Hamburgisches OVG, Beschluss vom 02.11.2020 - 14 Bs 193/20.PVL
Fundstelle
openJur 2020, 78829
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 23. Oktober 2020 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt die Unterlassung des Beteiligten zu 1), seine Beschlüsse im Wege der Telefon- oder Videokonferenz zu treffen.

Der Antragsteller ist (Ersatz-) Mitglied des Beteiligten zu 1), des Personalrats der ... Hamburg. Der Beteiligte zu 2) ist der Leiter der ... Hamburg.

Der Vorsitzende des Beteiligten zu 1) informierte die Mitglieder des Personalrats unter dem 24. September 2020 über die „Durchführung von Personalratssitzungen in einer Telefonkonferenz“. In dem Schreiben heißt es u.a., der Personalrat habe in seinen Sitzungen vom 19. März 2020 und vom 2. April 2020 beschlossen, Sitzungen während der Corona-Pandemie möglichst in einer Telefonkonferenz stattfinden zu lassen; wenn es Regelgespräche mit der Amtsleitung gebe oder wichtige und kritische Inhalte zu behandeln seien, werde versucht, eine Präsenzsitzung durchzuführen.

Der Antragsteller wandte sich am 21. Oktober 2020 mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung an das Verwaltungsgericht: Der Beteiligte zu 1) solle es einstweilen unterlassen, dass seine Beschlussfassungen im Wege der Telefon- oder Videokonferenz ergingen. Zur Begründung machte er u.a. geltend, der Beteiligte zu 1) habe über die letzten Monate hinweg seine Beschlüsse beinahe ausschließlich im Wege der Telefon- oder Videokonferenz gefasst. Dies beschneide die Rechte der Personalratsmitglieder. Diese könnten nicht geheim abstimmen. Ein Austausch sei nur möglich, wenn eine hinreichend stabile Internetverbindung zur Verfügung stehe. § 5 des Gesetzes zur Anpassung personalvertretungsrechtlicher Regelungen aus Anlass der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2, der der gegenwärtig geübten Praxis zugrunde liege, sei rechtswidrig, weil die Vorschrift nicht hinreichend bestimmt und unverhältnismäßig sei. Überdies unterbleibe die nach dieser Vorschrift vorausgesetzte Ermessensentscheidung über die Art der Durchführung der Sitzungen regelmäßig.

Das Verwaltungsgericht hat den Eilantrag mit Beschluss vom 23. Oktober 2020 abgelehnt: Der Antrag sei zulässig, aber unbegründet. Dem Antragsteller als natürlicher Person fehle es an subjektiven Außenrechten oder wehrfähigen Innenrechtspositionen gegenüber dem Beteiligten zu 1) als Innenrechtssubjekt. Auf der einen Seite könne der Beteiligte zu 1) mangels Außenrechtsfähigkeit nicht Zurechnungssubjekt der einem subjektiven öffentlichen Recht entsprechenden Pflicht sein. Auf der anderen Seite begründe das Hamburgische Personalvertretungsrecht keine wehrfähigen Innenrechtspositionen einzelner Mitglieder einer Personalvertretung gegen diese selbst. Dessen ungeachtet sei der Beteiligte zu 1) nicht pauschal gehalten, Beschlussfassungen in Video- oder Telefonkonferenzen zu unterlassen. Für derartige Beschlussfassungen gebe es mit § 5 des Gesetzes zur Anpassung personalvertretungsrechtlicher Regelungen aus Anlass der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 eine gesetzliche Grundlage, die nicht ersichtlich verfassungswidrig sei. Sie sei weder zu unbestimmt, noch unverhältnismäßig.

Gegen den Beschluss vom 23. Oktober 2020 richtet sich der Antragsteller mit seiner am 26. Oktober 2020 eingegangenen Beschwerde: Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, er könne keine Rechte gegenüber dem Personalrat gerichtlich durchsetzen, sei mit den Regelungen des Hamburgischen Personalvertretungsgesetzes nicht vereinbar und verstoße gegen Art. 19 Abs. 4 GG. § 5 des Gesetzes zur Anpassung personalvertretungsrechtlicher Regelungen aus Anlass der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 sei unverhältnismäßig. Es gebe andere Möglichkeiten, die Belange des Infektionsschutzes zu sichern – etwa Sitzungen im Freien, Hygienekonzepte –, ohne gleichzeitig die Wahrnehmung der Rechte der Personalratsmitglieder zu beschränken.

