VG Magdeburg, Urteil vom 08.09.2020 - 3 A 7/20
Fundstelle
openJur 2020, 78674
  • Rkr:

Arbeitet ein nach dem BerRehaG während der Haftzeit als Verfolgter anerkannter Kläger nach der Haft in der vor der Haft ausgeübten beruflichen Tätigkeit weiter, liegt keine Verfolgung nach dem BerRehaG vor.

Tatbestand

Der Kläger begehrt eine weitergehende Rehabilitierung nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG).

Mit dem streitbefangenen Bescheid erkannte der Beklagte den Kläger als Verfolgten im Sinne des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes für die Zeit seiner Inhaftierung vom 20.04.1979 bis zum 04.11.1979 an. Die Feststellung einer darüberhinausgehenden Verfolgungszeit bis 1988 wurde abgelehnt.

Nach dem Abschluss der 8. Klasse absolvierte der Kläger eine Teilfacharbeiterausbildung zum Dreher bzw. Zerspaner im VEB H. S.. Unmittelbar vor seiner Inhaftierung am 20.04.1979 arbeitete er als Abdichter im VEB S. M. Mit Urteil des Kreisgerichts W. vom 24.05.1979 wurde der Kläger wegen des Vorwurfs des "Rowdytums in der Gruppe handelnd" zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt, welche er bis zum 01.11.1979 verbüßte. Ab dem 05.11.1979 war der Kläger als Dachdeckerhelfer bei der PGH des Dachdeckerhandwerkes "E." in S. tätig.

Das Landgericht Magdeburg hob mit Beschluss vom 07.02.2017 das Urteil des Kreisgerichts als teilweise rechtsstaatswidrig auf und stellte die zu Unrecht erlittene Freiheitsentziehung für die Zeit vom 20.04.1979 bis zum 01.11.1979 fest.

Der streitbefangene Bescheid führt aus, dass eine über die Haft hinausgehende politische Verfolgungsmaßnahme nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 BerRehaG nicht feststellbar sei. Laut vorliegendem Sozialversicherungsausweis habe der Kläger ab dem 05.11.1979 wieder eine Tätigkeit als Dachdeckerhelfer und somit eine sozial gleichwertige Tätigkeit aufgenommen. Ein spürbarer sozialer Abstieg habe nicht stattgefunden. Aus den vorliegenden Unterlagen des BStU gehe hervor, dass der Kläger sein Arbeitsverhältnis mit dem VEB H. selbst gelöst habe. Es sei daher kein Eingriff in den Beruf feststellbar. Die von dem Kläger aufgeführten fehlenden Entwicklungsmöglichkeiten im Beruf seien nach dem BerRehaG nicht erfasst.

Mit der dagegen fristgerecht erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und trägt vor, dass er nach der Haft nicht entsprechend seiner Qualifikation als Teilfacharbeiter arbeiten durfte. Er sei ausschließlich mit der Verrichtung von sozial nicht gleichwertigen Hilfsarbeiten beschäftigt gewesen. Er sei umfassenden staatlichen Kontrollmaßnahmen ausgesetzt gewesen. Er habe sich wöchentlich im Volkspolizei-Kreisamt melden müssen. Sein Personalausweis sei ihm entzogen worden. Für einen Arbeitsplatzwechsel sei eine Genehmigung der staatlichen Organe erforderlich gewesen.

Im Rahmen einer eidessstattlichen Versicherung erklärt der Kläger gegenüber dem Gericht, dass er wiederholt entschieden Kritik an den Arbeitsabläufen im Betrieb geäußert und dies mit kritischen Äußerungen über den Staat DDR verbunden habe. Daraufhin sei er von den Gremien des Betriebes zu Aussprachen vorgeladen worden. Dabei habe man ihm 1978 mitgeteilt, dass er "nicht würdig sei" im VEB H. S. zu arbeiten und man habe ihn unter Druck veranlasst einen Arbeitsplatzwechsel vorzunehmen und seine Tätigkeit im VEB H. S. zu beenden.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Beklagten unter insoweitiger Aufhebung des Bescheids vom 29.08.2019 zu verpflichten, die Verfolgungszeit nach dem BerRehaG über den 04.11.1979 hinaus bis 1988 anzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen

und verteidigt den Bescheid. Der Kläger habe vor und nach seiner Inhaftierung als ungelernter Dachdecker/Abdichthelfer gearbeitet. Hierbei handele es sich grundsätzlich um eine sozial gleichwertige Tätigkeit. Ein spürbarer beruflicher Abstieg, die für eine berufliche Rehabilitierung erforderlich sei, habe nicht stattgefunden. Der Kläger sei von keinem Berufsverbot betroffen gewesen.

Das Gericht hat bei der Nachfolge-Firma H. S. GmbH erfolglos um Personalunterlagen aus der damaligen Zeit nachgesucht. Auch eine Nachfrage bei der Stasi-Unterlagen Behörde (BStU) ergab keine neuen Erkenntnisse.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die Verwaltungsvorgänge verwiesen. Diese Unterlagen war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Gründe

Die zulässige Klage über die durch den Einzelrichter (§ 6 VwGO) ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO) entschieden werden konnte, ist unbegründet. Der Beklagte hat die begehrte Feststellung der Verfolgungszeit nach dem BerRehaG über den 04.11.1979 (Haftentlassung) hinaus zu Recht abgelehnt und den Kläger dadurch nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO). Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung einer weiteren über die Haft hinausgehenden Verfolgungszeit. Der Kläger unterlag insoweit keiner Verfolgung im Sinne des BerRehaG.

