben vom 13.10.2017 zu der beabsichtigten Gewerbeuntersagung nach Art. 28 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) angehört. Die IHK ... wurde ebenfalls mit Schreiben vom 15.9.2017 zu der beabsichtigten Gewerbeuntersagung gegen den Kläger nach § 35 Abs. 4 GewO als zuständige Industrie- und Handelskammer angehört.

bb) Der Bescheid ist in Ziffer 2 lit. a) ferner materiell rechtmäßig.

Gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 GewO ist Ausübung eines Gewerbes von der zuständigen Behörde ganz oder teilweise zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden oder einer mit der Leitung des Gewerbebetriebes beauftragten Person in Bezug auf dieses Gewerbe dartun, sofern die Untersagung zum Schutze der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist.

(1) Der Kläger ist mit Bezug auf das von ihm ausgeübte Gewerbe "Vermittlung von Versicherungen und Bausparverträgen, Holz und Bautenschutz, Einbau von genormten Baufertigteilen, Montageservice" unzuverlässig im Sinne des § 35 Abs. 1 S. 1 GewO.

Gewerberechtlich unzuverlässig ist, wer keine Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe in Zukunft ordnungsgemäß ausüben wird (etwa BVerwG, U. v. 19.3.1970 - I C 6/69, VerwRspr 1971, 223, 224; U. v. 2.2.1982 - 1 C 52.78, juris, Rn. 17; B. v. 9.4.1997 - 1 B 81/97, juris, Rn. 5; Landmann/Rohmer/Marcks, GewO, 81. EL März 2019, § 35 Rn. 29). Die Gewerbeausübung ist nicht ordnungsgemäß, wenn die betroffene Person weder willens noch in der Lage ist, die im öffentlichen Interesse zu fordernde, einwandfreie Führung ihres Gewerbes zu gewährleisten (vgl. Landmann/Rohmer/Marcks, GewO, 81. EL März 2019, § 35 Rn. 29).

Die Unzuverlässigkeit muss sich nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 35 Abs. 1 S. 1 GewO aus Tatsachen ergeben. Diese Tatsachen - die bereits in der Vergangenheit eingetreten sind - sind von der Behörde danach zu beurteilen, ob sie auf eine Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in Zukunft schließen lassen (vgl. Landmann/Rohmer/Marcks, GewO, 81. EL März 2019, § 35 Rn. 31). Dazu werden die Tatsachen bewertet und das zukünftige Verhalten des Gewerbetreibenden prognostiziert. Nach den festgestellten, zeitlich zurückliegenden Tatsachen müssen zukünftige Verstöße wahrscheinlich sein (BVerwG, U. v. 16.9.1975 - I C 44/74, NJW 1976, 986, 988; Landmann/Rohmer/Marcks, GewO, 81. EL März 2019, § 35 Rn. 32). Diese Tatsachen müssen dabei nicht unmittelbar im Gewerbebetrieb entstanden sein, sie müssen sich allerdings auf das Gewerbe beziehen und die Unzuverlässigkeit jedenfalls im Hinblick auf das konkret ausgeübte Gewerbe in Frage stellen (Landmann/Rohmer/Marcks, GewO, 81. EL März 2019, § 35 Rn. 33).

Der Begriff der Unzuverlässigkeit setzt dabei weder ein Verschulden in Form eines moralischen oder ethischen Vorwurfes noch einen Charaktermangel voraus (BVerwG, U. v. 29.3.1966 - I C 62.65, juris, Rn. 7; U. v. 5.8.1965 - I C 69.62, juris, Rn. 37; Landmann/Rohmer/Marcks, GewO, 81. EL März 2019, § 35 Rn. 30). Der Schutz der Allgemeinheit erfordert, unabhängig vom Vorliegen eines Verschuldens, unzuverlässigen Gewerbetreibenden die weitere Ausübung des Gewerbes zu untersagen (vgl. Landmann/Rohmer/Marcks, GewO, 81. EL März 2019, § 35 Rn. 30).