II.

Über die Beschwerde entscheidet wegen der Dringlichkeit der Angelegenheit der Vorsitzende allein ohne vorherige Durchführung eines Anhörungstermins (§ 99 Abs. 2 HmbPersVG, §§ 87 Abs. 2 Satz 1, 85 Abs. 2 Satz 2 ArbGG, §§ 944, 937 Abs. 2 ZPO; vgl. hierzu OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 1.7.2020, OVG 60 PV 8/20,NZA-RR 2020, 499, juris Rn. 1, m.w.N.).

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers bleibt in der Sache ohne Erfolg. Zu Recht hat es das Verwaltungsgericht abgelehnt, die von dem Antragsteller begehrte einstweilige Verfügung zu erlassen. Sein Antrag, dem Beteiligten zu 1) im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben, „es einstweilen zu unterlassen, Beschlussfassungen im Wege der Telefon- oder Videokonferenz in der aktuellen Form durchzuführen“, ist zulässig, aber unbegründet.

Für den Erlass einstweiliger Verfügungen gelten im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren nach § 99 Abs. 2 HmbPersVG i.V.m. § 85 Abs. 2 ArbGG die Vorschriften des Achten Buches der Zivilprozessordnung über die einstweilige Verfügung mit bestimmten Maßgaben, auf die es im vorliegenden Verfahren nicht ankommt, entsprechend. Nach § 935 ZPO sind einstweilige Verfügungen in Bezug auf den Streitgegenstand zulässig, wenn zu besorgen ist, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsverfügung). Nach § 940 ZPO sind einstweilige Verfügungen außerdem zum Zwecke der Regelung eines einstweiligen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, sofern die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Regelungsverfügung). Der Erlass einer einstweiligen Verfügung setzt danach das Vorliegen eines Verfügungsanspruchs voraus, der vorläufig geschützt werden soll, und eines Verfügungsgrunds, der hinreichenden Anlass für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gibt. Beides ist gemäß §§ 936, 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 26.4.2019, 14 Bs 86/19.PVL, PersV 2019, 333, juris Rn. 25).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Der Antragsteller hat, da der Beteiligte zu 1) seine Sitzungen auch weiterhin regelmäßig im Wege der Telefon- bzw. Videokonferenz durchführt, zwar einen Verfügungsgrund glaubhaft gemacht. Es fehlt aber am Verfügungsanspruch.

1. Das Beschwerdegericht teilt allerdings nicht die Auffassung des Verwaltungsgerichts, der Antragsteller habe einen Verfügungsanspruch schon deshalb nicht glaubhaft gemacht, weil ein einzelnes Mitglied des Personalrats im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren Ansprüche gegen den Personalrat nicht geltend machen könne. Aus § 99 Abs. 1 Nr. 3 HmbPersVG folgt, dass die Verwaltungsgerichte im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren u.a. über „die Geschäftsführung“ der Personalvertretungen (§§ 33 ff. HmbPersVG) entscheiden. Zur Geschäftsführung gehört u.a. die Art und Weise der Sitzungstätigkeit (§§ 35 ff. HmbPersVG) sowie die Beschlussfassung (§ 39 HmbPersVG). Streitigkeiten in diesem Zusammenhang können insbesondere im „Innenbereich“ der Personalvertretungen entstehen und als solche gemäß § 99 Abs. 1 Nr. 3 HmbPersVG zum Gegenstand verwaltungsgerichtlicher Beschlussverfahren gemacht werden. Demgemäß ist anerkannt, dass ein einzelnes Mitglied der Personalvertretung Antragsteller in einem personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren sein kann, wenn seine rechtliche Stellung als Mitglied der Personalvertretung in Frage steht; dies ist immer schon dann der Fall, wenn es darum geht, die Gesetzmäßigkeit der Beschlüsse und sonstigen Rechtshandlungen der eigenen Personalvertretung überprüfen zu lassen (vgl. Baden, in: Altvater u.a., BPersVG, 10. Aufl. 2019, § 83 Rn. 27; s. auch Widmaier, in: Ilbertz u.a., BPersVG, 14. Aufl. 2018, § 83 Rn. 28 ff.). Dieser Ansatz wird – teilweise unausgesprochen – auch in der Rechtsprechung geteilt (vgl. etwa BVerwG, Beschl. v. 15.5.2020, 5 P 5.19, ZfPR 2020, 98, juris; VGH München, Beschl. v. 4.2.2004, 18 P 03.692, PersV 2004, 308, juris Rn. 17 ff.; s. auch OVG Münster, Beschl. v. 27.4.2015, 20 A 122/14.PVB, PersV 2016, 20, juris).

