Bayerischer VGH, Beschluss vom 25.11.2020 - 20 NE 20.2588
Fundstelle
openJur 2020, 78768
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Der Streitwert wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1. Mit seinem Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO begehrt der Antragsteller, den Vollzug von § 11 Abs. 5 Satz 1 der Achten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 30. Oktober 2020 (8. BayIfSMV; BayMBl. 2020 Nr. 616 in der Fassung der Verordnung zur Änderung der Achten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 12. November 2020, BayMBl. 2020 Nr. 639) einstweilen auszusetzen.

2. Der Antragsgegner hat am 30. Oktober 2020 durch das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege die streitgegenständliche Verordnung erlassen, die auszugsweise folgenden Wortlaut hat:

§ 11

Handels- und Dienstleistungsbetriebe, Märkte

...

(5) Die Öffnung und der Betrieb von Badeanstalten, Hotelschwimmbädern, Thermen und Wellnesszentren sowie Saunen ist untersagt.

...

Die 8. BayIfSMV ist seit 2. November 2020 in Kraft und tritt mit Ablauf des 30. November 2020 außer Kraft (§ 28 Satz 1 8. BayIfSMV).

3. Der Antragsteller betreibt im Nebengewerbe in Bayern eine Saunalandschaft, die auf 360 m² über vier separate voneinander abgetrennte Saunaeinheiten in einem Gebäude verfügt. Gäste müssten vorab Termine vereinbaren. Es finde ein Hygienekonzept Anwendung. Die Vorschrift verletzte den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz, weil innerhalb Bayerns nicht zwischen unterschiedlich hohen regionalen Inzidenzwerten unterschieden werde. Auch finde eine Ungleichbehandlung gegenüber Einzelhandelsbetrieben, Friseuren und Gottesdiensten statt. Die Norm sei zu Unrecht auf die Generalklausel des § 28 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 32 Satz 1 IfSG gestützt worden. Der Parlamentsvorbehalt sei verletzt. Wegen der räumlichen Trennung der Saunaeinheiten und Beachtung des Hygienekonzepts erweise sich die Betriebsschließung als unangemessen. Der Antragsteller erleide empfindliche Umsatzeinbußen.

4. Der Antragsgegner tritt dem Eilantrag entgegen. Er verweist auf die Änderung des Infektionsschutzgesetzes. Außerdem handele es sich bei der Betriebsschließung um eine notwendige Schutzmaßnahme.

5. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.

Die Voraussetzungen des § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen nicht vor. Die Erfolgsaussichten eines Normenkontrollantrags in der Hauptsache gegen § 11 Abs. 6 8. BayIfSMV sind unter Anwendung des Prüfungsmaßstabs im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO (1.) bei der nur möglichen summarischen Prüfung als offen anzusehen (2.). Eine Folgenabwägung geht zulasten des Antragstellers aus (3.).

1. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ ZfBR 2015, 381 - juris Rn. 12; zustimmend OVG NW, B.v. 25.4.2019 - 4 B 480/19.NE - NVwZ-RR 2019, 993 - juris Rn. 9). Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann. Das muss insbesondere dann gelten, wenn - wie hier - die in der Hauptsache angegriffenen Normen in quantitativer und qualitativer Hinsicht erhebliche Grundrechtseingriffe enthalten oder begründen, sodass sich das Normenkontrollverfahren (ausnahmsweise) als zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG geboten erweisen dürfte.

Ergibt demnach die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten nicht absehen, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber später Erfolg hätte, und die Folgen, die entstünden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber später erfolglos bliebe. Die für eine einstweilige Außervollzugsetzung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, also so schwer wiegen, dass sie - trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache - dringend geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 - 4 VR 5.14 u.a. - ZfBR 2015, 381 - juris Rn. 12).

2. Nach diesen Maßstäben geht der Senat im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bei der nur möglichen, aber ausreichenden summarischen Prüfung (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 - 4 VR 5.14 - ZfBR 2015, 381 - juris Rn. 14) davon aus, dass die Erfolgsaussichten der Hauptsache offen sind.

a) Die Frage, ob die angegriffene Betriebsschließung von Einrichtungen im Sinne des § 11 Abs. 5 Satz 1 8. BayIfSMV auf einer ausreichenden gesetzlichen Verordnungsermächtigung beruht, insbesondere den verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Parlamentsvorbehalt und an das Bestimmtheitsgebot aus Art. 80 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG genügt, war vor Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18. November 2020 (BGBl I S. 2397) nach der Rechtsprechung des Senats als offen anzusehen (vgl. BayVGH, B.v. 5.11.2020 - 20 NE 20.2468 - BeckRS 2020, 29302; B.v. 29.10.2020 - 20 NE 20.2360 - juris Rn. 28 ff. zur 7. BayIfSMV, jeweils m.w.N.; vgl. auch BayVerfGH, E.v. 21.10.2020 - Vf. 26-VII-20 - juris Rn. 16 ff.; NdsOVG, B.v. 6.11.2020 - 13 MN 433/20 - juris Rn. 13 ff.; OVG NW, B.v. 11.11.2020 - 13 B 1635/20.NE - juris Rn. 19 ff.). Auch nach dessen Inkrafttreten kann der Senat die Erfolgsaussichten eines gegen die Betriebsschließung von Freizeiteinrichtungen i.S. des § 11 Abs. 5 8. BayIfSMV gerichteten Normenkontrollantrags bei summarischer Prüfung nicht abschließend einschätzen. § 28a Abs. 1 Nr. 6 IfSG ergänzt u.a. dafür nun ein Regelbeispiel für eine notwendige Schutzmaßnahme nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG. Die Anwendung von § 28a IfSG wirft aber im Hinblick auf die 8. BayIfSMV völlig neue Rechtsfragen auf, die derzeit im Eilverfahren nicht abschließend zu klären sind.