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (BVerwG, U. v. 2.2.1982 - 1 C 94/78, juris, Rn. 16; B. v. 23.11.1990 - 1 B 155/90, juris, Ls. 1; B. v. 9.4.1997 - 1 B 81/97, juris, Rn. 7). Dabei handelt es sich um den Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes (vgl. Landmann/Rohmer/Marcks, GewO, 81. EL März 2019, § 35 Rn. 21). Entfallen die Untersagungsvoraussetzungen danach, wird die Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung nicht berührt. Wohlverhalten nach Bescheidserlass kann nur in einem Wiedergestattungsverfahren nach § 35 Abs. 6 GewO berücksichtigt werden (BVerwG, B. v. 9. April 1997 - 1 B 81/97, juris, Rn. 7). Der Bescheid des Landratsamtes P. wurde mit der Bekanntgabe gegenüber dem Kläger am 12.12.2017 erlassen.

(a) Die Unzuverlässigkeit des Klägers ergibt sich bezüglich seines angemeldeten Einzelgewerbes (Ziffer 2a) des Bescheides) aus dessen Mangel an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides.

(aa) Das Fehlen von Geldmitteln kann die ordnungsgemäße Führung des Betriebes im Allgemeinen und die Erfüllung öffentlicher Zahlungspflichten im Besonderen verhindern. Von dem Gewerbetreibenden muss im Interesse eines redlichen und ordnungsgemäßen Wirtschaftsverkehrs erwartet werden, dass er bei anhaltender wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit seinen Gewerbebetrieb aufgibt. Dabei kommt es nicht darauf an, welche Ursachen zu der wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit geführt haben. Der Unzuverlässigkeitsvorwurf knüpft im Wesentlichen an die unterlassene Betriebsaufgabe trotz anhaltender wirtschaftlicher Krise an (BVerwG, U. v. 2.2.1982 - 1 C 146/80, juris, Rn. 15).

(bb) Steuerschulden sind Ausdruck mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit (Land-mann/Rohmer/Marcks, GewO, 81. EL März 2019, § 35 Rn. 49 m.w.N.). Damit Staat und Gemeinden ihren Verpflichtungen gegenüber der Allgemeinheit nachkommen können, sind sie auf den pünktlichen Eingang der von ihnen erhobenen Steuern angewiesen. Ein Gewerbetreibender, der sich seinen finanziellen Verpflichtungen gegenüber dem Staat entzieht, ver-sucht damit, sich im Geschäftsleben einen Vorsprung vor den mit ihm im Wettbewerb stehenden Gewerbetreibenden zu verschaffen, die ihre Steuerpflichten erfüllen. Es kann daher von dem Gewerbetreibenden nicht angenommen werden, dass er sein Gewerbe im Einklang mit den bestehenden Vorschriften einwandfrei führt (BVerwG, B. v. 17.1.1964 - VII B 159/63, VerwRspr 1964, 983, 984 f.).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes sind Steuerrückstände nur geeignet, einen Gewerbetreibenden als unzuverlässig erscheinen zu lassen, wenn sie sowohl wegen ihrer absoluten Höhe als auch im Verhältnis zur Gesamtbelastung des Gewerbetreibenden von Gewicht sind. Auch der Zeitraum, während dessen der Gewerbetreibende seinen steuerlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist, von Bedeutung (BVerwG, B. v. 29.1.1988 - 1 B 164/87, juris Rn. 3; B. v. 19.1.1994 - 1 B 5/94, juris, Rn. 6). Eine feste Grenze, ab welcher Höhe der Steuerschuld Unzuverlässigkeit bejaht werden kann, lässt sich dabei nicht angeben (BVerwG, B. v. 9.4.1997 - 1 B 81/97, juris Rn. 4). Beträge unter 5.000,00 € werden regelmäßig nicht als ausreichend angesehen (Landmann/Rohmer/Marcks, GewO, 81. EL März 2019, § 35 Rn. 52b; vergleiche auch Bundesministerium der Finanzen vom 14.12.2010, IV A 3-S 0130/10/10019, BStBl I 2010, 1430).

Laut Kontenstand des Finanzamtes P. vom 30.11.2017 bestanden für den Kläger Steuerrückstände in Höhe von 34.873,56 EUR. Diese setzten sich aus Umsatzsteuern für 2014 und August 2017 in Höhe von 24.533,56 EUR sowie aus Säumniszuschlägen in Höhe von 10.340,00 EUR zusammen. Damit liegen die Rückstände deutlich über dem absoluten Mindestbetrag von 5.000,00 EUR. Auch stammen sie mit den Jahren 2014 und 2017 aus einem längeren Zeitraum.