1.) Nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 BerRehaG hat Anspruch auf Leistungen nach dem BerRehaG, wer in der Zeit vom 08.05.1945 bis zum 02.10.1990 durch eine andere Maßnahme als nach Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BerRehaG im Beitrittsgebiet, wenn diese der politischen Verfolgung gedient hat, zumindest zeitweilig weder seinen bisher ausgeübten, begonnenen, erlernten oder durch den Beginn einer berufsbezogenen Ausbildung nachweisbar angestrebten noch einen sozial gleichwertigen Beruf ausüben konnte (Verfolgter). Verfolgungszeit ist nach § 2 Abs. 1 BerRehaG der gemäß § 1 Abs. 2 festgestellte Zeitraum einer zu Unrecht erlittenen Freiheitsentziehung oder eines Gewahrsams (Nr. 1) sowie die Zeit, in der der Verfolgte auf Grund einer Maßnahme nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 oder 4 oder als Folge einer Maßnahme nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 seine bisherige oder eine angestrebte Erwerbstätigkeit nicht ausgeübt oder ein geringeres Einkommen als aus der bisherigen Erwerbstätigkeit erzielt hat (Nr. 2).

Diese Voraussetzungen liegen beim Kläger für den von ihm begehren Zeitraum nach seiner - als Verfolgungszeit nach §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 2 BerRehaG anerkannten Haftzeit - nicht vor.

Das Gericht schließt sich - wie bereits in den prozessleitenden Verfügungen geäußert - der zutreffend durch den Beklagten vorgenommenen Bewertung der Sach- und Rechtslage an. Die von ihm vorgetragenen staatlichen und betrieblichen Kontrollmaßnahmen waren Teil des staatlichen Eingliederungs- und Kontrollprograms, ohne dass diese selbst aber zu einer Verfolgung im Sinne des BerRehaG führen. Für eine Verfolgung gibt es trotz der durchgeführten Ermittlungen des Gerichts bei der Nachfolge-Firma und der Stasi-Unterlagen-Behörde keine Hinweise. Entscheidend ist, dass der Kläger vor wie nach seiner als Verfolgung anerkannten Inhaftierung eine sozial gleichwertige berufliche Tätigkeit wahrgenommen hat. In dem "Führungsbericht" vom 10.10.1979 (Anlage 8, Bl. 26 Beiakte A) heißt es, dass das Arbeitsverhältnis mit dem ehemaligen Betrieb S. M. noch bestehe und er dort wieder die Tätigkeit eines Dachdeckers aufnehmen möchte. Nichts anderes ergibt sich aus seinem "Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung".

Der Gesetzgeber hat die Schutzwirkung des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes auf Eingriffe in eine verfestigte berufsbezogene Position beschränkt. Dies sind nur Eingriffe in eine begonnene, tatsächlich ausgeübte Berufstätigkeit oder Fälle der Verhinderung, einen erlernten Beruf auszuüben oder eine Ausbildung abzuschließen. Das lässt eine Berücksichtigung bloß hypothetischer Karrieremöglichkeiten nicht zu (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Februar 1998 - 3 C 25.97 - Buchholz 115 Sonstiges Wiedervereinigungsrecht Nr. 11 S. 20; Beschluss vom 20. Dezember 2010 - 3 PKH 6.10 - juris Rn. 5). Maßnahmen der DDR, durch die einem Einstellungsbewerber der Zugang zu einer neuen - berufsadäquaten - Tätigkeit verwehrt worden ist, sind als sogenannte Aufstiegsschäden einzuordnen und stellen keine berufliche Benachteiligung im Sinne des § 1 Abs. 1 BerRehaG dar (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. August 2010 - 3 B 11.10 - ZOV 2010, 234 <235>). Danach erstreckt sich die Schutzwirkung des § 1 Abs. 1 BerRehaG nicht auf Fälle, in denen ein Beruf lediglich im Sinne einer sozialen Wahrscheinlichkeit angestrebt wurde, ohne dass eine entsprechende Ausbildung begonnen oder der Beruf tatsächlich ausgeübt worden wäre (BVerwG, Beschluss vom 17. Februar 2020 - 8 PKH 10/19 -, Rn. 6 - 7, juris; ständige Rechtsprechung: vgl. nur zuletzt: BVerwG, Beschl. v. 05.05.2020, 8 B 83.19 und 8 B 6.20: alle juris).

Ein verfolgungsrelevanter Eingriff in den Beruf ist deshalb nicht feststellbar. Das Gericht darf zur weiteren Begründung auf den streitbefangenen Bescheid verweisen (§ 117 Abs. 5 VwGO).

2.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Entscheidung ist nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BerRehaG nicht mit der Berufung oder Beschwerde anfechtbar. Die Revision war nicht zuzulassen, weil ein Grund nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegt.

Mangels weiterer Anhaltspunkte erfolgte die Streitwertfestsetzung nach § 52 Abs. 2 GKG erfolgt in Höhe des Regelwertes.

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