2. Dessen ungeachtet hat der Antragsteller den geltend gemachten Unterlassungsanspruch nicht glaubhaft gemacht, ohne dass es darauf ankommt, ob und inwieweit aus dem Hamburgischen Personalvertretungsgesetz überhaupt Ansprüche auf Tun oder Unterlassung abgeleitet werden können.

a) Es ist bereits unklar, was genau der Antragsteller mit seinem Eilantrag erreichen will. Einerseits macht er geltend, § 5 des Gesetzes zur Anpassung personalvertretungsrechtlicher Regelungen aus Anlass der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 (vom 28. Mai 2020 [GVBl. S. 314]) sei verfassungswidrig und Beschlussfassungen des Personalrats im Wege der Telefon- oder Videokonferenz seien deshalb generell unzulässig. Andererseits bemängelt er ausweislich seines im Beschwerdeverfahren konkretisierten – wenngleich weiterhin wenig bestimmten – Antrags die Beschlusspraxis „in der aktuellen Form“ und beanstandet insoweit, „dass die Durchführung der Video- und Telefonkonferenzen vollständig intransparent erfolgt und durch den Vorsitzenden ohne Tagesordnung oder Begründung festgesetzt wird“ (Beschwerdebegründung S. 7). Dies deutet darauf hin, dass es dem Antragsteller darum geht zu erreichen, dass über die Durchführung von Sitzungen im Wege der Telefon- oder Videokonferenz und über Beschlussfassungen in diesem Rahmen im Einzelfall durch den Personalrat – und nicht generell und ohne Mitwirkung des Personalrats durch den Vorsitzenden – entschieden wird. Allerdings geht er in diesem Zusammenhang nicht darauf ein, dass es in dem – von ihm selbst vorgelegten – Schreiben des Personalratsvorsitzenden vom 24. September 2020 an die Mitglieder des Personalrats heißt, der Personalrat habe in zwei Sitzungen im Frühjahr dieses Jahres beschlossen, dass weitere Sitzungen während der Corona-Pandemie möglichst im Wege von Telefonkonferenzen stattfinden sollten. Der Antragsteller, an dem es ist, den geltend gemachten Verfügungsanspruch glaubhaft zu machen (s.o. vor 1.), ist überdies weder auf die die Sitzungsleitungskompetenz des Vorsitzenden betreffenden Bestimmungen in §§ 35 Abs. 2, 38 Abs. 1 Satz 1 HmbPersVG näher eingegangen; er hat auch nichts dazu vorgetragen, ob bei dem Beteiligten zu 1) eine Geschäftsordnung (vgl. § 45 HmbPersVG) existiert und ob hieraus etwas für seine Sitzungstätigkeit und das hierbei einzuhaltende Prozedere folgt. Vor diesem Hintergrund kann das Beschwerdegericht nicht erkennen, dass der Vorsitzende des Beteiligten zu 1) im Zusammenhang mit der Durchführung von Telefon- oder Videokonferenzen stets seine Kompetenzen überschritten hat bzw. gegenwärtig überschreitet.

b) Das Beschwerdegericht hält es auch nicht für generell unzulässig, wenn der Beteiligte zu 1) seine Sitzungen im Wege der Telefon- bzw. Videokonferenz – in dem Schreiben des Personalratsvorsitzenden vom 24. September 2020 an die Mitglieder des Personalrats ist allerdings nur von Telefon-, nicht von Videokonferenzen die Rede – durchführt und in diesem Rahmen Beschlüsse fasst. Dieses Vorgehen findet in § 5 des Gesetzes zur Anpassung personalvertretungsrechtlicher Regelungen aus Anlass der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 eine gesetzliche Grundlage, die auch nach Auffassung des Beschwerdegerichts verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Auf die zutreffenden diesbezüglichen Erwägungen in dem angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts (BA S. 6 f.), die das Beschwerdegericht teilt, wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Die hiergegen gerichteten Einwände des Antragstellers in seiner Beschwerdebegründung rechtfertigen keine abweichende Einschätzung:

Auch der Antragsteller bezweifelt nicht, dass die beanstandete gesetzliche Bestimmung mit dem Infektionsschutz einem legitimen Zweck dient und geeignet ist, diesen Zweck zu fördern. Es steht für das Beschwerdegericht auch außer Zweifel, dass § 5 des Gesetzes zur Anpassung personalvertretungsrechtlicher Regelungen aus Anlass der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 erforderlich ist, um den verfolgten Zweck zu erreichen. Zwar mag es möglich sein, das Infektionsrisiko bei einem physischen Zusammentreffen mehrerer Personen durch geeignete Hygienekonzepte zu verringern. Dies ändert aber nichts daran, dass ein Verzicht auf persönliche Zusammenkünfte weniger riskant ist. Die von dem Antragsteller vorgeschlagenen Rahmenbedingungen für ein persönliches Zusammentreffen sind deshalb nicht gleich wirksam, um den gesetzlich verfolgten Zweck zu erreichen bzw. zu fördern. Im Übrigen verbietet § 5 des Gesetzes zur Anpassung personalvertretungsrechtlicher Regelungen aus Anlass der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 nicht, dass Personalratssitzungen als Präsenzveranstaltungen durchgeführt und dort Beschlüsse gefasst werden, sondern eröffnet lediglich die Möglichkeit, im Wege von Telefon- und Videokonferenzen Sitzungen durchzuführen und Beschlüsse zu fassen.

§ 5 des Gesetzes zur Anpassung personalvertretungsrechtlicher Regelungen aus Anlass der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 ist auch angemessen. Die Vorschrift verschafft dem Personalrat die unter dem Gesichtspunkt des Infektionsschutzes sinnvolle Möglichkeit, seine Sitzungstätigkeit auch in Zeiten der Pandemie aufrechtzuerhalten und gleichzeitig die mit einem physischen Zusammentreffen mehrerer Personen verbundenen Gefahren zu verringern. Damit geht es um nichts weniger, als die Handlungsfähigkeit der Personalräte auch in der aktuell besonderen (Pandemie-) Situation sicherzustellen (vgl. Bü-Drs. 22/239, S. 3). Die von dem Antragsteller in diesem Zusammenhang aufgeworfene Frage, ob der Infektionsschutz stärker zu gewichten ist als das Interesse der Personalratsmitglieder an der Durchführung von Präsenzveranstaltungen – mitsamt der hiermit verbundenen Vorteile (insbesondere: Möglichkeit geheimer Abstimmungen, Gewährleistung der Nichtöffentlichkeit, Unabhängigkeit von den technischen Rahmenbedingungen) –, stellt sich in dieser Allgemeinheit nach Auffassung des Beschwerdegerichts schon deshalb nicht, weil § 5 des Gesetzes zur Anpassung personalvertretungsrechtlicher Regelungen aus Anlass der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 nicht dazu zwingt, Sitzungen des Personalrats mittels Telefon- oder Videokonferenz durchzuführen (s.o.). Im Übrigen wiegen die mit der Durchführung von Personalratssitzungen im Wege der Telefon- bzw. Videokonferenz verbundenen Nachteile ersichtlich weniger schwer als die Belange, deren Schutz ein solches Prozedere dient, nämlich die körperliche Unversehrtheit einer unübersehbar großen Zahl von Menschen. Dies gilt nicht zuletzt dann, wenn bei der Auslegung und Anwendung der Vorschrift der Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus der Gesetzesbegründung ergibt, berücksichtigt wird: Allen an einer Telefon- oder Videokonferenz zur Teilnahme Berechtigten muss eine Teilnahme auch technisch möglich sein, die Nichtöffentlichkeit der Sitzungen muss gewährleistet sein, und bei der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung der Sitzungen ist grundsätzlich die von der Dienststelle bereitgestellte technische Ausstattung zu nutzen (vgl. Bü-Drs. 22/239, S. 3 f.).

III.

Die Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss findet nicht statt (§ 99 Abs. 2 HmbPersVG i.V.m. § 92 Abs. 1 Satz 3 ArbGG).

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