(cc) Der Kläger arbeitete hier im Zeitpunkt der Gewerbeuntersagung nicht nach einem sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept.

Der Untersagungsgrund der wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit fällt nur dann weg, wenn der Gewerbetreibende zahlungswillig ist und - trotz seiner Schulden - nach einem sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept arbeitet (BVerwG, U. v. 2.2.1982 - 1 C 94/78, juris, Rn. 15; BeckOK GewO/Brüning, 47. Ed. 1.6.2019, GewO § 35 Rn. 23a).

Zwar kam der Kläger im Laufe des Gewerbeuntersagungsverfahrens zwischenzeitlich seinen steuerlichen Verpflichtungen nach. Allerdings wurde ein neuer Antrag des Klägers auf Ratenzahlung mangels Vorliegen der Voraussetzungen abgelehnt. Der Kläger ging damit im Zeitpunkt der Gewerbeuntersagung nicht mehr nach einem erfolgsversprechenden Sanierungskonzept vor.

(b) Die Untersagung der selbständigen Tätigkeit des Klägers ist zum Schutz der Allgemeinheit geboten. Eine abstrakte Gefahr in Form einer nach der Lebenserfahrung typischerweise an-zunehmende Gefährdungslage ist hier gegeben (BeckOK GewO/Brüning, 47. Ed. 1.6.2019, GewO, § 35 Rn. 35). Eine solche liegt jedenfalls darin, wenn Vermögen der öffentlichen Hand gefährdet wird, etwa durch die unberechtigte Vorenthaltung von Umsatzsteuern (OVG Bautzen, B. v. 8.3.2011 - 3 B 354/10, juris, Rn. 9).

(c) Die Gewerbeuntersagung ist auch verhältnismäßig. Ein milderes, gleich effektives Mittel zum Schutz des gefährdeten Vermögens der öffentlichen Hand ist nicht ersichtlich. Bei der Gewerbeuntersagung handelt es sich um die ultima ratio zur Abwehr der Gefährdungen aus der Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden (Landmann/Rohmer/Marcks, 81. EL März 2019, GewO § 35 Rn. 78). Die Schäden, die durch die Fortsetzung der Tätigkeit bei Erlass des Bescheides zu erwarten waren, standen nicht außer Verhältnis zu der Beeinträchtigung des Klägers. Dies ergibt sich hier insbesondere aus der Höhe der Steuerrückstände. Eine teilweise Untersagung oder die Anordnung von Überwachungsmaßnahmen wäre weniger wirksam. Anders als die vollumfängliche Gewerbeuntersagung sind diese nicht in der Lage, das Risiko der Vermögensgefährdung der öffentlichen Hand auszuschließen.

(3) Des Weiteren konnte die Gewerbeuntersagung des Klägers gem. § 35 Abs. 7a GewO in Verbindung mit § 35 Abs. 1 S. 1 GewO auf eine selbständige Tätigkeit im Bereich der angemeldeten Tätigkeit ... GmbH erstreckt werden.

(a) Auch wenn dem Kläger nicht ausdrücklich die Tätigkeit untersagt wurde, die seiner bisherigen leitenden Tätigkeit entspricht, ist durch die Untersagung sämtlicher sonstiger Gewerbe auch das erfasst, das der bisherigen Vertretungstätigkeit entspricht. Es würde - so das Bundesverwaltungsgericht - eine unnötige Förmelei darstellen, eine Benennung dieses Gewerbes zu fordern (BVerwG, U. v. 19.12.1995 - 1 C 3/93, juris, Rn. 20).

(b) Gleichzeitig mit dem Verfahren gegen den Kläger als Vertretungsberechtigtem der ... GmbH wurde auch das Untersagungsverfahren gegen diese eingeleitet.

(c) Der Kläger ist ebenfalls unzuverlässig im Sinne des § 35 Abs. 7a, Abs. 1 S. 1 GewO. Unzuverlässig ist für eine künftige gewerbliche Betätigung der bisher unselbständig Tätige, wenn er nicht die Gewähr dafür bietet, dass er in Zukunft ein seiner bisherigen abhängigen Tätigkeit entsprechendes Gewerbe ordnungsgemäß ausüben wird. Im Übrigen entspricht der Maßstab dem des § 35 Abs. 1 S. 1 GewO. Maßgeblicher Zeitpunkt für die insoweit erforderliche Prüfung ist auch hier der der letzten Verwaltungsentscheidung (BVerwG, U. v. 19.12.1995, 1 C 3/93, juris, Rn. 31).

