SG Darmstadt, Gerichtsbescheid vom 19.05.2020 - S 14 KR 404/18
Fundstelle
openJur 2020, 77970
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte der Klägerin für die Zeit vom 19.03.2018 bis zum 13.08.2018 Krankengeld gewähren muss.

Die 1963 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Am 06.03.2018 bescheinigte der Allgemeinmediziner Dr. D. eine Arbeitsunfähigkeit der Klägerin aufgrund der ICD-10 Diagnose F 48.0 (Neurasthenie) für die Zeit vom 06.03.2018 bis zum 18.03.2018 (ein Sonntag).

Sie telefonierte am 19.03.2020 mit der Praxis Dr. D. Aus organisatorischen Gründen konnte ihr erst am 21.03.2020 ein Termin gegeben werden.

Mit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 21.03.2020 (Mittwoch) bescheinigte Dr. D. eine Arbeitsunfähigkeit der Klägerin aufgrund der ICD-10 Diagnose F 48.0 (Neurasthenie) für die Zeit vom 06.03.2018 bis zum 01.04.2018.

Mit Bescheid vom 12.04.2018 bewilligte die Beklagte der Klägerin in der Zeit vom 07.03.2018 bis zum 18.03.2018 Krankengeld und teilte mit, dass mit dem Ende des Krankengeldanspruchs auch die beitragsfreie Versicherung ende. Die Arbeitsunfähigkeit sei nicht spätestens am Folgetag bescheinigt worden.

Die Klägerin widersprach dem Bescheid am 17.04.2020, da sie durchgängig arbeitsunfähig gewesen sei. Sie legte ein Attest von Dr. D. vom 12.04.2018 bei, der dies bestätigte. Sie habe keinen Einfluss auf die Terminsvergabe.

Mit Schreiben vom 27.0war4.2020 legte die Beklagte der Klägerin die Gründe für die Ablehnung weiterer Krankengeldzahlung noch einmal dar.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13.06.2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nachdem bei der Klägerin Arbeitsunfähigkeit nach ärztlicher Bescheinigung vom 06.03.2018 bis zum 18.03.2018 attestiert worden war, hätte sie sich spätestens - so die Beklagte - am 19.03.2018 in ärztliche Behandlung begeben lassen, um ihre Arbeitsunfähigkeit bescheinigen lassen. Die Klägerin habe ihre Mitwirkungsobliegenheit verletzt. Dazu gehöre das aktive Herbeiführen eines Arzt-Patientenkontakts. Nicht ausreichend sei es, mit der Arztpraxis für einen späteren Zeitpunkt vereinbarte persönliche Vorstellung abzuwarten. Mit dem Ende des Krankengeldanspruchs endete am 18.03.0218 auch die weiterführende Versicherung nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V. Zum Zeitpunkt der erneuten Feststellung der Arbeitsunfähigkeit am 21.03.2018 habe keine Versicherung mit Krankengeldberechtigung bestanden, so dass daraus kein erneuter Krankengeldanspruch entstehe.

Dagegen hat die Klägerin am 12.07.2018 Klage vor dem Sozialgericht Darmstadt erhoben.