Der Annahme offener Erfolgsaussichten liegt auch zugrunde, dass sich die angegriffene Bestimmung des § 11 Abs. 5 Satz 1 8. BayIfSMV im Rahmen einer prognostischen Einschätzung weder als offensichtlich unverhältnismäßig noch als gleichheitswidrig erweist. Hierzu wird insgesamt auf die Ausführungen des Senats im Beschluss vom 5. November 2020 - 20 NE 20.2468 - BeckRS 2020, 29302 Rn. 14 ff. Bezug genommen (vgl. auch BayVGH, B.v. 6.11.2020 - 20 NE 20.2466 - BeckRS 2020, 30425 Rn. 26 ff.). Die Norm steht in Einklang mit dem Gesamtkonzept des Verordnungsgebers, Kontakte, die freizeitbedingt in Innenräumen stattfinden, einzuschränken, um das Infektionsgeschehen abzuschwächen.

3. Die Folgenabwägung zwischen den betroffenen Schutzgütern des Antragstellers - insbesondere seinen Grundrechten auf freie wirtschaftliche Betätigung (Art. 12 Abs. 1 GG) und ggf. das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb aus Art. 14 Abs. 1 GG - mit dem Schutzgut Leben und Gesundheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ergibt, dass die vom Antragsteller dargelegten wirtschaftlichen Folgen derzeit hinter den Schutz von Leben und Gesundheit einer Vielzahl von Menschen zurücktreten müssen (vgl. auch BVerfG, B.v. 11.11.2020 - BvR 2530/20 - juris Rn. 12 ff.; BayVerfGH, E.v. 16.11.2020 - Vf. 90-VII-20 - BeckRS 2020, 31088 - Rn. 41).

a) Das pandemische Geschehen ist weiterhin sehr angespannt. Nach dem Lagebericht des Robert-Koch-Instituts vom 24. November 2020 (abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Nov_2020/2020-11-24-de.pdf? blob=publicationFile) ist weiterhin eine große Anzahl an Übertragungen in der Bevölkerung in Deutschland zu beobachten. Die Inzidenz der letzten sieben Tage beträgt deutschlandweit 142 Fälle pro 100.000 Einwohner. Der Anteil der COVID-19-Fälle in der älteren Bevölkerung ist weiterhin sehr hoch. Die 7-Tage-Inzidenz liegt in Bayern über der bundesweiten Gesamtinzidenz. In zahlreichen Landkreisen kommt es zu einer zunehmend diffusen Ausbreitung von SARS-CoV-2-Infektionen in der Bevölkerung, ohne dass Infektionsketten eindeutig nachvollziehbar sind. Für einen großen Anteil der Fälle kann das Infektionsumfeld nicht ermittelt werden. Seit Mitte Oktober steigt die die Zahl der intensivmedizinisch behandelten COVID-19-Fälle stark an, von 655 Patienten am 15. Oktober 2020 auf 3.770 am 24. November 2020 (vgl. auch RKI-DIVI - Tagesreport des RKI mit den Daten des DIVI-Intensivregisters, Stand 24.11.2020, abrufbar unter https://www.intensivregister.de/ ...reporting). Das RKI schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland weiterhin als hoch ein, für Risikogruppen als sehr hoch. Nach wie vor gibt es keine zugelassenen Impfstoffe und die Therapie schwerer Krankheitsverläufe ist komplex und langwierig (vgl. Risikobewertung zu COVID-19, Stand: 11.11.2020, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Co-ronavirus/Risikobewertung.html).

b) In dieser Situation fallen die zu erwartenden Folgen einer Außervollzugsetzung der angegriffenen Norm - insbesondere die mögliche Eröffnung weiterer Infektionsketten durch eine Öffnung von Saunen - schwerer ins Gewicht als die (wirtschaftlichen) Folgen ihres einstweilig weiteren Vollzugs (vgl. BayVGH, B.v. 5.11.2020 - 20 NE 20.2468 - BeckRS 2020, 29302 - Rn. 22). Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die Bundesregierung angekündigt hat, die wirtschaftlichen Verluste zumindest teilweise zu entschädigen. Im Übrigen beruht die Entscheidung des Verordnungsgebers, bestimmte Lebensbereiche zu schließen, auf einem Gesamtkonzept, im Rahmen dessen insbesondere Schulen und Betreuungseinrichtungen für Kinder sowie eine große Zahl von Betrieben und Unternehmen geöffnet bleiben sollen. Würden Teile dieses Konzepts außer Vollzug gesetzt, bestünde die Gefahr, das Infektionsgeschehen nicht eindämmen zu können, mit gravierenden Folgen (vgl. BVerfG, B.v. 11.11.2020 - 1 BvR 2530/20 - juris Rn. 16; BayVerfGH, E.v. 16.11.2020 - Vf. 90-VII-20 - BeckRS 2020, 31088 - Rn. 41 und E.v. 21.10.2020 - Vf. 26-VII-20 - juris Rn. 27).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Da die von dem Antragsteller angegriffene Bestimmung bereits mit Ablauf des 30. November 2020 außer Kraft tritt (§ 28 8. BayIfSMV), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren auf der Grundlage von Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht angebracht ist.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).