(aa) Die Unzuverlässigkeit des Klägers ergibt sich in diesem Fall aus der mangelnden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der ... GmbH. Diese ist in dem Gewerbebetrieb eingetreten, in dem der Kläger als Vertretungsberechtigter bestellt war (OVG Münster, B. v. 28.8.2017 - 4 A 2232/15, juris, Rn. 9). Als deren Geschäftsführer muss sich der Kläger deren mangelnde wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zurechnen lassen.

Die mangelnde wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ergibt sich hier zum einen aus den Rückständen der ... GmbH gegenüber der S.-Bau. Im Zeitpunkt des Bescheidserlass betrugen diese etwa 66.000 EUR.

Durch das nicht ausgeglichene Beitragskonto bei der Sozialkasse hat der Kläger die Erfüllung einer ihm als Arbeitgeber obliegenden gesetzlichen Zahlungspflicht verhindert, Leistungsansprüche seiner Arbeitnehmer beeinträchtigt, die Funktionsfähigkeit des Sozialkassenverfahrens beeinträchtigt und sich einen rechtswidrigen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen, ihre Beitragspflichten erfüllenden Arbeitgebern des Baugewerbes verschafft (vgl. OVG Magdeburg, B. v. 7.10.2010, 1 L 2/10, juris, Rn. 41).

Mit dem Urlaubskassenverfahren wird den besonderen Produktionsbedingungen des Baugewerbes Rechnung getragen. Unterjährige Beschäftigung und häufige Arbeitgeberwechsel führen im Baugewerbe dazu, das Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer keinen zusammenhängenden Urlaubsanspruch erwerben. Das Urlaubskassenverfahren stellt sicher, dass gewerbliche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre Urlaubsansprüche bei verschiedenen Arbeitgebern der Bauwirtschaft ansparen und zu gegebener Zeit gegenüber dem aktuellen Arbeitgeber geltend machen können. Die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes gewährt ergänzend zu den bestehenden staatlichen Leistungssystemen eine zusätzliche Alters-, Erwerbsminderungs- und Unfallrente. Die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft nimmt ferner als Service und Verwaltungserleichterung der Betriebe des Baugewerbes im Rahmen der Winterbauförderung die Aufgabe wahr, im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit die Winterbeschäftigungsumlage einzuziehen. Die Sozialkassenverfahren gewähren Leistungen, zu deren Erbringung der einzelne Arbeitnehmer nicht in der Lage wäre. Sie setzen voraus, dass die Lasten von den Arbeitgebern gemeinsam und solidarisch getragen werden (Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe, BT-Drucks. 18/10631, S. 648 f.).

Führt ein Arbeitgeber die ihm obliegenden Beiträge demnach nicht an die S.-Bau ab, so verschafft er sich gegenüber seinen unmittelbaren, ebenfalls tarifgebundenen Konkurrenten einen rechtswidrigen Vorteil. Gleichzeitig gefährdet er die Funktionsfähigkeit des Sozialkassensystems.

Gem. § 7 Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz (SokaSiG) gelten die Rechtsnormen des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe in der jeweiligen Fassung in ihrem jeweiligen Geltungsbereich für alle Arbeitnehmer. Es ist hier verfassungsrechtlich unbedenklich, dass das SoKaSiG die Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe rückwirkend auf alle nicht tarifgebundenen Arbeitgeber erstreckt (BAG, U. v. 20.11.2018 - 10 AZR 121/18).

Der Kläger kann dem auch nicht entgegenhalten, dass er im Zeitpunkt des Bescheidserlases auch Zahlungsansprüche gegenüber der S. Bau in Höhe von etwa 47.000 EUR hatte. Das Beitragskonto war in diesem Zeitpunkt nicht ausgeglichen, sodass eine Auszahlung tarifvertraglich nicht möglich war. Selbst bei Zugrundelegung einer zulässigen Verrechnung der Ansprüche wären die Zahlungsrückstände mit etwa 19.000 EUR immer noch hoch genug, um unter Berücksichtigung der andauernden Rückstände und ihrer Höhe eine wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit zu bejahen.