Die Klägerin trägt vor, sie habe Dr. D. am 19.03.2018 telefonisch mit der Bitte um eine Terminsvergabe unter Hinweis auf das Auslaufen der Arbeitsunfähigkeit am 18.03.2018 kontaktiert. Dieser habe ihr mitgeteilt, dass erst am 21.03.2018 ein Termin frei sei und es unerheblich wäre, dass er erst am 21.03.2018 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstelle, da diese rückwirken könne. Auf diese Aussage habe die Klägerin vertraut. Die Klägerin ist der Auffassung, dass eine Fehlentscheidung eines Vertragsarztes durch die die fristgerechte ärztliche Feststellung von Arbeitsunfähigkeit verzögert oder verhindert würde, unabhängig von den Gründen den Verantwortungsbereich der Krankenkasse zuzurechnen sei. Sie legte noch ein Attest von Dr. D. vom 10.07.2018 bei. Dieser teilte mit, dass die Klägerin "bei uns in der Praxis angerufen habe". Aus organisatorischen Gründen der Praxis sei eine frühere Attestierung der Arbeitsunfähigkeit nicht möglich gewesen. Die Klägerin ist der Auffassung, dass es eines persönlichen Arzt-Patientenkontaktes nicht bedürfe. Ein Telefonat sei als Patientenkontakt gemäß EBM ausreichend und löse die Abrechenbarkeit aus. Eine Frist könne zudem auch ausgeschöpft werden.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 12.04.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.06.2018 aufzuheben und der Klägerin Krankengeld in gesetzlicher Höhe in dem Zeitraum vom 19.03.2018 bis zum 13.08.2018 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, für die Beendigung der Krankengeldzahlung hätten medizinische Aspekte nicht im Vordergrund gestanden, sind er es handle sich ausschließlich um die Folge aus der Verletzung der Obliegenheitspflicht. Ein Arzt-Patientenkontakt habe nicht stattgefunden. Der Klägerin sei es durchaus auch zumutbar gewesen, sich frühzeitig vor Ende des Arbeitsunfähigkeitsabschnitts, um einen Folgetermin in der Arztpraxis zu kümmern. Zudem sei fraglich, ob der telefonische Kontakt tatsächlich zwischen dem Arzt selber und der Klägerin stattgefunden hatte. Zudem sei keine persönliche ärztliche Untersuchung erfolgt.

Das Gericht hat die Behandlungsdokumentation über die Klägerin angefordert Aus dieser sind Eintragungen am 06.03.2018 und am 21.03.2018 ersichtlich.

Die Beteiligten wurden mit Schreiben vom 29.04.2020 - zugestellt jeweils am 05.05.2020- zu einer beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört. Sie erklärten ihr Einverständnis.

Am 12.07.2019 überreichte die Klägerin ein Attest von Dr. D. zur Akte, nachdem er attestiert, die Klägerin sei vom 06.03.2018 bis 06.05.2018 durchgängig arbeitsunfähig erkrankt und die Unterlagen seien von ihm persönlich geprüft worden. Er habe mit der Klägerin persönlich gesprochen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte Bezug genommen.

Gründe

Der Rechtsstreit konnte ohne mündliche Verhandlung gemäß § 105 Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid in Beschlussbesetzung - ohne ehrenamtliche Richter - entschieden werden, nachdem die Beteiligten zuvor entsprechend angehört worden sind, ihnen eine angemessene Frist zur Stellungnahme eingeräumt worden ist und die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist sowie der Sachverhalt darüber hinaus so, wie er für die Entscheidung allein rechtlich relevant ist, geklärt ist. Der Gerichtsbescheid wirkt insoweit als Urteil (§ 105 Abs. 3 1. Halbsatz SGG).

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Nach § 44 Abs. 1 S. 1 des Fünften Buch Sozialgesetzbuches (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn - abgesehen von den Fällen stationärer Behandlung - Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Ob und in welchem Umfang Versicherte Krankengeld beanspruchen können, bestimmt sich nach dem Versicherungsverhältnis, das im Zeitpunkt des jeweils in Betracht kommenden Entstehungstatbestands für Krankengeld vorliegt. An die Stelle des Versicherungsverhältnisses tritt bei einem nachgehenden Anspruch die hieraus erwachsende Berechtigung (vgl. insgesamt Bundessozialgericht BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014, Az: B 1 KR 37/14 R, juris Rn. 8).

Der Anspruch entsteht gemäß § 46 S. 1 SGB V bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung von ihrem Beginn an, im Übrigen von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an. Der Anspruch auf Krankengeld bleibt gemäß Satz 2 jeweils bis zu dem Tag bestehen, an dem die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt wird, wenn diese ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit erfolgt; Samstage gelten insoweit nicht als Werktage. Die Anspruchsvoraussetzungen - also auch die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit - müssen bei zeitlich befristeter Arbeitsunfähigkeit-Feststellung und dementsprechender Krankengeldgewährung für jeden Bewilligungsabschnitt jeweils erneut vorliegen (Schifferdecker, in: Kasseler Kommentar, SGB V, § 46 Rn. 18; vgl. zudem BSG, Urteil vom 16.12.2014, Az: B 1 KR 25/14 R, Rn. 12 m. w. Nachw.). Hier hat Dr. D. am 06.03.2018 bis zum 18.03.2018 Arbeitsunfähigkeit festgestellt. Die nächste Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch einen Arzt erfolgte dann erst am 21.03.2018 und mithin nicht an dem den 18.03.2018 folgenden Werktag (vgl. § 46 S. 2 SGB V) am 19.03.2018. Zwar hatte Dr. D. eine Arbeitsunfähigkeit auch vom 19.03.2018 bis 20.03.2018 bzw. eine durchgehende Arbeitsunfähigkeit seit dem 06.03.2018 (vgl. Attest vom 12.04.2018) bescheinigt. Die Feststellung dieser Arbeitsunfähigkeit wurde aber erst am später und mithin nicht am 19.03.2018 getroffen.