Hinzu kommen die Steuerrückstände der ... GmbH von 11.230,52 EUR im Zeitpunkt des Bescheidserlasses. Diese sind jedenfalls in Gesamtbetrachtung mit den Rückständen gegenüber der SoKa Bau geeignet, die fehlende finanzielle Leistungsfähigkeit der ... GmbH zu bestärken.

(bb) Bezüglich der Verhältnismäßigkeit gilt das oben gesagte.

(cc) Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Nach dem Wortlaut des § 35 Abs. 7a GewO handelt es sich hierbei um eine Ermessensentscheidung. Im Rahmen des Ermessens ist dabei die Wahrscheinlichkeit zu berücksichtigen, mit der der Gewerbetreibende auf die selbständige Gewerbetätigkeit ausweicht. Der Verwaltungsentscheidung muss zumindest konkludent entnommen werden können, dass das Ausweichen in die gewerbliche Betätigung so wahrscheinlich ist, dass deren Untersagung erfolgen soll. (BVerwG, U. v. 19.12.1995 - 1 C 3/93 -, BVerwGE 100, 187-199, Rn. 33). Aus dem Bescheid ergibt sich zumindest konkludent, dass das Landratsamt davon ausging, dass der Kläger eine weitere gewerbliche Tätigkeit aufnehmen werde.

(4) Die Erweiterung der Gewerbeuntersagung in Ziffer 2 lit. b) des Bescheides ist ebenfalls rechtmäßig. Die Gewerbeuntersagung konnte gem. § 35 Abs. 1 S. 2 GewO sowie gem. § 35 Abs. 7a GewO in Verbindung mit § 35 Abs. 1 S. 2 GewO auch auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden, auf die Tätigkeit als mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragten Person sowie auf alle anderen Gewerbearten erstreckt werden.

(a) In Ziffer 2 lit. a) des Bescheides wurde dem Kläger im selben Verfahren sein tatsächlich ausgeübtes Gewerbe sowie in Ziffer 2 lit. b) die selbständige Tätigkeit im Gewerbe der ... GmbH untersagt.

(b) Die Unzuverlässigkeit des Klägers beschränkt sich nach den oben dargelegten Tatsachen nicht nur auf das von ihm ausgeübte Gewerbe. Die durch das Landratsamt P. festgestellten Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Kläger auch für andere Tätigkeiten und Gewerbe unzuverlässig ist.

Die wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit ist ein Umstand, der gewerbeübergreifend zu einer Unzuverlässigkeit führt. Sie ist nicht auf die gegenwärtige Tätigkeit des Klägers beschränkt. Der Kläger hat durch die Nichterfüllung seiner eigenen steuerlichen Zahlungspflichten sowie der ... GmbH, der Verpflichtungen gegenüber der S.-Bau sowie der AOK Verpflichtungen verletzt, die für sämtliche Gewerbetreibenden gelten, sie haben nicht nur einen Bezug zu ihrer konkret ausgeübten gewerblichen Tätigkeit (BVerwG, U. v. 2.2.1982 - 1 C 17/79, juris, Rn. 27).

(c) Es war im Zeitpunkt der Gewerbeuntersagung auch ein Ausweichen des Kläger auf andere Gewerbe zu erwarten. Diese Wahrscheinlichkeit folgt schon aus der Tatsache, dass der Kläger - trotz der sich ansammelnden Rückstände, sowohl für ihn selbst als auch für die ... GmbH, und der sich daraus ergebenden Unzuverlässigkeit - an seiner gewerblichen Tätigkeit festhielt. Durch das Festhalten an dem ausgeübten Gewerbe bekundet der Gewerbetreibende regelmäßig seinen Willen, sich auf jeden Fall irgendwie gewerblich zu betätigen. Es sind keine Umstände ersichtlich, die eine zukünftige, anderweitige gewerbliche Tätigkeit des Klägers im Zeitpunkt des Bescheidserlasses ausschlossen (BVerwG, U. v. 2.2.1982 - 1 C 17/79, juris, Rn. 29).