Es liegt hier kein Ausnahmefall vor, der einem weiteren Krankengeldanspruch der Klägerin trotz nachträglich erfolgter ärztlicher Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nicht entgegen. Zwar obliegt es dem Versicherten, zur Vermeidung einer Unterbrechung von Krankengeldansprüchen (und zum Erhalt eines durchgehenden umfassenden Krankenversicherungsschutzes Pflichtversicherter) für eine Folge-AU-Bescheinigung spätestens am letzten Tag der zuvor bescheinigten Arbeitsunfähigkeit Sorge zu tragen (BSG, Urteil vom 11. Mai 2017, Az: B 3 KR 22/15 R, juris Rn. 20), denn es gilt, Missbrauch und praktische Schwierigkeiten zu vermeiden, zu denen die nachträgliche Behauptung der Arbeitsunfähigkeit und deren rückwirkende Bescheinigung beitragen könnten. Wenn die Versicherte aber 1. alles in ihrer Macht Stehende und ihr Zumutbare getan hat, um ihre Ansprüche zu wahren, indem sie einen zur Diagnostik und Behandlung befugten Arzt persönlich aufgesucht und ihm seine Beschwerden geschildert hat, um die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung des Anspruchs auf Krankengeld zu erreichen, und dies rechtzeitig innerhalb der anspruchsbegründenden bzw. -erhaltenden zeitlichen Grenzen für den Krankengeld -Anspruch erfolgt ist, 2. sie an der Wahrung der Krankengeld -Ansprüche durch eine (auch nichtmedizinische) Fehlentscheidung des Vertragsarztes gehindert wurde (zB eine irrtümlich nicht erstellte AU-Bescheinigung), und 3. sie - zusätzlich - ihre Rechte bei der Krankenkasse unverzüglich, spätestens innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V, nach Erlangung der Kenntnis von dem Fehler geltend macht (vgl. BSG, Urteil vom 11. Mai 2017, Az: B 3 KR 22/15 R, juris Rn. 34) besteht weiterhin ein Anspruch auf Arbeitsunfähigkeit.Diese Voraussetzungen sind hier aber nicht erfüllt, denn die Klägerin hat Dr. D. oder einen anderen Arzt am 19.03.2018 nicht persönlich aufgesucht, sondern lediglich telefonisch Kontakt aufgenommen. Sie hat damit gerade in diesem Einzelfall nicht alles ihr Zumutbare getan und die Arztpraxis aufgesucht. Das Aufsuchen der Praxis wäre ihr angesichts der bei ihr von Dr. D. festgestellten Erkrankung (Neurasthenie) auch möglich gewesen. Hinsichtlich dieser Erkrankung führt der ICD-10-GM aus: "Im Erscheinungsbild zeigen sich beträchtliche kulturelle Unterschiede. Zwei Hauptformen überschneiden sich beträchtlich. Bei einer Form ist das Hauptcharakteristikum die Klage über vermehrte Müdigkeit nach geistigen Anstrengungen, häufig verbunden mit abnehmender Arbeitsleistung oder Effektivität bei der Bewältigung täglicher Aufgaben. Die geistige Ermüdbarkeit wird typischerweise als unangenehmes Eindringen ablenkender Assoziationen oder Erinnerungen beschrieben, als Konzentrationsschwäche und allgemein ineffektives Denken. Bei der anderen Form liegt das Schwergewicht auf Gefühlen körperlicher Schwäche und Erschöpfung nach nur geringer Anstrengung, begleitet von muskulären und anderen Schmerzen und der Unfähigkeit, sich zu entspannen. Bei beiden Formen finden sich eine ganze Reihe von anderen unangenehmen körperlichen Empfindungen wie Schwindelgefühl, Spannungskopfschmerz und allgemeine Unsicherheit. Sorge über abnehmendes geistiges und körperliches Wohlbefinden, Reizbarkeit, Freudlosigkeit, Depression und Angst sind häufig. Der Schlaf ist oft in der ersten und mittleren Phase gestört, es kann aber auch Hypersomnie im Vordergrund stehen." Das Gericht ist daher aufgrund der dargestellten Funktionsbeeinträchtigungen überzeugt, dass es der Klägerin möglich gewesen wäre, die Praxis von Dr. D. oder einen anderen Arzt aufzusuchen.

Nur ergänzend weist die Unterzeichnerin darauf hin, dass weder aus den Erklärungen des Arztes vom 10.07.2018 und noch aus der Patientenkartei oder dem Schreiben vom 12.07.2019 ein direkter telefonischer Kontakt zwischen der Klägerin und Dr. D. am 19.03.2018 nachweisbar ist. Nur dann wäre die Möglichkeit gegeben, dass der Patient dem Arzt seine Situation am Telefon schildert und dieser sie bewerten und dann rückwirkend Arbeitsunfähigkeit bescheinigen kann.

Ein anderer von der Rechtsprechung entwickelter Ausnahmetatbestand, bei der die rückwirkende oder verspätete Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ausreicht und dem Verantwortungsbereich der Krankenkasse zuzurechnen sind und nicht demjenigen des Versicherten (vgl. nur auch mit weiteren Beispielen in juris Rn. 22: BSG, Urteil vom 08. August 2019, Az: B 3 KR 18/18 R).

Eine anderweitige ärztliche Feststellung, die die "Lücke" schließen könnte, ist nicht ersichtlich noch dazu vorgetragen. Eine Handlungsunfähigkeit (bspw. Bergunfall, Ohnmacht, schwere Depression) oder Geschäftsunfähigkeit (bspw. Geisteserkrankung) oder die von dem Erfordernis einer ärztlichen Feststellung am 19.03.2018 absehen lassen könnte, liegt nicht vor.

Die Mitgliedschaft der Klägerin als versicherungspflichtig Beschäftigter mit Krankengeldanspruch endete daher am 18.03.2018 (vgl. §§ 19 Abs. 1, 190 Abs. 2 iVm. § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V; vgl. im Übrigen die Ausführungen bei Schifferdecker, in: Kasseler Kommentar, SGB V, § 44 Rn. 24). Bei einer freiwilligen Versicherung besteht kein Krankengeldanspruch (Gerlach, in: Hauck/Noftz, SGB, Stand: 02/16, § 44 SGB V, Rn. 41-42.).

Es besteht auch kein nachgehender Leistungsanspruch. Endet die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger, besteht gemäß § 19 Abs. 2 S. 1 SGB V Anspruch auf Leistungen längstens für einen Monat nach dem Ende der Mitgliedschaft, solange keine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird. Die aus der früheren Mitgliedschaft abgeleitete Versicherungsschutz ist gegenüber Ansprüchen aus einem aktuellen Versicherungsverhältnis (hier der freiwilligen Versicherung) grundsätzlich aber nachrangig, auch wenn das im Wortlaut des § 19 Abs. 2 SGB V unmittelbar nicht zum Ausdruck kommt (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014, Az: B 1 KR 25/14 R, juris Rn. 18).

Der Krankengeldanspruch der Klägerin ist auch nicht unter Zugrundelegung von § 46 Satz 3 SGB V in der erst ab dem 11.05.2019 geltenden Fassung zu beurteilen. Da bei dem Kläger Krankengeldansprüche aus dem Jahr 2017 und 2018 streitig sind, war die Neuregelung in § 46 Satz 3 SGB V aufgrund einer fehlenden gesetzlich angeordneten Rückwirkung nicht anzuwenden.

Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung von § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache.

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