(d) Auch durch die Ausübung sonstiger Gewerbe oder die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden sowie die Leitung eines Gewerbebetriebes durch den Kläger besteht eine Gefährdung von Rechtgütern der Allgemeinheit. Es besteht die Gefahr, dass der Kläger auch bei Aufnahme einer anderen gewerblichen Tätigkeit erneut Rückstände anhäuft, und dass dies auch bei der Tätigkeit als Vertretungsberechtigter oder mit der Leitung eines Gewerbebetriebes Beauftragter geschieht.

(e) Die erweiterte Gewerbeuntersagung ist verhältnismäßig. Der Ausschluss des Klägers aus dem Wirtschaftsverkehr steht mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Ausprägung durch Art. 12 GG im Einklang. Insbesondere verstößt der Bescheid nicht gegen die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne.

Es verstößt nicht gegen das Übermaßverbot, die gewerbliche Betätigung eines unzuverlässigen Gewerbetreibenden zu verhindern. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der erweiterten Gewerbeuntersagung sind erfüllt, der Kläger ist gewerbeübergreifend unzuverlässig und die Untersagung zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich. Die gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit trägt ihr Gewicht in sich, eine Unterscheidung zwischen leichten und schweren Fällen gewerbeübergreifender Unzuverlässigkeit ist vor dem Hintergrund des Begriffes der Unzuverlässigkeit fehl am Platz. Nur in ganz extremen Ausnahmefällen mag trotz Unzuverlässigkeit und Untersagungserforderlichkeit der Einwand der Verletzung des Übermaßverbotes mit Erfolg erhoben werden (so BVerwG, U. v. 16.3.1982 - 1 C 124/80, juris, Rn. 24; vgl. auch B. v. 25.3.1991 - 1 B 10/91, juris, Rn. 4; B. v. 12.1.1993 - 1 B 1/93, juris, Rn. 5).

Ein solcher extremer Ausnahmefall kann hier nicht angenommen werden. Insbesondere ergibt sich dieser gerade nicht aus dem Vortrag, dass der Kläger aufgrund seines Alters Probleme haben werde, eine abhängige Beschäftigung zu finden, und aus der sich daraus ergebenden Gefährdung der Unterhaltspflichten des Klägers. Bei diesen Folgen handelt es sich nicht um außergewöhnliche, sondern regelmäßige Folgen einer erweiterten Gewerbeuntersagung.

(f) Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.

c) Die Frist zur Betriebseinstellung in Ziffer 3 des Bescheides erfüllt die Voraussetzungen des Art. 36 Abs. 1 S. 2 VwZVG. Es ist dem Kläger billigerweise zuzumuten, seinen Betrieb bis zum 28.2.2018 bzw. innerhalb von vier Wochen nach Bestandskraft des Bescheides einzustellen. Die Frist ist mit der Angabe eines konkreten Datums bzw. durch die Nennung einer Frist von vier Wochen ab Bestandskraft bestimmt, es ist eindeutig erkennbar, wie viel Zeit dem Kläger zur Erfüllung bleibt. Fehler sind im Rahmen der Ermessensausübung des Landratsamtes, insbesondere bei der Bemessung der Länge der Frist, nicht ersichtlich.

d) Die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 4 des Bescheides erfüllt die Voraussetzungen der Art. 29, 30, 31, 36 des Bayrischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG).

e) Die Kostenentscheidung in Ziffer 5 lit. b) des Bescheides ist ebenfalls rechtmäßig. Als Veranlasser des Verfahrens hat der Kläger dessen Kosten gem. Art. 2 Abs. 1 KG zu tragen. Die Bescheidsgebühr von 400,00 EUR entspricht Art. 5, 6 Abs. 2 KG in Verbindung mit Tarifnummer 5.III.5/15 des Kostenverzeichnisses zum KG. Diese setzt einen Kostenrahmen von 50,00 EUR bis 2.000,00 EUR für Gewerbeuntersagungen nach § 35 Abs. 1 GewO fest. Die Höhe ist unter Berücksichtigung des Verwaltungsaufwandes nicht zu beanstanden. Die Geltendmachung der Auslagen ist ebenfalls ordnungsgemäß.

II.

Der Kläger hat als unterliegende Partei gem. § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des gerichtlichen Verfahrens zu tragen.

III.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 VwGO, §§ 709 ff. ZPO.

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